• Veröffentlichungsdatum : 12.11.2024
  • – Letztes Update : 13.11.2024

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Ideologien und Soldaten: Irans Revolutionsgarden

Walter Posch

Das „Korps der Gardisten der Islamischen Revolution“, auch Revolutionsgarde genannt, sorgt seit der Gründung 1979 für negative Schlagzeilen. Ihr werden seit jeher schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Kritik verursachen ihre Kontakte zu islamistischen Untergrundgruppen. Spätestens seit den Protesten anlässlich des Todes von Mahsa Zhina Amini im Jahre 2022 fordern iranische Exilgruppen im Westen, die Revolutionsgarde als Terrororganisation einzustufen. 

Das internationale, öffentliche Interesse an dieser Organisation steht in einem eigenwilligen Gegensatz zum Wissensstand. Im Folgenden sollen die historische Entwicklung und die Rolle des „Korps der Gardisten der Islamischen Revolution“ (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Eslami) in den iranischen Streit- und Sicherheitskräften dargestellt werden.

Im Untergrund

Bewaffnete islamistische Untergrundgruppen waren bereits in den 1940er und 1950er Jahren im Iran aktiv, die von den Sicherheitskräften seinerzeit unschädlich gemacht werden konnten. Mit Beginn der politischen Bewegung von Ayatollah Ruhollah Chomeini im Jahre 1963 wurde eine breite – überwiegend pazifistische Bewegung – ins Leben gerufen. Nur die wenigsten wussten damals, dass sich verschiedene radikale bewaffnete Gruppen gebildet hatten, die Chomeini als ihren Führer anerkannten. Einige von ihnen verübten Attentate auf Politiker im Iran, andere wurden von linken Untergrundgruppen aus dem Iran zu den Palästinensern vermittelt, die sie im Libanon und in Syrien militärisch ausbildeten. Gegen Ende der 1970er Jahre kamen bewaffnete islamistische Parteien im urbanen Raum hinzu. Doch insgesamt standen die bewaffneten islamistischen Elemente im Schatten kommunistischer Gruppen, die für die Zeit nach der Revolution klare Vorstellungen über die Umgestaltung des iranischen Sicherheitsapparates hatten.

Anfang

Als am 12. Februar 1979 die Revolution siegte, standen Chomeini und seine Anhänger vor der Herausforderung, die Kontrolle über die Armee, Polizei und den Geheimdiensten zu erlangen und das zunehmende Chaos bewaffneter Banden einzudämmen. Überall waren Revolutionskomitees entstanden, die willkürlich Personenkontrollen, Beschlagnahmungen und Verhaftungen durchführten. Als erstes wurden alle bewaffneten Chomeini-treuen Gruppen gezwungen, sich zum „Korps der Gardisten der Islamischen Revolution“ zu vereinen. Dieses Korps bekam vom späteren Präsidenten Ali Akbar H?schemi Rafsandschani Statuten verliehen, in denen die grundlegende Führungsstruktur (Stab, Logistik, Nachrichtendienst usw.) niedergeschrieben wurde. Widerspruchslos erkannten alle anderen politischen Gruppen Chomeinis bewaffnete Anhänger als Ordnungskraft des Revolutionsrates an, der statt der schwachen Übergangsregierung die Macht in den Händen hielt. Damit wurde die lange gültige Befehlskette festgelegt, demnach die Revolutionsgarde als revolutionäres Element nicht dem Staat, sondern dem Revolutionsführer untersteht.

