• Veröffentlichungsdatum : 25.10.2024
  • – Letztes Update : 04.11.2024

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Kameradschaft und Zusammenhalt

Katharina Reich

Das Wort „Kameradschaft“ hat seine Wurzeln im Mittelalter. Die ältesten Begriffsformen zum „Kamerad“ tauchen im Mittelhochdeutschen erstmals im 12. bis 13. Jahrhundert auf. Die Bedeutung kommt jener des „Genossen“ oder „Gefährten“ nahe, der in ähnlichen Verhältnissen oder unter ähnlichen Bedingungen lebt oder arbeitet. Das heutige Wort Kamerad leitet sich vom französischen „camarade“ab, aus dem sich das mittelhochdeutsche Wort „kamarad“ entwickelte. „Camerade“ stammt aus dem 14. Jahrhundert und bedeutete ursprünglich „Mitbewohner“ oder „Kammergenosse“. Diese Bedeutung wurde von der lateinischen „camera“, der baulichen Kammer bzw. dem Zimmer, gebildet und kommt aus dem klerikalen Latein. Das Konzept der heutigen Kameradschaft, als eine enge, vertrauensvolle Beziehung, entwickelte sich aus der Idee des gemeinsamen Wohnens oder der engen Zusammenarbeit.

Das Wort „Zusammenhalt“ besteht aus den zwei Bestandteilen „zusammen“ und „Halt“. Es hat seinen Ursprung im Mittelhochdeutschen „zusamene“, was „zusammen“ oder „gemeinsam“ bedeutet. Das Wort „Halt“ kommt vom mittelhochdeutschen „halt“, das „Halt“ oder „Festhalten“ bedeutet. Es stammt vom althochdeutschen „halt“, das „Festigkeit“ bedeutet. In der Kombination der beiden Begriffe als „Zusammenhalt“ beschreibt es die Eigenschaft oder den Zustand, in dem verschiedene Teile oder Personen fest miteinander verbunden sind oder zusammengehalten werden. Damit ist gemeint, dass durch den „Halt“ bzw. die Unterstützung eine stabile, verlässliche Verbindung entsteht – Vertrauen ist dabei Voraussetzung. Daraus hat sich die heutige Begriffsbedeutung als „stabile, unterstützende Verbindung zwischen Menschen oder Dingen“ im Laufe der Zeit entwickelt, und wird in der Gegenwart verwendet, um Stärke und Einheit in Gruppen oder Gemeinschaften zu verdeutlichen.

Zahlen zur Kameradschaft

Die beiden Begriffe „Kameradschaft“ und „Zusammenhalt“ teilen das Konzept der engen, unterstützenden Verbindung, wobei „Kameradschaft“ historisch auf gemeinsame Lebensbedingungen zurückgeht und „Zusammenhalt“ die stabilisierende Kraft der gemeinsamen Unterstützung betont. Auf den heutigen Staat Österreich trifft dies nicht immer zu. Doch weshalb gehen den Österreichern Zusammenhalt und Kameradschaft verloren? Lässt sich dieses „Gefühl“ auch mit Daten belegen? Ja, das tut es. Laut einer Studie des Österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF) aus dem Jahr 2022 zeigt sich beispielsweise ein Rückgang der Vereinsmitgliedschaften. Während in den 1990er-Jahren etwa 60 Prozent der Österreicher Mitglieder zumindest eines Vereines waren, sind es 2022 nur noch etwa 50 Prozent. Betrachtet man das ehrenamtliche Engagement verhält es sich ähnlich, wie die Daten von „Volunteering Austria“ zeigen. Von 2010 bis 2020 hat sich die Hilfsbereitschaft um rund 10 Prozentpunkte gesenkt, denn während 2010 noch etwa 40 Prozent der Bevölkerung ehrenamtlich tätig waren, sind es 2020 nur noch rund 30 Prozent.

Dieser Trend setzt sich fort. Eine Umfrage von „Statistik Austria“ aus dem Jahr 2023 ergab, dass sich etwa 14 Prozent der österreichischen Bevölkerung häufig oder sehr häufig einsam fühlen. Dies stellt einen Anstieg von 4 Prozentpunkten im Vergleich zu 2010 dar. Das bedeutet, die Menschen fühlen sich mehr und mehr sozial isoliert. Doch tun sie etwas dagegen? Betrachtet man die Daten des World Values Survey 2022, so zeigt dieses einen Rückgang des Vertrauens in andere Menschen in Österreich. Während 2010 etwa 40 Prozent der Österreicher angaben, anderen Menschen grundsätzlich zu vertrauen, hat sich dieser Anteil 2022 auf etwa 32 Prozent gesenkt. Dies betrifft die gesamte Bevölkerung. Wie sieht es mit dem Faktor Zusammenhalt in der Wirtschaft oder im Militär aus? Was beeinflusst die Kameradschaft? Wie sehen dort die Zahlen aus?

