• Veröffentlichungsdatum : 18.08.2016
  • – Letztes Update : 23.08.2016

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  • 1723 Wörter

Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este

Alma Hannig

Kaum eine Person der Weltgeschichte verdankt ihre Bekanntheit so sehr den besonderen Umständen ihres Todes wie der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand. Am 28. Juni 1914 fiel der Erzherzog während eines Besuches der bosnischen Hauptstadt Sarajewo zusammen mit seiner Frau Sophie von Hohenberg einem Anschlag zum Opfer.

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Obwohl sich Franz Ferdinand keiner allzu großen Beliebtheit in der Bevölkerung erfreute, löste die Nachricht vom Attentat einen Schock aus. Die „Neue Freie Presse“ hielt die Stimmung am 28. Juni 1914 in Wien fest: „Kein Aufschrei, sondern eine Art Lähmung. Mit weit aufgerissenen Augen stehen die Menschen da, beugen sich zu zehn und zwanzig über die Papierblätter und murmeln dumpfe Rufe des Entsetzens.“ 

Während Familie und Freunde des Thronfolgerpaares tiefe Trauer empfanden, zeigte sich die Mehrheit der Bevölkerung hauptsächlich über den Schlag entsetzt, den das Attentat dem Ansehen der Monarchie versetzt hatte. Denn für die meisten seiner Zeitgenossen war der Erzherzog eine „Sphinx“: sowohl seine Persönlichkeit als auch sein Wirken waren den Menschen kaum bekannt. Wie lässt sich dies angesichts der langen Thronfolgerzeit erklären?

Herkunft und Ausbildung

Franz Ferdinand war der älteste Sohn des jüngeren Bruders von Kaiser Franz Joseph, Erzherzog Carl Ludwig, und der sizilianischen Königstochter Maria Annunciata. Als er am 18. Dezember 1863 in Graz geboren wurde, konnte noch niemand ahnen, dass es sich bei ihm um den künftigen Thronfolger der Habsburgermonarchie handeln würde. Denn vor ihm rangierten der einzige Sohn des Kaisers, Kronprinz Rudolf, sowie Franz Josephs Brüder, die Erzherzöge Carl Ludwig und Ferdinand Maximilian (der spätere Kaiser von Mexiko).

Nach dem frühen Tod Maria Annunciatas heiratete Franz Ferdinands Vater 1873 die junge portugiesische Prinzessin Maria Theresia, die ein gutes Verhältnis zu ihren Stiefkindern Franz Ferdinand, Otto, Ferdinand Carl und Margaretha Sophia aufbaute. Franz Ferdinand wurde von Privatlehrern unterrichtet, die mehrheitlich Offiziere waren. Er genoss eine umfangreiche schulische Bildung, wobei auf Wunsch der Eltern die Religion sowie die Vermittlung von konservativen Werten und einem starken Bewusstsein für die Zugehörigkeit zum Haus Habsburg und dessen historische Bedeutung eine besondere Rolle spielten. Wie alle Habsburger erhielt der Erzherzog eine Offiziersausbildung und wurde bereits 1878 (im Alter von 15 Jahren) zum Leutnant im Infanterieregiment Nr. 32 in Wien ernannt.

Bis zum Antritt seines Dienstes beim Dragonerregiment Kaiser Ferdinand Nr. 4 im Jahr 1882 wurde er ein Jahr lang privat in Rechts- und Staatswissenschaften unterrichtet. Ohne jegliches Talent für Fremdsprachen (Englisch sprach er nicht, Italienisch und Tschechisch nur „einige Brocken“, Ungarisch wenig und Französisch „sehr mittelmäßig“) und mit wenig Interesse für Naturwissenschaften und Philosophie war Franz Ferdinands Allgemeinbildung am Ende der Ausbildung lückenhaft. Zu den schönsten Jahren seines Lebens zählten die folgenden zehn Jahre, die der Erzherzog beim Militär verbrachte.

