• Veröffentlichungsdatum : 05.11.2024

  • 14 Min -
  • 2875 Wörter

Die Forcierung von Wasserhindernissen (Teil 2)

Georg Stiedl, Jürgen Scherl

Wer taktische Handlungsmöglichkeiten eröffnen will, benötigt die Fähigkeit zum Forcieren von Wasserhindernissen. Das gilt besonders für den europäischen Kontinent. Für den Übungsgegner Rot ist es eine taktische Aufgabe höchster Komplexität, die spezielle Kräfte und Mittel sowie Methoden und Verfahren verlangt.

Im ersten Teil (TD-Heft 2/2024) wurde ein Überblick über die Übersetzfähigkeiten der Kampf- und Pioniertruppen des Übungsgegners Rot sowie der unterschiedlichen Arten von Gewässerübergängen mit ihren spezifischen Voraussetzungen und Parametern gegeben. In dieser Ausgabe werden die vom Übungsgegner angewandten Methoden und die Organisation der Forcierung eines Wasserhindernisses näher betrachtet. 

Methoden 

Die Forcierung eines Wasserhindernisses wird vom Übungsgegner Rot auf breiter Front und im hohen Tempo in der Gefechtsordnung, in der die Division (Brigade/Regiment) den Angriff durchführt, umgesetzt. Das Angriffstempo der Truppen soll während des Forcierens des Wasserhindernisses nicht vermindert und der Angriffsschwung erhalten bleiben. 

Die Aufrechterhaltung des Angriffstempos während des Angriffs über ein Wasserhindernis verlangt daher:

  • die frühzeitige Planung und Vorbereitung des Gewässerüberganges noch vor der Annäherung an das Wasserhindernis;
  • die vorgestaffelte Aufklärung des Wasserhindernisses und der am Wasserhindernis eingesetzten feindlichen Kräfte;
  • die Organisation des Gewässerüberganges;
  • die Sicherstellung der Flugabwehr für die Übergangsstellen und den Verband;
  • die rechtzeitige Zuordnung und Zuführung der Übersetzmittel;
  • die umfassende Unterstützung durch weitreichende Waffen (Artillerie- und Luftnahunterstützung, Loitering Munition);
  • die schnelle Einnahme von vorhandenen Brücken und Übergangsstellen, die für eine Forcierung geeignet sind;
  • die Bildung von Brückenköpfen durch Vorausabteilungen und taktische Luftlandungen jenseits des Wasserhindernisses;
  • die rasche Konsolidierung der Brückenköpfe und die verzugslose Fortsetzung des Angriffs am gegenüberliegenden Ufer sowie
  • die Überwindung des Wasserhindernisses auf breiter Front mit den Hauptkräften.

Die Methode zur Forcierung eines Wasserhindernisses wird in erster Linie durch das örtliche Kräfteverhältnis sowie die Art und den Ausbauzustand der feindlichen Verteidigungsstellungen bestimmt. Der Übungsgegner Rot unterscheidet    

  • die Forcierung des Wasserhindernisses aus der Bewegung,
  • die Forcierung des Wasserhindernisses mit Entfaltung der Hauptkräfte nach kurzer Vorbereitung (Bereitstellung) und
  • die Forcierung des Wasserhindernisses mit Entfaltung der Hauptkräfte nach umfassender Vorbereitung (Bereitstellung).

Durch den Übungsgegner Rot wird grundsätzlich angestrebt, schmale, mittlere und in Ausnahmefällen auch breite Wasserhindernisse aus der Bewegung in nicht oder nur leicht verteidigten Räumen (eilig bezogene Verteidigung) zu forcieren. Die Vorbereitungen des Forcierens wie (Pionier-)Aufklärung, das Verladen oder Abdichten von gepanzerten Kampf- und Gefechtsfahrzeugen (GKGF) und dergleichen erfolgen dabei noch vor der Annäherung der Truppenteile an das Wasserhindernis. Im Gegensatz dazu erfolgt die Überwindung eines Wasserhindernisses nach kurzer oder umfassender Vorbereitung (Bereitstellung) mit dem Einsatz der Hauptkräfte am Wasserhindernis erzwungenermaßen bei einer vorbereiteten gegnerischen Verteidigung beziehungsweise, wenn die Forcierung aus der Bewegung verhindert wurde oder nicht möglich ist. Das Forcieren des Wasserhindernisses erfolgt auch in diesen Fällen in der Regel an aufgeklärten Schwachpunkten des gegnerischen Verteidigungsdispositivs.