Im Jahr 2022 berichteten etwa 80 Prozent der Soldaten des Österreichischen Bundesheeres von einer starken Kameradschaft innerhalb ihrer Einheit, wie aus dem „Jahresbericht 2022“ des Bundesheeres hervorgeht. Allerdings gaben etwa 15 Prozent der Soldaten im „Personalbericht 2021“ des Bundesheeres an, Schwierigkeiten mit dem Zusammenhalt zu haben, insbesondere bei langen Auslandseinsätzen. Eine Studie von 2020 zeigt, dass etwa 75 Prozent der Soldaten in internationalen Einsätzen ein ausgeprägtes Gefühl der Zusammengehörigkeit erleben. Historische Daten, insbesondere die „Umfrage zur Soldatenzufriedenheit 2010“, zeigen, dass das Kameradschaftsgefühl seit 2010 stabil geblieben ist, mit etwa 78 Prozent positiven Rückmeldungen. Zudem machten etwa 20 Prozent der Soldaten in der Umfrage „Feedback- und Verbesserungsbericht 2022“ Vorschläge zur Förderung der Kameradschaft, einschließlich zusätzlicher Teambuilding-Maßnahmen. Kurz gesagt, das Militär hat ein stabiles, aber gemischtes Verhältnis zur Kameradschaft.

Wie steht es um die Kameradschaft in der Wirtschaft? Der Zusammenhalt in der österreichischen Wirtschaft zeigt Anzeichen eines Rückganges, wie mehrere Statistiken dokumentieren. Laut der „Innovations- und Kooperationsstudie 2023“ von KMU Forschung Austria, ist der Anteil kleiner und mittelständischer Unternehmen, die an branchenübergreifenden Kooperationen teilnehmen, von 45 Prozent im Jahr 2015 auf 35 Prozent im Jahr 2023 gesunken. Zudem verzeichnete die „Insolvenzstatistik 2023“ des Kreditschutzverbandes von 1870 einen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen um 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, was auf eine zunehmende wirtschaftliche Unsicherheit und fehlenden Zusammenhalt hindeutet. Zusätzlich zeigt die „Gründungsstatistik 2023“der Statistik Austria einen Rückgang der neu gegründeten Unternehmen um 8 Prozent im Vergleich zu 2020, was den Rückgang des unternehmerischen Optimismus zeigt.

Folgen für Österreich

Diese Daten verdeutlichen einige Herausforderungen, mit denen die wirtschaftliche Zusammenarbeit und der Zusammenhalt in Österreich konfrontiert sind. Der Rückgang bei Kooperationen und Unternehmensgründungen sowie der Anstieg von Insolvenzen könnten die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft langfristig schwächen. Das hat Folgen, wie Zahlen belegen, denn der Rückgang der Innovationen in Österreich führt laut dem „Innovationsindex 2023“ des AIT zu einem Verlust an globaler Wettbewerbsfähigkeit. Der „Wachstumsprognosen 2023“-Bericht des WIFO prognostiziert eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums durch geringere Innovationsaktivitäten. Das ist schlecht für Österreichs Kameradschaft, denn Menschen blicken dadurch leichter in andere Länder. Zudem zeigt der „Innovation and Technology Report 2023“ der OECD, dass stagnierende Innovationen die Schaffung neuer Arbeitsplätze beeinträchtigt, was langfristig den Wohlstand und die wirtschaftliche Dynamik Österreichs gefährdet. Dies hat auch Auswirkung auf Geburtenzahlen und daher auf die neuen Jahrgangszahlen von Rekruten.

Warum sinkt die Kameradschaft in Österreich?

