• Veröffentlichungsdatum : 17.07.2024

  • 15 Min -
  • 2992 Wörter

Reaktionsmiliz - Bereit in 48 Stunden

Gerold Keusch

Die sicherheitspolitische Lage hat sich verändert. Spätestens seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist klar, dass ein Krieg in Europa möglich ist. Europas Streitkräfte müssen sich auf die geänderte Lage einstellen. Eine Möglichkeit, flexibel auf Lageänderungen zu reagieren, sind rasch verfügbare Erstreaktionskräfte. Das Ergebnis dieser Überlegungen im Bundesheer ist die „Miliz in höherer Bereitschaft“ – die Reaktionsmiliz. Ihre erste Übung fand vom 15. bis 17. März 2024 in der Amstettener Ostarrichi-Kaserne statt.

Die Reaktionsmiliz soll Erstreaktionskräfte nach einer Mobilmachung personell unterstützen, Einsatzaufgaben erfüllen und die Anzahl der Soldaten „im Feld“ erhöhen. Sie ist, im Fall der Fälle, zur Verstärkung und Ergänzung der Erstreaktionskräfte im gesamten Spektrum des § 2 Wehrgesetz (inkl. Landesverteidigung) vorgesehen.  Zurzeit ist das aber kein Thema – dafür müssen zuerst die ausbildungsmäßigen Voraussetzungen geschaffen werden.  

Spätestens 48 Stunden nach einer Mobilmachung und der anschließenden Aufbietung/Alarmierung der Reaktionskräfte müssen diese in ihren Kasernen sein. Dort erfolgen dann die Formierung und die Einsatzvorbereitung. Spätestens 72 Stunden bis sieben Tage nach ihrer Alarmierung sollen sie konkrete Aufgaben übernehmen. Aktuell gibt es drei Organisationselemente der Reaktionsmiliz, die

  • 4. Jägerkompanie/Jägerbataillon 12 (Amstetten, Niederösterreich),
  • 4. Jägerkompanie/Jägerbataillon 26 (Spittal/Drau, Kärnten) und den
  • Aufklärungszug/Artillerie- und Aufklärungsbataillon 4 (Horn, Niederösterreich).

Eine Kompanie hat eine Sollstärke von etwa 170 Mann und eine Personalreserve von etwa 20 Soldaten. Der Aufklärungszug hat etwa 30 Mann und eine Personalreserve von etwa drei Soldaten. Bei allen Organisationselementen werden noch Personen, vorrangig bei den Mannschaftsdienstgraden, gesucht.

Die Übung

Am 15. März 2024 ist um 0700 Uhr Dienstbeginn in der 4. Jägerkompanie/Jägerbataillon 12, die sich in der Amstettener Ostarrichikaserne befindet. Um diese Uhrzeit beginnt die erste Formierungsübung der neu gegründeten Reaktionsmiliz. Bis 0830 Uhr müssen alle Milizsoldaten vor Ort sein. Fünf Berufsunteroffiziere, der Kaderrahmen dieser Kompanie, sind mit dem Kompaniekommandanten (Miliz) für die Organisation der Übung verantwortlich. Es handelt sich dabei um Soldaten der Kommando- und der Versorgungsgruppe, den

  •     Kommandanten der Kommandogruppe,
  •     Dienstführenden Unteroffizier (= Kommandant der Versorgungsgruppe und Mobilmachungsunteroffizier),
  •     Wirtschaftsunteroffizier,
  •     Nachschubunteroffizier/Kraftfahrunteroffizier und einen
  •     Zugskommandanten.

Diese Soldaten des Aktivstandes sind in der 4. Jägerkompanie dienstverwendet. Sie bilden das präsente Kernelement, das zur Aufstellung, Formierung und Ausbildungs-/Übungsplanung der Kompanie erforderlich ist. Dieser Berufssoldatenkern steht in permanenter Verbindung mit dem formierten Milizpersonal, den Interessenten für die Reaktionsmiliz und den Ergänzungsabteilungen der Militärkommanden. 

