• Veröffentlichungsdatum : 22.02.2023
  • – Letztes Update : 20.02.2023

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Kampf in der 3. Dimension

Klaus Strutzmann

Teileinheiten der Luftstreitkräfte stellen die Abwehr von Bedrohungen aus der Luft sicher. Im Zusammenwirken des Aufklärungs-, Führungs- und Wirkungsverbundes kommen luftgestützte (Kampfflugzeuge) und bodengestützte (Fliegerabwehr-)Mittel zum Einsatz. Die bodengebundene Luftabwehrtruppe stellt im Systemverbund den Einsatz von Wirkmitteln gegen ein breites Bedrohungsspektrum sicher.

Streitkräfteentwicklung 

Mit den 1990er-Jahren begann im internationalen Umfeld die bodengebundene Luftabwehrtruppe sukzessive mit dem Abbau ihrer Kapazitäten – vor allem in westlichen Streitkräften. Die Fähigkeit der Luftabwehr ging in Österreich nie über jene einer Gefechtsfeldfliegerabwehr hinaus. Die Entwicklung des Bedrohungsbildes und die Konflikte der jüngeren und jüngsten Vergangenheit haben jedoch die Notwendigkeit einer bodengebundenen Luftabwehr gezeigt. Im Besonderen bekommen die Rohrwaffen aufgrund der Bedrohung von Drohnen eine neue Bedeutung. Die Notwendigkeit des Wiederaufbaues entsprechender Fähigkeiten im Bundesheer ist vorhanden. Die bodengebundene Luftabwehrtruppe der österreichischen Luftstreitkräfte muss durch die neuen Bedrohungen die verlorengegangenen Fähigkeiten wiederaufbauen und weiterentwickeln.


Bedrohungsbild 

Moderne Konflikte werden in Kombination von konventioneller und irregulärer Kriegsführung, Informations- und Cyber-Kriegsführung sowie Terrorismus und Kriminalität ausgetragen. Diese „hybriden Kriege“ betreffen auch die Verwendung von Einsatzmitteln im Luftraum. Hier werden eine große Bandbreite von bemannten und unbemannten Systemen sowie Wirk- und Aufklärungsmitteln eingesetzt. Neben den militärischen Mitteln – vom „klassischen“ Kampfflugzeug bzw. Hubschrauber über Marschflugkörper und Drohnen – werden vermehrt im zivilen Bereich verfügbare Systeme (Drohnen, Hänge- und Paragleiter, Ballone, Ultraleichtflugzeuge) zweckentfremdet genutzt.

Die Bedrohung entsteht durch das Luftfahrzeug selbst (z. B. „Kamikaze“-Drohnen) oder durch die vorhandene Bewaffnung bzw. Nutzlast (Sprengstoff, chemische oder biologische Stoffe). Je nach vorhandener Bewaffnung (Geschoße, ungelenkte und gelenkte Raketen sowie Bomben) erfolgt der Einsatz aus unterschiedlichen Höhen und Entfernungen mit verschiedenen Geschwindigkeiten. Der Einsatz von Granatwerfern, Steilfeuer und der Abschuss von ungelenkten Raketen unter Verwendung von behelfsmäßigen, bodengestützten Abschusseinrichtungen sind ebenfalls eine Bedrohung in der Luft.

In Abhängigkeit der Mittel ist deren Einsatz bei Tag und Nacht und unter nahezu allen Witterungsbedingungen möglich. Begleitend können Maßnahmen der Elektronischen Kampfführung und Cyber-Attacken die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöhen. Durch den gleichzeitigen bzw. zeitlich und/oder räumlich gestaffelten Ansatz mehrerer Wirkmittel wird der Erfolg von Abwehrmaßnahmen stark reduziert (Sättigung der Abwehrsysteme). Eine geringe Radarrückstrahlfläche kleiner Objekte verhindert oder erschwert eine rechtzeitige Erfassung der Luftbedrohung


IST-Zustand

Die bodengebundene Luftabwehrtruppe des Österreichischen Bundesheeres (ÖBH) verfügt zurzeit nur eingeschränkt über Mittel, um eine Bedrohung aus der Luft im gesamten Spektrum abzuwehren. Einerseits sind die vorhandenen Systeme in ihrer Reichweite eingeschränkt und auf ein altes Gefechtsbild ausgerichtet, andererseits erreichen die vorhandenen Systeme das Ende ihrer technisch materiellen Nutzungsdauer. Durch die Auflösung der Fliegerabwehrbatterien der Stabsbataillone in den mechanisierten Verbänden ist eine Begleitschutzfähigkeit eigener Truppen nicht mehr gegeben. Für die Aufgabenerfüllung ist daher neben einer möglichen Modernisierung bzw. Kampfwertsteigerung vorhandener Abwehrwaffen eine Neubeschaffung von Systemen unverzichtbar.

