• Veröffentlichungsdatum : 21.07.2023
  • – Letztes Update : 26.07.2023

  • 8 Min -
  • 1680 Wörter
  • - 5 Bilder

FH für angewandte Militärwissenschaften

Gottfried Reiter

Die militärische Bildungslandschaft orientiert sich am Bologna-Prozess und passt sich an zivile Normen an. Aufgrund der Gesetzeslage war eine neue Bezeichnung für die Fachhochschule des Bundesheeres notwendig. Seit dem 16. Dezember 2022 wird der Name "Fachhochschule für angewandte Militärwissenschaften" (University of Applied Military Sciences) verwendet. 

Namensbegründung

Die Verwendung des Plurals „Militärwissenschaften“ macht deutlich, dass neben der „Militärwissenschaft“ im engeren Sinn (mit den Kernfächern Militärstrategie, Operation, Taktik, Militärische Führungslehre, Logistik) auch die „Militärwissenschaften“ (Militärgeschichte, -pädagogik, -soziologie, -medizin etc.) miteinbezogen sind. Die „Militärwissenschaft“ ist seit 2012 formell in der österreichischen Systematik der Wissenschaftszweige verankert.

Die gewählte Bezeichnung entspricht dem Status quo, gleichzeitig wird genügend Spielraum für zukünftige Entwicklungen gelassen. Nachdem kein eigener englischer Begriff für „Fachhochschule“ existiert, wurde der international für vergleichbare Bildungseinrichtungen verwendete Begriff „University“ gewählt. Die Anwendungsorientierung wird durch das Wort „Applied“ zum Ausdruck gebracht. 

Die Wahl dieser Bezeichnung und deren regelmäßige Verwendung (z. B. im jährlichen FH-Guide und im „Statistischen Taschenbuch – Hochschulen und Forschung“, insbesondere in der internen und externen Kommunikation) sollte für mehr Klarheit bezüglich der „militärischen Fachhochschule“ sorgen. Die Landesverteidigungsakademie (LVAk) und die Theresianische Militärakademie (TherMilAk) sind per se keine Fachhochschulen, viel mehr handelt es sich um ein spezifisches Konstrukt mit Akteuren des gesamten Ressorts. Die beiden Akademien sind, wie auch andere Teile des Ressorts, mit einzelnen Elementen Teil der Fachhochschule für angewandte Militärwissenschaften.

Entstehungsgeschichte und Einordnung 

Das österreichische Fachhochschul-Studiengesetz (FHStG) trat am 1. Oktober 1993 in Kraft. Die ersten Studiengänge starteten im Wintersemester 1994/95. Das BMLV bietet seit 1998 folgende FH-Studiengänge (FH-Stg) an:

  • 1998 bis 2003: FH-Studiengang;
  • 2003 bis 2011: FH-Diplomstudiengang;
  • 2008 bis dato: FH-Bachelorstudiengang Militärische Führung;
  • 2011 bis dato: FH-Masterstudiengang Militärische Führung;
  • seit Wintersemester 2022: FH-Bachelorstudiengang militärische informations- und kommunikationstechnologische Führung (Mil-IKTFü).

Das Bundesministerium für Landesverteidigung (BMLV) war 1998 der 16. Anbieter von FH-Studiengängen. Derzeit gibt es in Österreich 21 Fachhochschulen mit 501 Studiengängen an 45 Standorten. Die Fachhochschule für angewandte Militärwissenschaften ist im österreichischen Vergleich mit 272 Studierenden die kleinste. Die nächstgrößeren sind die Lauder Business School mit 374 Studierenden und die Ferdinand Porsche FernFH GmbH mit 956 Studierenden. Alle anderen Fachhochschulen weisen mehr als 1 000 Studierende auf. Die größte Fachhochschule ist die FH Campus Wien mit 7 118 Studierenden. Die Fachhochschule für angewandte Militärwissenschaften ist mit ihrem Geschäftsführer und ihrem Kollegiumsleiter (Rektor) im Vorstand der Österreichischen Fachhochschulkonferenz (FHK, gemeinsamer Verein der 21 Fachhochschulen) vertreten.
 

