• Veröffentlichungsdatum : 24.08.2023
  • – Letztes Update : 04.06.2024

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PerspektivenReich: Autarke Rüstung und Verteidigung

Katharina Reich

Österreichs Neutralität wird in der Öffentlichkeit mitunter als Hindernis für eine eigene Waffenproduktion wahrgenommen, dennoch werden Gewinne mit der Produktion und dem Export von Rüstungsgütern erzielt. Der Staat ist trotz seiner Neutralität dazu verpflichtet den anderen EU-Staaten beizustehen. Das beinhaltet auch die Zusammenarbeit bei der Entwicklung und Produktion von Waffensystemen.

Im Jahr 2022 exportierte Österreich Rüstungsgüter im Wert von 14 Millionen TIVs* (Anm.: Der Trend Indicator Value [TIV] des Stockholm International Peace Research Institutes [SIPRI] basiert auf  Einheitsproduktionskosten von Waffen und den Transfer militärischer Ressourcen und nicht deren finanziellen Wert. Das ist vor allem für Waffen, deren Herstellungskosten nicht bekannt sind bedeutend, die mit ähnlichen Waffen verglichen werden.). In den letzten zehn Jahren war Australien das wichtigste Empfängerland österreichischer Rüstungsgüter, gefolgt von Spanien, Kuwait und Lettland vor Portugal und Tschechien. Nennenswerte Abnehmer waren auch Großbritannien, Thailand, Saudi-Arabien und Venezuela. Noch im Jahr 2017 ging der Löwenanteil der Rüstungsexporte (knapp ein Drittel mit einem Volumen von 1,9 Mrd. Euro) an die USA. Besonders Glock ist nach wie vor stark am US-Markt vertreten und beliefert neben dem Militär, das FBI sowie Polizei- und Grenzsicherungsbehörden.

Die Rüstungsindustrie in Österreich ist im europäischen Vergleich eine kleine, mit 17 ausschließlich in diesem Sektor agierenden Unternehmen und geschätzten 2.000 Mitarbeitern. Die, gemessen am Umsatz, größten europäischen Unternehmen im Rüstungsbereich waren im Jahr 2021 BAE Systems (Großbritannien; 26 Mrd. US-Dollar) gefolgt von Leonardo (Italien; 13,9 Mrd. US-Dollar) und Airbus (diverse europäische Staaten; 10,9 Mrd. US-Dollar). Danach folgen mit Thales (9,8 Mrd. US-Dollar) Dassault (6,3 Mrd. US-Dollar) und Safran (5,1 Mrd. US-Dollar) drei französische Unternehmen. Kein österreichischer Betrieb scheint seit 2007 in den Untersuchungen des Stockholm International Peace Research Institut (SIPRI) unter den Top 100 der internationalen Rüstungsfirmen auf.

Die nur etwa 1.800 km entfernte Front des Ukraine-Krieges zeigt, dass eine kleine Rüstungsindustrie ein strategischer Nachteil ist, auch für einen neutralen Staat wie Österreich. Schließlich ist man stark auf Importe von Waffen, Munition und anderen Gütern angewiesen, da der Eigenbedarf nicht einmal annähernd produziert werden kann. Diese Situation wird durch geringe Lagerbestände zusätzlich verschärft. Eines ist klar: Wenn Staaten für die eigene Verteidigung auf andere Staaten angewiesen sind, sind sie in einer ungünstigen Position – im Fall eines Konfliktes oder Krieges mitunter in einer fatalen.

Das war nicht immer so. Als neutraler Kleinstaat im Kalten Krieg zwischen den Blockkräften NATO und Warschauer Pakt, war der erforderliche Bedarf des Österreichischen Bundesheeres mit Rüstungsgütern in wesentlichen Bereichen durch Eigenproduktion gesichert. Lediglich bei komplexen Waffensystemen wie Kampfpanzern, Flugzeugen, Informationstechnologie etc. war man auf Importe angewiesen. Das ist insofern verständlich, da komplexe Systemen nicht von einem kleinen Staat bzw. dessen Betrieben alleine hergestellt werden können. Nicht nur die Produktion selbst, sondern auch die notwendige Forschung und Entwicklung erfordern staatsübergreifende Initiativen, wie sie selbst große Staaten wie Deutschland oder Frankreich aktuell verfolgen.