Wirkungsbereiche

Systeme der bodengebundenen Luftabwehrtruppe kommen in unterschiedlichen Wirkungsbereichen zum Einsatz. Im Wirkungsbereich Very Short Range Air Defence (VSHORAD) ist die Abwehr einer Luftbedrohung in einem Raum mit bis fünf Kilometer horizontaler und bis drei Kilometer vertikaler Ausdehnung sicherzustellen. Mittel der bodengebundenen Luftabwehr im Short Range Air Defence (SHORAD)-Bereich kommen in einem Raum mit bis 15 Kilometer horizontaler und bis sechs Kilometer vertikaler Ausdehnung zum Einsatz. In einem Raum mit bis zu 50 Kilometer horizontaler und bis zu 25 Kilometer vertikaler Ausdehnung werden Medium Range Air Defence (MRAD)-Systeme eingesetzt.

In den angeführten Räumen sind unterschiedliche Fähigkeiten der bodengebundenen Luftabwehr gefordert. Eine erfolgversprechende Abwehr einer Luftbedrohung braucht deshalb eine Reihe von vernetzten Waffen-, Aufklärungs- und Kommunikationssystemen.


Aufklärung 

Zur Sicherstellung einer zeitgerechten Detektion und Identifikation ist der Einsatz unterschiedlicher Sensoren (Radar, Wärmebild, Tageslicht, Frequenzpeilung, Akustik) erforderlich. Moderne Freund-Feind-Kennungssysteme verhindern die Gefährdung eigener Luftfahrzeuge. Bei einem Einsatz von Radarsensoren muss auf unterschiedliche Frequenzbereiche geachtet werden, um Maßnahmen des elektronischen Kampfes des Gegners zu erschweren. Hinsichtlich der taktischen bzw. gefechtstechnischen Flexibilität der Sensoren ist auf die Verfügbarkeit geschützter mobiler Systeme bzw. auf eine rasche Verlegbarkeit wertzulegen.


Führung 

Das Führungselement (Command and Control) bindet die unterschiedlichen Systeme in das Führungsinformationssystem ein. Dabei ist auf die Interoperabilität im nationalen und internationalen Kontext zu achten. Die Abwehr einer Luftbedrohung ist vor allem durch geringe Vorwarnzeiten geprägt. Die Bedrohungsanalyse, die erforderlichen Führungsabläufe und die Zielzuweisung müssen daher weitgehend automatisiert ablaufen. Für eine Datenübertragung sind geschützte und redundante Verbindungen mit den notwendigen Bandbreiten unabdingbar.

 

Wirkung 

Das breite Bedrohungsspektrum erfordert unterschiedliche Wirkmittel. Nur dadurch wird der Einsatz unter Berücksichtigung der Reichweiten der gegnerischen Einsatzmittel und der Verhältnismäßigkeit gewährleistet. Demzufolge ist eine Wirkung im Bereich Hard-Kill und Soft-Kill erforderlich.

Unter Hard-Kill versteht man den Einsatz von Systemen, die zur Zerstörung des Zieles führen. Das sind Rohrwaffen- und Lenkwaffensysteme unterschiedlicher Reichweiten. Auch der Einsatz von Lasersystemen und Abfangdrohnen fällt darunter.

Der Einsatz von Soft Kill-Systemen führt nicht zu einer Zerstörung der gegnerischen Wirkmittel. Diese werden nur an der Umsetzung ihrer zerstörerischen Kraft gehindert. Das sind vor allem Mittel der Elektronischen Kampfführung (z. B. Störsender) oder Netzdrohnen.

Die Weiterentwicklung der bodengebundenen Luftabwehrtruppe kann durch folgenden Fähigkeitenaufbau in den Wirkungsbereichen realisiert werden.

Very Short Range Air Defence 

Durch den Gegner werden im Very Short Range Air Defence (VSHORAD)-Bereich unterschiedliche Systeme zum Einsatz gebracht. Konventionelle Luftfahrzeuge (Hubschrauber, Flächenluftfahrzeuge) setzen Maschinenkanonen (Bordkanonen), ungelenkte und gelenkte Raketen sowie Bomben ein. Der Einsatz von Lenkwaffen erfolgt dabei außerhalb des Wirkungsbereiches der eingesetzten Luftabwehrkräfte. Eine Bekämpfung des Luftfahrzeuges als Waffenträger ist durch diese Kräfte nicht möglich, es muss daher das eingesetzte Wirkmittel selbst abgewehrt werden.

Drohnen werden als Trägerplattform für den Einsatz von Lenkwaffen bzw. als „Kamikaze“-Drohnen eingesetzt. Darüber hinaus werden diese (auch unter Verwendung von auf dem zivilen Markt erhältlichen Drohnensystemen) mit unterschiedlicher Nutzlast (Sprengstoff, chemische oder biologische Stoffe) als Wirkmittel entweder durch Abwurf der Nutzlast oder durch Einschlag der Drohne selbst verwendet.

