• Veröffentlichungsdatum : 20.08.2024
  • – Letztes Update : 21.08.2024

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  • 2019 Wörter

Die Erfahrung als Lehrmeister

Michael Pesendorfer

Der Wehrwille der Bevölkerung ist ein unverzichtbarer Bestandteil der nationalen Verteidigung eines jeden Staates. Nur wenn die Bürger bereit sind, sich aktiv für die Sicherheit ihres Landes einzusetzen und die erforderlichen Opfer bringen wollen, kann die nationale Souveränität und Unabhängigkeit gewahrt werden. 

Im Jänner 2024 präsentierten Vertreter des Bundesheeres sowie zivile Experten einen Bericht mit dem Titel „Risikobild 2024 – Welt aus den Fugen“, der ein düsteres Szenario für die gegenwärtige und nahe Zukunft skizzierte. Sie betonten die Präsenz von Krieg, Terror, Subversion und Unterwanderung auf verschiedenen Fronten als kennzeichnend für unsere Zeit. Diese Ära der militärischen „Unordnung“ wurde prognostiziert, wird die Welt und 
Österreich für „mindestens zwei weitere Jahrzehnte“ prägen.

Der Wehrwille der Bevölkerung ist ein unverzichtbarer Bestandteil der nationalen Verteidigung eines jeden Staates. Nur wenn die Bürger bereit sind, sich aktiv für die Sicherheit ihres Landes einzusetzen und die erforderlichen Opfer bringen wollen, kann die nationale Souveränität und Unabhängigkeit gewahrt werden. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, eine starke und widerstandsfähige Verteidigung der Bevölkerung zu gewährleisten und damit wieder „kriegsfähig“, im Sinne von Resilienz und Durchhaltefähigkeit, zum Schutz der Republik Österreich zu werden. Es ist an der Zeit, dass Politik und Gesellschaft diese Notwendigkeit erkennen, in die Ausbildung und Motivation unserer Streitkräfte investieren und die Bereitschaft unserer Bevölkerung fördern, wieder für Österreich und seine Grundwerte einzutreten.

In den vergangenen Jahren haben die Auswirkungen globaler Krisen und militärischer Konflikte auch in Österreich deutlich zugenommen. Das Bundesheer sieht sich nun einer Vielzahl von potenziellen Szenarien gegenüber, eine Entwicklung, die seit den späten 1990er-Jahren des 20. Jahrhunderts nicht mehr in diesem Ausmaß erkennbar war. Die militärische Landesverteidigung wurde lange Zeit nicht mehr als vorrangige Aufgabe des Bundesheeres betrachtet. Jedoch hat der russische Aggressionskrieg gegen die Ukraine einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Neben der Bereitstellung ausreichender materieller Ressourcen gewinnt die Rolle des „Staatsbürgers in Uniform“ wieder an Bedeutung. Die klare Zielsetzung lautet: „Das Bundesheer muss verteidigungsfähig sein!“ 

Stärkung des Wehrwillens 

Angesichts des rückläufigen Wehrwillens in Österreich stellt sich die Frage, welche Auswirkungen dies hat. Einer Umfrage aus dem Jahr 2023 zufolge sind nur noch weniger als ein Fünftel der Österreicher bereit, Bevölkerung, Land und Werte zu verteidigen. Diese abnehmende Bereitschaft zum Wehrdienst und zur Verteidigung des Landes sind alarmierende Trends, die verschiedene Ursachen haben und denen entgegengewirkt werden muss. Um die Verteidigungsbereitschaft zu stärken, könnten verschiedene Maßnahmen in einem umfassenden Ansatz kombiniert werden, der auf die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen unserer demokratischen Republik zugeschnitten ist. Eine ganzheitliche Strategie zur Stärkung der Verteidigungsbereitschaft könnte den Trend des sinkenden Wehrwillens umkehren und das Vertrauen in die Fähigkeit des Staates zur Verteidigung stärken – im besten Fall.

Bewusstseinsbildung

Es ist von großer Bedeutung, die Bevölkerung über die Wichtigkeit der nationalen Verteidigung und die Rolle der Streitkräfte bei der Sicherung des Staates aufzuklären. Die österreichische Demokratie, Souveränität und die Grundrechte wurden durch immense Opfer erlangt und sind keineswegs zeitlich unbegrenzt garantiert. Sie müssen sowohl in Friedenszeiten als auch im Krieg geschützt, bewahrt und verteidigt werden. Durch gezielte Kampagnen und Programme, die das Verständnis für die nationalen Sicherheitsbedrohungen fördern und die Notwendigkeit einer starken Verteidigung betonen, kann das Bewusstsein und die Wertschätzung für die Streitkräfte gesteigert werden.

