• Veröffentlichungsdatum : 20.10.2016
  • – Letztes Update : 15.11.2016

  • 7 Min -
  • 1467 Wörter

Spielfeld, November 2015

Gerold Keusch

Der Strom der Flüchtlinge an der österreichischen Grenze zu Slowenien reißt nicht ab. Der „Hot Spot“ ist der Grenzübergang Spielfeld, den an diesem Tag 6.000 Personen passieren. Es ist keine gewöhnliche Situation, die das Bundesheer, die Polizei und zivile Organisation vor Ort zu bewältigen haben.

Themenschwerpunkt Migration

Nebel, Nacht und die Stille tausender Menschen. So zeigt sich der Grenzübergang in Spielfeld am Sonntag, dem 15. November, um 2100 Uhr. An der südlichen Staatsgrenze von Österreich zu Slowenien befinden sich seit mehreren Wochen tausende Flüchtlinge. Die meisten von ihnen kommen aus Syrien und Afghanistan, es sind aber auch Personen mit einer anderen Staatsangehörigkeit unter ihnen. Sie warten vor dem „Trichter“, der für sie das Tor nach Mitteleuropa ist. Einige werden in Österreich einen Asylantrag stellen, für die Masse ist Spielfeld nur eine Station auf ihrer Reise in eine bessere Zukunft.

Der Grenzübergang

Auf dem Feld neben dem Trichter an der Staatsgrenze brennen dutzende Lagerfeuer. Flüchtlinge sitzen oder schlafen daneben. Der Rauch der Feuer liegt in der Luft und bildet eine graue Nebeldecke. Der Ort wirkt surreal und gespenstisch. Das ist kein Bild von Österreich, wie wir es kennen. Es unterstreicht, dass die Situation keine alltägliche ist. Sonst wären hier auch nicht die Soldaten des Österreichischen Bundesheeres, die Polizei und andere Organisationen eingesetzt.

Die Flüchtlinge, die seit Stunden an der Grenze warten sind ruhig, wirken jedoch angespannt. Die Soldaten, die am Trichter stehen, beobachten die Menschen auf der anderen Seite. Sie stehen gelassen und konzentriert und vermitteln den Eindruck, die Situation im Griff zu haben. Die Ordnung und Struktur, die den gesamten Bereich durchzieht, wird in ihrem Auftreten spürbar.

Funksprüche werden durchgegeben. Ein Vorgesetzter gibt den Soldaten vor Ort das Zeichen, die Grenze für etwa 50 Personen zu öffnen. Die Gitter werden zur Seite geschoben. Männer mit ihren Frauen und Kindern gehen an den Soldaten vorbei. Manche sind noch Säuglinge, die von ihrer Mutter getragen werden. Auch alte Menschen und Gruppen von Männern passieren den Übergang. Sie lächeln, nicken, manche zeigen das „Peace-Zeichen“.

Die Soldaten vor Ort beobachten das Geschehen und weisen den Flüchtlingen den Weg zur nächsten Station. Bevor sie diese Erreichen befinden sich die Menschen in einer Wartezone. Diese ist als schlangenförmiger Gang organisiert und mit Gittern begrenzt. So wird sichergestellt, dass die Bewegungen geordnet ablaufen. Die Menschen sehen von dort den Platz und das Zeltlager. Sie können sich orientieren und die nächsten Stationen erahnen.

Die erste Station

Die erste Station in Österreich ist die Versorgungsstation. Dort erhalten die Menschen vom Team Österreich und dem Roten Kreuz Essen und Getränke. Neben Nahrungsmitteln werden dort auch Hygieneartikel, wie Babywindeln oder Damenbinden, ausgegeben. Hinter diesem Bereich befindet sich die Sanitäts-Station. Hier sind Betten vorbereitet und Sanitätspersonal bereitgestellt, um im Bedarfsfall die Menschen zu versorgen.

Blick ins Innere

Zur Bewältigung der Situation sind neben dem Bundesheer und der Polizei zivile Organisationen vor Ort. Das bedeutet, dass gemeinsam und/oder nebeneinander gearbeitet wird. Somit erhält jede Organisation einen Einblick in die Tätigkeit der anderen. Im Team Österreich beispielsweise kann praktisch jeder mitarbeiten. Somit hat auch jeder die Möglichkeit in das „Innere“ von Militär und Polizei zu blicken.

