Transitquartier Salzburg
Frierende Kinder im Regen, kleine Zelte auf riesigen Wiesen. Das Fernsehen zeigt seit Wochen Bilder von der griechisch-mazedonischen Grenze. Die österreichische Regierung hat die Balkanroute geschlossen. Offen ist das Transitquartier in Salzburg - seit etwa zwei Wochen ist es leer. Eine Reportage von Gerold Keusch.
Themenschwerpunkt Migration
Ein typischer Nachmittag auf den Straßen von Salzburg im März 2016. Der Regen prasselt auf das Dach des Autos, die Ampel ist grün, trotzdem stockt der Verkehr. Es sind nur wenige Kilometer bis zum Transitquartier in Salzburg auf dem Areal der ehemaligen Straßenmeisterei. Bei den heutigen Verhältnissen ist das eine kleine Weltreise durch eine kalte und verregnete Stadt. Es ist zum Davonlaufen. Am besten auf eine Insel im Süden. Griechenland wäre toll. Hauptsache warm, kein Stress oder Stau. Weg vom Trubel, der Hektik und der Arbeit.
Die Straße vom Salzburger Bahnhof in das Transitquartier war ein Teil der Route der Flüchtlinge, auf ihren Weg nach Deutschland. Hunderttausende kamen von September bis Februar in Österreich an. Nach unzähligen Tagen auf der Flucht, unzähligen Stunden des Wartens und der Ungewissheit fuhren die Schutzsuchenden auf dieser Straße. Die meisten von ihnen kamen über die Grenze bei Spielfeld. Dort wurden sie von den österreichischen Behörden in Empfang genommen und weitertransportiert. Die meisten kamen mit Bussen des Bundesheeres nach Salzburg. Die Armee, die Polizei aber auch alle anderen Behörden gaben nicht nur den Einheimischen das Gefühl von Sicherheit und Ordnung. Die Geduld, der Flüchtlinge, die in Europa Arbeit und Sicherheit suchen wurde oft betont.
Ehemalige Straßenmeisterei
Wir kommen im Transitquartier Asfinag an. So heißt die Einrichtung für Schutzsuchende auf dem Gelände der ehemaligen Straßenmeisterei in Salzburg in der Behördensprache. Das Gelände erinnert an eine Kaserne. Ein Gebäude neben der Einfahrt, ein großer Platz und alte Garagen; trostlos und grau. Die Wache stoppt das Auto. Sie kontrolliert die Ausweise und meldet, einen Dienst ohne Vorkommnisse. Zurzeit befindet sich nur eine Familie vor Ort.
In der Sammelstelle für Transitflüchtlinge war es nicht immer so ruhig. Mitte September kamen immer mehr Personen mit dem Zug am Salzburger Bahnhof an. Damals von der Grenze zu Ungarn. Diese wurden anfangs in einer Tiefgarage am Bahnhof untergebracht. Als immer mehr kamen, wurde das Zwischenquartier Asfinag errichtet. Dort wurden die meisten der Schutzsuchenden untergebracht. Es gab aber auch ein Transitquartier beim ehemaligen Zollhaus am Grenzübergang Saalbrücke nach Freilassing und eines etwa zwei Kilometer entfernt. Dieses befand sich in der Straniak-Straße im Nordosten der Stadt Salzburg. Ende September kamen täglich etwa 2 000 Personen in Salzburg an. In dem Areal befanden sich bis zu 2 500 Menschen. Etwa tausend waren ständig dort. Zuerst wurden sie in alten Garagen am Gelände untergebracht, später in Zelten. Die Garagen waren baufällig. Sie durften nicht mehr als Unterkunft verwendet werden.
Bis Ende Oktober 2015 kamen die Flüchtlinge mit der ÖBB aus Wien zum Bahnhof in Salzburg. Sie wurden in der Tiefgarage bzw. im Bereich des Zollhauses untergebracht und versorgt. Die Hauptroute war damals über Ungarn nach Österreich. Vom Grenzübergang Nickelsdorf erfolgte der Transport mit Bussen nach Wien. Das Areal der Asfinag wurde erst nach der Schließung der Tiefgarage Anfang November 2015 das zentrale Transitquartier in Salzburg. In dieser Zeit verlagerte sich das Schwergewicht der Flüchtlingsroute auf die Grenzübergänge im Süden (Spielfeld, Bad Radkersburg und Karawankentunnel). Der Transport von dort erfolgte mit Bussen direkt zum Gelände der Asfinag. Alle Einrichtungen zur Versorgung der Flüchtlinge am Bahnhof wurden abgebaut und dorthin verlegt.