Ausbildungsinhalte

Um 0830 Uhr sind alle Soldaten eingerückt. Nun beginnt die Formierungsübung, die hinsichtlich ihres Charakters gleichzeitig Orientierungs-, Informations-, Ab- und Angleichungs- sowie Ausbildungszwecken dient. Organisatorische Inhalte sind neben der Einstellungsuntersuchung das Ausfassen von Waffen, Gerät und Ausrüstung. Alle Soldaten erhalten den Tarnanzug. Danach gibt es Unterrichte und Belehrungen sowie einen Test über das allgemeine militärische Wissen. Die Unterbringung der Soldaten erfolgt in der Kaserne. Der Dienst beginnt um 0730 Uhr und dauert an den ersten beiden Tagen bis etwa 2000 Uhr. Der Dienst am Sonntag, eigentlich ein Novum im Bundesheer hinsichtlich seines Inhaltes, endet um 1600 Uhr. 

Ein Schwergewicht der Übung ist der Waffen- und Schießdienst mit dem Sturmgewehr 77 und der Pistole 80. Scharfschießen findet (noch) keines statt, das ist Inhalt einer anderen Übung, die später durchgeführt wird. Ausbildungsinhalte waren die Sicherheitsbestimmungen, das Auseinandernehmen und Zusammensetzen der Waffe, die Ladegriffe und die Anschlagsarten. Die Ausbildung führt ein Milizsoldat durch, der dabei von einem Berufsunteroffizier unterstützt wird. Dieser unterstützt vor allem jene Soldaten, die noch Ausbildungslücken aufweisen.

Zusätzliche Inhalte sind der ABC-Individualschutz, der Exerzierdienst und die Körperausbildung. Bei der ABC-Ausbildung wurde die Schutzmaske desinfiziert und danach angepasst. Diese Ausbildung leitet der Kommandant der Kommandogruppe, der in Zweitfunktion der ABC-Abwehrunteroffizier in der Kompanie ist. Der Exerzierdienst ist ein seltenes Thema bei einer Milizübung. Bei dieser findet er jedoch statt, um das Auftreten und Verhalten in einer Formation sowie den Teamgeist zu festigen. 

Ein Augenmerk liegt auf der Körperausbildung. Die Soldaten der Reaktionsmiliz müssen Limits erfüllen und die geforderte körperliche Leistungsfähigkeit für den Einsatz mit einer positiven Leistungsprüfung Allgemeine Kondition (Liegestütze und ein 2 400-m-Lauf) belegen. Die Sporteinheit ist als Morgensport organisiert und die erste Ausbildungseinheit am Sonntag nach der Standeskontrolle um 0730 Uhr. Das Thema sind Kräftigungsübungen, die „K2“ (früher als „Tägliche Zwölf“ bekannt). 

Wir sind Kameraden

Hauptmann Gerhard B. ist Kommandant der 4. Jägerkompanie/Jägerbataillon 12. Seine Einheit ist nicht nur ein Teil des Bataillons, sondern auch ein Element der Reaktionsmiliz. Im TRUPPENDIENST-Interview spricht er über die Motivation, in der Miliz zu dienen.