Wie kam es zum Sinken von Kameradschaft und Zusammenhalt in Österreich? Der Opferstatus wird bei immer mehr Menschen zur Lebenseinstellung, womit die eigene Hilflosigkeit zunimmt. In Europa zeigen Daten der „European Social Attiudes 2021“ , dass etwa 38 Prozent der Befragten den Eindruck haben, Menschen würden sich zunehmend als Opfer ihrer Umstände sehen, was die wachsende Opfermentalität beweist. In Österreich berichtete eine Studie der Universität Wien die den Titel „Opferwahrnehmung und psychische Gesundheit in Österreich 2022“ trägt und aus dem Jahr 2022 stammt, dass etwa 30 Prozent der Österreicher, die in sozialen oder beruflichen Konflikten stehen, sich regelmäßig als Opfer empfinden, was mit erhöhten Stress und Belastungsraten der Betroffenen einhergeht. Zudem zeigte eine Untersuchung von ORF-Online zum Thema „Social Media und Hilflosigkeit bei Jugendlichen in Österreich 2023“aus dem Jahr 2023, dass 25 Prozent der Jugendlichen in Österreich häufig auf Medieninhalte stoßen, die Hilflosigkeit und Opferstatus thematisieren, was ihre Wahrnehmung von persönlichem Erfolg beeinflusst.

Je mehr Menschen einer Gesellschaft sich passiv verhalten, desto mehr nimmt der soziale Zusammenhalt ab. Daher ist es wichtig konsequent über den eigenen Tellerrand zu blicken. Was hilft dabei? Hier kann die Philosophie und Ethik des Militärs herangezogen werden, die vor allem in Auslandseinsätzen besonders hoch ausgeprägt ist. Der staatliche Zusammenhalt in Österreich zerfällt langsam, was zu einer gesellschaftlichen Neigung zum Opferstatus führt, der als passiv und positiv konnotiert empfunden wird. Für eine erfolgreiche wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung ist aber eine aktive Beteiligung gefordert, die jedoch sinkt. Diskussionsforen wie Stammtische, in denen unterschiedliche Perspektiven ausgetauscht werden, fehlen mehr und mehr, wodurch ebenfalls der soziale Zusammenhalt zu bröckeln beginnt. Das Wirtshaussterben mit einem Rückgang von etwa 15 Prozent in ganz Österreich von 2013 bis 2023 zeigt, dass die Räume der gesellschaftlichen Durchmischung zunehmend fehlen. Hingegen nehmen die durch soziale Medien entstandenen Echokammern zu. Studien zeigen darüber hinaus gehend, dass sich etwa 55 Prozent der Social-Media-Nutzer in Österreich in Echokammern „gefangen fühlen“, in denen ihre Ansichten verstärkt, aber wenig alternative Perspektiven präsentiert werden, wie die Statistik Austria in der  „Gastronomiebetriebe in Österreich 2023“ und Statista in ihrer Untersuchung „Echokammern in sozialen Medien 2023“ berichten.

Beim Militär steht die Kameradschaft im Zentrum, die durch enge Zusammenarbeit und gemeinsame Erlebnisse geprägt ist. In der Wirtschaft hingegen dreht sich fast alles um die finanzielle Existenzsicherung, wobei wirtschaftlicher Erfolg häufig auf individueller Leistung basiert. Der Staat wird oft nur durch die Beamtenschaft wahrgenommen, der die Verbindung zu den Bürgern teilweise fehlt. In der Kunst wird zunehmend Kritik geäußert, wenn diese zu sehr von traditionellen Werten abweicht. Darüber hinaus gibt es Herausforderungen bei der Integration von Menschen aus dem Ausland. Dies ist der Nährboden für Unzufriedenheit und führt zu einer negativen Wahrnehmung von anderen, was zu Spannungen und Vorurteilen führen kann. Diese gesellschaftlichen Frustrationen aus steigender Passivität, zusammen mit der Wahrnehmung mangelnder Perspektiven und unsicherer Lebensbedingungen, kann zu einer gesellschaftlichen Polarisierung und Radikalisierung führen, die den Zusammenhalt noch weiter gefährdet.