Aus der Bewegung

Wasserhindernisse werden vom Übungsgegner Rot vorzugsweise aus der Bewegung forciert, um größere taktische Pausen und eine Konzentrierung der Kräfte in Reichweite der feindlichen Artillerie zu vermeiden sowie das Angriffstempo zu erhalten. Dabei wird eine Forcierung entlang eines breiteren Gefechtsabschnitts an mehreren Stellen durchgeführt, um die feindlichen Verteidigungskräfte zu überfordern und den Ein- beziehungsweise Durchbruch zu erzwingen. Dazu wird durch den Übungsgegner Rot die Forcierung aus der Bewegung vorzugsweise bei Nacht oder schlechten Sichtverhältnissen durchgeführt, um die Einsatzführung zu verschleiern. Zusätzlich unterstützen insbesondere bei Tageslicht ein intensiver Einsatz von künstlichem Nebel und Maßnahmen des elektronischen Kampfes den Übergang.

Für das Forcieren eines Wasserhindernisses aus der Bewegung werden von der Division beziehungsweise der selbstständigen Brigade Vorausabteilungen eingesetzt. Regimenter der ersten Divisionsstaffel setzen dann Vorausabteilungen ein, wenn von der Division keine vorgesehen wurde. Diese haben den Auftrag, rasch anzugreifen, vorhandene Brücken, Übersetzstellen und für die Forcierung geeignete Geländeabschnitte in Besitz zu nehmen und Brückenköpfe jenseits des Wasserhindernisses zu bilden. Die Anzahl und die Zusammensetzung der Vorausabteilungen sind dabei von der jeweiligen Lage abhängig, umfassen in der Regel jedoch ein motorisiertes Schützenbataillon, das unter anderem mit Kampfpanzern sowie Artillerie-, Flugabwehr- und Pionierkräften mit Brückenschlag- und Übersetzmitteln verstärkt wird.

Um Folge- oder Verstärkungskräfte des Feindes abzuhalten beziehungsweise um wichtige Räume mit Brücken, Übersetzstellen und Wasserbauwerken (z. B. Stauanlagen) in Besitz zu nehmen, kann auf Ebene der Division oder der selbstständigen Brigade zusätzlich eine taktische Luftlandung bis zur Stärke eines motorisierten Schützenbataillons erfolgen. Die taktische Luftlandung erfolgt dabei in der Regel entlang der Angriffsachse der Vorausabteilung (Vorhut). Die luftgelandeten Kräfte nehmen ihr Angriffsziel und halten dieses bis zur Kontaktaufnahme mit der Vorausabteilung.

Die Vorausabteilung gewinnt mit einem zeitlichen Vorlauf von zwei bis drei Stunden zu den Hauptkräften und unter Umgehung feindlicher Kräfte am Anmarschweg ihren Forcierungsabschnitt. Feindkräfte unmittelbar am Wasserhindernis werden von der Vorausabteilung vernichtet und das Gewässer mit den amphibischen Gefechtsfahrzeugen forciert. Im Zusammenwirken mit luftgelandeten Kräften – oder auch selbstständig – werden vorhandene Brücken, Übergänge und für das Forcieren der nachfolgenden Hauptkräfte notwendige Geländeabschnitte am gegenüberliegenden Ufer in Besitz genommen, ein Brückenkopf errichtet und bis zum Eintreffen der Hauptkräfte gehalten.