Areal
Auf dem großen Platz des Transitquartieres steht eine alte Tankstelle mit einer Hütte für den Tankwart. Die Fensterscheiben sind staubig, dahinter stehen einige alte Rollstühle. Zettel liegen am Boden verstreut. Das ist der Platz an dem die Busse ankamen. Hier stiegen die Flüchtlinge aus und wurden zur Datenaufnahme in eine ehemalige Garage geführt. Die erste Station vor Ort. Dort bekam jeder Flüchtling ein Band um das Handgelenk.
Das Band diente dazu, die Flüchtlinge in Gruppen einzuteilen. So wurde der Überblick bewahrt. In diesen Gruppen waren der Aufenthalt und der Ablauf in der Einrichtung organisiert. Die Essenszeiten hingen genau so davon ab, wie die Zuweisung des Schlafbereiches. So war klar, wer zu welcher Gruppe gehört und wann er weitertransportiert wird. Das erfolgte nach dem Grundsatz: Wer zuerst rein kommt, darf als Erster wieder raus. Die meisten Menschen bleiben nur kurz hier. Es gab aber auch einige, die hier auf ihre Angehörigen warteten.
Neben dem Gebäude für die Datenaufnahme steht ein großes Zelt, wie man es von Festen kennt. Hier dient es nicht zum Feiern, sondern als Unterkunft. Es ist durch einen etwa vier Meter breiten Gang geteilt. Links und rechts stehen Reihen zu jeweils zehn Betten. Nach fünf Reihen ist ein Markierband gespannt. Es trennt das Zelt in Bereiche für 50 Personen. Hier wird geschlafen und gewartet. Acht Gruppen finden Platz in dem Zelt; insgesamt 400 Menschen.
Bewegung ist das wichtigste Gebot im Transitquartier. Die Menschen müssen erkennen, dass sie nicht am Abstellgleiss stehen. Wer sieht, dass es „weitergeht“, wer Ordnung und Organisation spürt, bleibt ruhig. Das schafft Vertrauen. Eine wesentliche Komponente für Ruhe unter den Flüchtlingen.
Neben dem Zelt befindet sich die Stelle für die Essensausgabe. Hierher wurden die Gruppen zum Essen geführt. Dieses wird von einer NGO zubereitet und ausgegeben. Die Ausgabe richtete sich nicht nach einer Uhrzeit. Sobald ein Transport ankam, war auch die Verpflegung für die Menschen zubereitet.
Zusammenarbeit
In dem Transitquartier arbeiten NGOs, Polizei, Bundesheer, Rotes Kreuz und freiwillige Helfer unter der Leitung des Magistrates Salzburg in Zusammenarbeit mit dem Land Salzburg. Zwei dieser NGOs in dem Areal sind die Muslim Hands und die Caritas. Muslim Hands ist eine Organisation aus England. Sie besteht vor allem aus pakistanisch-stämmigen Briten. Diese bereiteten Verpflegung zu und gaben sie aus. Da sie selber Moslems sind, wird ihr Essen von den Flüchtlingen, meist moslemischen Glaubens, bedenkenlos angenommen. Die Caritas ist an einem anderen Platz im Areal. Dort verteilt sie Schuhe und Bekleidung. Darüberhinaus kamen gelegentlich Pfadfinder vorbei, um mit den Kindern zu spielen.
Heute gibt es keine große Ausgabe. Das Transitquartier ist so gut wie leer. Ein vierjähriges Mädchen sitzt auf der Bank neben einem Tor und kämmt ihre Puppe. Ein Bub spielt alleine Fußball. Die beiden Kinder und ihre Eltern sind die einzigen Flüchtlinge vor Ort. Das Gelände wirkt wie ausgestorben. Eine Streife geht zwischen den Gebäuden. Sie dreht ihre Runde, um für Ordnung und Sicherheit zu sorgen.
