• Veröffentlichungsdatum : 16.06.2023
  • – Letztes Update : 04.06.2024

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PerspektivenReich: Kampf um Soldatinnen

KATHARINA REICH

Historisch betrachtet gibt es die in der Mythologie der Griechen beschriebenen Amazonen, die Frauenbataillone der Roten Armee, die weiblichen Tito-Partisanen oder die Helferinnen der Deutschen Luftwaffe. Auch die US-amerikanische Flugpionierin und Frauenrechtlerin Emilia Earhart passt in diese "Runde". Frauen haben in verschiedenen Heeren diese Erde unterschiedliche Rollen gespielt.
 

Skythen – Kriegerinnen in frühen Kulturen 

Ein frühes historisches Beispiel dafür sind die Skythen. Dieses Reiternomadenvolk lebte zwischen 800 und 700 vor Christus in den Steppen des Schwarzen Meeres im heutigen Russland und der Ukraine. Die Kriegerinnen der Skythen kämpften vom Pferd aus mit Pfeil und Bogen. Behauptet wurde immer wieder, dass sie sich jene Brust amputierten, die beim Schießen mit dem Bogen ein Hindernis war. Die Überlieferungen zu den „Amazonen“ wurden mit Funden bisher jedoch nicht belegt und gehören daher wohl in das Reich der Mythen. Mithilfe von Erbgutanalysen in Kriegergräbern wurde mittlerweile festgestellt, dass Kriegerinnen zwar nicht die Regel waren, jedoch zum Alltag der Skythen gehörten. Dies zeigt, dass sie in keiner männlich dominierten Gesellschaft lebten. Das Reiternomadenvolk ermöglichte Frauen wie Männern dieselben Positionen und auch der Stand des Kriegers war für beide Geschlechter zugänglich.

2020 wurde ein Grab mit vier Generationen von Kriegerinnen freigelegt, die mit handwerklich aufwendig hergestelltem Goldschmuck und ihren eigenen Waffen bestattet wurden. Dieses Grab wurde von Valerii Guliaev entdeckt und ist etwa 2.500 Jahre alt. Es war Teil von 19 Grabhügeln, die im weißrussischen Devitsa gefunden wurden. In den Gräbern fanden sich ein etwa dreizehnjähriges Mädchen, zwei etwa 20-Jährige und eine Frau zwischen 40 und 45. Die Geschichtsforscherin Adrienne Mayor fand heraus, dass ein Drittel der gefundenen skythischen Frauen mit Waffen begraben wurden. Viele von ihnen hatten Kriegsverletzungen. Guliaevs Team fand, unter anderem in Armenien, elf bewaffnete Frauen. Der Hüftbereich eines dieser weiblichen Skelette wurde genau analysiert. Dabei fand man heraus, dass die Rumpf- und Gesäßmuskeln genauso stark ausgeprägt waren, wie jene der Männer dieser Zeit. Im Bein der Frau steckte eine Pfeilspitze und Narben am Körper legen ihre Teilnahme an Schlachten nahe.

Die Skythen beherrschten Eurasien über 1.000 Jahre lang und legten dabei eine „fortschrittliche“ Gleichberechtigung an den Tag. Sie waren für ihre schnelle und überfallsartige Kriegsführung als reitende Bogenschützen bekannt, die ihre Pferde mit reiner Körperkraft beherrschten. Viele Gräber wurden bereits geplündert, da Gold als Grabbeigabe beliebt war. Dennoch waren die Gräber der jüngsten und der ältesten Frau des Fundes noch intakt. Die jüngste Frau wurde in einer rituellen Reiterhaltung begraben, weshalb ihre Sehnen zur Bestattung durchtrennt werden mussten. Sie sollte demnach über den Tod hinaus reitend jagen. Die Menschheitsgeschichte liefert noch zahlreiche weitere Beispiele für Frauen im „Militär“. Klar ist, dass es den Skythen bei der Auswahl ihrer Krieger weniger um das Geschlecht, als um die Fähigkeiten des Menschen ging.
 