Mit der Einnahme eines ersten Brückenkopfes beginnt das Übersetzen der Kampfpanzer, der Artillerie und der Unterstützungskräfte der Vorausabteilung unter Abstützung auf die organischen und unterstellten Übersetzmittel. Die Vernichtung von zuvor umgangenen feindlichen Kräften an den Bewegungslinien zum Wasserhindernis erfolgt durch die Vorhuten der nachfolgenden Hauptkräfte. Werden keine Vorausabteilungen eingesetzt, erfolgt die Vernichtung des Gegners am Wasserhindernis und die Einnahme von günstigem Gelände ebenfalls durch die Vorhuten der Hauptkräfte. Unter günstigen Bedingungen forcieren die Vorhuten das Wasserhindernis aus der Bewegung und nehmen das gegenüberliegende Ufer in Besitz. Die Kräfte der ersten Staffel übersetzen hinter den Vorhuten das Wasserhindernis und erweitern den Brückenkopf. Gelingt es der Vorausabteilung beziehungsweise den Vorhuten nicht, das Wasserhindernis aus der Bewegung zu forcieren, werden durch diese Kräfte für die Forcierung wichtige Räume am Wasserhindernis in Besitz genommen und die Annäherung sowie die Entfaltung der Hauptkräfte ermöglicht.

Forcierung nach kurzer Vorbereitung

Die Forcierung des Wasserhindernisses mit Entfaltung der Hauptkräfte nach einer kurzen Vorbereitung wird durchgeführt, wenn es dem Übungsgegner Rot nicht gelungen ist, das Gewässer aus der Bewegung zu überwinden oder die Lage ein Forcieren aus der Bewegung nicht zulässt. Der Angriff zur Überwindung erfolgt dabei unter Entfaltung der Hauptkräfte am Wasserhindernis nach einer zusätzlichen kurzen Vorbereitungszeit. Als kurze Vorbereitung betrachtet der Übungsgegner Rot eine Zeitdauer von circa vier bis sechs Stunden auf Ebene des Regiments und etwa sechs bis acht Stunden auf Ebene der selbstständigen Brigade beziehungsweise der Division. Die Gefechtsordnung einer Brigade beziehungsweise eines Regiments für den Angriff über ein Gewässer besteht in der Regel aus zwei Staffeln. Die motorisierten Schützen werden grundsätzlich in der ersten Staffel eingesetzt.

Abhängig von der Lage kann das Forcieren unter Entfaltung der Hauptkräfte aus der unmittelbaren Berührung mit dem Gegner am Wasserhindernis oder nach einem Heranführen der Kräfte aus der Tiefe erfolgen. Der Division (selbstständige Brigade/Regiment) wird dazu entweder ein Bereitstellungsraum unmittelbar am Wasserhindernis oder in einer Entfernung von bis zu 20 Kilometern zum Wasserhindernis zugewiesen.

Die Forcierung von Wasserhindernissen nach einer kurzen Vorbereitungszeit findet vor allem bei mittleren, breiten und manchmal auch großen Wasserhindernissen mit einer vom Gegner eilig bezogenen Verteidigung und vorbereiteten Verteidigungsstellungen Anwendung. Dies verlangt für den Angriff den Einsatz der Hauptkräfte und eine stärkere Konzentrierung von Kräften und Mitteln (Artillerie, Flugabwehr, Übersetzmittel, Aufklärung) an den Forcierungsabschnitten.  Der Kampf mit (weitreichendem) Feuer und Luftkampfmitteln auf das jenseitige Ufer hat eine besondere Bedeutung. Der weitere Ablauf der Einsatzführung ist mit der Forcierung aus der Bewegung ident.

Forcierung nach umfassender Vorbereitung

Die Forcierung des Wasserhindernisses mit Entfaltung der Hauptkräfte nach einer umfassenden Vorbereitung wird in ausgewählten Räumen aus der unmittelbaren Berührung mit dem Gegner durchgeführt. Diese Methode kann die Folge einer gescheiterten Forcierung aus der Bewegung sein oder wenn während des Angriffs die Aufklärungskräfte die Unzweckmäßigkeit dieses Vorgehens feststellen und es nicht möglich ist, in kurzer Zeit die erforderlichen zusätzlichen Vorbereitungen umzusetzen. Ein Forcieren des Wasserhindernisses aus der unmittelbaren Berührung mit dem Gegner kann auch als Folge einer Angriffsführung nach Abschluss der notwendigen Umgruppierungen aus einem Verteidigungsdispositiv heraus oder nach Heranführung der Kräfte aus der Tiefe mit gleichzeitiger Ablösung der am Wasserhindernis verteidigenden Truppen erfolgen.