Bundesheer und Polizei sind am gesamten Areal ständig präsent. Sie geben Anweisungen und Auskünfte, koordinieren die Gruppen der Flüchtlinge und schlichten so manchen Streit. Die meiste Zeit war es ruhig in der Einrichtung. Es gab nur kleinere Probleme. Bedenkt man, wie viele Menschen, aus den unterschiedlichsten Ländern hier auf so engen Raum waren, verwundert das. Es zeigt wie umsichtig und dennoch entschlossen die Behörden vor Ort agierten.
Hinter den beiden Kindern sind Garagen. Dort ist die medizinische Betreuung. Heute ist sie nicht besetzt. Neben dieser Einrichtung gibt es einen Bereich an dem Mütter und ihre Babys betreut werden können.
Im Transitquartier gibt es viele freiwillige Helfer, die keiner Organisation angehören. Sie helfen bei diversen Tätigkeiten mit. Nirgendwo sonst ist der Kontakt, zwischen Organisationen aus dem In- und Ausland mit öffentlichen Behörden, der Exekutive und der Armee, so eng wie hier. Jeder kann mithelfen, einen Blick in die Organisation der Behörden werfen und sich ansehen, wie diese in einem heiklen Einsatz vorgehen. Wie sie sich verhalten, welche Einstellung und welchen Auftrag sie haben.
Bereiche auf dem Gelände
Auf dem Areal gibt es drei verschiedene Bereiche mit verschiedenen Zuständigkeiten. Der größte Bereich ist das Transitquartier für durchreisende Schutzsuchende (hsF - hilfe und schutzsuchende Fremde; so die offizielle Bezeichnung) Richtung Deutschland. Der zweite abgetrennte Bereich mit separatem Eingang ist die Betreuungsstelle. Darin wohnen Flüchtlinge die registriert wurden und sich im Asylverfahren befinden oder bereits anerkannte Flüchtlinge im Asylstatus. Das Bundesamt für Fremden- und Asylwesen hat ein Büro zur Abwicklung der Asylverfahren vor Ort eingerichtet. Der Betrieb und die Bewachung erfolgt durch die schweizer Firma ORS im Auftrag des Bundesministeriums für Inneres. Der dritte Bereich, der später von der Transitunterkunft getrennt wurde, war das Asylquartier. Darin wurden Menschen einquartiert und versorgt, die sich in Österreich aufhielten und auf den Beginn ihres Asylverfahrens warteten. Diese Einrichtung wurde auf Anordnung der Politik errichtet, weil die Menschen sonst im Winter auf der Straße hätten schlafen müssen.
Eine besondere Herausforderung im Transitquartier ist die sanitäre Versorgung. Am gesamten Areal befinden sich Container mit Toiletten, Waschgelegenheiten und Duschen. Es gibt sogar eine Stelle, die für Mütter reserviert ist, um dort ihre Babys zu baden. Einmal in der Woche wird die Betreuungseinrichtung desinfiziert. Das passiert nachdem die Menschen Richtung Deutschland transportiert wurden, bevor die nächsten kommen. Diese Maßnahme soll Seuchen vorbeugen.
Im Bürogebäude der ehemaligen Straßenmeisterei ist die Leitung des Transitquartieres. Hier arbeitet Amira (Name von der Redaktion geändert; Anm.) als Übersetzerin. Die junge Frau aus Afghanistan sitzt auf einem alten schäbigen Sofa und spielt mit ihrem Handy. Heute ist es ruhig. Amira erzählt von den letzten Wochen. Die Flüchtlinge hatten kein Problem damit, dass sie eine Frau ist. Fast alle Schutzsuchenden benötigten einen Übersetzer, die wenigsten sprachen Englisch oder Deutsch. Die meisten Menschen aus ihrer Heimat haben sich ruhig verhalten. Nur einmal gab es ein Problem. Ein 19-jähriger Afghane schlug während dem Gespräch mit ihr wiederholt seine Frau. Ein Einzelfall, der mit einem „Hausverbot“ für den jungen Mann endete.
Der Migrant, der in flüssigem Englisch von seiner akademischen Karriere berichtet, wurde gerne in den Medien gezeigt. Er ist jedoch die Ausnahme. Die meisten Flüchtlinge sind Arbeiter, Bauern oder Angestellte - der berühmte „kleine Mann“. Ganz normale Menschen, auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Der Öffentlichkeit wurde das Bild vermittelt, dass vor allem Akademiker kommen. Vor gebildeten Menschen muss man keine Angst haben. Unterschwellig wurden damit Menschen ohne Studium abgewertet.