Außerhalb der Dienstzeiten ging er zahlreichen Vergnügungen nach, allen voran der Jagd, die Zeit seines Lebens seine größte Leidenschaft bleiben sollte (laut Schusslisten hat er insgesamt ca. 275 000 Tiere erlegt). Nicht selten wurde Franz Ferdinand ebenso wie sein Bruder Otto und Kronprinz Rudolf wegen einiger Ausschweifungen von Erzherzog Albrecht, der moralischen Instanz am Hof, oder gar von Kaiser Franz Joseph kritisiert. 

Vorbereitung auf die Thronfolge

Der Selbstmord seines Cousins Rudolf im Jahr 1889 sollte das Leben Franz Ferdinands grundlegend ändern. Denn sein Vater, nun offizieller Thronfolger, galt als mäßig begabt und wenig interessiert am politischen und militärischen Geschehen. Da er außerdem kaum jünger als Franz Joseph war, wurde Franz Ferdinand als der nächste Thronfolger betrachtet und in seinen Aufgaben- und Pflichtenkreis entsprechend eingeführt. Er begleitete den Kaiser bei offiziellen Terminen und übernahm seit 1891 regelmäßig repräsentative Aufgaben und eigenständige diplomatische Missionen ins Ausland.

Im Jahr 1892/93 unternahm der Erzherzog eine Weltreise, auf der er beinahe 33 000 km zurücklegte und unter anderem Indien, Australien, China, Japan, Kanada und die USA besuchte. Die Reise leistete einen wichtigen Beitrag zur Behebung seiner Bildungsdefizite: er befasste sich mit den politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen der besuchten Länder, besichtigte Sehenswürdigkeiten und kam während seiner zahlreichen Jagdausflüge in den Genuss von außergewöhnlichen Landschaften und einer abwechslungsreichen Tier- und Pflanzenwelt. Eine längere Krankheitsphase hielt ihn anschließend bis Mitte 1897 von Wien und somit von den meisten Thronfolgertätigkeiten fern. 

Franz Ferdinand und das Militär

Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1896 erfolgte die eigentliche Ernennung Franz Ferdinands zum Thronfolger, als er 1898 zur „Disposition des Allerhöchsten Oberbefehls“ gestellt und mit der Inspektion größerer Heeresverbände und der Leitung von Manövern betraut wurde. Der Erzherzog übersiedelte ins Belvedere, den ehemaligen Sitz des Prinzen Eugen von Savoyen, und bekam einen eigenen militärischen Stab, aus dem sich später seine mächtige Militärkanzlei entwickeln sollte. Für Franz Ferdinand war die Armee die Hauptstütze der Dynastie und des Vielvölkerstaates, weshalb er sich für ihre Stärkung, Einheit und Modernisierung sowie Reformen und Verjüngung der Generalität einsetzte.

Kaiser Franz Joseph schätzte die Meinung seines Neffen in militärischen Fragen und übertrug ihm in den kommenden Jahren zunehmend Machtbefugnisse. Im Herbst 1913 wurde Franz Ferdinand zum Generalinspektor der gesamten bewaffneten Macht ernannt. Politische Einmischungen von Seiten des Thronfolgers schätzte Franz Joseph hingegen nicht. Obwohl sie beide die Politik einer starken Position der Krone und der Erhaltung der Großmachtstellung Österreich-Ungarns vertraten, gab es grundsätzliche, unüberwindliche Unterschiede in ihren politischen Ansichten.

Einer der wichtigsten Gegensätze betraf die dualistische Struktur des Staates, an der Franz Joseph festhielt und die Franz Ferdinand abzuschaffen beabsichtigte. Hinzu kommen das vom Kaiser stets kritisierte ungeschickte Verhalten und Auftreten des Erzherzoges in der Öffentlichkeit, wenn er gegen die nationalistisch gesinnten Ungarn, Polen, Serben, Italiener, aber auch Juden, Liberale oder Sozialisten ausfällig wurde. Die regierenden Eliten in Wien waren häufig gezwungen, bei unterschiedlichsten politischen Ansätzen zwischen „Schönbrunn“ und „Belvedere“ zu lavieren, um es sich weder mit dem jetzigen noch mit dem künftigen Herrscher zu verderben.