Krieg in der Sandkiste? – Geschlechterrollen heute

Damit sind wir am Punkt des Wandels unserer heutigen Gesellschaft angekommen. Seit den 1970er Jahren haben Frauen in Österreich alle Rechte, die auch ein männlicher Staatsbürger hat. Jedoch stehen sich Ideologien der Gleichberechtigung und jene der körperlichen Grundausstattung an einigen Punkten strittig gegenüber. Die Biologie gibt gewisse Normen vor; eine Frau gebärt in der Regel Kinder und ein Mann ist im Durchschnitt stärker. Das muss aber noch nichts über die Wehrhaftigkeit bzw. die Eignung als Soldat oder Soldatin aussagen. Wie man am Beispiel der Skythen erkennt, ist das eine Frage des Trainings und der ausgebauten eigenen Fähigkeiten. Doch erlangen junge Staatsbürger genügend Fähigkeit für den Kampf?

Typische Kinderspiele wie Cowboy und Indianer oder Räuber und Gendarm beinhalten bereits Kampfelemente sowie althergebrachte stereotype Geschlechterrollen. Heute stehen jedoch Geschlechter-Rollenbilder und die Geschlechts-Neutralität des Zeitgeistes dem Erlernen von „Kampffähigkeiten“ gegenüber. Was ist damit gemeint? Kinder übten früher im Spiel das Anschleichen, das Verstecken und das Fokussieren von Zielen. Heutzutage wird dieser Prozess jedoch immer häufiger eingeschränkt. Eltern wachen über ihre Kleinsten, wenn diese in der Sandkiste spielen. Kinder legen dabei eine gewisse Brutalität an den Tag, sie beißen oder reißen an den Haaren des Konkurrenten um die Schaufel. Ihre Impulskontrolle der Emotionen ist noch nicht reguliert. Es zeigt sich, unabhängig vom Geschlecht, der Jagdtrieb, der in jedem Kind angelegt ist. Wenn Eltern in solchen Fällen sofort einschreiten zeigt dies, dass der „Jagdtrieb“ gesellschaftlich mehr und mehr aus dem Bewusstsein rückt. Einige Jahre später, im Alter der Wehrpflicht, zeigen sich die Folgen. Den jungen Erwachsenen fehlt das Bewusstsein für körperliche Auseinandersetzungen. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass die Gesellschaft ihnen keine Wehrhaftigkeit beigebracht hat. Wie kann man dem entgegensteuern und was hat das mit Frauen beim Heer zu tun?

Soldatin mit Familie?

Der Wandel des Frauenbildes ist oberflächlich betrachtet umgesetzt, beim näheren Hinblicken zeigen sich jedoch nach wie vor Defizite. Warum ist beispielsweise der Eintritt ins Heer nach wie vor wenig attraktiv für Staatsbürgerinnen? Verteidigungsministerin Klaudia Tanner benannte im Jahr 2022 einen wesentlichen Faktor: die Kinderbetreuung. Soldatinnen sind oft, wie ihre zivilen Mitbürgerinnen auch, Mütter. Damit gehen eine Doppelbelastung und der Spagat zwischen Beruf und Familie einher.

Der Bedarf an Kinderbetreuung wurde und wird in Österreich vernachlässigt. Erst seit zehn Jahren etwa gibt es die temporäre Kinderbetreuung während der Sommerferien im Bundesheer. Die Infrastruktur stellt das Bundesheer selbst bereit. Dort werden Kinder zwischen drei und zwölf Jahren in den Sommerferien an 13 Kasernenstandorten über eine maximale Dauer von einem Monat betreut. In Österreich gibt es allerdings knapp 80 Kasernenstandorte, von denen somit nur 16 Prozent temporär eine Kinderbetreuung anbieten. Das Angebot gibt es in Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, der Steiermark und Wien. Tirol, Vorarlberg, Kärnten und das Burgenland fehlen. Es ist somit der erste Schritt getan, die Frage nach einer flächendeckenden Kinderbetreuung für alle Bediensteten des Bundesheeres bleibt jedoch unbeantwortet. Eine Ausweitung der Sommerbetreuung auf alle Bundesländer wäre der nächste logische Schritt. Österreich muss zu einem Land werden, in dem Frauen ihrem Beruf nachgehen können und gleichzeitig ihre Kinder gut versorgt wissen. Um den Dienst für das Bundesheer für Frauen attraktiver zu gestalten ist das Thema Kinderbetreuung unumgänglich.
 

