Erinnerung an Königgrätz - Teil 1
In Österreich steht die Zeit des Nationalsozialismus im geschichtlichen Fokus und im Mittelpunkt der Erinnerungskultur. Um diese Zeit besser zu verstehen, ist es jedoch notwendig, den Preußisch-Österreichischen Konflikt des 19. Jahrhunderts zu betrachten. Darin liegt auch der Ursprung für das ambivalente Verhältnis zwischen Österreich und Deutschland.
Teil 1 - Orte der Erinnerung
Der Krieg von 1866 war neben seiner politischen Bedeutung ein militärisches Ereignis, das die strategischen und taktischen sowie die waffentechnischen Entwicklungen revolutionierte. Ungeachtet der lückenhaften Erinnerungskultur existieren 150 Jahre nach Königgrätz noch immer zahlreiche Orte, an denen der damalige Waffengang bis zum heutigen Tag sichtbar ist. Orte, die man Tag für Tag sieht, von denen man aber wenig oder gar nichts weiß.
Der Beitrag geht der Frage nach, welche Orte der Erinnerung heute noch existieren und wie diese in Österreich, Deutschland oder in Tschechien wahrgenommen werden. Die Untersuchungsobjekte sind einerseits ausgewählte Orte aus den beiden Hauptstädten der ehemaligen Großreiche, Wien und Berlin, andererseits der Bezirk Hradec Králové in Tschechien, wo sich der Krieg abspielte.
Erinnerung in Österreich
Die Schlacht von Königgrätz ist im 21. Jahrhundert kein Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses der österreichischen Gesellschaft. Die Ursachen für die fehlende Erinnerung liegen zum Teil im Schulsystem, auch in einer fehlenden medialen Aufarbeitung. Etwa ab den späten 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die Geschehnisse von 1866 nach und nach ausgeblendet, und die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg standen im Fokus. So rückten historische Ereignisse wie die stürmischen Jahre der Ersten Republik, der Anschluss von 1938 oder der Staatsvertrag 1955 verstärkt in den Vordergrund.
Das Ergebnis ist, dass die breite Öffentlichkeit kaum etwas mit dem Schicksalsjahr 1866 anfangen kann. Demnach ist es nicht verwunderlich, dass Königgrätz immer mehr an den Rand der österreichischen Geschichte gedrängt wird. Darüber hinaus besteht bei Historikern nur eine geringe Bereitschaft, den Preußisch-Österreichischen Krieg vollständig aufzuarbeiten. Auf staatlicher Ebene scheint im 21. Jahrhundert nur das Heeresgeschichtliche Museum in Wien mit seiner umfangreichen Sammlung die Erinnerung wach zu halten.
Erinnerung in Deutschland
Der Stellenwert von 1866 befindet sich im Gedächtnis der Deutschen eine Stufe unter jener Österreichs. Aus deutscher Sicht ist der Preußisch-Österreichische Krieg eine überaus komplexe Angelegenheit. Zunächst sind hier Deutungsprobleme zu nennen. In der Bundesrepublik wird als Ort der Entscheidungsschlacht neben Königgrätz auch Sadowa benannt, was zur Verwirrung beiträgt. Darüber hinaus geschieht die Wahrnehmung von 1866 anders als im ehemaligen Habsburgerreich. An dem Konflikt nahm nämlich neben Preußen und Österreich auch der Großteil des sogenannten Deutschen Bundes teil. Der Kampf der Deutschen gegen die Deutschen wird dadurch stark romantisiert, so dass häufig der Begriff „Bruderkrieg“ auftaucht.
Den entscheidenden Punkt bildet der historische Kontext. Der Preußisch-Österreichische Krieg war der zweite bewaffnete Konflikt der Einigungskriege, die letztendlich zur Gründung des Deutschen Reiches führten. Nach den Kriegen gegen Dänemark und Österreich ermöglichte jedoch erst der preußisch-deutsche Sieg gegen Frankreich im Jahre 1870/71 die nationale Einigung. Das Datum der Reichsgründung genießt in Deutschland im Vergleich mit 1864 oder 1866 deshalb einen klaren Vorteil. Demnach liegt der Hauptfokus auf dem Preußisch-Französischen Krieg, Königgrätz spielt nur eine untergeordnete Rolle.