Heirat mit Sophie Chotek

Die Heirat Franz Ferdinands mit der unebenbürtigen Gräfin Sophie Chotek im Jahr 1900 sorgte für eine Verschlechterung der Beziehungen zu Kaiser Franz Joseph. Der sonst standesbewusste Thronfolger, der sich stets für die strikte Beachtung der Habsburger Hausgesetze einsetzte, riskierte eine Verfassungskrise, als er weder auf den Thron noch auf die Liebe verzichten wollte.

Der Kompromiss war der Renuntiationseid, den der Thronfolger im Vorfeld der Heirat leistete. Darin musste er für seine künftigen Kinder auf die Thronfolge verzichten und akzeptieren, dass die Kinder den Namen der Mutter tragen und nicht zum Haus Habsburg gehören würden. Finanziell abgesichert waren sie dennoch aufgrund des immensen Vermögens, das Franz Ferdinand von Franz V. von Modena geerbt hatte (die Bedingung für das Erbe war, dass er den Titel Este im Namen tragen musste) und in der Folgezeit zu vermehren wusste (Die Este waren eines der ältesten italienischen Adelsgeschlechter).

Aufgrund der Ungleichbehandlung und Zurücksetzung seiner Frau bei allen offiziellen Anlässen zog sich Erzherzog Franz Ferdinand zunehmend aus Wien zurück und verbrachte die meiste Zeit mit seiner Familie auf Schloss Konopischt (heute: Konopište) in der Nähe von Prag (die Kinder Sophie, Maximilian und Ernst wurden zwischen 1901 und 1904 geboren). Der von seinen Zeitgenossen häufig als aufbrausend, zornig und sprunghaft charakterisierte Thronfolger war ein liebevoller, fürsorglicher Vater und Gatte sowie ein humorvoller und heiterer Gesprächspartner für seine Familie und Freunde. 

Franz Ferdinand und seine Politik

Für das politische Engagement Franz Ferdinands gab es keine verfassungsrechtliche Grundlage. Ihm gelang es jedoch, aus der militärischen Stellung heraus und mit Hilfe seiner Militärkanzlei, die als eine Art „Reichskanzlei“ fungierte, zunehmend Einfluss auf verschiedene Bereiche des Staatslebens zu erlangen. Franz Ferdinand konnte immer erfolgreicher seine Kandidaten bei wichtigen Personalentscheidungen in der Politik, Kultur und beim Militär durchsetzen.

In den Jahren 1912 bis 1914 wurden seine Einmischungen in die Außenpolitik sowohl vom Kaiser als auch vom Außenminister toleriert. Nicht zuletzt Franz Ferdinands gute persönliche Beziehungen zum deutschen Kaiser Wilhelm II., mit dem er nicht nur die Begeisterung für Marine und Jagd, sondern auch die Abneigung gegen die demokratischen und parlamentarischen Strukturen teilte, stärkten seine Position innerhalb des Machtgefüges der Donaumonarchie. Beide verband zudem die Vorstellung von der Notwendigkeit eines „persönlichen Regimentes“ des Herrschers. 

Franz Ferdinand bereitete seine Thronnachfolge intensiv vor. Verschiedene Reformprogramme wurden entwickelt, die einen Umbau der Donaumonarchie vorsahen. Zahlreiche offizielle und inoffizielle Mitarbeiter des „Belvedere“ unterbreiteten Denkschriften, lieferten Informationen und bemühten sich, den Wünschen des Thronfolgers entgegenzukommen. Dabei ging es dem Erzherzog um die Stärkung der Position der Krone und die Schwächung der Ungarn.