Im VSHORAD-Bereich ist es notwendig, die Bedrohung durch von behelfsmäßigen Abschussvorrichtungen abgefeuerte ungelenkte Raketen sowie den Einsatz von Steilfeuer und Granatwerfern abzuwehren. Schließlich ist die Fähigkeit zur Abwehr von sehr tieffliegenden Marschflugkörpern erforderlich. Insbesondere sind Drohnenabwehrsysteme, bestehend aus verschiedenen Sensoren (Multisensoransatz), Führungselementen und Wirkmitteln im Hard/Soft-Kill-Bereich gegen Kleinstdrohnen unerlässlich. Einige Systeme werden derzeit im Bundesheer erprobt. Insbesondere die Abwehr von Kleinstdrohnen (siehe TD-Heft 3/2019) bedingt den Einsatz unterschiedlicher Sensoren (v. a. Radar, Wärmebild, Tageslicht, Frequenzpeilung, Akustik). Im Bereich der Wirkmittel sind – neben Systemen der Elektronischen Kampfführung – Kanonensysteme mit hoher Kadenz und sogenannter Airburst-Munition erforderlich. Die Bekämpfung erfolgt dabei unter Verwendung von Subprojektilen, die durch einen programmierten Zünder unmittelbar vor dem Ziel ausgestoßen werden. Diese Art der Munition ist ebenfalls zur Bekämpfung von sehr kleinen Zielen, wie Raketen, Artilleriegranaten und Granatwerfermunition geeignet. Weiteres ist dadurch eine Wirkungsmöglichkeit gegen Marschflugkörper und „Kamikaze“-Drohnen gegeben. 

Derzeit verfügt die bodengebundene Luftabwehrtruppe des Bundesheeres mit der leichten Fliegerabwehrlenkwaffe „Mistral“ und den 35-mm-Fliegerabwehrkanonen über Systeme, die im VSHORAD-Bereich eingesetzt werden. Aufgrund des aktuellen Bedrohungsbildes ist die Verfügbarkeit von Lenkwaffen- und Kanonensystemen hinkünftig dringend notwendig. In Falle des österreichischen Kanonensystems ist eine Kampfwertsteigerung durch die Verwendung von Airburst-Munition und eine Modernisierung der Sensorik unentbehrlich. Dies kann grundsätzlich durch eine Nutzungsdauerverlängerung des Systems oder durch eine Neubeschaffung erfolgen. Für die Sicherstellung der Verfügbarkeit eines modernen Lenkwaffensystems (Ablöse „Mistral“) ergeben sich zwei Varianten: Ersatz des vorhandenen Lenkwaffensystems durch ein System gleicher Reichweite bzw. eine Nutzungsdauerverlängerung oder es wird gleich ein neues Lenkwaffensystem im SHORAD-Bereich beschafft. 

Im SHORAD- und MRAD-Bereich setzt der Gegner unterschiedliche Lenkwaffen (Bomben, Raketen) ein. Als Trägerplattform für die eingesetzten Wirkmittel kommen bemannte und unbemannte Drohnensysteme in Betracht. Zur Abwehr der Trägerplattform in diesen Bereichen sind hauptsächlich Lenkwaffensysteme mit entsprechenden Reichweiten zu beschaffen.

Begleitschutz

Um eine in Bewegung befindliche Truppe schützen zu können, sind mobile Systeme erforderlich. Diese müssen unterschiedliche Sensoren sowie Hard- und Soft-Kill- Effektoren haben und in ein Führungsinformationssystem eingebunden werden. Begleitschutzelementen sind im VSHORAD-Bereich notwendig.

 

Auf einen Blick

Die Weiterentwicklung der Fähigkeiten soll die bodengebundene Luftabwehrtruppe zur erfolgversprechenden Abwehr einer Luftbedrohung im gesamten Bedrohungsspektrum befähigen. Mit der Verfügbarkeit unterschiedlicher Wirkmittel (Elektronische Kampfführung, Hard- und Soft-Kill) wird eine Bekämpfung sämtlicher Einsatzmittel des Luftgegners ermöglicht. Dabei muss die zu wählende Abwehrmaßnahme – abhängig von der Lage und der Verhältnismäßigkeit – aus einem Waffenmix ausgewählt werden können. Der Einsatz einer Lenkwaffe, um eine kostengünstige Kleindrohne abzuwehren, würde die Luftabwehr ressourcenmässig bald überfordern. Weitreichende Luftabwehrsysteme erschweren dem Luftgegner den Einsatz seiner Abstandswirkmittel und hindern ihn daran, den eigenen Luftraum zu nutzen.          

Oberst Klaus Strutzmann; Leiter der Grundlagenabteilung und Hauptlehroffizier an der Flieger- und Fliegerabwehrschule.

 

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