Organisation

Die Organisation der Fachhochschule für angewandte Militärwissenschaften unterscheidet sich durch die strukturelle Verankerung in der Bundeshoheit von allen anderen. Damit verbunden sind 

  • die Einbettung der fachhochschulischen Institution in die Linienstruktur des BMLV, 
  • die Finanzierung aus dem Verteidigungsbudget,
  • die curriculare Ausbildungszielsetzung im Sinne einer bedarfsorientierten Höherbildung (für das Österreichische Bundesheer) und 
  • der Status der Studierenden (in der Regel Militärpersonen mit Bezahlung).

Im Gegensatz zu den anderen 20 Fachhochschulen in Österreich, die als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder als Verein organisiert sind, wird die Fachhochschule für angewandte Militärwissenschaften durch die Republik Österreich erhalten. Oberster Erhaltervertreter ist der Bundesminister bzw. die Bundesministerin für Landesverteidigung, der/die sich bei der Erfüllung dieser Aufgaben der zuständigen Leiter (Zentralstelle des BMLV und Generaldirektion für Landesverteidigung) bedient.

Die Fachhochschule für angewandte Militärwissenschaften ist nicht mittels eines eigenen Organisationsplanes abgebildet, sondern besteht aus vielen Organisationselementen. Insbesondere handelt es sich dabei um solche der LVAk und der TherMilAk, der Waffen- und Fachschulen, der Zentralstelle BMLV sowie der Generaldirektion für Landesverteidigung, die – innerhalb ihrer Zuständigkeiten – auch für diese tätig werden. Durch die Einbettung in ein größeres Ganzes ergeben sich – im Vergleich zu den zivilen Fachhochschulen – in vielen Bereichen Synergien, von denen die Fachhochschule profitiert (z. B. Gleichstellung, Internationalisierung, Umweltschutz, Webauftritt, Nutzung des Gesamtangebotes des jeweiligen Campus). 

Die mit der Verankerung in der Bundeshoheit verbundenen Zwänge und Einschränkungen (vornehmlich im personal- und dienstrechtlichen Bereich) sind dafür in Kauf zu nehmen. Entscheidend für den Erfolg der Fachhochschule ist das Bewusstsein aller Stellen, dass sie für „ihre“ Fachhochschule tätig und mitverantwortlich sind. Den Kern bilden die Studiengänge, die in die jeweiligen Akademien eingebettet sind. Wesentliche Gremien für die Führung der Fachhochschule sind die Erhaltervertretung, die Geschäftsführung, die Steuerungsgruppe mit ihren vier Expertenteams und das FH-Kollegium.

Erhaltervertretung 

Zur Wahrnehmung der Aufgaben des Erhalters (Republik Österreich/Bund), vertreten durch die Bundesministerin für Landesverteidigung, dient das Gremium der Erhaltervertretung. Obliegenheiten dieses Gremiums sind das Errichten, Erhalten und Betreiben der Fachhochschule für angewandte Militärwissenschaften, um eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende und vor allem den eigenen Bedarf deckende hochschulische Bildung zu gewährleisten. In der zumindest jährlich stattfindenden Erhaltervertretersitzung (üblicherweise März) werden strategische Entscheidungen für zukünftige, richtungsgebende Entwicklungen getroffen und Vorgaben zu Themen erteilt, die in der Steuerungsgruppe nicht abschließend behandelt werden konnten.

Die Erhaltervertretung setzt sich aus einem Vertreter des Kabinetts des Bundesministers oder der Bundesministerin, dem Generalstabschef und dessen Stellvertreter, den Leitern der Sektionen I (Generaldirektion Verteidigungspolitik) und II (Generaldirektion Präsidiale), der Kollegiumsleitung, dem Leiter der Direktion 3 Ausbildung & Kommandanten der LVAk, dem Kommandanten der TherMilAk, dem Leiter der Direktion Fähigkeiten & Grundsatzplanung sowie dem stellvertretenden Leiter der Direktion 3 (Dion3) & Qualitätsmanagementbeauftragten in fachhochschulischen Belangen zusammen. Den Vorsitz im Gremium der Erhaltervertretung führt der Generalstabschef.

