Sind wir belastbar?
„Wenn Sie die Welt verändern wollen, beginnen Sie damit, Ihr Bett zu machen.“
Mit diesen durchaus ernst gemeinten Worten leitete Admiral William H. McRaven seine Rede vor Absolventen der Universität Texas ein. McRaven ist ehemaliger Oberbefehlshaber des United States Special Operations Command und Angehöriger der Eliteeinheit „Navy Seals“. Seine mitreißende Ansprache verbreitete sich rasant über das Internet und schaffte es später sogar als Buch mit dem Titel „Make Your Bed“ auf die Bestsellerliste der New York Times.
In diesem Buch schildert McRaven die enormen Herausforderungen, die er im Laufe seiner Karriere bewältigen musste und zieht seine Lehren aus diesen Erfahrungen. Eine seiner Kernbotschaften lautet: Auf die kleinen Dinge im Leben kommt es an. Nur wenn wir unser Bestes geben, um die vielen kleinen Aufgaben des Alltags zu bewältigen, entwickeln wir das nötige Selbstvertrauen, um auch den großen Herausforderungen des Lebens zu begegnen.
Eine weitere Erkenntnis: Das Leben ist unfair. Entscheidend ist aber nicht, wie viel Glück oder Pech wir haben, sondern eher im Gegenteil: Entscheidend ist, wie wir mit der Ungerechtigkeit des Lebens umgehen. Lassen wir uns von Rückschlägen entmutigen oder richten wir, nach dem Motto „Jetzt erst recht“, den Blick in die Zukunft?
Besondere Bedeutung sieht McRaven zudem in zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Anforderungen des Lebens lassen sich kaum als „Einzelkämpfer“ bewältigen; schon gar nicht jene des Soldatenlebens. Erfolg resultiert aus Teamwork. Das bemerken wir spätestens in den tragischen Momenten des Lebens, wenn wir auf die Unterstützung anderer Menschen angewiesen sind.
Diese Erkenntnisse stammen aus den persönlichen und damit subjektiven Erfahrungen eines hochrangigen Elitesoldaten. Aber lassen sie sich auch verallgemeinern? Psychologische Studien zeigen, dass disziplinierte Menschen gesünder leben, persönliche Ziele häufiger erreichen und dadurch zufriedener mit Ihrem Leben sind. Disziplin ist trainierbar wie ein Muskel: Je mehr Selbstkontrolle wir im Alltag zeigen, desto besser gelingt es uns.
Des Weiteren neigen wir mitunter dazu, Lebensereignisse dem Schicksal zuzuschreiben. Oder wir machen Andere für das verantwortlich, was uns im Leben widerfährt. Wer aber die Bedeutung des eigenen Verhaltens erkennt, schwierige Situationen als Herausforderung versteht und entschlossen ist, seinen Beitrag zur Bewältigung dieser Situation zu leisten, ist stressresistenter und erholt sich schneller nach Erkrankungen.
Darüber hinaus hat soziale Unterstützung einen nachgewiesenen Einfluss auf die Bewältigung von belastenden Lebensereignissen. Menschen, die über ein gutes „soziales Netz“ verfügen, seien es Angehörige, Freunde oder Kameraden, kommen besser mit den Herausforderungen des Lebens zurecht. Dabei kommt es jedoch nicht so sehr auf die Anzahl der vertrauten Menschen (und schon gar nicht auf jene der Facebook-Freunde) an, sondern darauf, „bereichernde Beziehungen“ zu pflegen und sich gegenseitig zu unterstützen.
Aus der Organisationsforschung ist außerdem bekannt, dass Betriebsklima und Führungskultur großen Einfluss auf Leistung und Gesundheit der Mitarbeiter haben. Organisationen, in denen ein vertrauensvolles und kooperatives Klima herrscht, sind leistungsfähiger und gesünder als Organisationen, deren Kultur durch Angst, Misstrauen und Kontrolle geprägt ist.
Wie steht es nun um die Belastbarkeit im ÖBH? Das Zentrum für menschenorientierte Führung und Wehrpolitik erhebt im Zuge von Befragungen regelmäßig die „innere und soziale Lage“ im ÖBH. Im Allgemeinen zeigt sich dabei, dass wir ausgezeichnete Teamplayer sind und sowohl Kameraden als auch Vorgesetzten hohes Vertrauen entgegenbringen. Viele Mitarbeiter vermissen jedoch rechtzeitige Informationen über wichtige Entwicklungen im Ressort sowie Feedback und Anerkennung im täglichen Dienstbetrieb. Und wir tendieren manchmal dazu, Verantwortung für unsere Arbeitsumstände „den Anderen“ zuzuschreiben.
Können wir unsere Belastbarkeit verbessern? Auf jeden Fall. Dies ist zunächst eine individuelle Angelegenheit. Jeder kann im Alltag Disziplin trainieren, Kameradschaft und Kollegialität leben, Verantwortung für die eigenen Lebens- und Arbeitsumstände übernehmen und sein Bestes zu deren Verbesserung beitragen.
Belastbarkeit ist aber auch eine Angelegenheit der gesamten Organisation und damit eine Führungsaufgabe. Führungskräfte können ihren Mitarbeitern Feedback geben, persönliche Anerkennung für erbrachte Leistungen zeigen und sich für ein Klima des Vertrauens und der offenen Kommunikation einsetzen. Wer glaubt, dies sei Ausdruck einer „Verweichlichung“, liegt falsch. Misstrauen schwächt uns. Vertrauen macht uns stärker. Und zu guter Letzt: Machen Sie Ihr Bett! Falls Sie das sowieso schon tun (wovon ich ausgehe): Machen Sie es ab jetzt in der Gewissheit, mit jedem Mal Ihre Belastbarkeit zu stärken.
Oberrat Mag. Wolfgang Prinz ist Militärpsychologe an der Landesverteidigungsakademie.