Attraktivität erhöhen 

Um das Interesse junger Menschen am Wehrdienst zu steigern, sind ansprechende, vielseitige und anspruchsvolle Ausbildungsmöglichkeiten, moderne Ausrüstung, attraktive Karriereaussichten und finanzielle Anreize die richtigen Ansätze. Der Wehrdienst sollte als eine lohnenswerte und bedeutungsvolle Erfahrung betrachtet werden, welche die persönliche Entwicklung, Kompetenz, Teamarbeit und Führungsfähigkeiten fördert.

Streitkräfte modernisieren 

Die laufende Modernisierung und Weiterentwicklung des Bundesheeres werden dazu beitragen, das Vertrauen der Bevölkerung in seine Fähigkeiten und seine Effektivität zu stärken. Investitionen in moderne Ausrüstung, Technologie und Ausbildungsmethoden verbessern die Leistungsfähigkeit des Bundesheeres, fördern die Entwicklung neuer Kader und stärken das Vertrauen in seine Fähigkeit zur Landesverteidigung.

Integration in die Gesellschaft

Eine verstärkte Verbindung zwischen den Streitkräften und der Zivilbevölkerung wird dazu beitragen, das Verständnis und die Unterstützung für die militärischen Institutionen zu fördern, wie es Österreich in den 1980er- und 1990er-Jahren erfolgreich gelungen ist. Die damalige gut funktionierende Milizarmee hatte die enge Bindung zwischen den Streitkräften und der Gesellschaft gestärkt. Ein aktuelles Beispiel hierfür bietet die heutige Schweizer Milizarmee, deren Erfolg auf ähnlichen Prinzipien beruht.

Werte und Patriotismus

Die Förderung demokratisch-republikanischer Grundwerte, von Verantwortungsbewusstsein, Patriotismus und persönlicher Opferbereitschaft wird dazu beitragen, das Engagement der Bürger für die Verteidigung zu stärken. Bildungsprogramme und Kampagnen, die diese Werte betonen und die Bedeutung nationaler Identität und Einheit hervorheben, erhöhen das Bewusstsein und die Bereitschaft zur Verteidigung. 

Allgemein

In einer Zeit, in der die globale Unsicherheit zunimmt und sich die Dynamik der Konflikte verändert, wird deutlich, wie entscheidend gut ausgebildete und motivierte Soldaten für die Sicherheit und Verteidigung eines Staates sind. Der Erfolg im Kampf hängt nicht allein von moderner Ausrüstung und Technologie ab, sondern vor allem von den Menschen, die diese Geräte bedienen. Die Ausbildung der Soldaten für den Krieg ist ein ganzheitlicher Prozess, der physische und mentale Aspekte umfasst und darauf abzielt, dass die Streitkräfte ihre Aufgaben erfolgreich ausführen und dabei gleichzeitig die Grundsätze des humanitären Völkerrechts respektieren. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen.

Lernen aus der Vergangenheit

In der Kriegsgeschichte finden sich zahlreiche Beispiele, wie Nationen aus den Erfahrungen vergangener Konflikte lernen können – oder auch nicht. Der Prozess des „Lernens aus Erfahrung“ ist entscheidend für die Weiterentwicklung militärischer Strategien, Taktiken und Ausbildungsmethoden, um den Anforderungen moderner Kriegsführung gerecht zu werden. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass das Nichtbeachten dieser Lektionen verheerende Konsequenzen haben kann.

Ein herausragendes Beispiel ist die Situation von Österreich-Ungarn zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Trotz der Berichte österreichischer Verteidigungsattachés über die Erfahrungen bewaffneter Konflikte anderer Nationen, insbesondere über den Burenkrieg um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert und den Russisch-Japanischen Krieg von 1904/05, wurden in Österreich keine angemessenen Lehren gezogen. Während sich der Stellungskampf mit Schnellfeuergeschützen und Maschinengewehren als dominante Taktik im Russisch-Japanischen Krieg erwies, hielt Österreich weiterhin an veralteten Massensturmangriffstaktiken und kühnen Kavallerieattacken fest. Die Folgen waren verheerend: In den ersten Kriegsmonaten des Ersten Weltkrieges fielen beinahe drei Viertel des österreichisch-ungarischen Berufsoffizierskorps und Hunderttausende seiner Soldaten.