Der zweite Schritt bestand darin, die Kontrolle über die Sicherheitskräfte zu erringen. Hierzu wurde eine Generalamnestie für Angehörige der Armee, der Polizei und Gendarmerie sowie des Geheimdienstes SAVAK (persisch: Organisation für Informationen und Sicherheit des Landes; Anm.) erlassen, sofern diese nicht aktiv an der Verfolgung der Revolutionäre teilgenommen hatten. Mit diesem Schritt wurde verhindert, dass die Armee aufgelöst und durch eine von kommunistischen Offizieren geführte Nationalgarde ersetzt wurde. Im dritten Schritt wurden allmählich alle anderen revolutionären Gruppen aus dem Revolutionsrat entfernt und ihre Milizen teilweise gewaltsam aufgelöst. Dieser Prozess dauerte bis 1982 (bei den Revolutionskomitees etwas länger). Danach wurde der Revolutionsrat endgültig von den Chomeinisten dominiert. Revolutionsgarde und Revolutionskomitees wurden anfangs in der Öffentlichkeit kaum unterschieden. Beide nannten ihre bewaffneten Elemente „pasdar“, also „Wächter, Gardist“. Sie waren in ihrem Auftreten kaum zu unterscheiden und arbeiteten bei Bedarf eng zusammen. Außerdem bestand ein gewisser Personalaustausch zwischen beiden Einheiten. Den Komitees oblag die Zusammenarbeit mit Polizei und Gendarmerie, mit denen sie 1992 zu den „Sicherheitskräften der Islamischen Republik Iran“ (Niruha-ye Entezami-ye Dschomhuri-ye Eslami-ye Iran) zusammengefasst wurden, während die als paramilitärisches Element konzipierte Revolutionsgarde als unabhängiger Waffenträger weiterbesteht.

Aufbau

Ihre Feuertaufe erhielt die Revolutionsgarde unmittelbar nach der Revolution 1979/80, als sie zur Aufstandsbekämpfung in Kurdistan im Westen und in der Türkmenensteppe im Norden des Staates herangezogen wurde. Dort hatten sich von lokalen Kräften getragene autonome Verwaltungen gebildet, die sich vom Zentralstaat de facto losgesagt hatten. Aufgrund der revolutionsbedingten Wirren in den militärischen und polizeilichen Hierarchien trugen die militärisch unerfahrenen Revolutionsgardisten die Hauptlast der Kämpfe und kehrten nachdem sie ihren Auftrag erfolgreich erfüllt hatten dementsprechend selbstbewusst in ihre Stützpunkte zurück. Die Masse der Revolutionsgardisten entstammte der lokalen Islamistenszene, der unteren Mittelschicht, dem – durchaus auch wohlhabenden – Bazarmilieu, den traditionellen schiitischen Vereinen und den islamischen Studentenorganisationen, die sich überwiegend aus Lehramts- und Technikstudenten rekrutierten. Die sepah waren entsprechend der Provinzverwaltung geordnet. Es gab ein sepah für Isfahan, Kerman, Schiras, sowie mehrere für Teheran etc. Sprach man vom „Korps“, meinte man die gesamte Revolutionsgarde. Einzelne Einheiten wurden immer mit dem Namen des Garnisonsortes genannt (also: sepah von Täbris und Ähnliches).

Mit Kriegsbeginn im September 1980 wurden die lokalen sepah neu geordnet und in reguläre militärische Einheiten transformiert, sodass in kurzer Zeit aus lokalen Paramilitärs Brigaden und Divisionen entstanden. Diese Transformation fand unter den Augen und unter Anleitung der regulären Armee statt. Die jeweiligen sepah wurden nun mit der richtigen militärischen Truppenbezeichnung (Brigade, Division, Infanterie, mech usw.), einer Nummer, einem Beinamen aus dem Koran und dem Garnisonsort bezeichnet, zum Beispiel 41. Inf.Div. „Sarollah“ aus Kerman, 31. Inf.Div. „Aschura“ aus Ardabil, 4. Inf.Div.
„Be’sat“ aus Kermanschah usw. Insgesamt gab es fünfzehn Divisionen und einige unabhängige Brigaden. Westliche Beobachter stehen oft vor dem Problem, dass unterschiedliche Einheiten oder militärische Elemente denselben Namen tragen, wie „Qods“ (Jerusalem), das sowohl die Teilstreitkraft (niru-ye Qods), ein Regionalkommando (qarargah-e man?eqehi-ye Qods) als auch eine Division (16. Inf.Div. „Qods“ Rascht) bezeichnet.