Redaktion TRUPPENDIENST (TD): Was reizt Sie an der Reaktionsmiliz?
Hauptmann Gerhard B.: Es ist die Aufgabe! Das Thema, das Projekt und das Ziel – militärische Aufgaben in einem Einsatz zu übernehmen – machen für mich Sinn. Es gibt viele Übungen, weshalb wir deutlich aktiver sein werden als die „normale Miliz“, der ich bisher angehört habe. Dadurch entsteht eine Professionalisierung, und wir können ein deutlich höheres Ausbildungsniveau erreichen. Die normale Übungstätigkeit in der Miliz ist viel zu wenig, da sinkt das Niveau. 
TD: Wie zufrieden sind Sie mit dem Übungsverlauf?
G.B.: Die Übung läuft gut, damit bin ich sehr zufrieden. Hier macht sich die Zeit, die im Vorfeld investiert wurde, bezahlt. 
TD: Wie würden Sie einem Interessenten die Reaktionsmiliz schmackhaft machen?
G.B.: Er wird ein topausgebildeter Soldat, der mehr üben kann als ein normaler Milizsoldat. Außerdem kann er Teil eines neuen und interessanten Projektes sein.
TD: Noch gibt es viele Fehlstellen. Womit könnte das zusammenhängen?
G.B.: In den Gesprächen hat sich das folgende Bild ergeben, das sich mit meiner Meinung deckt: Als Milizsoldaten üben wir für den Einsatz, also wenn wir wirklich gebraucht werden. Beim COVID-Einsatz oder beim Einsatz während der Migrations- und Flüchtlingskrise wären wir zur Stelle gewesen, teilweise waren wir das auch. Dasselbe gilt sinngemäß für Katastrophen- oder Hilfseinsätze. Dafür sind wir da. Es gibt aber eine Befürchtung, die viele davon abhält, in die Reaktionsmiliz zu gehen: Wir wollen keine Lückenfüller sein, wenn es beispielsweise zu wenig Kräfte für die Dauerassistenzleistungen an der Staatsgrenze oder beim sicherheitspolizeilischen Assistenzeinsatz-Botschaft gibt. Kurz zusammengefasst: Wenn es brennt, stehen wir Gewehr bei Fuß – als Lückenfüller wollen wir nicht zur Verfügung stehen!
TD: Die Prämie ist auch eine Motivation?
G.B.: Die Prämie ist ein zusätzlicher Aspekt. Interessanterweise ist aber fast niemand, mit dem ich bisher geredet habe, wegen der Prämie bei der Reaktionsmiliz. Begeisterung für das Bundesheer und Pflichtbewusstsein sind meine Motivation und die meiner Kameraden. Ich bin einfach gerne Soldat.
TD: Sie führen die Kompanie ja nicht nur bei den Übungen, sondern auch im „Frieden“. Wie kann man sich das vorstellen?
G.B.: Ich habe im Vorfeld der Übung mehrere freiwillige Waffenübungen (besser bekannt als fWÜ; Anm.) gemacht und war im ständigen Kontakt mit dem Bataillonskommando und den Berufssoldaten der Kompanie. Das Berufskader plant den Rahmen, ich komme zu den Besprechungen, so gut das neben meinem Beruf geht. Als Kompaniekommandant in der Miliz ist es aber normal, dass man viel Zeit für die Miliztätigkeit aufbringt. 
TD: Es gibt einen Kaderrahmen. Beruhigt es Sie als Milizkommandant auf diesen zurückgreifen zu können?
G.B.: Das ist tatsächlich sehr beruhigend und eigentlich ein Muss. Die bürokratischen Abläufe sind oft relativ kompliziert und es ist eine Entlastung, Kameraden zu haben, die im System sind. Das funktioniert unkompliziert und gut. 
TD: Die Soldaten der Kompanie werden bei dieser Übung von Berufssoldaten ausgebildet. Soll das so bleiben oder soll das in Zukunft die Miliz selbst machen?
G.B.: Wir werden immer die Unterstützung der aktiven Truppe brauchen. Das sind die Profis. Wir können viel selbst machen, aber es wird notwendig sein, auf sie zurückgreifen zu können. Bei den nächsten Übungen werden wir das von Thema zu Thema beurteilen. Wir wollen so selbstständig wie möglich sein, realistischerweise werden wir aber immer Unterstützung bei dem einen oder anderen Ausbildungsvorhaben benötigen.
TD: Wie würden Sie den Status der Miliz im Bundesheer beschreiben?
G.B.: In Amstetten sind wir gut mit der aktiven Truppe verbunden. Wir sind Kameraden! Wir haben natürlich eine andere Sicht und andere Zugänge bei gewissen Dingen, aber wir ergänzen uns. Nicht immer ist die Wahrnehmung der Miliz so positiv wie hier. Manche bedenken nicht, dass wir unseren Dienst neben den beruflichen Verpflichtungen leisten. 
TD: Wie ist Ihre Miliztätigkeit mit Ihrem Beruf vereinbar?
G.B.: Das ist schwierig und eine Herausforderung. Da ich selbstständig bin, geht es etwas einfacher. Ich sehe meine Tätigkeit als Kommandant einer Milizkompanie als Zweitberuf. Das bedeutet viele Stunden dafür zu arbeiten, auch am Wochenende. 
TD: Welche Ziele haben Sie mit Ihrer Kompanie? Was wäre ein zufriedenstellender finaler Zustand?
G.B.: Einsatzfähig sein! Das ist das Ziel. Das bedeutet, dass wir so gut ausgebildet sind, dass wir uns aufeinander verlassen können, weil wir wissen, was wir können. Dass wir ein Vertrauen in die eigenen militärischen Fähigkeiten und in jene der Kameraden haben.  

