PerpektivenReich: Ist Fleiß out?
Fleiß ist ein Begriff, der sich vom germanischen Wort Kampfeseifer ableitet und sich auf die arbeitssame Zielstrebigkeit bezieht. Später hat die Bedeutung des Wortes eine Eingrenzung erfahren, denn im Alt- und Mittelhochdeutschen nutzte man den Begriff deutlich umfassender im Sinn von ‚Eifer, Anstrengung, Sorgfalt‘ als es heute der Fall ist, wo er für ‚eifriges Arbeiten‘ steht. Der ursprüngliche weite und germanische Sinn hat sich lediglich in den Redewendungen mit Fleiß erhalten, die für ‚absichtlich, vorsätzlich‘ steht wie: Jemandem etwas zu Fleiß/zufleiß tun/machen.
Später wurde der Fleiß zur bürgerlichen Tugend erklärt. Die Gegenbegriffe zu Fleiß sind übrigens der Müßiggang, die Trägheit und als stärkstes Gegenteil sicherlich die Faulheit. Auf die Frage: „Woher kommt der Fleiß?“ ist nun klar, dass er einer Kultur entsprungen ist, die auf das Kämpfen zum Überleben gesetzt hat und eine weitere Definition hatte als es heute üblich ist.
Was ist Fleiß?
In der Schule war es lange anerkannt fleißig zu sein, denn die Lernbereitschaft, Zielstrebigkeit und Ausdauer, die dem Fleiß zugrunde liegt, wurde mit guten Noten belohnt. Dabei ging es vor allem um die Anerkennung einer regelmäßig erbrachten Leistung durch das Erfüllen von Aufgaben – das beharrliche, zielstrebige Tätigsein, das eifrige Streben und den Arbeitseifer. Dies geht auf eine Zeit zurück, in der das Schulsystem entwickelt wurde, um Menschen Ordnung und Disziplin beizubringen, die beim Durchhalten dieser Tugenden zu beachtlichen Ergebnissen führte. Das ist ein Grundelement der Schulbildung und der darauf basierenden wirtschaftlichen Entwicklung.
Die schlechten Arbeitsbedingungen der Industrialisierung führten in weiterer Folge zur Ausgestaltung des Arbeitsrechts mit einer festgelegten Anzahl an Arbeitsstunden, Ruhezeiten usw. Zu der Zeit als sich die Gesellschaft weg vom Agrarsektor hin zur Industrie entwickelte, wurde erkannt, dass nur jene fleißig sein können, die vital sind – also ausreichend schlafen und gesund essen. Damit wird die Entwicklung weg von der Entbehrung, hin zur Balance nachvollziehbar. Diese wirkt bis heute und entwickelt teilweise seltsame Blüten, doch dazu später. Fleiß hatte in der Zeit um 1900 nach wie vor die Bedeutung, dass es jemand mit der Eigenschaft zu etwas bringt. Heute würden man diese Eigenschaft eher mit den Begriffen robust und resilient verbinden.
Entfernung vom Fleiß-Begriff
Die Veränderung der Bedeutung von Fleiß in der Gesellschaft lässt sich auch mit Zitaten nachvollziehen. So sagte der berühmte italienische Maler und Universalkünstler Leonardo da Vinci, der in der Renaissance zwischen 1452 und 1519 lebte: „Geniale Menschen beginnen große Werke, fleißige Menschen vollenden sie.“
Marie von Ebner-Eschenbach, die mährisch-österreichische Schriftstellerin, die von 1830 bis 1916 lebte, wusste wiederum: „Je kürzer der Fleiß, je länger der Tag“. Damit deutete sie das Problem der Faulheit an, das nachteilig auf den Zeitgeist ihrer Epoche, dem Realismus, wirkte. Selbst der amerikanische Zeitgenosse von Ebner-Eschenbach, Charles Kettering, der als Ingenieur und Erfinder in die Geschichte einging, meinte: „Glück ist meist nur ein Sammelname für Tüchtigkeit, Klugheit, Fleiß und Beharrlichkeit“. Er lebte von 1879 bis 1958 und nahm mit diesem Zitat auch auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg Bezug, denn der Wiederaufbau bedurfte eines großen Willens und vor allem Kontinuität.
In diesem Zusammenhang ist Warren Buffet spannend. Der über 90-jährige US-Milliardär und Investor hat den Fleiß von anderen Unternehmen nämlich zu seinem eigenen Erfolg werden lassen. Er fokussiert nicht den nächsten Quartalsbericht, im Mittelpunkt seines Denkens stehen die langfristigen Aussichten eines Unternehmens – das ökonomische Potential eines Unternehmens in 10 oder 20 Jahren. Der 1930 geborene Buffet denkt somit in großen Zeitfenstern und nicht kurzfristig. Grundlage für seine Einschätzung ist zum einen die positive Stimmung im Unternehmen und zum anderen kontinuierlicher Fleiß, um dauerhaft Erfolg umzusetzen.