Situationselastische Werte

Die Situationselastizität der Werte bezieht sich auf die Flexibilität oder Veränderung von Werten und Normen in Abhängigkeit von spezifischen sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Situationen. In Österreich, wie in anderen europäischen Ländern, sind Werte in der Gesellschaft nicht statisch, sondern können sich an gesellschaftliche Veränderungen und Krisen anpassen. Dies betrifft Bereiche wie Sicherheit, Solidarität, Freiheit oder Familie. Doch wie weit ist diese Veränderung gesund? Gerade in Österreich gewann durch die Pandemie zwischen 2019 und 2021 das Thema der Sicherheit große Bedeutung, genauso die Freiheit, wie der österreichische Werteindex belegt. Beispielsweise lag das Sicherheitsbedürftnis im Jahr 2021 bei 3,8 in der Skala des Index, während es im Jahr 2023 bereits bei 4,3 Punkten lag. Dieser Anstieg ist auch im gesellschaftlichen Anspruch an den Staat spürbar. Bemerkenswert im Index ist die Abnahme des Freiheitsfaktors von 2021 bei 4 Punkten der Skala auf 2023 3,8 Punkten. Die Einbuße der Freiheit, bei gleichzeitigem Sicherheitsbedürftnis deutet auf eine Abgabe von Verantwortung hin. Diese Werteverschiebung ist ein Zeugnis vom Zunehmen der Passivität und dem Entfernen von aktiver gesellschaftlicher Partizipation. Doch was kann getan werden?

Respekt und Höflichkeit sind die Grundfesten des Umgangs miteinander und genau hier hakt es seit längerem, wodurch Wirtschaft und die Bevölkerung insgesamt betroffen sind. Die Umfrage „Höflichkeit und Respekt im Alltag“ aus dem Jahr 2019 von OGM fand heraus, dass 63 Prozent der Befragten eine Abnahme der Höflichkeit im Alltag feststellten. Auch die Gallup-Umfrage von 2020 zu „Generationen und Werte“ bestätigt, das 45 Prozent der jungen Erwachsenen festgestellt haben, dass der Respekt unter Gleichaltrigen abgenommen hat. 2021 kam das Institut für Demoskopie in seiner Forschung zu „Umgangsformen in Österreich“ dass eine Rückkehr zu mehr Höflichkeit und Respekt im öffentlichen Leben für 70 Prozent der Befragten dringend erforderlich ist. Der Einfluss der sozialen Medien auf den gesellschaftlichen Respekt stellte 2022 die Karmasin Motivforschung in ihrer Untersuchung von „Sozialen Medien und deren Einfluss auf das Verhalten“ fest. Darin vermuten hinter respektlosem Verhalten 77 Prozent der Befragten die Anonymität der sozialen Medien als Ursache für mangelnden Respekt. Kurz gesagt, die genannten Quellen und Studien belegen die Wahrnehmung einer Abnahme von Respekt und Etikette in Österreich. Sie zeigen, dass eine breite Mehrheit der Bevölkerung diesen Wandel wahrnimmt und sich eine Rückkehr zu mehr Höflichkeit wünscht. Was kann daher helfen?

In diesem Bereich kann gerade das Bundesheer ein positives Beispiel für Zusammenhalt in der Gesellschaft und vor allem für Kameradschaft bieten. Freunde kann man gezielt auswählen, Kollegen oder Kameraden jedoch nicht. Dies gilt nicht nur im Inland, sondern auch bei der Zusammenarbeit mit Soldaten anderer Streitkräfte, bei dem Respekt und Etikette von großer Bedeutung sind. Über alle Dienstgrade hinweg ist es wichtig, ein respektvolles Verhalten zu wahren und bloßstellende Situationen zu vermeiden, um ein gesundes und kulturbewusstes Arbeitsumfeld zu schaffen.

Nachhaltiger Zusammenhalt

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir uns als Mitglieder der Gesellschaft auf die grundlegenden Prinzipien von Zusammenhalt und Kameradschaft besinnen und diese aktiv pflegen. In einer Zeit, in der schnelle gesellschaftliche Veränderungen und flexible Werte oft zu Verunsicherung und Fragmentierung führen, gilt es ein starkes Fundament aus Bildung, Chancengleichheit und respektvollem Umgang zu schaffen. Es ist nötig ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Tradition und Innovation zu finden, dass zwischen individueller Leistung und kollektivem Engagement liegt. Nur so können wir aktuelle Herausforderungen meistern und eine robuste, solidarische Gesellschaft aufbauen, die sowohl den militärischen, wirtschaftlichen als auch sozialen Anforderungen gerecht wird. Ein nachhaltiger Zusammenhalt erfordert, dass wir die Stärken der verschiedenen Bereiche anerkennen, voneinander lernen und gemeinsam an einer stabilen und zukunftsfähigen Gemeinschaft arbeiten.

Mag. Arch. Katharina Reich CMC lehrt zu sicherheitsrelevanten Infrastrukturen, Ökonomie und komplexem Denken an diversen Universitäten und Fachhochschulen und hält regelmäßig Vorträge an der Landesverteidigungsakademie in Wien.

 

 

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