Der Ausbildungsstand dieser Truppe war geringer als jener der Armee, doch erfüllte sie ihren Zweck, indem sie sofort über 100 000 Mann an die irakische Front bringen konnte. Der landsmannschaftliche Zusammenhalt und der religiös-politische Fanatismus glichen anfangs die taktischen und operativen Schwächen der Revolutionsgarde aus. Das war deshalb möglich, weil es sich im Wesentlichen um einen klassischen Stellungskrieg handelte und die Revolutionsgarde in der Verteidigung eingesetzt wurde. Mit zunehmender militärischer Erfahrung war sie auch zu Gegenstößen und sogar Gegenangriffen in der Lage. Doch der Einsatz von „Menschenwellen“ gegen irakische Truppen forderte einen hohen Blutzoll, der sich durch Fanatismus und landsmannschaftliche Bande auf lange Sicht gesehen nicht ausgleichen ließ. Dennoch waren Erfolge zu verzeichnen, wie der extrem verlustreiche Entsatz von Abadan 1981 und die Rückeroberung von Chorramschahr im Jahr darauf. Beide wären ohne die Opferbereitschaft der Revolutionsgardisten und der Freiwilligen von den Basidsch nicht möglich gewesen.

Ebenfalls 1981 wurde der Revolutionsgarde eine weitere Einheit von Freiwilligen unterstellt, die Basidsch-e Mostazaafin, die ihre eigene organisatorische Identität in der Revolutionsgarde behielten. Bei ihnen stand (und steht) der ideologische (religiös-politische) Fanatismus im Vordergrund. Im Hinterland fungierten sie als ideologische Hilfspolizei. Kulturell aus demselben Milieu wie die Revolutionsgardisten stammend waren sie deutlich jünger, oft minderjährig und schlechter ausgebildet. Gelegentlich wurden sie über Minenfelder geschickt, um den Weg für besser ausgebildete Truppen zu bahnen. 

Im Laufe des Krieges professionalisierten sich beide Einheiten, doch war der lange Iran-Irakkrieg für die Revolutionsgarde und die Basidsch nicht nur eine Angelegenheit der militärischen Landesverteidigung, sondern auch ein ideologisch-spiritueller Kampf gegen „das Böse“ in der Welt. Ihrer Einstellung nach war der irakische Diktator Saddam Hussein das Instrument einer antiislamischen Verschwörung hinter der sich der Westen verbarg: Israel, Europa und die USA, die es nicht verwinden konnten, dass der revolutionäre Islam unter Chomeini im Iran gesiegt hatte. Die Tatsache, dass sich die wichtigsten schiitischen Wallfahrtsorte im Irak befanden, erleichterte dem Regime die Propaganda. So hieß es in einem ihrer Slogans, dass der Weg nach Jerusalem über den schiitischen Wallfahrtsort Karbala im Irak führt und der Sturz Saddam Husseins die Voraussetzung für die Befreiung Palästinas sei.

Qods-Einheit

1984 wurde die Revolutionsgarde um Marine- und Lufteinheiten ergänzt, führte aber den Kampf gegen die Iraker ganz klassisch gemeinsam mit der Armee mit Infanterie und mechanisierten Kräften. Armee und Revolutionsgarde bildeten gemeinsame operative Kommanden (qarargah-e amaliyati; Qarargah: Befehlsstand, Gefechtsstand, Kommando), die von zwei militärischen Kommandanten – einem von der Armee und einem von der Revolutionsgarde – geführt wurden. Es ist davon auszugehen, dass die Revolutionsgardisten von den Berufssoldaten erst in die Stabsarbeit und in die operative Führung eingearbeitet werden mussten. Der Generalstab der alten Armee wurde nicht in seiner eigentlichen Funktion eingesetzt. Stattdessen war ein paritätisch aus Stabsoffizieren der Armee und der Revolutionsgarde besetztes Zentralkommando (qarargah-e markazi) namens „Chatam-ol-Anbia“ in Teheran für die gesamte militärische Leitung des Krieges zuständig. Dieses stand unter dem Hohen Landesverteidigungsrat (schoura-ye ali-ye defa‘-e melli), der direkt dem Revolutionsführer gegenüber verantwortlich war. Erst 1998, nach einer großen Krise in Afghanistan, wurde wieder ein Generalstabschef eingesetzt. Nach einigen Veränderungen gibt es nun den „Generalstab der bewaffneten Streitkräfte der Islamischen Republik Iran“, dem der Generalstab der Armee und die Stäbe der Revolutionsgarde und der Sicherheitskräfte unterstehen.