Dass er - wie häufig behauptet - auf eine Dreiteilung oder gar föderalistische Lösung setzte, gehört ins Reich der Legenden ebenso wie die Vorstellung von Franz Ferdinand als dem wichtigsten, wenn nicht einzigen Friedensretter innerhalb der k.u.k. Führung, dessen Tod den Weg für die „Falken“ frei gemacht habe. Weder war der Thronfolger ein „Slawenfreund“ noch wollte er jemals eine weitere Schwächung seiner künftigen Position als Kaiser durch Föderalisierung oder Demokratisierung riskieren. Sowohl den Trialismus als auch den Föderalismus benutzte Franz Ferdinand als Druck- bzw. Drohmittel gegenüber den ungarischen Eliten. Die Stärkung der Zentralgewalt war die einzige Konstante in seinen Plänen. 

Franz Ferdinand und der Frieden

Der Einsatz des Thronfolgers für den Frieden während der großen Balkankrisen 1908/09 und 1912/13 lässt sich ausschließlich aus seinen machtpolitischen Überlegungen heraus erklären. Die innenpolitische und militärische Schwäche der Monarchie, die Gefahr eines Mehrfrontenkrieges sowie die fragliche Loyalität der Bündnispartner Deutschland, Italien und Rumänien waren gewichtige Gründe gegen einen Krieg. Außenpolitisch setzte sich der Erzherzog für eine enge Zusammenarbeit mit Deutschland und Russland ein.

Überzeugt davon, dass eine Einigung der konservativen Monarchien und eine Neuauflage des Dreikaiserbündnisses möglich seien, plädierte Franz Ferdinand Ende 1912 sogar für einen Krieg gegen Serbien, von dessen Notwendigkeit er stets überzeugt war. Alle Mitglieder des „Belvederekreises“ - mehrere Diplomaten, mit denen der Thronfolger engen Kontakt pflegte sowie die von ihm geschätzten Militärs, allen voran Generalstabschef Conrad von Hötzendorf - waren Kriegsbefürworter, die einen Präventivkrieg vorschlugen.

Erst die klare Absage aus Deutschland während der beiden Balkankriege wirkte deeskalierend. Seitdem unterstützte der Thronfolger die friedensbewahrende Politik des Außenministers Leopold Graf Berchtold. Dieser arbeitete an friedlichen Alternativen, die den Großmachtstatus der Donaumonarchie sichern und zugleich eine weitere territoriale und machtpolitische Ausdehnung Serbiens verhindern sollten. Das Attentat vom 28. Juni 1914 beendete diese Bemühungen und wurde als die letzte Bestätigung für die aggressive serbische Politik angesehen. 

Das Thronfolgerpaar wurde nach testamentarischer Verfügung Franz Ferdinands in Artstetten bestattet, da eine Bestattung Sophies in der Kapuzinergruft in Wien aufgrund der Unebenbürtigkeit ausgeschlossen war. Der gemeinsame Sockel erhielt die Inschrift: „Iuncti coniugio fatis iun guntur eisdem“ (Verbunden durch das Band der Ehe, vereint durch das gleiche Schicksal).

Dr. Alma Hannig gilt als Expertin für die Biographie von Franz Ferdinand.

www.schloss-artstetten.at

Reliquiensaal der Urkatastrophe - Artikel zur Ausstellung im HGM zum Attentat in Sarajevo

 

Ihre Meinung

Meinungen (1)

  • Reinhold Kalteis-Gamerith // 30.06.2017, 18:53 Uhr Danke für diesen ausgewogenen und informativen Artikel.
    Ich habe trotzdem noch ein wenig den Eindruck, dass hier ein geistiger Vorläufer des Donald Trump durch die Schüsse von Sarajewo gestoppt wurde. Ich glaube, die Monarchie wäre mit FF schweren Zeiten entgegen gegangen, sein Tod brachte allerdings ihr Ende...