• Veröffentlichungsdatum : 30.04.2024
  • – Letztes Update : 02.05.2024

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Kriegsbildverweigerung

Katharina Reich

Kriegsbildverweigerung

Teil 1: Was ist unter Kriegsbildverweigerung zu verstehen? Woher kommt der Trend, dass in den Medien Kriege ohne Tote dargestellt werden, die Zahlen zu Toten nicht mehr genannt werden und, im Vergleich zur Berichterstattung im Jugoslawienkrieg der 1990er-Jahre, nach dem Beginn eines Krieges viele Nachrichtenmacher bald das Interesse an diesem verlieren?

Zahlen, Daten, Fakten?

Geht man für eine erste Recherche ins Internet, so scheint es keine spezifischen Statistiken oder Daten zum Thema „Kriegsbildverweigerung“ zu geben. Allerdings gibt es allgemeine Statistiken zu Kriegen und Konflikten. Laut Statista gab es im Jahr 2022 weltweit 363 Kriege und Konflikte. Darüber hinaus gab es 104 Ressourcenkonflikte und 831 Wasserkonflikte zwischen 2010 und 2021. Doch in Österreich schienen Kriege bis zum Ausbruch des Ukraine-Krieges abstrakt und weit weg zu sein. Der letzte nahe gelegene Krieg war im damaligen Nachbarland Jugoslawien. 2022 hatte die lange Zeit des gefühlten Friedens ihr jähes Ende mit dem russischen Angriff auf die Ukraine. Seit dessen Beginn am 24. Februar 2022 gab es 6,2 Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine und 9.806 statistisch erfasste getötete Zivilisten, wie das Statista Research Department im November 2023 veröffentlichte. Das Interesse ist seit dem Kriegsbeginn im Februar 2022 mittlerweile abgeflaut. Woran liegt das?

Kriegsmüdigkeit

Man könnte es als Kriegsmüdigkeit bezeichnen. Doch warum sind die Menschen desinteressiert am Krieg, an seinen Toten, an dessen Ausgang und seit wann ist diese Müdigkeit zu bemerken? Zieht man wieder den Ukraine-Krieg als Beispiel heran, so scheint die Bevölkerung nach mehr als zwei Jahren immer weniger am Kriegsgeschehen interessiert zu sein. Es ist möglich, dass die Menschen übersättigt von den ständigen Nachrichten darüber sind. Sie konzentrieren sich womöglich lieber auf andere Themen.

Die Medienberichterstattung über Krieg in den unterschiedlichen Medien beeinflusst das Interesse der Öffentlichkeit. Nachdem es immer weniger förderungsunabhängige Medien gibt, stehen vor allem die Leserzahlen, Quoten und Live-Auftritte im Fokus. Ein Krieg ist auf Dauer „anstrengend“ in der Berichterstattung. Man fühlt sich belastet und müde, da man das Geschehen nicht beeinflussen kann. Da Medien auf den Konsum ausgerichtet sind, ist eine Berichterstattung zu Kriegsgeschehen so lange gefragt, so lange das öffentliche Interesse dazu hoch ist. Ist die Leserschaft gesättigt, flaut das Interesse ab. Es wird also so lange berichtet, bis die Neugier oder Sensationslust abflaut. Man kann demnach folgern: Wenn der Krieg nicht mehr das Hauptthema in den Nachrichten ist, hat das Interesse der Menschen an diesem nachgelassen.

Die politischen Faktoren der Kriegsberichterstattung werden hinsichtlich der Medienanalyse häufig zu wenig beachtet. Die politische Führung eines Staates kann das Interesse der Öffentlichkeit an einem Konflikt oder Krieg wesentlich beeinflussen. So liegt es vermutlich im politischen Interesse Russlands, wenn das öffentliche Interesse am Krieg abflachen würde. Europa beeinflusst den Krieg in der Ukraine mit dem Gewähren oder Verweigern von Geldern und/oder Waffenlieferungen genauso wie dies die USA tun. Fließt kein Geld oder werden keine Waffen geliefert, kann auch nicht gekämpft werden. Das ist allerdings eine unattraktive Seite, die man ungerne kommuniziert, weshalb darüber wenig berichtet wird.