Der lange Iran-Irakkrieg (1980 bis 1988) brachte kaum militärische Innovationen hervor, er legte aber den Grundstock für die wohl bekannteste Auslandseinheit Irans – die Qods-Einheit. Die heutige Teilstreitkraft Qods hat drei Wurzeln: den qarargah Ramazan, das „Büro zur Befreiung unterdrückter Völker“ und ein Sonderkommando namens Qods. Diese Qods-Einheit sollte auf irakischem Territorium Sabotageaktionen durchführen und Kontakt mit lokalen Widerstandsgruppen aufnehmen. Aus dieser Zeit stammen ihre engen Beziehungen zu einer anderen Einheit, der Revolutionsgarde der 9. Unabhängigen Brigade (später Division „Badr“), die sich aus schiitischen irakischen Freiwilligen rekrutierte. 

Das Operationskommando Ramazan war ab 1981 für den nördlichen Kriegsschauplatz verantwortlich und befand sich im irakischen Teil Kurdistans. Dort musste aufgrund der geographischen Besonderheiten im Gebirge anders gekämpft werden als im flachen Süden des Landes, wo der Stellungskrieg tobte. Ramazan befand sich ab 1981 auf irakischem Territorium in Kurdistan und koordinierte iranische Einheiten der Revolutionsgarde mit kurdischen Aufständischen, vor allem mit den Kämpfern der Patriotischen Union Kurdistan (PUK) des Dschalal Talabani. 

Als Antwort auf die Besonderheiten des Gebirgskampfes wurde Mitte der 1980er Jahre die 55. Brigade Sonderkräfte der Revolutionsgarde im iranischen Kurdistan aufgestellt, die bald mit der 110. Brigade in Rey zur 6. Division Sonderkräfte (laschkar-e schesch-vizheh) der Revolutionsgarde vereint wurde. Die „6.“ blieb während des Krieges innerhalb des Ramazan-Kommandos auf irakischem Territorium aktiv. Ebenso die 66. Luftlandebrigade (Tip-e schast-o-schesch havabord) der Revolutionsgarde, die jedoch kaum als solche eingesetzt wurde, sondern mit einer aus Basidschis rekrutierten Truppe kämpfte. Einige Jahre lang wurde das Sonderkommando Qods vom Süden der Front ebenfalls hinauf in den Norden zu Ramazan transferiert. Außerdem wurden die zwei afghanischen Einheiten Mozaffar und Abu Zar, die aus Freiwilligen bzw. Flüchtlingen aufgestellt wurden und die bereits erwähnte Badr-Division innerhalb des Ramazan-Kommandos eingesetzt. 

Das „Büro zur Befreiung unterdrückter Völker“ war im ganzen Nahen Osten und in Afghanistan aktiv und in Kooperation mit arabischen Gruppen für zahlreiche Terroranschläge verantwortlich. Das Büro war unberechenbar, politisch und militärisch kaum zu kontrollieren, im Waffenhandel und -schmuggel aktiv und indiskret: die Informationen über den geheimen (und illegalen) Waffenhandel der USA und anderer westlicher Staaten mit dem Iran wurden vom Leiter des Büros, Mehdi Haschemi, dem Schwiegersohn Ayatollah Montazeris, des damaligen Stellvertreters Chomeinis an die Öffentlichkeit gespielt. Der sogenannte Iran-Contra-Skandal (1985 bis 1987) erschütterte die USA und den Iran gleichermaßen. Dort war man um die Verschleierung der Beziehungen zu den USA bemüht und sprach von der Mehdi Haschemi Affäre. 1986 lösten Einheiten der Revolutionsgarde in einer blutigen Aktion das „Büro“ gewaltsam auf. Haschemi und seine wichtigsten Mitarbeiter wurden verurteilt und hingerichtet. Ein Teil des Büros wurde in den qarargah Qods integriert und brachte seine internationale Erfahrung und Kontakte zu den politischen Untergrundgruppen der Region mit, ein anderer Teil ging nach Afghanistan.