Steuerungsgruppe

Die Steuerungsgruppe ist das zentrale Steuerungsorgan der Fachhochschule für angewandte Militärwissenschaften. Sie hat alle Erfordernisse für eine erfolgreiche hochschulische Bildung zu identifizieren und koordiniert über die gemäß Geschäftseinteilung (Zentralstelle) bzw. Dienstanweisung (GDLV) zuständigen Abteilungen. Sie bereitet für die Erhaltervertretung relevante Informationen in Form eines jährlichen Qualitätsmanagementberichtes auf. Entscheidungen der Erhaltervertretung werden durch die Steuerungsgruppe umgesetzt.

Die Steuerungsgruppe tagt in der Regel dreimal jährlich und setzt sich unter dem Vorsitz des stellvertretenden Leiters Dion3 & Qualitätsmanagementbeauftragten aus den Leitern der Expertenteams, den Vertretern der geschäftsführenden Abteilung Ausbildungsgrundsätze (AusbGS), der LVAk und der TherMilAk, der Kollegiumsleitung sowie den Studiengangsleitungen zusammen. Expertinnen und Experten aus Fachgebieten (z. B. Zentrale Technische Abteilung für die Belange des Qualitätsmanagements) werden bei Bedarf zur Beratung beigezogen.

Expertenteams 

Die Steuerungsgruppe soll durch ihre Zusammensetzung die Mitwirkung möglichst vieler zuständiger Dienststellen und Interessensgruppen sicherstellen. Dazu wird sie durch vier Expertenteams unterstützt. Die Leitung der Expertenteams „Forschung & Entwicklung und Lehre“, „Internationalisierung und Kooperationen“, „Personalressourcen“ und „FH-spezifische Ressourcen“ ist jenen Abteilungen im Ressort zugeordnet, die aufgrund ihrer Aufgaben und Fachkompetenz die Anliegen der Fachhochschule im jeweiligen Bereich am besten auf Ebene der Zentralstelle und der Generaldirektion Landesverteidigung koordinieren und, wenn notwendig, mit Nachdruck unterstützen können.

Geschäftsführung

Der stvLtrDion3 & Qualitätsmanagementbeauftragte ist Geschäftsführer der Fachhochschule für angewandte Militärwissenschaften. Er ist für das Qualitätsmanagement in fachhochschulischen Belangen verantwortlich, leitet die Steuerungsgruppe und ist Mitglied der Erhaltervertretung. In seiner Funktion als Geschäftsführer ist er Mitglied des Vorstandes der Österreichischen Fachhochschulkonferenz.

Im Gegensatz zu den zivilen Fachhochschulen hat die Fachhochschule für angewandte Militärwissenschaften keine eigene Abteilung, die sich ausschließlich mit studienrechtlichen bzw. administrativen Angelegenheiten oder mit dem Qualitätsmanagement befasst. Der diesbezügliche Aufwand und die mit den Aktivitäten der Steuerungsgruppe verbundene Administration wird durch die geschäftsführende Abteilung AusbGS, vor allem über die Fachoffiziere für Bildungsentwicklung & FH-Studiengänge sowie Qualitätsmanagement wahrgenommen. 

Kollegium und Kollegiumsleitung 

Das Kollegium setzt sich aus den Studiengangsleitern, den gewählten Vertretern des Lehr- und Forschungspersonals, den von der gewählten Studierendenvertretung entsandten studentischen Vertretern und der von dieser Gruppe gewählten Kollegiumsleitung bzw. der stellvertretenden Leitung zusammen. Die Kollegiumsleitung und das Kollegium sind im Wesentlichen vergleichbar mit einem Rektor bzw. Rektorat.

Zur Koordination des Lehrbetriebes steht die Kollegiumsleitung im laufenden Austausch mit den Studiengangsleitungen. In den Kollegiumssitzungen werden Berichte der Studiengangsleitungen sowie Anliegen des Lehr- und Forschungspersonals und der Studierenden entgegengenommen, bewertet und die erforderlichen Maßnahmen abgeleitet. Zentrale Aufgabe des Kollegiums ist die Evaluierung des gesamten Lehrbetriebes samt der Prüfungsordnung und der Studienpläne. Für diese Aufgabe wurden vom Kollegium in regelmäßigen Zyklen hinterfragende Informationsinstrumente geschaffen. So wird die Sicht der Studierenden, der Absolventen und von deren Vorgesetzten regelmäßig erfasst. Auf dieser Basis werden sowohl operative Maßnahmen abgeleitet als auch regelmäßig die Lehrpläne insgesamt evaluiert. 