Wenige Tage – viel Geld

Die Amstettener Kompanie hat eine aktuelle Ist-Stärke von etwa 40 Mann, das entspricht der Stärke eines Zuges. Die Soldagen kommen aus allen Teilen Österreichs zwischen dem Burgenland und der Steiermark. Das aktuell relativ geringe Freiwilligenaufkommen hat verschiedene Gründe. „Ich denke, dass das Militär im Allgemeinen und somit auch das Bundesheer mit der Miliz für viele Menschen kein Thema ist“, meint ein Berufssoldat. „Ich habe bei den Rekruten dafür geworben, aber niemand hatte ernsthaftes Interesse. Die Gründe waren einerseits, dass ihnen die Prämie zu gering war, andererseits wollten sie keine Wochenenden für die Übungen opfern. Ehrlich gesagt, kann ich beide Argumente nicht nachvollziehen.“
Mindestens 8 000 Euro netto erhält ein Milizsoldat in der Reaktionsmiliz für 30 Tage Übung in einem Jahr. Dieser Betrag ist indivduell unterschiedlich und setzt sich zusammen aus den
6 000 Euro Prämie, der Dienstgradzulage, dem Monatsgeld, der zuätzlichen Milizprämie bei Milizübungen, der Pauschalentschädigung und allenfalls der Entschädigung des Einkommensentganges bei einer Milizübung. „Ich kenne niemanden, der für 30 Tage so viel Geld bekommt“, meint der Unteroffizier. „Deshalb denke ich, dass dieses System schon funktionieren müsste, wenn es gelingt, die richtigen Leute anzusprechen.“

Noch ist die Reaktionsmiliz in einer Projektphase, die evaluiert wird und von deren Ergebnis ihre Zukunft abhängt. Etwa 520 Interessenten gab es bisher österreichweit, etwa 250 interessierten sich für die Amstettener Kompanie. Die Interessenten erfüllen häufig nicht die Voraussetzungen, z. B. weil sie keine Basisausbildung 2 (Waffen- und Geräteausbildung) und/oder keine Basisausbildung 3 (Verbandsausbildung) haben, da diese in den vergangenen Jahren oft nicht durchgeführt wurden. Da künftige Grundwehrdiener diese Inhalte wieder absolvieren, sollte es dieses Problem bald nicht mehr geben. 

„Es macht Sinn!“

Harald G. ist Soldat bei der Reaktionsmiliz. Der 36-jährige Ingenieur absolvierte 2008 seinen Grundwehrdienst als Scharfschütze. Warum hat er sich gemeldet? „Ich war immer gerne Milizsoldat. Das Militär hat mich immer interessiert. Wo sonst kann man mit einem Hubschrauber mitfliegen oder seine körperlichen Grenzen kennenlernen?“ Der Wechsel von der „normalen“ Miliz zur Reaktionsmiliz war für ihn logisch. „30 Tage im Jahr zu üben macht Sinn. Ich muss nicht immer von vorne beginnen, sondern bleibe ständig in Übung. Meine Ausrüstung ist in einem Lager hinterlegt. Wenn ich zu einer Übung komme oder in den Einsatz gehe, kenne ich mein Gerät und habe es rasch ausgefasst.“ 

Dass es sich dabei um neues und modernes Gerät handelt, ist für ihn eine zusätzliche Motivation. Wie sieht er die Übungen am Wochenende? „Für mich passt das gut, da ich so mein Interesse am Militär gut mit meinem Beruf vereinbaren kann.“ G. ist selbstständig. Er betreibt ein Ein-Mann-Unternehmen und hat sich auf die Montage von Fenstern und Türen spezialisiert. Dass er keinen Chef habe und sich die Arbeit selbst einteilen könne, sei ein Vorteil. Als Angestellter wäre das nicht so leicht möglich. 

Ein großer Anreiz für den Selbstständigen, der aktuell den Dienstgrad Gefreiter trägt, liegt in der Bezahlung. „Ich muss viele Fenster verkaufen, um den Erlös in Höhe der Prämie für die Reaktionsmiliz zu erzielen.“ Die sportlichen und medizinischen Limits sind keine Herausforderung für ihn, denn mit einem aktiven Lebensstil und ein wenig Sport sei das alles kein Problem.

Reaktionskraft

„Sie sind Soldaten der 4. Kompanie. Sie sind ein Teil des Jägerbataillons 12. Tragen Sie das Abzeichen mit Stolz! Sie sind etwas Besonderes!“ Diese Worte richtete Oberstleutnant Bernhard M., der stellvertretende Kommandant des Jägerbataillons 12, an die Milizsoldaten. Sie waren angetreten, um ihr Kompanieabzeichen zu erhalten – ein formeller Höhepunkt der Übung, da sie nun „offiziell“ Soldaten des Jägerbataillons 12 sind.