Besoldung und Aufgaben

Die Besoldungsstufen im öffentlichen Dienst sind ebenfalls diskussionswürdig, wenn es darum geht genügend Personal zu rekrutieren. Der Arbeitsmarkt ist ein Markt der Bieter und derzeit wird überall händeringend nach passenden Arbeitskräften gesucht. Der öffentliche Dienst konkurriert mit der Privatwirtschaft um Arbeitskräfte – unabhängig vom Geschlecht. Er muss daher seine Attraktivität steigern. Es bleibt zu sagen, dass die Besoldungsstufen nicht kompliziert, sondern wenig attraktiv auf einem boomenden Arbeitsmarkt sind. Wenn Frauen oder generell hochqualifizierte Menschen vermehrt für die Landesverteidigung rekrutiert werden sollen, könnte eine allgemeine Wehrpflicht mit lebenslangen Milizübungen einige Probleme lösen. Dafür braucht es einen gesellschaftlichen Willen, also die geistige Landesverteidigung, und ein klar kommuniziertes verteidigungspolitisches Grundziel. Jedoch gibt es in Österreich weder gesellschaftlich noch politisch eine Mehrheit bzw. einen Konsens für derartige Überlegungen.

Blicken wir nun auf die traditionelle Anziehungskraft von kämpfenden Truppen: Im Durchschnitt sind Frauen der oftmals kraftbezogenen Tätigkeit, die auch Ausdauer und Körperkraft verlangt, weniger gewachsen als ihre männlichen Kameraden. Mit Training lässt sich dieser „biologische Nachteil“ jedoch zum Teil ausgleichen. Dennoch, ein Scharfschütze trägt mitunter ein schweres Scharfschützengewehr, das mehr als 16 kg wiegt. Dieses über eine Marschzeit von mehreren Stunden zu tragen, erfordert eine hohe körperliche Belastbarkeit. Eine Lösung wäre es, die Aufgaben in solchen Fällen frauengerecht zu betrachten und dementsprechend anzupassen bzw. zu erleichtern beispielsweise mit einer leichteren Waffe. Im Übrigen kann eine solche Anpassung der Aufgaben auch für schwächere oder kleinere Männer von Vorteil sein.

Ein Faktor, der heutzutage etwas aus der Zeit gefallen scheint, ist die Hierarchie sowohl in der Organisation als auch im Umgang im Bundesheer. Sie steht dem antiautoritären Denken beispielsweise von Startups diametral entgegen. Das Militär ist jedoch eine Struktur, in der es „um das Überleben“ geht und in der Entscheidungen schnell und widerspruchslos getroffen werden müssen. Diese Überlegungen gilt es den jungen Soldaten wieder klar und differenziert näher zu bringen.

Ungleichbehandlung vermeiden

Um Frauen für den Soldatenberuf zu gewinnen, darf nicht jedes Mittel recht sein. Besondere Erleichterungen oder „Goodies“ speziell für Soldatinnen widersprechen – vielleicht nicht juristisch, aber moralisch – dem Grundsatz der Gleichheit der Staatsbürger. Daher gilt es zu Bedenken, dass der Einsatz von Frauen möglicherweise nicht überall Sinn macht. Auch die Bezahlung sollte bei gleicher Tätigkeit für beide Geschlechter ident sein, wobei der öffentliche Dienst in diesem Bereich ein Vorbild ist.

Grundsätzlich ist zu bedenken, dass eine erzwungene Gleichmacherei von Mann und Frau im militärischen Berufsleben wenig Sinn macht. Würde man beginnen Frauen zu bevorzugen, dann wäre dies eine Umkehrung von Geschlechterungerechtigkeiten, aber keine Lösung. Vielmehr sollten die individuellen Stärken und Schwächen im Vordergrund stehen. Dazu bedarf es einen differenzierten Diskurs, etwa darüber, welchen Mehrwert Frauen im Bundesheer für die Wehrfähigkeit haben? So ist beispielsweise aus der Baubranche bekannt, dass Frauen das Arbeitsklima auf einer Baustelle verbessern können. Der raue Ton wird mit Höflichkeit und Respekt angereichert. Dies schadet keinem System.

Bestehende Normen umdenken 

Was bedeutet es Soldat zu sein, wenn Männer und Frauen zusammenarbeiten? Diese Frage ist ein heißes Eisen und deren Beantwortung erfordert einen Kulturwandel. Das betrifft zum einen das Verhalten, zum anderen müssen bestehende Normen „umgedacht“ und die Werte im Alltag adaptiert werden. Das muss ins Tagesgeschäft integriert werden, benötigt aber nicht unbedingt Vorschriften.