Diese Lektion aus der Geschichte ist von zeitloser Bedeutung. Sie unterstreicht die Notwendigkeit, aus vergangenen Fehlern zu lernen, um ähnliche Tragödien in der Zukunft zu vermeiden. Dieser Grundsatz gilt ­heute ebenso wie damals, und zwar nicht nur für Österreich, sondern universell für alle Staaten.

Im Kontext des Bundesheeres bedeutet dies, dass nicht nur die Erfahrungen aus friedensunterstützenden Operationen in Bosnien und Herzegowina, im Libanon und im Kosovo relevant sind, sondern auch Kriege und bewaffnete Konflikte im Irak, in der Ukraine und im Gazastreifen als Quellen für Erkenntnisse über die Kriegsführung betrachtet werden müssen. Die Erkenntnisse aus diesen Erfahrungen müssen gründlich analysiert werden, um Lehren für die Ausbildung von Streitkräften zu ziehen. Ein Ansatz hierfür ist die Einbindung von kriegserfahrenen Ausbildern aus anderen Staaten.

Ein anschauliches Beispiel verdeutlicht dies: Ein US-amerikanischer Sergeant, der in Falludscha im Irak gekämpft hat, kann wertvolle Einblicke in die Taktiken und Herausforderungen des urbanen Kampfes bieten. Seine Erfahrungen und Lehren können die richtige Herangehensweise an solche Szenarien verdeutlichen und einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Es ist entscheidend, dass das Bundesheer aus einer Vielzahl von Einsatzszenarien kriegserfahrener Nationen Lehren zieht. Durch den Austausch von Erfahrungen und bewährten Verfahren können die Ausbildungsmethoden verbessert und die Truppen auf die Anforderungen des modernen Gefechtsfeldes vorbereitet werden.

Insgesamt verdeutlicht die Geschichte, dass das „Lernen aus Erfahrung“ ein unverzichtbarer Bestandteil jeder militärischen Organisation ist. Nur durch die Berücksichtigung und Anpassung an die Lehren der Vergangenheit können Streitkräfte ihre Fähigkeiten erweitern und sich auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten.

Vorbereitung von Streitkräften

Die Ausbildung von Soldaten für den Einsatz im Krieg umfasst eine breite Palette von Fähigkeiten, die sicherstellen, dass sie den vielfältigen Anforderungen und Herausforderungen des modernen Gefechtsfeldes gewachsen sind. Es ist von entscheidender Bedeutung, sicherzustellen, dass österreichische Soldaten über die erforderlichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Einstellungen verfügen, um in der heutigen Kampfumgebung erfolgreich zu sein und die österreichische Bevölkerung sowie den Staat wirksam zu verteidigen. Zu den wichtigsten Aspekten gehören:

Mentalität und Widerstandsfähigkeit 

Soldaten müssen ein klares Verständnis dafür haben, was für die Bevölkerung und die Republik auf dem Spiel steht, wenn sie sie verteidigen. Sie müssen sowohl physisch als auch psychisch robust sein, um den Belastungen des Kampfes standhalten zu können. Dazu gehören Durchhaltevermögen, Entschlossenheit und die Fähigkeit, mit Tod, Verwundung und Verstümmelung umzugehen. Sie müssen in der Lage sein, unter Stress klar zu denken und zu handeln.

Kampffertigkeiten

Soldaten müssen in der Lage sein, ihre Waffen effektiv zu handhaben, Nahkampftechniken zu beherrschen und taktische Bewegungen unter der Bedrohung aus der Luft, wie beispielsweise durch Drohnen oder Kampfhubschrauber, wirkungsvoll auszuführen. Dies erfordert eine umfassende Ausbildung im Umgang mit modernen Waffensystemen und Technologien.

Taktik

Soldaten müssen die Grundlagen militärischer Taktik verstehen und in der Lage sein, sie in verschiedenen Einsatzszenarien anzuwenden. Dazu gehört das Verständnis von Formationen, Verteidigungs- und Angriffstaktiken sowie die Fähigkeit, sich schnell an sich ändernde Situationen anzupassen, wie etwa bei Drohnenangriffen, Steilfeuer oder Luftangriffen.

Teamarbeit

Im modernen Krieg hängt der Erfolg von der Fähigkeit der Soldaten ab, effektiv im Team zu arbeiten. Dafür sind Kommunikation, Koordination und Vertrauen zwischen den Mitgliedern einer Einheit unerlässlich.