Die Forcierung eines Wasserhindernisses mit den Hauptkräften aus der unmittelbaren Berührung mit dem Gegner ist charakteristisch bei der Überquerung von breiten und großen Wasserhindernissen mit einer vorbereiteten feindlichen Verteidigung. Dazu werden die Kräfte und Mittel in den Bereitstellungsräumen vorerst in ausgebauten Unterständen und Stellungen untergezogen. Die notwendigen Übersetzmittel werden verdeckt an die Forcierungsabschnitte herangeführt. Nach Abschluss der Vorbereitungen erfolgt die Forcierung des Wasserhindernisses von den Kräften der ersten Staffel gleichzeitig.

Der Ablauf der „Forcierung des Wasserhindernisses mit Entfaltung der Hauptkräfte nach zusätzlicher Vorbereitung“ ist vom Grundsatz her der „Forcierung des Wasserhindernisses aus der Bewegung“ ähnlich. Der Unterschied liegt in der verstärkten Aufklärung, der verstärkten Pionier- und Feuerunterstützung sowie dem Einsatz der entfalteten Hauptkräfte. Vor allem zur Erzwingung des Gewässerüberganges gegen ein vorbereitetes Verteidigungsdispositiv erfolgt von Seiten des Übungsgegners Rot eine massive Konzentrierung von Artillerie, Kampfdrohnen, Loitering Munition und Luftnahunterstützung.

Organisation der Forcierung

Den Verbänden werden am Wasserhindernis eigene Verantwortungsbereiche in Form von Forcierungsabschnitten zugewiesen. Die Lage und Ausdehnung eines Forcierungsabschnitts ist vom Charakter des Wasserhindernisses, den vorhandenen Übersetzmitteln und den Möglichkeiten zur Niederhaltung des Feindes am Wasserhindernis abhängig. Bei günstigen Bedingungen kann die Breite des Forcierungsabschnitts mit dem Angriffsstreifen der Division beziehungsweise der selbstständigen Brigade/des Regiments/des Bataillons übereinstimmen.

Der Forcierungsabschnitt einer Division umfasst zwei bis drei Forcierungsabschnitte für die Regimenter der ersten Staffel sowie zusätzliche Divisionsübersetzstellen für die Divisionstruppen. In den jeweiligen Forcierungsabschnitten werden Haupt- und Reserveübersetzstellen für Landefähren und Brücken sowie nach Möglichkeit Übersetzstellen für die Unterwasserfahrt der Kampfpanzer eingerichtet. In den Forcierungsabschnitten der Regimenter beziehungsweise der Brigaden werden wiederum Forcierungsabschnitte für die Bataillone der ersten Staffel festgelegt und zusätzlich Regiments- beziehungsweise Brigadeübersetzstellen eingerichtet.

Für die Forcierung eines Wasserhindernisses werden in den zugewiesenen Forcierungsabschnitten der Verbände folgende Räume, Linien und Punkte eingerichtet beziehungsweise befohlen:

  • Bereitstellungsräume für die übersetzenden Kräfte und das Übersetzgerät;
  • Ausgangslinie für die Forcierung;
  • Übersetzstellen (Schwimmstellen, Landungsstellen, Fährstellen, …); 
  • Feuerstellungen der Artillerie;
  • Stellungsräume der Flugabwehr;
  • Räume für das Beladen von Landungsfahrzeugen (Kettenschwimmwägen);
  • Räume für das Vorbereiten der Kampfpanzer für das Tiefwaten beziehungsweise die Unterwasserfahrt sowie das Abdichten anderer Gefechtsfahrzeuge;
  • Verfügungsraum für die zweite Staffel beziehungsweise die Allgemeine Reserve;
  • Kontrollpunkte und die Anmarschwege zu den Übersetzstellen sowie
  • Stellungen für die direkte Feuerunterstützung unmittelbar am Wasserhindernis.