Kurze Aufmerksamkeitsspanne

Die Veränderungen im Medienkonsum beeinflussen die Berichterstattung maßgeblich. Aktuelle Berichte sind im Vergleich zu den 1990er-Jahren wesentlich kürzer. Bereits drei bis fünf Minuten lange Beiträge werden heute als zu lange empfunden. Die Abnahme der Konzentrationsfähigkeit ist ein normaler und natürlicher Prozess. Wenn man sich lange konzentriert, fühlt man sich oft ähnlich erschöpft wie nach körperlicher Arbeit. Die Abnahme der Konzentrationsfähigkeit ist aber nicht gleichbedeutend mit einer Konzentrationsstörung.

Es gibt viele Faktoren, die die Konzentration beeinflussen. Dazu gehören psychische Überlastung, Stress, Schlafstörungen, Nährstoffmangel, zu wenig Bewegung oder verschiedene Grunderkrankungen. Auch eine unregelmäßige oder zu geringe Aufnahme von Kohlenhydraten kann zu Blutzuckerschwankungen führen, die einen Leistungsabfall und eine Konzentrationsschwäche verursachen können. Daher spielt womöglich die heutige Lebensweise eine wesentliche Rolle. Der Fokus auf kurzen Distanzen zu Fuß sowie die schnelle Ernährung zwischendurch sind Teil des Konzentrationsproblems, denn wer ausdauernde Bewegung macht hat automatisch eine höhere Konzentration. Die Konzentrationsfähigkeit ist von Mensch zu Mensch allerdings unterschiedlich, kann jedoch ähnlich wie ein Muskel gezielt trainiert werden.

Sprachniveau

Die APA stellte ihre Berichterstattung erst kürzlich in der Sprache und dem Schreibstil der „einfachen Sprache“ um. Was bedeutet das? Nun, die Sätze sind kurz und für „einfache“ Menschen geeignet. Das Konzentrieren wird damit ebenfalls weniger trainiert. Das ist ein bewusster Schritt formale Kriterien nach unten zu nivellieren, denn so wird der Leser suggestiv an kürzer werdende Inhalte gewöhnt. Die Konzentrationsfähigkeit und die Herausforderung zur Entwicklung einer eigenen Haltung werden dadurch allerdings erschwert.

Informationsflut

Eine Studie des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung aus dem Jahr 2019 ergab, dass die Zeitspanne, in der die Gesellschaft ihre volle Aufmerksamkeit einem Thema widmet, immer kürzer wird. Worin liegt der Grund? Die soziale Beschleunigung sorgt für eine Reizüberflutung. Soziale Medien, Nachrichten und Informationen saugen die Aufmerksamkeitsspannen ab, wie Soziologen und auch Psychologen warnend feststellen. Das Smartphone vibriert mit Eilmeldungen oder Push-Benachrichtigungen in rascher Folge. Die Angst etwas zu verpassen ist die Basis dafür, dass Menschen sich dem Stress durch Medien in Form von Vibrationen oder Kurztönen aussetzen.

Wissenschaftler haben in einer Studie Daten aus Büchern der vergangen 100 Jahre, Kinokartenverkäufen der vorangehenden 40 Jahre sowie aus wissenschaftlichen Publikationen der letzten 25 Jahre erforscht. Genauso zogen sie X – formals Twitter –, Google Trends, Reddit und Wikipedia als Quellen ihrer Untersuchungen heran, wobei die 2010er-Jahre der Hauptfokus waren. Es wurde nachvollziehbar, dass sich die Aufmerksamkeitsspanne verkürzt, denn 2013 wurde ein Hashtag durchschnittlich 17,5 Stunden in der Top-50-Liste aufgeführt, 2016 bestand das Hashtag im Durchschnitt nur mehr für 11,9 Stunden.

Selbst in der Welt ohne Internet zeigt sich die Abnahme der Konzentration deutlich. Über Google Books wurde untersucht, welche Wortgruppen in Büchern genutzt wurden und die Kinokartenverkäufe von Hollywood-Blockbustern wurden ausgewertet. „Es scheint so, dass das Maß der Aufmerksamkeit in unserer Gesellschaft gleichbleibt, was sich jedoch verändert, ist, dass die Themen und Inhalte, die um diese Aufmerksamkeit konkurrieren, immer dichter verpackt werden. Das bedeutet, dass es tatsächlich immer schwieriger geworden ist, auf dem Laufenden zu bleiben“, sagt Sune Lehmann, Co-Autor der Studie des Max-Planck-Institutes und Professor an der Technical University of Denmark.