Reform

Nach dem Krieg kam es zu großen Veränderungen und eine Zeit lang wurde ernsthaft erwogen, die Revolutionsgarde aufzulösen. Der neue Revolutionsführer Ayatollah Ali Chamenei, der an die Stelle des 1989 verstorbenen Ruhollah Chomeini getreten war, ordnete 1992 eine durchgreifende Sicherheitssektorreform an. Ein Teil dieser Reform betraf die Einführung von Dienstgraden bei der Revolutionsgarde analog zur Armee und die dementsprechende Uniformierung, die an die Stelle der simplen Parkas trat. Vor allem aber wurden die entsprechenden Einrichtungen und Kurse für die Unteroffiziers-, Offiziers- und Generalstabsausbildung inklusive eigener Militäruniversität und militärmedizinischer Zentren eingeführt. Nur die im Kader geläufige Ansprache „Bruder“ erinnert noch an die frühe, idealistische Revolutionszeit. Weiters ist die oben erwähnte Gründung der „Sicherheitskräfte der Islamischen Republik Iran“ zu nennen, die die Bevölkerung weitgehend begrüßte.

Darüber hinaus wurde die Revolutionsgarde erweitert: Statt der bisherigen Dreiergliederung (seganeh; Heer, Luftwaffe, Marine) wurde eine Fünfergliederung (pandschganeh) eingenommen, indem zwei weitere Elemente als Teilstreitkraft (niru) hinzugefügt wurden: Basidsch und Qods. Die Divisionsgliederung wurde vorderhand beibehalten, aber das „Zentralkommando Chatam-ol-Anbia“ wurde aufgespalten, indem sich zwei seiner „Flügel“ (bazu), das Koordinationselement für die Luftabwehr und das für die Logistik, abtrennten. Dadurch wurden das von der Armee geführte Luftabwehrkommando (qraragah-e padafand-e havayi-e artesch) „Chatam-ol-Anbia“ gegründet, das im Laufe der Zeit immer mehr Kompetenzen erhielt und 2008 die Luftabwehreinheiten der Luftwaffe des Heeres unterstellt wurde. 2019 bildete das Luftabwehrkommando Chatam-ol-Anbia das Herzstück einer neuen Teilstreitkraft: die „Luftabwehrkräfte der Armee der Islamischen Republik Iran,“ die nun neben Heer, Luftwaffe und Marine inklusive neuer Uniformierung und Waffengattungsfarbe existieren. Das Logistikkommando „Chatam-ol-Anbia“ wurde als „Aufbaukommando Chatam-ol-Anbia“ (qarargah-e sazandegi Chatam-ol-Anbia) dem Kommando der Revolutionsgarde zugeordnet (vabasteh) und zum Wiederaufbau bzw. zum Ausbau der kritischen Infrastruktur des Landes eingesetzt. Dafür zog man vor allem demobilisierte Revolutionsgardisten heran. In den späten 1990er Jahren entwickelte sich Chatam-ol-Anbia zu einem eigenen, in allen Sektoren der iranischen Wirtschaft und Industrie aktiven, milliardenschweren Wirtschaftsimperium.

Entwicklung der Sonderkräfte

Auch bei den Sonderkräften kam es zu Veränderungen. Die 6. Division wurde aufgelöst und ihre drei Brigaden auf andere Divisionen und Einheiten verteilt. Ähnlich erging es der 66. Luftlandebrigade, die zunächst der 27. Division „Mohammad Rasulallah“ in Teheran unterstellt wurde, wo sie als Sondereinheit für Geiselbefreiung fungierte. 