Zusätzlich werden der Kommandantendienst (Aufgaben sind unter anderem Organisation und Überwachung des Anmarsches und der Übersetzstellen, Einhaltung von Tarnmaßnahmen, …) sowie die Rette- und Bergedienste von den Bereitstellungsräumen bis zum Wasserhindernis 
organisiert.

Gefechtsaufgaben der Verbände

Die Gefechtsaufgaben eines forcierenden Verbandes werden in Abhängigkeit vom Vorbereitungsgrad der feindlichen Verteidigung am Wasserhindernis sowie der Breite des zu überquerenden Wasserhindernisses festgelegt. Erfolgt die Forcierung aus der Bewegung oder mit Entfaltung der Hauptkräfte nach einer kurzen Vorbereitung gegen eine höchstens eilig bezogene Verteidigung, so ist die Forcierung des Wasserhindernisses ein Teil der an den Verband gestellten Gefechtsaufgabe. In diesem Fall besteht die nächste Aufgabe des Regiments (der Brigade) bereits darin, einen Brückenkopf am gegenüberliegenden Ufer einzunehmen und die feindlichen Bataillone in der eilig bezogenen Verteidigung zu zerschlagen. Die weitere Aufgabe für das Regiment (die Brigade) besteht in der Fortsetzung des Angriffs zur Zerschlagung der gegnerischen Regiments- beziehungsweise Brigadereserve. Die weitere Angriffsrichtung wird so festgelegt, dass im Zusammenwirken mit der nächsten (zweiten) Staffel die Zerschlagung der gegnerischen Divisionsreserven und die Erfüllung der Tagesaufgabe der Division gewährleistet werden.

Die nächste Aufgabe eines Bataillons besteht in der Vernichtung der am gegenüberliegenden Ufer zur eilig bezogenen Verteidigung eingesetzten feindlichen Kompanie. Die weitere Aufgabe des Bataillons (entspricht der nächsten Aufgabe des Regiments beziehungsweise der Brigade) besteht in der unmittelbaren Fortsetzung des Angriffs im Zusammenwirken mit den anderen Kräften der ersten Staffel und dem Zerschlagen beziehungsweise Werfen des Feindes in der Tiefe seines Verteidigungsbereichs.

Erfolgt die Forcierung des Wasserhindernisses mit Entfaltung der Hauptkräfte nach einer umfassenden Vorbereitung gegen eine vorbereitete feindliche Verteidigung oder bei großen Wasserhindernissen, werden die einzelnen Gefechtsaufgaben des Verbandes kürzer gesteckt. In diesem Fall besteht die nächste Aufgabe eines Verbandes in der Zerschlagung der unmittelbar am Wasserhindernis verteidigenden Kräfte sowie der Bildung eines Brückenkopfes „klein“ (Festsetzen am jenseitigen Ufer). Die nächste Aufgabe des Regiments (der Brigade) besteht darin, das Wasserhindernis zu überqueren, die vordersten Kompanien der verteidigenden Bataillone im Forcierungsabschnitt zu zerschlagen und einen Brückenkopf von zwei bis vier Kilometern Tiefe in Besitz zu nehmen (Brückenkopf klein).

Die Tiefe des Brückenkopfes auf Ebene des Regiments (der Brigade) von zwei bis vier Kilometern soll eine gegnerische Beobachtung und direktes Feuer auf die Übergänge ausschließen. Die weitere Aufgabe des Regiments (der Brigade) besteht in diesem Fall in der vollständigen Zerschlagung der verteidigenden feindlichen Bataillone und der Inbesitznahme eines „Brückenkopfes groß“ mit einer Tiefe von fünf bis sechs Kilometern. Einer Division werden als nächste Aufgabe die Forcierung des Wasserhindernisses, die Zerschlagung der am Wasserhindernis verteidigenden Bataillone sowie die Bildung eines Brückenkopfes mit einer Tiefe von fünf bis sechs Kilometern gestellt. Die Tiefe des Brückenkopfes auf Ebene der Division soll den Einsatz feindlicher Panzerabwehrlenkwaffen und den beobachteten Einsatz von Präzisionswaffen auf die Forcierungsabschnitte ausschließen.