Die Verkürzung der Konzentrationsfähigkeit infolge von geringerer Aufmerksamkeit wurde mit einem mathematischen Modell erklärt. Darin wurde festgestellt, dass sich jedes Thema von einer begrenzten kollektiven Aufmerksam speist. Jedes Mal, wenn von einem anderen Thema ein Stück der Gemeinschaftsaufmerksamkeit abgezweigt wird, bleibt für das einzelne Thema, wie einen Krieg, weniger über. Somit handelt es sich um eine Beschleunigung des Verdrängungsprozesses von Nachrichten. Die Studie belegt somit, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Gesellschaft im Kollektiv absinkt.

Medienflutung

Es wäre jedoch genauer zu untersuchen, ob das Überfluten von Informationen auch die Konzentration des Einzelnen verkleinert. Wie steht es um die Konzentrationsfähigkeit des Medienkonsumenten? Die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen nimmt laufend ab. Im Jahr 2000 lag die durchschnittliche Aufmerksamkeit noch bei 12 Sekunden, 2013 hingegen nur mehr bei acht Sekunden, wie eine auf Webcampus.de veröffentlichte Untersuchung zeigt. Das bedeutet im Umkehrschluss: Es gibt wesentlich mehr Input in kürzerer Zeit sowohl für Medienkonsumenten als auch für Medienmacher zu bewältigen. Clips werden demnach ebenfalls kürzer und die Inhalte flachen in ihren Argumentationen ab. Das führt zu einer Abflachung des Wissens, dass vermittelt wird.

Lesen ist unbeliebt?

Die Zeit, die Menschen für Lesen in Ruhe aufbringen, ist ebenfalls gesunken, dabei fördert es nachweislich die Konzentration und steigert die Aufmerksamkeitsspanne. Die österreichische Lesekompetenz nimmt ab und liegt im weltweiten Vergleich mit 17 Prozent unter dem EU-Durchschnitt von 19 Prozent. 17 Prozent der Österreicher zwischen 15 und 65 entsprechen einer Million Menschen, die eine sinkende Lesekompetenz aufweisen, wie die Statistik Austria bereits im Jahr 2016 untersuchte.

„Momentan erleben wir eine totale Umwälzung in der politischen Kommunikation, die massive Folgen für die Demokratie haben wird. Parteien bauen sich ihre eigenen Medien auf mit eigenen Social-Media-Kanälen und eigenen Bewegtbild-Agenturen. Sie brauchen klassische Medien immer weniger und können unabhängig davon informieren und agieren. Sie sammeln Daten – da sind teilweise bis zu hundert Leute angestellt – das alles zu steuern. (…)“, meinte der ehelmalige ÖVP-Bundesparteiobmann der ÖVP und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner im Jahr 2019 zur Lage der Medien.

Bewegtbildmedien

Dass Menschen in Österreich vermehrt schlechter Lesen können, beschleunigt den Drang zum bewegten Bild. Dadurch wird der schnelle Datenkonsum weiter vorangetrieben. Lesen entschleunigt und bedingt aufgrund der Beschäftigung auf einen Artikel in der Zeitung die Entscheidungsfindung. So wird neben der Steigerung der Aufmerksamkeit durch Lesen das Entscheiden für eine Tätigkeit, die länger dauert, bestärkt. Die Meinungsbildung erhält durch das bewusste und abwägende Entscheiden eine zusätzliche Facette und dem Inhalt wird durch die Bestärkung des Lesers zur selbständigen Entscheidung etwas „entgegengesetzt“. Es ist quasi ein Mini-Lehrgang gegen externe Beeinflussung und für freies Denken.

wird fortgesetzt

Mag. Katharina Reich lehrt zu sicherheitsrelevanten Infrastrukturen, Ökonomie und komplexem Denken an diversen Universitäten und Fachhochschulen.

 

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