Fehlt der Fleiß?
Seit den 1970er-Jahren begegnet dem Wort Fleiß, weniger jedoch der Eigenschaft, mehr und mehr Ablehnung. Fleiß ist mittlerweile sogar negativ konnotiert, doch weshalb? Obwohl diese Eigenschaft sowohl privat als auch im Beruf zweifellos geschätzt wird, spielt man sie manchmal gegen andere, die teilweise konträr zu ihr sind aus – wie Intelligenz oder Spontanität. Begriffe wie Arbeitsamkeit und Zielstrebigkeit sind davon im Sprachgebrauch jedoch kaum betroffen. Das ist erstaunlich.
Vermutlich liegt diesem Umstand die Ablehnung des Bürgertums zu Grunde, da Fleiß immer ein bürgerlicher Wert war. Die heutige Gesellschaft hat sich verändert, weshalb gegen konservative Werte rebelliert wird. So wird Fleiß heute hauptsächlich mit einer gewissen „Bravheit“ assoziiert, die auf eine „Angepasstheit“ hindeutet und nicht zum rebellenhaften Handeln des Zeitgeistes passt.
Ohne Fleiß kein Preis?
Gerade die lernende und wissbegierige Beharrlichkeit ist in der Wissenschaft erforderlich. Rückschlüsse aus Versuchen und Analysen bedürfen eines langen Atems und vor allem viel Fleiß, der nicht durch Intelligenz „ersetzbar“ ist. Heutige Märkte, genauso wie die Forschung sind von Ergebnissen und Wachstum getrieben, wobei beides im Gegensatz zur Ergebnisoffenheit der Wissenschaft bzw. der kreativen Freiheit des Erfindens steht.
Fleiß ist für beides essenziell, denn die Durststrecken und das Scheitern sind Teil des Prozesses und es muss auch während dieser Krisen gearbeitet werden. Nur so kommt es zu einem Ergebnis. Basis von Fleiß ist auch unbewusste Prozesse zu ignorieren, die Mutlosigkeit mit sich bringen können, zielstrebig verstehen zu wollen und aus gewonnenen Erkenntnissen lernend zu Folgern. Dabei gibt es kein klares Regelwerk und vor allem „das Aushalten“ von Fehlern steht an der Tagesordnung, genauso wie das beharrliche Weiterarbeiten.
Damit schließt dieser Prozess an das ursprüngliche Lern- und Schulsystem an, bei dem ein Fokus auf dem Auswendiglernen lag. Dabei wurden Gedichte im Literaturunterricht auswendig gelernt und Jahreszahlen in Geschichte abgefragt, wobei es keine Interpretation gab, sondern nur ein richtig oder falsch. Doch diese Mühe steht im Widerspruch zur weit verbreiteten Lehr- und Lernphilosphie der aktuellen Gesellschaft. Heute werden Kinder in der Schule „freigeistiger“ erzogen und ihren Gefühlen wird mehr Raum gegeben. Dadurch rückt aber die Emotionsebene ins Zentrum, die dem Resilient-Werden durch Fleiß entgegensteht. Deshalb darf man sich nicht wundern, wenn Kinder, die sich „nicht nach Bewegung fühlen“ und lieber am Sofa liegen als im Freien zu spielen, übergewichtig werden.
Im Schulsystem von Früher wurde die Merkfähigkeit geschult, die heute ins Internet ausgelagert ist. Gerade das Erinnerungsvermögen, das auf Zahlen, Fakten und Daten trainiert wurde, war früher zentral und sorgte auch für eine Sachlichkeit in Diskussionen. Heute fühlen sich Menschen schnell beleidigt und drücken dies in emotionaler Betroffenheit aus, was Diskussionen verhindert. Dazu kommt eine „Beweisführung“ mit Wikipedia und einem „flott im Netz“ nachsehen, um dann Recht zu haben, anstelle selbstständig denkend das Gegenüber im Dialog zu fokussieren. Das Mobiltelefon ist hier mitunter ein Fluch, denn es errodiert so den Dialog zusätzlich, wobei das natürlich auch eine Frage der Kenntnis der Etikette ist.