Bernhard M. ist nicht der Einzige, der den Milizsoldaten an diesem Tag ihre besondere Stellung vor Augen hält. Oberst Josef H., stellvertretender Leiter des Projektes Reaktionsmiliz im Bundesministerium für Landesverteidigung, ist ebenfalls vor Ort und nutzt die Möglichkeit, um mit den Soldaten zu sprechen. „Mit der Reaktionsmiliz hat das Bundesheer nun drei neue spezielle Elemente. Wirken Sie mit! Sie stehen im Fokus!“, appelliert Josed H. an die Soldaten. „Sie sind ein Teil der Reaktionskräfte des Bundesheeres! Seien Sie sich dessen bewusst, dass man auf sie zurückgreift, wenn der Bedarf besteht.“ Ob und wann das sein könnte, werde die Zukunft zeigen. Fakt sei jedoch: „Die sicherheitspolitische Lage hat sich in den letzten Jahren geändert. Wer hätte gedacht, dass in Wien ein Terroranschlag stattfindet, dass die Hamas die Zäune nach Israel durchschneidet oder dass Russland die Ukraine angreift?“ 

Im Gespräch mit dem Oberst können die Milizsoldaten ihre Meinung äußern. Nur so ist es möglich festzustellen, „wo der Schuh drückt“ und vor allem, wie mehr Soldaten für die Reaktionsmiliz gewonnen werden können. „Ein Schütze kann auch älter als 30 Jahre sein, wenn er fit genug ist und diese Tätigkeit machen möchte“, lautet ein Vorschlag. „Man muss versuchen, die Arbeitgeber ins Boot zu holen“, ein anderer. Die unterschiedlichen und jeweils berechtigten Interessen von Arbeitgebern auf der einen, den Milizsoldaten und dem Bundesheer auf der anderen Seite sind unter Umständen konträr. Diese Herausforderung begleitet die Miliz jedoch seit ihrem Bestehen. In Zeiten des Arbeitskräftemangels und sicherheitspolitischer Risiken ist sie größer denn je. 

Einfacher zu lösen sind andere Bedenken der Milizsoldaten. „Viele von uns haben die Befürchtung, ein Lückenfüller – beispielsweise beim Assistenzeinsatz an der Staatsgrenze – zu sein. Viele Interessenten kommen deshalb nicht, weil sie die Befürchtung haben, dass sie Fehlstellen besetzen müssen.“ Der Unteroffizier erhält mit seiner Aussage das zustimmende Nicken einiger Kameraden. „Die Reaktionsmiliz kann ausnahmslos nur nach einer Mobilmachung eingesetzt werden. Sie sind kein Lückenfüller, sondern ein eigens strukturiertes Organisationselement!“, erwidert Oberst Josef H. 

Anspruchsvolle Aufgabe

Stabswachtmeister Lukas H. ist Ausbildungsleiter bei der Reaktionsmiliz. Er ist, gemeinsam mit mehreren Gruppenkommandanten, für das militärische Training der Milizsoldaten verantwortlich. Im TRUPPENDIENST-Interview gibt er einen Einblick in die bisherige Ausbildung.