Seit den 1960er-Jahren gab es einen Zusammenschluss zwischen dem Österreichischen Bundesheer und den, damals verstaatlichten, heimischen Rüstungsunternehmen. Gemeinsam wurden unter anderem Schützen-, Jagd- und Bergepanzer produziert. Bekannte Produkte waren auch der geländegängige Pinzgauer oder die LKW-Transportflotte von Steyr. Das Sturmgewehr 77 entstammt ebenfalls dieser Epoche, genauso wie Maschinengewehre, Granatwerfer oder diverse Munitionssorten. All diese Güter – und noch einige mehr – wurden damals, teilweise in Lizenz, in Österreich produziert.

Ab den 1980er-Jahren erschütterte eine Reihe von Skandalen, wie der Noricum-Skandal, die heimische Rüstungsindustrie und die Politik gleichermaßen. Die damalige Rolle der Politik offenbarte die immer unbequemere Ambivalenz als Unternehmenseigentümer und politischer Verantwortungsträger gleichermaßen. Die Aufgabe, die Rüstungsbetriebe erfolgreich zu managen, umstrittene Exporte zu bewilligen und dennoch im Sinne der Gesetze und der Bevölkerung zu agieren, war kaum durchführbar. Die Lösung dieses politischen Konfliktes, vor dem Hintergrund des Endes des Kalten Krieges, war einfach, nachhaltig, aber nicht unbedingt positiv: Österreichische Konzerne, die Rüstungsgüter produzierten, wurden zerschlagen bzw. privatisiert und ganze Produktionszweige, wie die Herstellung von Kanonen, stillgelegt. Damit ging auch das Know-how für viele komplexe Bereiche verloren. Das Resultat beschrieb das Nachrichtenmagazin „Profil“ im Jahr 2004 wie folgt: „Österreichs Rüstungsindustrie steht vor dem Aus. Zählten Rüstungsbetriebe wie Noricum, Hirtenberger, Assmann und Dynamit Nobel in den 80-er Jahren noch 15.000 Beschäftigte, so finden heute in dieser Branche gerade mal ein paar hundert Personen Arbeit“.

Parallel dazu gab es eine Phase der Demilitarisierung, bei der das Verteidigungsbudget laufend nach unten nivelliert und das Bundesheer schrittweise verkleinert wurde. 2015 bezweifelte sogar der Generalstab die militärische Handlungsunfähigkeit öffentlich. Die Folge war die Entwicklung von Beschaffungspaketen zur Neuaufstellung bzw. Neuausrichtung des Österreichischen Bundesheeres. Unter anderem sollten Fahrzeuge oder moderne Aufklärungsmittel angeschafft werden und eine leistungsfähige Cyberabwehr entstehen. Die schlechte Nachricht war, dass die notwendigen heimischen Unternehmen teilweise fehlten und die notwendigen Budgetmittel nicht oder nur unzureichend vorhanden waren. Die gute Nachricht war jedoch, dass mittlerweile ein Cluster von innovativen heimischen Unternehmen im High-Tech-Bereich der Sicherheits- und Verteidigungswirtschaft entstanden war. Diese könnte den aktuellen Investitionsbedarf zwischen 50 Prozent (Domäne Luft) und 90 Prozent (Mannesausrüstung) decken, so die Wirtschaftskammer.

Durch den Ukrainekrieg alarmiert, ist ein entsprechender Aufbau der Fähigkeiten des Österreichischen Bundesheeres dringend erforderlich und mittlerweile sowohl politisch als auch gesellschaftlich akzeptiert. Um dies zu gewährleisten, sind neben der Rüstungsproduktion im Inland auch Beschaffungen am internationalen Rüstungsmarkt und entsprechende Forschungsprojekte notwendig. Dazu wurde vom Bundesministerium für Landesverteidigung der „Aufbauplan 2032“ präsentiert.

Eine Maxime gilt für neutrale Staaten: Jeder Staat muss seine Grenzen schützen und verteidigen können. Nur so kann er allen darin lebenden Bürgern Sicherheit gewähren. Um dies zu können, benötigt er eine zeitgemäße, verteidigungs- und handlungsfähige Streitmacht – für den Luftraum und das Staatsgebiet.

Mag. Katharina Reich lehrt zu sicherheitsrelevanten Infrastrukturen, Ökonomie und komplexem Denken an diversen Universitäten und Fachhochschulen.

 

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