Für die meisten Menschen ist es praktisch unmöglich dem staatlichen Sicherheitsapparat über die Schulter zu blicken. Hier geht das, noch dazu bei einem sensiblen Einsatz. Nicht jeder wird die Struktur und Organisation des Einsatzes erkennen, aber es wird sichtbar wie sich Sicherheitskräfte verhalten, um die Situation zu bewältigen. Personen unterschiedlicher Organisationen, mit unterschiedlichen Hintergründen, die sonst kaum Anknüpfungspunkte haben, lernen sich kennen. Dadurch werden Schranken und Vorurteile abgebaut. Die Motivationen der Personen, die am Grenzübergang helfen, mögen unterschiedlich sein, ihre Tätigkeit und die gemeinsame Aufgabe verbinden sie jedoch. Das „Hineinschnuppern“ in andere Organisation trägt dazu bei, die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber dem Sicherheitsapparat des Staates zu erhöhen.

Der erste Wartebereich

Nach der Versorgung mit Lebensmitteln werden die Menschen in Zelte geführt. Dort ist der erste Wartebereich. Die Zelte haben einen Holzboden und sind beheizt. In der Mitte ist ein etwa fünf Meter breiter Gang. Links und rechts davon sind Bereiche für etwa 50 Personen. Diese sind mit hüfthohen Gittern abgegrenzt. In dieserZone warten die Menschen auf die nächste Station. Sie nutzen die Zeit, um zu essen, zu schlafen oder sich zu unterhalten und mit ihren Kindern zu spielen. Die Flüchtlinge wirken ruhig und besonnen. 

 

Zurückhaltende Präsenz

Damit diese Ruhe anhält, befinden sich Polizisten und Soldaten in allen Bereichen des Grenzüberganges. Sie beobachten die Menschen, leiten sie durch die Sammelstelle und helfen ihnen, sich zurechtzufinden. Sie beruhigen Frauen und Kinder, weisen aber auch Gruppen von Männern zurecht, die unruhig werden. Zwischen einigen Männern kommt es zum Streit. Die Soldaten schreiten ein und weisen die Streitenden mit ruhigen, aber strengen Worten zurecht. Danach gehen sie wieder zur Seite und beobachten die Situation aus der Entfernung. Sollte sich der Streit wiederholen, wären sie wieder rasch zur Stelle.

Die überwiegende Anzahl der Personen verhält sich ruhig. Angesichts der vielen Menschen, die aus unterschiedlichen Ländern kommen und sich auf engem Raum befinden, gibt es kaum Probleme. Das hängt mit der Präsenz von Bundesheer und Polizei zusammen und der Art, wie sie ihren Dienst versehen. Das konzentrierte, ruhige und entschlossene Auftreten der Sicherheitskräfte vermittelt den Hilfesuchenden ein klares Bild: Die Situation ist unter Kontrolle.

Jeder, der hierher kommt, wird korrekt behandelt. Die Bedürfnisse der Flüchtlinge werden ernst genommen, und sie werden unterstützt, so gut es geht. Sollte sich jedoch jemand nicht korrekt verhalten, andere Menschen in der Sammelstelle belästigen oder handgreiflich werden, greifen die Soldaten oder Polizisten jedoch ein. Das erfolgt situationsangepasst - meistens reichen ein paar klärende Worte. Ist das zu wenig, werden die Unruhestifter von den anderen Personen getrennt. Je nach Situation machen das die Soldaten vor Ort oder die Militärstreife schreitet ein.

Die Militärstreife befindet sich einerseits beim Trichter und andererseits in Bereitschaft neben dem Zeltlager. Sie unterscheidet sich von den anderen Soldaten durch ihre Adjustierung, aber auch durch ihr Auftreten. Die Militärstreife fungiert im Bereich des Grenzüberganges als „präsente Reserve“. Sie ist dann zur Stelle, wenn sich die Stimmung aufheizt oder ein Streit geschlichtet werden muss.

