• Veröffentlichungsdatum : 04.03.2025
  • – Letztes Update : 17.04.2025

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  • 703 Wörter

Präzision, Ruhe und Verantwortung

Johannes Mössler

Die Welt der Kampfmittelbeseitiger ist eine, die nur wenige wirklich verstehen. Oft wird sie mit Gefahr und technischer Präzision in Verbindung gebracht. Aber sie ist weit mehr als das. Dieser Beruf vereint die ruhige Entschlossenheit eines Bergführers und die chirurgische Präzision eines Arztes. Beide Metaphern helfen, die tiefe Philosophie und das Verständnis für die Gefährlichkeit und Komplexität dieser Tätigkeit zu verdeutlichen.

Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Chirurg, der einen lebensrettenden Eingriff vornimmt. Jeder Schnitt, jede Bewegung und jede Entscheidung müssen sorgfältig durchdacht sein. So ähnlich verhält es sich mit der Arbeit eines Kampfmittelbeseitigers. Wenn ich einem explosiven Kampfmittel gegenüberstehe, sei es eine Mine, eine blindgegangene Munition oder ein improvisierter Sprengkörper, begegne ich einem Rätsel, das es zu lösen gilt. Jede dieser gefährlichen Vorrichtungen birgt eine Geschichte, eine spezifische Konstruktion und einen Mechanismus, den ich verstehen muss, bevor ich ihn sicher entschärfen kann.

In diesem Beruf folgen wir strengen Vorschriften und Protokollen, ähnlich den detaillierten Anweisungen eines medizinischen Handbuches. Diese Vorschriften sind nicht nur starre Regeln; sie sind Ausdruck einer tiefen Verantwortung, die Kampfmittelbeseitiger gegenüber der Gesellschaft tragen. Diese Arbeit schützt Leben, verhindert Katastrophen und ermöglicht es Menschen, sicher in ihrer Umgebung zu leben und zu arbeiten. Jede Entscheidung, die ich treffe, hat potenziell lebensrettende oder -gefährdende Konsequenzen. Genau wie ein Chirurg, der die Anatomie eines Menschen bis ins Detail kennt, muss ich die Struktur und Funktionsweise jeder Bombe, jeder Mine verstehen. Die geringste Unachtsamkeit kann fatale Folgen haben, weshalb mein Beruf eine präzise und durchdachte Herangehensweise erfordert.

Neben dieser chirurgischen Präzision ist es die Ruhe und Besonnenheit eines Bergführers, die meine Arbeit charakterisiert. Ein Bergführer, der einen Gipfel erklimmt, vertraut auf seine Erfahrung, seine Kenntnisse über das Terrain und seine Fähigkeit, unter Druck klare Entscheidungen zu treffen. Diese Qualitäten sind auch in der Kampfmittelbeseitigung unerlässlich. In dieser Arbeit gibt es keinen Platz für Hektik oder impulsive Entscheidungen. Kampfmittelbeseitiger arbeiten methodisch und in einem rhythmischen Ablauf, der Gefahr Schritt für Schritt entschärft. In diesem Beruf gibt es oft keine zweite Chance – jede Bewegung muss mit Bedacht und Vorsicht ausgeführt werden, ähnlich wie der Bergführer, der jeden Tritt auf unsicherem Terrain sorgfältig plant.

Der Druck in meinem Beruf kann enorm sein. Die ständige Gefahr im Hinterkopf, die Verantwortung für das Leben anderer – all das erfordert eine besondere innere Haltung. Ruhe, Geduld und die Fähigkeit, in extremen Situationen einen klaren Kopf zu bewahren, sind nicht nur nützliche Eigenschaften, sondern unverzichtbare Lebensretter. Die Arbeit eines Kampfmittelbeseitigers ist mehr als nur ein technisches Handwerk. Sie erfordert eine tiefe innere Überzeugung und eine ethische Verpflichtung, die Sicherheit anderer über alles zu stellen. Wenn ein Gebiet von Kampfmitteln befreit wird, schaffen wir nicht nur Sicherheit. Jeder entschärfte Sprengkörper, jedes geräumte Gebiet ist ein Beitrag zu einer sicheren Zukunft. Damit ermöglichen wir es Menschen, in diesem Gebiet wieder zu leben, zu arbeiten oder zu spielen. Dieses Wiederherstellen von Sicherheit und Normalität in der Gesellschaft verleiht dieser Arbeit einen tiefen Sinn.

Jedes Mal, wenn ein Kampfmittel erfolgreich entschärft wird, schaffen Kampfmittelbeseitiger die Grundlage für ein neues Kapitel im Leben der betroffenen Gemeinschaft. Dieser Gedanke – durch meine Arbeit das Leben anderer zu verbessern – treibt mich an. Als Ausbilder und Trainer trage ich die Verantwortung, diese Philosophie und dieses Mindset an die nächste Generation weiterzugeben. Es reicht nicht aus, angehenden Kampfmittelbeseitigern, die technischen Fertigkeiten beizubringen; sie müssen auch die innere Haltung verstehen und verinnerlichen, die in diesem Beruf entscheidend ist. Sicherheit und Aufmerksamkeit sind keine Optionen, sie sind Notwendigkeiten.

Am Ende des Tages ist die Kampfmittelbeseitigung mehr als nur ein Beruf – sie ist eine Berufung, die Hingabe, das ständige Streben nach Perfektion mit einer großen Verantwortung für die Sicherheit von Menschen. So wie ein Chirurg unermüdlich daran arbeitet, seine Kunst zu perfektionieren, und ein Bergführer stets bemüht ist, sicher den Gipfel zu erreichen, setzen Kampfmittelbeseitiger jeden Tag alles daran, jene Gefahren zu entschärfen, denen sie gegenüberstehen. Kurz zusammengefasst: Die Kunst der Kampfmittelbeseitigung ist eine Tätigkeit, die Präzision, Ruhe und Verantwortung in den Mittelpunkt stellt – eine Kunst, die weit über das Technische hinausgeht und das Leben anderer nachhaltig beeinflusst.

Major Ing. Mag.(FH) Johannes Mössler; Kommandant Lehrgruppe & Hauptlehroffizier Kampfmittelbeseitigung an der Heereslogistikschule  
 


Dieser Artikel erschien im TRUPPENDIENST 1/2025 (402).

Zur Ausgabe 1/2025 (402)


 

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