Der Übungsgegner Rot geht auf Ebene des Regiments beziehungsweise der selbstständigen Brigade von einer Angriffsgeschwindigkeit gegen eine eilig bezogene Verteidigung am Wasserhindernis von 2 bis 3 km/h aus. Das Regiment (die Brigade) kann damit nach vier bis sieben Stunden das Übersetzen abschließen. Gegen eine vorbereitete feindliche Verteidigung am Wasserhindernis rechnet der Übungsgegner Rot mit einer Angriffsgeschwindigkeit von 1,5 bis 2 km/h, womit der Zeitbedarf für das vollständige Übersetzen sechs bis acht Stunden beträgt.

Ablauf Forcierung durch ein Regiment (Brig/Div)

Für die Inbesitznahme von bestehenden Brücken oder geeigneten Übersetzstellen werden durch die Division (Brigade, Regiment) normalerweise Vorausabteilungen gebildet, die zwei bis drei Stunden vor den Hauptkräften angreifen. Ein als Vorausabteilung eingesetztes motorisiertes Schützenbataillon wird zur Erhöhung seiner Kampfkraft und Selbstständigkeit für gewöhnlich mit einer Panzerkompanie, einem Artilleriebataillon, Panzerabwehr-, Luftabwehr- und ABC-Abwehrkräften in Gruppen- bis Kompaniestärke sowie Pionierkräften des Regiments und der Division verstärkt.

Die Vorausabteilung umgeht feindliche Kräfte wann immer möglich während der Annäherung an das Wasserhindernis. Abhängig vom Gegner gewinnt die Vorausabteilung entweder am diesseitigen Ufer geeignete Übersetzbereiche, nimmt vorhandene Brücken in Besitz oder übersetzt das Wasserhindernis mit amphibischen Gefechtsfahrzeugen und bildet einen Brückenkopf. Von den Vorausabteilungen umgangene feindliche Kräfte entlang der Anmarschwege werden von den nachfolgenden Vorhuten der Hauptkräfte vernichtet, um deren ungehinderten Anmarsch an das Wasserhindernis zu gewährleisten. Am Wasserhindernis nutzen die Vorhuten den Erfolg der Vorausabteilung und/oder einer taktischen Luftlandung aus, überqueren das Hindernis aus der Bewegung und führen, wenn möglich, den Angriff in die Tiefe weiter fort.

Ungefähr sechs bis acht Kilometer vor dem Wasserhindernis entfaltet sich das motorisierte Schützenbataillon der ersten Regiments- beziehungsweise Brigadestaffel in Kompaniekolonne, während die Kompanien ab circa 400 bis 500 Meter vor dem Uferbereich entwickelt angreifen. Schwimmfähige Transport- und Schützenpanzer überqueren das Wasserhindernis aus der Bewegung und bilden einen Brückenkopf am gegenüberliegenden Ufer. Dabei werden sie durch den Einsatz von Nebel, Flugabwehrmitteln und Systemen des elektronischen Kampfes unterstützt. Feindliche Kräfte am gegenüberliegenden Ufer werden durch Panzer und Geschütze im direkten und indirekten Richten sowie durch Panzerabwehrlenkwaffen und Luftkampfmitteln vernichtet.

Die Errichtung von Pontonbrücken beginnt, sobald durch die Vorausabteilung oder die erste Staffel eine ausreichende Tiefe am gegenüberliegenden Ufer gewonnen wurde, um die Sicherheit des Brückenschlages zu gewährleisten. Wenn die feindliche Verteidigung durch Feuer neutralisiert oder das gegenüberliegende Ufer durch eine taktische Luftlandung in Besitz genommen wurde, kann der Brückenbau auch gleichzeitig mit der Forcierung der ersten Staffel (Sturmangriff) über das Wasserhindernis beginnen. Kampfpanzer nutzen für die Forcierung des Wasserhindernisses Brücken, Furten oder Fähren. In der Regel übersetzen die Kampfpanzer in der zweiten Staffel des Verbandes.  Nach der Einnahme des gegenüberliegenden Ufers und sorgfältiger Aufklärung des Gewässers ist auch eine Querung in Unterwasserfahrt möglich.