Kaderpersonal im Einsatz

Die Soldaten, die sich 2015 im Assistenzeinsatz befinden, sind Berufssoldaten. Sie unterscheiden sich von den Grundwehrdienern aufgrund des Dienst- und Lebensalters und der Tatsache, dass sie freiwillig beim Militär sind. Darüber hinaus werden Berufssoldaten im Zuge ihrer Auswahl bzw. Ausbildung einer umfassenden psychologischen Testung unterzogen. Diese ist wesentlich umfangreicher, als jene bei der Stellung eines Wehrpflichtigen und stellt ein K.O.-Kriterium dar.

Dass Soldaten ruhig und professionell ihren Dienst an der Grenze erfüllen und sozial kompetent agieren, ist kein Zufall. Es ist das Produkt jahrelanger Erfahrung im System Bundesheer und von zahlreichen Einsätzen und Ausbildungen. Berufssoldaten werden ausgebildet und bilden aus, führen und werden geführt. Sie verfügen dadurch über umfangreiches (Fach-)Wissen und Erfahrung und daraus resultierend ein hohes Maß an sozialer Kompetenz. Diese ist aufgrund der Auslandseinsätze, die Berufssoldaten zu absolvieren haben, um die Ebene der interkulturellen Kompetenz erweitert. Der Kontakt mit fremden Kulturen und Menschen aus verschiedenen Konfliktregionen ist ihnen bekannt. Da die Soldaten selbst in Krisengebieten eingesetzt waren, kennen sie das Schicksal der Flüchtlinge und ihre Lebensumstände.

Das ruhige und sichere Verhalten der Soldaten ist ebenfalls ein Ausdruck ihrer Durchhaltefähigkeit. Diese wird sowohl im physischen als auch im psychischen Bereich, ab dem ersten Tag in der Armee, trainiert. Sie ist das Ergebnis von Übungen im Feld, körperlichen Training, einer fordernden Ausbildung bis an die persönliche Belastungsgrenze und einer jahrelangen Erfahrung.

Der zweite Wartebereich

Der Wartebereich am Grenzübergang ist in zwei Bereiche geteilt. Ein Bereich ist der oben beschriebene Raum, der andere befindet sich beim Ausgang der Sammelstelle. Dieser ist die letzte Station bevor die Flüchtlinge mit Bussen an andere Orte gebracht werden. Die Zone besteht aus einem Zelt, das jedoch größer als die anderen ist. Darin befinden sich abgetrennte Bereiche für etwa 50 Personen - genau so viele haben in einem Bus Platz.

Sobald ein Bus ankommt, werden die Flüchtlinge, die sich im ersten Bereich aufhalten, hinausgeleitet und nehmen darin Platz. Danach rücken die Personen vom zweiten in den ersten Bereich nach usw. Dadurch ist gewährleistet, dass jeder im Warteraum weiß, wann er an der Reihe ist. Für die Ruhe vor Ort ist das entscheidend. Kurz gesagt: Es muss immer eine Bewegung in Richtung Ausgang erkennbar sein. Die Flüchtlinge müssen immer sehen, dass sie aus dem Grenzbereich kommen und ihre Reise weitergeht, dann bleiben sie ruhig und die Situation entspannt. Die Busse transportieren die Menschen in ein Erstaufnahmezentrum, eine andere Sammelstelle oder direkt an die deutsche Grenze. Für die meisten Flüchtlinge ist Deutschland das Wunschziel.

Fazit

Im Sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsatz verknüpfen sich die Kompetenzen und Erfahrungen der Soldaten, welche eine zielorientierte Einsatzführung gewährleisten. Hier machen sich die Investitionen in die Armee als strategische Reserve des Staates bezahlt. Die Aufgabe des Österreichischen Bundesheeres an der Staatsgrenze ist keine grundsätzlich militärische. Sie kann aber in dieser Dimension und Qualität von niemand anderen wahrgenommen werden.

Offiziersstellvertreter Gerold Keusch ist Redakteur bei TRUPPENDIENST.

 

Ihre Meinung

Meinungen (0)