Exponate im Wiener HGM
Erinnerung in Tschechien
Als Nachfolgestaat der ehemaligen Donaumonarchie spielt Tschechien bis heute eine Sonderrolle in der Erinnerung an Königgrätz, da das Land 1866 von den Kämpfen direkt betroffen war. Daraus entwickelte sich vor allem in dem Bezirk Hradec Králové, dem Schauplatz der großen Schlachten, eine besondere Art der Erinnerung: Der Tourismus. Bereits zu Zeiten der Monarchie war die Region ein beliebtes Ziel von Urlaubern, die Natur und Militärgeschichte zu schätzen verstanden. Die ersten historischen Wanderrouten entstanden schon im 19. Jahrhundert und wurden seitdem laufend erweitert. Vereine zur Erhaltung der Kriegsdenkmäler wurden gegründet und eine „66er Identität“ entwickelt.
Im 21. Jahrhundert gelangte diese Tendenz zur Perfektion. Zum Andenken an die Schlacht von Königgrätz organisiert das zentrale Museum von 1866 in Chlum jährlich ein mehrtägiges Kriegsspiel. Daneben gibt es Ausstellungen, Tagungen und es werden Führungen für Schulgruppen angeboten. Wanderrouten und Radwege ergänzen die Möglichkeit, um vor Ort die Geschichte zu erkunden. Der tschechische Staat investiert intensiv und bewusst in den Erhalt einer Erinnerung an das Kriegsjahr 1866. Deshalb bildet die Republik Tschechien das eigentliche Rückgrat der Erinnerungskultur.
Straßen, Gassen und Plätze
Viele Verkehrswege und freie Flächen der ehemaligen Reichshauptstädte Wien und Berlin erinnern bis zum heutigen Tag an den blutigen Sommer von 1866. Es handelt sich hierbei in erster Linie um Straßen beziehungsweise Gassen, seltener um öffentliche Plätze. Charakteristisch für diese Erinnerungsorte ist der indirekte Kontakt zum historischen Ereignis, womit auch die Wahrnehmung des geschichtlichen Stellenwertes durch die breite Öffentlichkeit schwer nachvollziehbar ist. Das heißt, der jeweilige Ort weist keine unmittelbare Verbindung zum Ereignis auf. Die Benennung erfolgte zumeist aus Prestigegründen.
Den Namen einer glorreichen Schlacht oder eines fähigen und tüchtigen Generals im Zentrum des Reiches für die Nachwelt zu verewigen, war und ist auf der ganzen Welt üblich. Ein typisches Merkmal dabei ist die Heroisierung. Kein Verkehrsweg trägt den Namen von unglücklichen Feldherren oder verlorenen Gefechten. Im Mittelpunkt der Straßen- und Gassennamen stehen positiv besetzte Eigenschaften: Stolz, Triumph und Tüchtigkeit. Diesen Prozess sollen die folgenden Beispiele aus den Hauptstädten Wien und Berlin verdeutlichen.
Wien
Die Donaumetropole bietet eine begrenzte Reihe von Untersuchungsobjekten aus der Zeit des Preußisch-Österreichischen Krieges. Begrenzt deshalb, weil die erfolgreichen Waffengänge der kaiserlichen Armee im Jahr 1866 limitiert waren.
Der Trautenauplatz im nordwestlichen Stadtteil Döbling im 19. Gemeindebezirk erinnert seit 1914 an den einzigen Sieg der Habsburgerarmee gegen die Preußen. Das österreichische X. Korps unter dem General Ludwig von Gablenz besiegte am 27. Juni 1866 in und um die böhmische Industriestadt Trautenau (heute Trutnov in Tschechien) das I. Korps der preußischen 2. Armee unter dem Kommando von Adolf von Bonin.
Eng mit der Schlacht hängt auch die Bezeichnung Gablenzgasse des 15. und 16. Wiener Gemeindebezirks zusammen. Diese wurde nach dem Befehlshaber des X. Korps, Ludwig von Gablenz, benannt. Dieser war vor dem Krieg 1866 als Held des Dänischen Krieges sowie als Statthalter von Holstein bekannt und galt als fähiger Offizier. Die Gasse selbst trägt seinen Namen seit 1894 und verläuft quer durch die Stadtteile Rudolfsheim-Fünfhaus und Ottakring.