Lagezentrum
Ein paar Räume neben dem Arbeitsplatz der Sprachmittlerin ist das Lagezentrum des Transitquartieres. Hier befindet sich der Verantwortliche der Behörde mit einigen Mitarbeitern. Die Stelle ist ständig besetzt, heute von zwei Personen. An den Wänden hängen Karten, daneben Listen mit Namen, Telefonnummern und Adressen, Diensteinteilungen etc. Der Raum sieht aus wie ein Gefechtsstand des Bundesheeres. Das ist kein Zufall. Das Militärkommando Salzburg, das Land Salzburg und die Bezirksverwaltungsbehörden arbeiten nicht nur eng zusammen. Die für die Sicherheit der Behörden verantwortlichen Stellen werden vom Militär in der Stabsarbeit geschult. Die Kooperation auf diesem Gebiet gibt es schon mehrere Jahre. Das Motto der gemeinsamen Ausbildung und Zusammenarbeit lautet: KKK – in Krisen, Köpfe kennen. Das Resultat ist eine gute Arbeitsbasis; die Voraussetzung für das reibungslose Gelingen des aktuellen Einsatzes.
An einer Pinwand hängen Fotos von Personen. Es sind jene Flüchtlinge die „Hausverbot“ im Transit- und Asylquartier haben. Sie sind demnach nicht berechtigt das Areal zu betreten. Die Gründe dazu sind unterschiedlich. Wer sich nicht an die Regeln hält fliegt raus und findet sich auf der Straße wieder. Was er dann tut kommt auf ihn selbst an. Die Behörde ist nicht mehr für ihn zuständig. Sie gibt dem Hinausgeworfenen einen Zettel mit Adressen von Notschlafstellen. Diese Stellen sind aber nicht dazu verpflichtet, jemanden Unterkunft zu gewähren. Was diese Menschen dann machen, weiß niemand so genau. Die meisten werden wohl ihre Flucht fortsetzen. Diese Vorgangsweise gibt es nicht nur in Salzburg - sie ist die gängige Praxis in Betreuungseinrichtungen.
Mitten in Europa
Der Regen hat aufgehört, zumindest in Salzburg. Idomeni versinkt im Schlamm. Die Flüchtlinge kommen nicht mehr nach Österreich. Sie sitzen an der griechischen Grenze fest. Hier grenzt das Land, in dem vor dreitausend Jahren die Demokratie erfunden wurde an ein Land, das nicht Mazedonien heißen darf. Griechenland will das nicht. FYROM darf man zu diesem Land sagen - Former Yugoslav Republic of Macedonia.
Wenn Flüchtlinge dort die Grenze überqueren, riskieren sie es, ausgeraubt zu werden. Von Personen die noch weniger haben als sie selbst; die Flüchtlinge als Rohstoffquelle sehen - Menschen die vor Krieg und Elend fliehen. Die es sich nicht vorstellen können, dass sie bei ihrer Flucht durch ein Land müssen, in dem Menschen im Frieden noch ärmer sind als sie im Krieg. In Europa, etwa tausend Kilometer von Österreich entfernt. Dort brechen Illusionen zusammen. Jene der Flüchtlinge, die meinen, dass alle Europäer reich sind. Aber auch jene von einem Europa, das Wohlstand für alle bieten kann oder will. Da macht es keinen Unterschied, ob das Land in der EU ist oder nicht. Es ist viel schlimmer - es befindet sich in dessen Mitte.
Der Verkehr auf der Autobahn ist heute so zäh wie in der Stadt. Es ist unglaublich wie es manche Fahrer schaffen, sich sogar bei Tempo 80 gegenseitig auszubremsen. Ein paar Km/h zu viel kosten mehrere hundert Euro. Schließlich würde man gegen ein Umweltschutzgesetz verstoßen. Das ist im Vergleich zum normalen Rasen kein Kavaliersdelikt. Ein Wahnsinn auf was man in Österreich - mitten in Europa - alles achten muss. Es ist zum Davonlaufen.
Offiziersstellvertreter Gerold Keusch ist Redakteur bei TRUPPENDIENST.
Fotos: Militärkommando Salzburg