Redaktion TRUPPENDIENST (TD): Wie sind Sie und Ihr Ausbildungskader mit der Leistung der Milizsoldaten zufrieden?
Stabswachtmeister Lukas H.: Ich bin sehr zufrieden. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass sie so motiviert sind. Das ist auch die Rückmeldung der Gruppenkommandanten. Sie fragen viel, wollen viel wissen. Sie werden während der gesamten Ausbildung beurteilt und müssen somit Leistung bringen. Anwesenheit alleine ist zu wenig.
TD: Wie sehen die Rückmeldungen der Auszubildenden aus?
L.H.: Die sind bisher durchwegs positiv. Sie werden mehr gefordert, so die Rückmeldung, haben kaum Stehzeiten und eine im Sinne der Ausbildung für sie sinnvolle Tätigkeit.  
TD: Wie groß sind die Unterschiede der Soldaten?
L.H.: Die Unterschiede sind groß, weil der Ausbildungsstand sehr unterschiedlich ist. Vom ehemaligen Berufssoldaten mit Stabsunteroffiziersausbildung und Auslandserfahrung bis zum Gefreiten, dessen Grundwehrdienst beinahe zehn Jahre vorbei ist, sind alle Stufen vorhanden. Einige der ehemaligen Berufssoldaten sind aus persönlichen Gründen abgerüstet, aber dennoch gerne beim Militär und deshalb bei der Reaktionsmiliz. 
TD: Welche Bereiche sollten bei den weiteren Übungen intensiviert werden?
L.H.: Wir haben uns bei dieser Übung auf die Basis beschränkt, da müssen wir aber sicher noch mehr machen. Die Waffenausbildung und in weiterer Folge die Gefechtsausbildung werden ein Schwergewicht bleiben. Die Angleichung ist nötig, weil – wie bereits zuvor erwähnt – der Ausbildungsstand unterschiedlich ist. Beispielsweise hatten einige noch keine Pistolenausbildung, die müssen sie jetzt nachholen.
TD: Wird die Reaktionsmiliz ohne Ausbilder des Aktivkaders funktionieren?
L.H.: Wir schauen, dass die Milizsoldaten sich selbst ausbilden. Das wäre das Ziel und das sollte umsetzbar sein. Die ehemaligen Kadersoldaten haben Erfahrung als Ausbilder und wissen, wie das geht. Das sieht man auch bei der bisherigen Ausbildung. Wenn jemand einen Fehler macht, dann gibt es „Kameradenhilfe“, sie helfen und unterstützen sich gegenseitig. So wachsen sie als Einheit zusammen.
TD: Am Beginn der Ausbildung gab es einen Einstiegstest. Mussten sich die Soldaten in ihrer Freizeit vorbereiten?
L.H.: Ja, so ist es. Sie üben und lernen auch daheim, da sie auf SITOS 6 (Online-Lernplattform des Bundesheeres; Anm.) zugreifen können. Es gab drei Tests für drei Ebenen. Das war sowohl für sie als auch für uns wichtig, um zu wissen, wo sie stehen. In Zukunft werden die Tests auch zur Leistungsbeurteilung herangezogen. Ich habe ihnen relativ viel Lernstoff gegeben. Es handelte sich um jene Dinge, die ein Soldat – je nach Funktion, in dem Fall Schütze, Gruppenkommandant oder Zugskommandant – wissen muss. Die Themen waren Gefechtsdienst sowie Karten- und Geländekunde. Insgesamt waren es etwa 320 Randnummern aus diversen Vorschriften und etwa 300 Seiten vom „Soldaten“ (der Leitfaden für Grundwehrdiener in Buchform; Anm.).
TD: Wie gefällt Ihnen persönlich die Zusammenarbeit mit den Soldaten der Reaktionsmiliz? 
L.H.: Mir gefällt die Zusammenarbeit mit ihnen sehr gut. Es ist anders als die Ausbildung von Grundwehrdienern und somit eine Umstellung, und es ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Interessant sind auch die Erfahrungen und das Wissen, das sie haben – sowohl zivil als auch militärisch – und das sie in die Reaktionsmiliz miteinbringen. Das ist wertvoll, auch hinsichtlich einer möglichen Einsatzverwendung.

Fazit

Am Sonntag um 1630 Uhr sind die Zimmer und Spinde geräumt, das Sturmgewehr, die Pistole und sonstige Ausrüstungsgegenstände sind beim Nachschubunteroffizier hinterlegt. Die Truppe ist abgetreten und auf dem Weg zum Parkplatz und von dort nach Hause. Nun kann eine erste Bilanz gezogen werden. Diese fällt vonseiten des Ausbildungskaders positiv aus. Das gilt auch für die Milizsoldaten, wie das schriftliche Feedback zeigt. 

„Ich bin zufrieden, es hat alles gut gepasst!“, sagt auch Harald G. über die drei Übungstage, in denen seine Erwartungen erfüllt wurden. Wie ist es seinen Kameraden gegangen? „Ich denke, dass die Übung für alle in Ordnung war, und es nichts zu kritisieren gab. Zumindest habe ich nichts Negatives gehört. Natürlich gibt es Themen, die mir weniger gut gefallen, wie der Exerzierdienst. Dafür war der Waffen- und Schießdienst sehr gut und ein Höhepunkt der Übung.“

Hofrat Gerold Keusch, BA MA; Leiter Online-Medien in der Redaktion TRUPPENDIENST.


Dieser Artikel erschien im TRUPPENDIENST 2/2024 (397).

Zur Ausgabe 2/2024 (397)


 

Ihre Meinung

Meinungen (0)