Daher ist es wichtig, egal wie alt jemand ist, das eigene Verstehen durch zielstrebiges Lernen und Lesen sowie diskutieren –wohlgemerkt ohne telefonische Assistenz – zu fördern. Dabei sind mechanisch-logische und sich wiederholende Tätigkeiten hilfreich – wie das Auswendiglernen von Redewendungen, Gedichten oder Formeln. Selbst das Erzählen von Witzen, Anekdoten oder Lebensweisheiten ist förderlich, denn das Einprägen wichtiger Basiskenntnisse lässt sich nicht immer durch das „Verstehenwollen“ ersetzen. Dass dieses in unserer Zeit jedoch meist höher im Kurs steht als der Fleiß, ist wohl ein Grund für jene nachweisbare Abwärtskurve hinsichtlich der Merkfähigkeit bzw. der Aufmerksamkeit.
Work-Life-Balance
Es gibt mehrere Gründe, warum Fleiß mehr und mehr im „Out“ steht. Die Arbeitskultur hat sich weitestgehend verändert, weshalb in der heutigen Arbeitswelt viel Wert auf Kreativität, Innovation oder strategisches Denken gelegt wird. Fleiß, definiert jedoch „strebsames und unermüdliches Arbeiten“, der nicht selten als Gegensatz dazu verstanden wird. Eines ist klar: Fleiß führt nicht immer zum Erfolg. Die Praxis zeigt, dass fleißige Mitarbeiter seltener befördert werden. Dies liege – so die Erkenntnisse von Arbeitsforschern – daran, dass Fleiß eher mit der Rolle eines Arbeiters als mit der einer Führungskraft assoziiert werde. Das steht jedoch im Widerspruch zur Funktion des Chefs oder CEO, denn Klarheit und Fleiß sind bei Managern eine Basis ihrer Tätigkeit.
Fleiß kann aber auch zur Ausbeutung führen. Es gibt die Ansicht, dass fleißige Menschen oft ausgenutzt werden, da sie dazu neigen, mehr Arbeit zu übernehmen und sich stärker in ihre Aufgaben einzubringen. Das steht klar im Gegensatz zum heutigen Trend der Work-Life-Balance. In der gegenwärtigen Gesellschaft wird zunehmend Wert auf eine ausgewogene Aufteilung von Freizeit und Arbeit gelegt. Übermäßiger Fleiß kann diese Balance jedoch stören. Man kann sich daher fragen: Differenziere ich zwischen Arbeit und Freizeit? Denke ich an das Wochenende, wenn ich in der Arbeit bin? Macht mir meine Arbeit Spaß?
Die heutige Arbeitswelt ist so sicher wie nie zuvor. Genau deshalb konnte sich, im Gegensatz zur Industrialisierung, in der es kaum Freizeit gab und selten ein freies Wochenende, der Begriff der Freizeit etablieren. Heute baut der Konsum, mit den damit im Zusammenhang stehenden Branchen wie Tourismus, Handel usw. darauf auf. Österreichs Unternehmen sind zahlreich im Einzelhandel vertreten. So erwirtschaftete der Handel laut Statistik Austria im Jahr 2020 nahezu ein Drittel der Umsatzerlöse, knapp gefolgt von der Warenproduktion, die ein Viertel ausmachte. Die restlichen volkswirtschaftlichen Erlöse sind auf kleinere Felder verteilt die sich nahezu gleichmäßig auf die Branchen Bau, Finanzen, Energieversorgung und sonstige aufteilen. Daraus wird klar, dass die österreichische Wirtschaft keine ist, die auf körperlicher Arbeit basiert, sondern auf Dienstleistungen setzt. Der „körperliche Fleißfaktor“ ist demnach in den Hintergrund getreten und die Lust am Kaufen ist größer als die Lust an der Produktion.
Überlegen wir uns einmal, wer heute noch daheim etwas selbst repariert? Kaufen geht im Übrigen wesentlich schneller, als reparieren. Somit geht das Bewusstsein und Können für die körperliche Arbeit zunehmend verloren. Das muss nicht unbedingt sein, vielmehr gilt es ein Gleichgewicht zwischen Fleiß und anderen Aspekten wie Kreativität, strategisches Denken und der Erholung durch ausreichend Schlaf, Bewegung und gesunde Ernährung sowie feinmotorische Tätigkeiten durch Reparaturen, zu finden. Auch so kann man den Begriff Work-Life-Balance verstehen und gestalten.
wird fortgesetzt
Mag. Arch. Katharina Reich CMC lehrt zu sicherheitsrelevanten Infrastrukturen, Ökonomie und komplexem Denken an diversen Universitäten und Fachhochschulen und hält regelmäßig Vorträge an der Landesverteidigungsakademie in Wien.