Die besonderen Aufgaben und Fähigkeiten dieser aufgelösten Verbände gingen jedoch nicht verloren. Vielmehr wurden sie innerhalb anderer Einheiten und Verbände weitergeführt. So wurde das Mitte der 1980er Jahre von der Revolutionsgarde für den Personenschutz und die Flugsicherheit gegründete Schutzkorps (sepah-e hefazat) „Ansar-ol-Emam“ geteilt und mit Elementen der nun aufgelösten 6. Division und 66. Luftlandebrigade ergänzt: Daraus entstanden die beiden Schutzkorps Vali-Amr für den Revolutionsführer und Ansar-ol-Mahdi für hohe Politiker und Liegenschaften. Gemeinsam mit den Schutzkorps gegen Luftpiraterie (sepah-e hefazat-e havapeyma) standen diese unter Aufsicht des Nachrichtendienstes der Revolutionsgarde, der auch Elemente – vermutlich eine verminderte Brigade – der ehemaligen 
6. Division übernahm. Diese drei Elemente hatten außer im Bereich der Uniformierung und der logistischen Zuordnung nur mehr wenig institutionellen Bezug zur Revolutionsgarde. Vielleicht wurden sie deshalb im Jahre 2010 den Ordnungskräften unterstellt.

Die „Abwehr- und Aufklärungsorganisation der Revolutionsgarde“ (Sazeman-e Hefazat va Ettelaat-e Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Eslami), der Nachrichtendienst, hatte immer ein mächtiges institutionelles Eigenleben innerhalb der Revolutionsgarde. 1984 zogen die Revolutionsgarden gegenüber dem neugegründeten „Informationsministerium der Islamischen Republik Iran“ (Vezarat-e Ettelaat-e Dschomhuriye Eslami-ye Iran), dem eigentlichen Geheimdienst Irans, den Kürzeren. Immerhin konnte sie verhindern, dass das neue Ministerium auch die „Staatssicherheit“ (amniyat-e keschvar) im Titel führte, deren Agenden die Revolutionsgarde für sich beansprucht. Außerdem blieb das Ministerium mit der Revolutionsgarde „auf Zusammenarbeit angewiesen“, das heißt es hat mit Ausnahme spezieller Elemente keine eigenen operativen Kräfte und muss auf Gardisten zurückgreifen.

Qods

Ebenfalls 1992 reorganisierte der Iran die Qods und erhob sie zur eigenen Teilstreitkraft der Revolutionsgarde. Qods vereinte nun alle Elemente der Revolutionsgarde, die schon in den frühen 1980er Jahren in der Region aktiv waren. Das waren nicht nur Teile des aufgelösten Büros des Mehdi Haschemi, sondern auch jene, die mithalfen die libanesische Partei und Miliz Hizbollah zu gründen. In den 1980er Jahren waren sie in Syrien und im Sudan aktiv und unterstützten die persischsprachigen bzw. schiitischen Organisationen in Afghanistan. Qods ist vom Wesen her ein Element der Sonderkräfte mit einem Schwerpunkt im nachrichtendienstlichen Bereich (Aufklärung und Abwehr), sowie im Aufbau lokaler bewaffneter Gruppen, in der militärischen Ertüchtigung befreundeter Organisationen und Staaten und im militärischen Technologietransfer. Besonderen Wert legt Qods auf gediegene politische und landeskundliche Kenntnisse, insbesondere Sprachkenntnisse, weshalb ehemalige Mitarbeiter der Qods gelegentlich in politikwissenschaftliche und diplomatische Funktionen wechseln.

Erster Leiter der neuen Qods war der ehemalige Leiter des Nachrichtendienstes der Revolutionsgarde, Brigadier Ahmad Vahidi. Vahidi konsolidierte und stabilisierte Qods und setzte diese Einheit erstmals in einem Konflikt ein, nämlich im Bosnienkrieg von 1993 bis 1995. Nach ihm übernahm der hochdekorierte Qasem Soleymani 1998 Qods. Dieser war zuvor Kommandant der 41. Division „Sarollah“ in Kerman gewesen. Unter seine Ägide fielen der iranische Rückzug aus Afghanistan 1998 und die iranische Rückkehr dorthin in der Schlacht um Harat 2001, die Unterstützung für die libanesische Hizbollah im 33-Tage Krieg gegen Israel 2006 und das iranische Engagement in Syrien und im Irak ab 2010. 