Der erste Schritt ist die Bewusstseinsschaffung, also das Informieren. Als nächstes gilt es zu überlegen, welche Bereiche für Frauen und welche für Männer geeignet sind. Die Unterschiede zwischen Mann und Frau sollen dabei nicht negiert, sondern mitgedacht werden. Dabei sollte man sich nicht von ideologischen Feminismusdebatten oder alten Männlichkeitsvorstellungen lenken lassen. Viel mehr erfordert ein solcher Prozess das Annähern von beiden Seiten, in dessen Zentrum der Mensch stehen sollte.

Internationale Beispiele

Ein Blick nach Israel ist sinnvoll, wo Frauen seit 1949 im Heer dienen. In den israelischen Streitkräften herrscht eine völlige Geschlechtergleichstellung. Soldatinnen steht der Dienst in allen Teilstreitkräften, Waffengattungen und Einheiten offen. Dennoch gibt es aufgrund historisch gewachsener Anforderungsprofile teils erhebliche Ungleichheiten in der Geschlechterverteilung. Einen Lösungsansatz für die Ausbildung bildet dort die reine Frauentruppe. Israel räumt außerdem, trotz Wehrpflicht für beide Geschlechter, Unterschiede hinsichtlich des Wehrdienstes als auch der Pflichtdienstzeit ein. Für Frauen gilt diese im Alter von 18 bis 19 Jahren und ist mit 24 Monaten um zwölf Monate kürzer als jene ihrer männlichen Kameraden. Zwischen 20 und 25 Jahren können sich Israelinnen freiwillig zum Wehrdienst melden. Eheschließungen, Schwangerschaft und Religion bedürfen Ausnahmeregelungen.

Im Sinne der Geistigen Landesverteidigung wäre es auf jeden Fall sinnvoll internationale Soldatinnen als Sprecherinnen bei Veranstaltungen einzuladen. Diese könnten auch aus Norwegen oder Schweden kommen, wo es ebenfalls eine Wehrpflicht für Frauen gibt. Frauen auf freiwilliger Basis ins Heer zu lassen ist ein guter Anfang, doch es erfordert innovative Modelle und eine Attraktivitätssteigerung, damit eine verstärkte Rekrutierung von Frauen tatsächlich stattfindet. So kann die Soldatin von morgen Realtität werden und der Wehrwille gehoben werden.
 

Fazit

Eine kürzlich veröffentlichte Gallup-Umfrage zum Freiwilligen Wehrdienst ergab eine spannende Erkenntnis: 85 Prozent der Befragten begrüßten den Zugang von Frauen zum freiwilligen Wehrdienst. Hingegen gaben nur 65 Prozent an die Wehrpflicht für Männer beibehalten zu wollen. Männer befürworteten die Wehrpflicht zu 44 Prozent, bei den Frauen waren es nur 19 Prozent. Dies zeigt den alten Wertekonservativismus in den Geschlechterrollen. Seit 2019 erstellt das Linzer Market Institut im Auftrag des BMLV das Sicherheitspolitische Meinungsbild, demzufolge seit 2019 mindestens 55 Prozent der Befragten eine Erhöhung der Ausgaben für die Landesverteidigung befürworten. Im Juli und August 2022 steigerte sich dieser Anteil auf 63 Prozent. Der Bevölkerung ist wegen des Ukraine-Krieges bewusst geworden, dass Landesverteidigung Geld kostet.

Der 24. Februar 2022 führte innerhalb der EU und auch in Österreich zu einem Umdenken in Bezug auf Wehrhaftigkeit und Landesverteidigung. Ob dieses jedoch nachhaltig ist, wird sich zeigen. In jedem Fall hat die Rekrutierung von Personal – egal ob männlich oder weiblich – neben den Investitionen in Ausrüstung und Gerät, höchste Priorität. Dafür gilt es die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zu schaffen. Derzeit fehlen in Österreich wichtige Grundlagen wie gemeinsame Werte, der Stolz auf eigene Errungenschaften oder die militärische Tradition. Diese erzeugen jedoch im komplexen Zusammenspiel einen ernsthaften Wehrwillen und die Bereitschaft sich mit Krieg bereits in Friedenszeiten auseinanderzusetzen. Der Ukraine-Krieg hat der Gesellschaft jedenfalls vor Auge geführt, dass die Vogel-Strauß-Methode kein sicherheitspolitischer Ansatz sein darf. Oder, ganz dem lateinischen Sprichwort folgend: „Si vis pacem para bellum.“ („Wenn du Frieden willst, bereite Krieg vor.“)

Mag. Katharina Reich lehrt zu sicherheitsrelevanten Infrastrukturen, Ökonomie und komplexem Denken an diversen Universitäten und Fachhochschulen.

 

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