Die Regiments- beziehungsweise Brigadeartillerie und die Panzerabwehrreserve übersetzen unmittelbar nach den Bataillonen der ersten Staffel. Die Divisionsartilleriegruppe und die Panzerabwehrreserve der Division werden hinter den Regimentern der ersten Staffel übergesetzt. Das Übersetzen der Artillerie erfolgt gestaffelt, damit der Angriff am gegenüberliegenden Ufer ununterbrochen unterstützt werden kann. Die zweite Staffel (Allgemeine Reserve) beginnt den Anmarsch zum Wasserhindernis aus ihrem Bereitstellungsraum auf Befehl des vorgesetzten Kommandanten und überquert dieses zum befohlenen Zeitpunkt.

Die Flugabwehrsysteme überqueren das Wasserhindernis selbstständig oder werden auf Kettenschwimmwägen und Fähren gemeinsam mit den zu sichernden Einheiten übergesetzt. Die Kräfte zur Führung des elektronischen Kampfes übersetzen zugsweise hinter den Bataillonen der ersten Staffel. EloKa-Systeme zur Störung von funkelektronischen Zündern werden gemeinsam mit den zu sichernden Elementen übergesetzt. Der vorgeschobene Gefechtsstand des Regiments (Brigade, Division) übersetzt unmittelbar hinter den Truppenteilen der ersten Staffel. Der Gefechtsstand des Regiments (Brigade, Division) wird gemeinsam mit der zweiten Staffel übergesetzt. Die Kräfte der logistischen Unterstützung nutzen für die Überquerung des Wasserhindernisses Brücken und Fähren. Die Sanitätseinrichtungen sowie die Berge- und Instandsetzungsmittel der Verbände werden hinter der Artillerie des Verbandes übergesetzt.

Zusammenfassung

Eine erfolgreiche eigene Einsatzführung verlangt ein tiefgehendes Verständnis des Wesens, der Verfahren sowie der Leistungsfähigkeit der Kräfte und Mittel des Übungsgegners. Nur dadurch können seine Stärken abgeschwächt, seine Schwächen ausgenutzt und schließlich der Erfolg im Gefecht erzielt werden. 

Die Forcierung eines Wasserhindernisses stellt auch für den Übungsgegner Rot eine taktische Aufgabe von höchster Komplexität dar. Die Errichtung von Brückenköpfen und deren sukzessive Verstärkung mit weiteren Kräften erfolgt mit dem Ziel, die eigene Kampfkraft schneller auf das gegenüberliegende Ufer zu verlagern, als der Feind seine Kräfte für einen Gegenangriff konzentrieren kann. Dazu sind nicht nur eine frühzeitige Planung, Vorbereitung und Aufklärung notwendig, sondern auch eine straffe Organisation der Durchführung. Gerade beim Erzwingen eines Gewässerübergangs kommt der massiven Feuerunterstützung durch (weitreichende) Raketen- und Rohrartillerie sowie von Kampfdrohnen, Loitering Munition und Luftnahunterstützung in Verbindung mit einem permanenten Schutz der Gewässerübergänge und der forcierenden Kräfte in allen Phasen des Angriffs eine herausragende Bedeutung zu.

Oberstleutnant dG Mag.(FH) Georg STIEDL, MA; Referatsleiter & Forscher Operations Research/IHMF/LVAk
Oberst dG Mag.(FH) Mag. Jürgen SCHERL; Referatsleiter & HLO & Forscher Ref Taktik/IHMF/LVAk

 


Dieser Artikel erschien im TRUPPENDIENST 3/2024 (399).

Zur Ausgabe 3/2024 (399)


 

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