Aufgrund der umfassenden Lenkungsaufgabe ist die Kollegiumsleitung in die Erhaltervertretung und in die Steuerungsgruppe eingebunden und steht auch mit der geschäftsführenden Abteilung und dem Geschäftsführer in laufendem Kontakt. Das Kollegium richtet Anträge in Angelegenheiten der personellen und infrastrukturellen Ausstattung über die geschäftsführende Abteilung an die Steuerungsgruppe. Weiters macht es im hochschulischen Bestellungsverfahren Vorschläge zur Einstellung von Lehr- sowie Forschungspersonal und ersucht als Ergebnis von Evaluierungen gegebenenfalls um Abberufung von Lehr- sowie Forschungspersonal. Der Kollegiumsleiter ist Mitglied des Vorstandes der Österreichischen Fachhochschulkonferenz.
 

Studiengänge und Studiengangsleitung

Analog zur Erhaltervertretung, Steuerungsgruppe und Geschäftsführung sind auch die Studiengänge nicht als alleinstehendes Element organisiert, sondern in die Strukturen der LVAk sowie Ther-MilAk und über diese auch in die Struktur der Waffengattungs- sowie Fachschulen eingebettet. Der Vorteil besteht darin, dass Herausforderungen beispielsweise im Bereich der Ressourcen- oder Personalbereitstellung mit Unterstützung der Akademien unter Berücksichtigung der Autonomie der Studiengangsleiter rasch gelöst werden können.

An den Studiengängen ist jeweils eine Studiengangsleitung eingerichtet. Sie ist verantwortlich für die Gestaltung der Leistungsbereiche des Studienganges (Lehre, Forschung & Entwicklung, Personalentwicklung und Betreiben von Partnerschaften) und der Unterstützungsbereiche unter Berücksichtigung der Vorgaben des Erhalters und des Kollegiums und in enger Abstimmung mit den beiden Akademien und deren Gesamtaufgaben.
 

Bewertung und Weiterentwicklung 

Im Mittelpunkt der Ausbildung an der Fachhochschule für angewandte Militärwissenschaften steht die Vermittlung jener Kompetenzen, die notwendig sind, um Menschen unter extremen Belastungen in Krisen- und Konfliktsituationen zu führen. Die Ausbildung zur „reflexiven Loyalität“, die die Fähigkeit ausdrückt, vernetzt zu denken und das eigene Handeln zu reflektieren, ohne dabei die (militärische) Aufgabenerfüllung im Frieden und Einsatz zu vernachlässigen, ist dabei ein wesentliches Ziel. Zivile Studierende erlangen die Grundkenntnisse zur Führungskraft einer vergleichbaren zivilen Organisation vornehmlich im Sektor des Sicherheits- und Krisenmanagements.

Die Organisationsform der Fachhochschule ist für das BMLV durch die Anwendungsorientiertheit eine nahezu optimale und pragmatische Lösung. Als größtes Manko ist derzeit das Fehlen eigenständiger Doktoratsprogramme an Fachhochschulen einzustufen. Aktuelle Entwicklungen in Deutschland lassen allerdings erwarten, dass solche mittelfristig auch an den österreichischen Fachhochschulen etabliert werden können. Das BMLV behilft sich durch eine vertragliche Kooperation mit der Universität Wien.

Die alle sieben Jahre gesetzlich erforderliche Rezertifizierung des Qualitätsmanagements der Fachhochschule ist mit dem gut verlaufenen Besuch eines internationalen Gutachterteams im November 2022 nahezu abgeschlossen. Das Gutachten wird bis Jahresmitte 2023 erwartet. Große Chancen für die Weiterentwicklung des Angebotes der Fachhochschule für angewandte Militärwissenschaften bestehen bei der Etablierung von (bedarfsorientierten) Hochschullehrgängen.

ObstltdhmfD Mag.(FH) Dr. Gottfried Reiter; Fachoffizier Bildungsentwicklung & FH-Studiengänge, Abteilung Ausbildungsgrundsätze, Direktion 3 Ausbildung, Generaldirektion Landesverteidigung. 


 

Dieser Artikel erschien im TRUPPENDIENST.

Zur Ausgabe 2/2023 (391).


 

Ihre Meinung

Meinungen (0)