Im Irak konnten die Iraner sich auf alte Freunde verlassen. Der Sturz Saddam Husseins erlaubte es der mit Kriegsende aufgelösten 9. Division „Badr“, die aus irakischen Schiiten bestand, in ihre Heimat zurückzukehren und als Badr-Organisation eine politische und militärische Rolle zu spielen. Qods hatte ebenfalls Kontakte zu Splittergruppen von Badr, die die Muqtada Sadr in seinem Kampf gegen die amerikanische Präsenz von 2003 bis 2007 im Lande unterstützten. 

Später spielten Soleymani und Qods eine wichtige Rolle in der Koordination des Kampfes gegen den Islamischen Staat (von 2014 bis 2017) im Irak und in der Reorganisation des Widerstands in Syrien, wo sie halfen, lokale regimetreue Milizen aufzustellen. Außerdem gründete Qods Freiwilligenbataillone („Brigaden“) aus afghanischen, pakistanischen und arabischen Schiiten (Fatemiyun, Zeynabiyun, Abulfazl). Die Tötung Soleymanis im Jahr 2020 durch die USA hatte keinen feststellbaren Einfluss auf die Funktionsfähigkeit der Truppe, die von Brigadier Esmail Qaani übernommen wurde. Ihr Betätigungsfeld war bereits unter Soleymani auf Yemen und das Horn von Afrika ausgeweitet worden.

Restrukturierung

Die vielleicht wichtigste Veränderung bei der Revolutionsgarde fand in den Jahren 2009/10 statt. Damals wurde die bisherige Divisionsgliederung als unzulänglich für eine potenzielle amerikanische Intervention beurteilt. Daher folgte man dem Plan des damaligen Kommandanten der Revolutionsgarde, Generalmajor Mohammad „Aziz“ Dschaafari. Man löste zahlreiche Divisionen und Brigaden auf und ordnete die 32 Provinzkommanden der Revolutionsgarde zehn Regionalkommanden (qarargahha-ye manteqehi) unter. Beispielsweise wurde die 41. Division „Sarollah“ in Kerman zum qarargah und gemeinsam mit qarargah Salman in Sistan und Balutschistan dem Regionalkommando Südost „Qods“ in Kerman unterstellt. 

Beachtenswert ist, dass die Provinzkommanden der Revolutionsgarde auch Ansprechpartner der zivilen Behörden bei Naturkatastrophen oder sonstigen besonderen Ereignissen sind. Einige dieser Kommanden existierten bereits längere Zeit (z. B. qarargah Nadschaf in Hamadan, qarargah Ghadir am Kaspischen Meer), andere waren Neugründungen (qarargah Qods in Kerman) oder wurden wiederbelebt. Damit soll einerseits auf die lokalen Besonderheiten ethnischer und sozialer Natur besser eingegangen werden, andererseits wurden die Regionalkommanden mit den nötigen Vollmachten und Befugnissen ausgestattet, um den Widerstand selbstständig fortsetzen zu können, wenn die Kommunikation mit Teheran aufgrund Feindeinwirkung bzw. innerer Unruhen zusammenbrechen sollte. Die militärische Kontrolle und Sicherung über die kritische Infrastruktur in Teheran obliegen der 65. Luftlandebrigade der Armee.

Für die innere Sicherheit Teherans ist ein besonderes Sicherheitskommando (qarargah-e amniyat) namens „Sarollah“ zuständig. Sarollah untersteht direkt dem Kommando der Revolutionsgarde. Seine Geschichte reicht bis in die frühen 1980er Jahre zurück, zur gascht-e Sarollah, dem „Rachekommando Gottes“, das mit großer Brutalität die Untergrundstrukturen der kommunistischen Organisationen zerstörte. Sarollah wird gegen innere Unruhen eingesetzt und konnte ursprünglich auf die Divisionen, seit 2010 sepah Mohammad Rasulallah in Teheran und Emam Hasan in Alborz, zurückgreifen. 

