Kommentar: Auftrag, Mahnung und Verpflichtung
„Wir müssen die Erinnerung an die Opfer, die durch ein menschenverachtendes System ihrer Freiheit, Würde und ihres Lebens beraubt wurden, wachhalten und weitertragen!“ Mit diesen Worten unterstrich Verteidigungsministerin Klaudia Tanner die Bedeutung der Kooperation des Bundesheeres mit dem Mauthausen Memorial bei der Veranstaltung „Unterhaltung und Gedenken“ am 5. September 2023 im Heeresgeschichtlichen Museum. Im Zuge dessen überreichte die Ministerin fünf Informationsoffizier-Spezialisten „Demokratische Identität“ die Qualifizierungsurkunde. Diese Personengruppe, zu der auch ich gehöre, soll die Themen Radikalismus, Extremismus, Totalitarismus und Nationalsozialismus als Teil des Wehrpolitischen Unterrichtes bei Soldaten vermitteln bzw. Informationsoffiziere in diesem Bereich schulen. Das Ziel dieser Aufgabe, ist es, die „Demokratische Identität“ – den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ gesellschaftlichen Zusammenlebens auf Grundlage der Verfassung – von Angehörigen des Bundesheeres zu stärken und sie dahingehend zu sensibilisieren.
Das Hauptprogramm des Abends war das Konzert der Comedian Singers, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Musik der Comedian Harmonists „weiterleben“ zu lassen. Vor etwa 20 Jahren wurde der Film Comedian Harmonists im Fernsehen ausgestrahlt. Er beschreibt den Aufstieg, die Höhepunkte und das tragische Ende dieses Ensembles. Drei der sechs Mitglieder waren Juden, denen die Ausübung des Musikerberufes in der NS-Zeit verwehrt wurde. Ihr Schicksal war nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 durch Ausgrenzung, Verfolgung und schließlich der Vertreibung bzw. Flucht gekennzeichnet, wenngleich sie überleben konnten. Die tragischen Erfahrungen der drei jüdischen Comedian Harmonists stehen stellvertretend für hunderttausende deutsche und später österreichische Juden. Die meisten von ihnen wurden nicht nur verfolgt und vertrieben, sondern auch ermordet. Dieser Film hat mich als Person betroffen gemacht. Er ist für mich eine Mahnung an die Menschlichkeit, weshalb ich den Rahmen der Urkundenverleihung als sehr passend empfand. Soweit mein persönlicher Aspekt. Was hat das mit dem Bundesheer zu tun und warum sollte man sich in den Streitkräften mit dem Nationalsozialismus und dessen Verbrechen sowie dem Themenkomplex Radikalismus/Extremismus/Totalitarismus oder daraus resultierend den demokratischen Grundwerten beschäftigen?
Die Antwort auf diese Frage liefert der Dokumentarfilm „Das radikal Böse“ von Stefan Ruzowitzky. Darin wird die Tätigkeit einer Einsatzgruppe, des Reserve-Polizei-Bataillons 101, beschrieben sowie deren psychologisch-soziologische Hintergründe. Die Aufgabe des Bataillons war das Ermorden von sowjetischen Juden im Russlandfeldzug. Männer in Uniform, die in einer militärisch organisierten Struktur dienten und nach militärischen Werten erzogen und ausgebildet worden waren, wurden dort zu Mördern, weil es das NS-Regime so wollte, um seine menschenverachtende politische Theorie in die Praxis umzusetzen. Grundsätzlich positive Werte, die im Militär eingeschrieben sind, wurden sinn- und zweckentfremdet, um Menschen in Uniform zu Mördern und Unschuldige zu Opfern zu machen. Dieser Film hat mich als Soldat betroffen gemacht und seinen Inhalt sehe ich als Verpflichtung. Kein Soldat darf es zulassen, dass soldatische Werte für politischen Extremismus missbraucht werden. Es darf nie wieder passieren, dass Soldaten zu Henkern einer verbrecherischen Ideologie werden.
„Das Töten von Menschen ist ein Straftatbestand und als Soldat darf ich einen solchen Befehl nicht ausführen!“ Argumente wie dieses mögen stimmen, sich alleine auf das gesetzte Recht zu verlassen, reicht aber nicht aus. Jedem Soldaten, egal welcher Streitkraft er angehört, muss bewusst sein, dass er menschlich denken und handeln muss – in allen Situationen, auch und vor allem im Einsatz. Extremes (politisches) Gedankengut darf in keiner Armee geduldet werden. Historische Beispiele mögen abstrakt und weit entfernt erscheinen. Sie wurden jedoch von Menschen erdacht, befohlen sowie umgesetzt und der Mensch hat sich – zumindest biologisch – seitdem nicht verändert. Somit ist es – wie unter anderem die Genozide der 1990er-Jahre tragisch belegen – jederzeit möglich, dass sich ähnliche Ereignisse wiederholen.
Die vermutlich einzige Möglichkeit das zu verhindern ist, die auf Menschenwürde basierenden Grundwerte zu leben, einzufordern und zu vermitteln. Das Bundesheer nimmt diese Verpflichtung unter anderem mit den Wehrpolitischen Unterrichten zur Schärfung der Demokratischen Identität seiner Angehörigen oder der Kooperation mit dem Mauthausen Memorial wahr. Die Informationsoffizier-Spezialisten sind ein Baustein, um den Stellenwert dieses Themenkomplexes zu verankern. Sie werden ihren Beitrag dazu leisten, um das Bewusstsein zu schaffen, dass militärische Tugenden dazu eingesetzt werden, um Menschen zu helfen und sie zu schützen – egal welche Hautfarbe, Geschlecht, Weltanschauung oder Religion sie haben.
Hofrat Gerold Keusch, BA MA; Leiter Online-Medien in der RedTD