Der Name Custozza steht in der österreichischen Militärgeschichte für zwei Siege. Sowohl 1848 als auch 1866 stand dieser Ort für den Erfolg über die Italiener. Die Custozzagasse im 3. Bezirk Landstraße verewigt seit dem 19. September 1866 diese Siege. Aus der Sicht von 1866 ist die zweite Schlacht von Custozza interessant. Am 24. Juni 1866 besiegte die österreichische Südarmee unter Erzherzog Albrecht die italienische Mincio-Armee auf einer breiten Front, wobei das Dorf Custozza die Schlüsselposition des Gegners bildete.
Die siegreiche Schlacht zeugt in diesem Fall vom Erfolg eines Offiziers, so wie beim „Paar“ Trautenau-Gablenz. Es handelt sich dabei um die Johnstraße, zugleich die Haltestelle der U-Bahn-Linie U3, aus den Wiener Bezirken Penzing (14.) und Rudolfsheim-Fünfhaus (15.). Sie steht seit 1894 für den Generalstabschef Franz John. Dieser galt als die rechte Hand von Erzherzog Albrecht und war nach ihm der zweite Mann in der Südarmee.
Die Lissagasse in der Landstraße (3. Bezirk) erzählt seit 1866 eine weitere erfolgreiche Episode des Krieges. Am 20. Juli 1866 traf die Kaiserliche Marine unter dem Admiral Wilhelm von Tegetthoff bei der Festungsinsel Lissa, heute Vis in Kroatien, auf die überlegene italienische Königliche Marine unter Carlo di Persano und besiegte sie. Es war die letzte Seeschlacht der Militärgeschichte, die durch Ramm-Taktik gewonnen wurde.
Berlin
Die Benennung von Verkehrswegen in der deutschen Bundeshauptstadt folgt im Großen und Ganzen der österreichischen Tendenz, allerdings mit einem quantitativen Unterschied: Die preußischen Siege im Krieg häuften sich mit jedem Tag. Dem einzigen kaiserlichen Erfolg bei Trautenau standen mehr als zehn preußische Siege entgegen. Dementsprechend groß ist auch die Anzahl der Orte in Berlin, die an den Feldzug von 1866 erinnern.
Die Skalitzer Straße im Stadtteil Kreuzberg gedenkt seit 1868 an den Sieg vom 28. Juni 1866 des V. Korps bei der böhmischen Stadt Skalitz, heute Ceská Skalice in Tschechien, gegen das österreichische VIII. Korps. Ein weiteres Beispiel aus Kreuzberg stellt die Gitschiner Straße dar. Diese verewigt seit 1868 den Sieg der preußischen 1. Armee bei der heutigen Stadt Jicín gegen die vereinten Kräfte der Österreicher und Sachsen am 29. Juni 1866.
Die Reihe der siegreichen Schlachten setzt sich in der Nachodstraße im Ortsteil Wilmersdorf und in der Soorstraße in Westend fort. Beide Straßen erhielten ihren Namen 1890, im Andenken an die Schlachten bei Nachod-Wysokow am 27. Juni und jener in Soor am 28. Juni 1866. Die Karlshorster Sadowastraße, die seit 1902 aufgrund der Entscheidungschlacht von Königgrätz/Sadowa am 3. Juli 1866 so heißt, vervollständigt diese Reihe. Ein von den bisher vorgestellten Beispielen abweichendes Muster kommt ebenfalls aus dem Berliner Stadtteil Karlshorst: die Trautenauer Straße. Sie erhielt ihren Namen 1907 und erinnert an die Schlacht bei Trautenau, welche die Preußen verloren hatten.
Ruhmreiche Gefechte setzen talentierte Generäle voraus, an die man sich gerne erinnert. Das ist in Berlin nicht anders, als in Wien. Der Sieger von Nachod und Skalitz, Karl Friedrich von Steinmetz, oder der Oberbefehlshaber der preußischen 1. Armee, Prinz Friedrich Karl, erhielten ein Andenken in Form einer Straßenbezeichnung. Es sind die Steinmetzstraße, benannt vor 1893 in Steglitz und die Friedrich-Karl-Straße in Reinickendorf, die seit 1898 so heißt.
Gabor Orban absolviert ein Master-Studium für Geschichte an der Universität Wien.