Kenntnis der Einsatzumgebung

Je nach Einsatzgebiet müssen Soldaten mit den spezifischen Gegebenheiten und Bedingungen vertraut sein. Dies kann den Kampf in urbanen Gebieten, in unwegsamem Gelände oder unter extremen Witterungsbedingungen umfassen.

Ethik und Rechtsnormen

Soldaten müssen die ethischen Grundsätze und rechtlichen Rahmenbedingungen des Krieges verstehen und einhalten. Das beinhaltet die Einhaltung der Genfer Konventionen und anderer internationaler Abkommen, die den Schutz von Zivilisten und Kriegsgefangenen regeln.

Kollektiver Wille

Der Wille der Bevölkerung ist in jedem Staat ein entscheidender Faktor für die Stärkung und den Erfolg seiner Verteidigungsbemühungen. Dieser Wille, der aus einer Kombination von Vertrauen, Engagement und Unterstützung für die Verteidigung des eigenen Landes besteht, bildet das Rückgrat der nationalen Sicherheit und trägt wesentlich dazu bei, die Souveränität und Unabhängigkeit zu bewahren. 

Der Wille der Bevölkerung, ihren Staat zu verteidigen, geht weit über bloßen Patriotismus oder Loyalität zum Staat hinaus. Er repräsentiert die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, sich aktiv an der Sicherung ihres Landes zu beteiligen, sei es durch den Dienst in den Streitkräften, die Unterstützung von Verteidigungsmaßnahmen oder die Akzeptanz von Opfern und Einschränkungen in Zeiten der Krise. Ohne diesen Willen wären selbst die leistungsfähigsten Streitkräfte nicht in der Lage, die nationale Sicherheit effektiv zu gewährleisten.

Der Volkswille wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, darunter die Wahrnehmung der Bedrohungslage, das Vertrauen in die Regierung und ihre Verteidigungspolitik sowie die sozialen und kulturellen Werte einer Gesellschaft. Eine transparente und zielgerichtete Kommunikation seitens der Regierung über die Sicherheitslage und die getroffenen Maßnahmen ist entscheidend, um das Vertrauen und die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen. Darüber hinaus spielen Bildung und Bewusstsein eine wichtige Rolle bei der Stärkung des Volkswillens. Eine informierte Bevölkerung, die die Bedeutung der nationalen Verteidigung versteht, ist eher bereit, sich aktiv an Verteidigungsbemühungen zu beteiligen und die erforderlichen Entbehrungen zu ertragen.

Maßnahmen und Fazit 

Um das Verständnis und die Bereitschaft der Bevölkerung zu stärken und zu fördern, muss eine Regierung proaktiv handeln und entsprechende politische Maßnahmen ergreifen. Dazu gehören die Förderung eines nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls, die Einführung von Anreizen für den Dienst in den Streitkräften, Informationskampagnen zur Sicherheitspolitik, die Förderung der Freiwilligenarbeit in Rettungs- und Schutzorganisationen sowie die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Verteidigungsplanung und Entscheidungsfindung.

Die heutige Geschwindigkeit der Kriegsführung erfordert von Nationen eine flexible und situationsangepasste Reaktion. Langwierige Beschaffungsprozesse und bürokratische Hürden können negative Auswirkungen haben, wenn sie zu Verzögerungen bei der Bereitstellung von militärischer Ausrüstung führen. Die Verfügbarkeit moderner Waffen und Ausrüstung ist entscheidend, um den Herausforderungen der asymmetrischen Kriegsführung unter hybriden Bedrohungen effektiv zu begegnen. Terroristische Gruppen und nicht staatliche Akteure nutzen die Lücken in der Verteidigung und können innerhalb kurzer Zeit wirkungsvolle Angriffe durchführen. Daher ist es unerlässlich, dass staatliche Institutionen in der Lage sind, schnell zu reagieren und sich anzupassen.

Die Dringlichkeit schneller Nachrüstung betrifft nicht nur traditionelle militärische Ausrüstung, sondern auch die Fähigkeiten zur Cyberabwehr und im Informationskrieg. Täglich werden in diesen Bereichen bereits Angriffe verzeichnet, die mindestens genauso bedrohlich sind wie konventionelle Angriffe. Die Fähigkeit, schnell auf Cyberbedrohungen zu reagieren und sich zu verteidigen, ist daher von entscheidender Bedeutung für die nationale Sicherheit und sollte höchste Priorität genießen.

Oberst dIntD Dr. Michael Pesendorfer; Verteidigungsattaché für die Schweiz und Luxemburg


Dieser Artikel erschien im TRUPPENDIENST 2/2024 (397).

Zur Ausgabe 2/2024 (397)


 

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