In Straßenkämpfen bei Protesten werden jedoch verschiedene Bataillone freiwilliger Basidschis, die als Vereine an verschiedenen Moscheen organisiert sind, eingesetzt. Die großen Freiwilligenzahlen und die Selbstorganisation der Basidschis im Westen Teherans während der Proteste gegen die Wiederwahl von Ahmadineschad im Jahre 2009 führten zur Gründung der Fatehin, einem Freiwilligenverband, der von den Revolutionsgarden gezielt für Aufstandsbekämpfung ausgebildet wurde. Im Prinzip handelt es sich um einen Milizverband, der regelmäßig übt und im Bedarfsfall zu den Waffen gerufen wird. Einen ähnlichen Milizverband stellte die Revolutionsgarde ein paar Jahre später auf – die Saberin. Diese Einheit wird landesweit rekrutiert und ist, ähnlich wie die Fatehin, eigentlich eine Milizeinheit, doch sie scheint einen hohen Anteil an präsenten Kadern zu haben. Aufgrund ihrer Freiwilligkeit wurden Saberin und Fatehin auch in Syrien eingesetzt, obwohl die wichtigste Einheit der Revolutionsgarde, die dort eingesetzt wird, die Qods ist.

Das „Korps der Gardisten der Islamischen Revolution“ ist neben der „Armee der Islamischen Republik Iran“ (Artesch-e Dschomhuriy-e Eslami-ye Iran) und den Ordnungskräften der Islamischen Republik Iran (Niruha-ye Entezami-ye Dschomhuri-ye Eslami-ye Iran seit 2019 „Sicherheitskommandantur der Islamischen Republik Iran“ Farmandehi-ye Entezami-ye Dschomhuri-ye Eslami-ye Iran) der dritte Waffenträger der Islamischen Republik Iran. Mit der Einführung der zehn Regionalkommanden in der letzten Reform wurde der paramilitärische Charakter der Organisation gegenüber seiner klassisch militärischen Funktion gestärkt. Die militärische Landesverteidigung ist somit wieder die alleinige Domäne der Armee, wie der Aufbau der Luftverteidigung als eigene Waffengattung zeigt.

Aktueller Stand und Zukunft

Beachtet man die letzten Entwicklungen, entsteht sich ein Bild ergänzender militärischer und paramilitärischer Elemente. So steht der gemeinsame Generalstab über den Stäben der Armee, der Revolutionsgarde und der Ordnungskräfte und sorgt schon durch seine Hierarchie für Integration und Koordination. Die Spezialisierung bedeutet, dass gewisse Aufgaben nur von Einheiten der Revolutionsgarde übernommen werden, die ihrerseits schon durch die Uniformierung Wert auf ein Eigenleben legen. So sind Sondereinheiten wie Saberin oder die als Küstenwache fungierende Marine der Revolutionsgarde von den dunkelgrünen Uniformen der Revolutionsgarde abgekommen und haben eigene Camouflage-Uniformen bzw. weiße Marineuniformen.

Für wehrpflichtige Iraner macht es wenig Unterschied, ob sie ihren Wehrdienst bei der Armee, der Revolutionsgarde oder den Sicherheitskräften leisten. Daher stellt sich für außenstehende Beobachter die Frage, welchen Sinn die Revolutionsgarde als dritter Waffenträger macht. Sofern es sich um Sonderkräfte handelt, kooperieren sie ohnehin mit den entsprechenden Einheiten der Armee. Dasselbe gilt für die Marine oder für die Einheiten für innere Sicherheit, die eng mit den Ordnungskräften kooperieren und im Einsatz ohnehin in deren Strukturen eingebunden sind. 

In der Regel wird mit der republikanisch-revolutionären Tradition argumentiert, wonach die Revolutionsgarde eben Teil der Identität der Islamischen Republik sei. Das waren aber die Revolutionskomitees ebenfalls und diese wurden recht unprätentiös aufgelöst. Ein anderes Argument zielt auf die ideologische Treue der Revolutionsgarde ab. Doch bei den Wahlen 1997 wählten ihre Kader überwiegend den Reformpräsidenten Chatami und bei den Protesten 2022 tauchten immer wieder Poster von protestierenden jungen Damen ohne Kopftuch auf, auf denen zu lesen war, dass sie Töchter von Revolutionsgardisten (sepahi) seien. Es ist davon auszugehen, dass die nächsten Reformen des iranischen Sicherheitssektors erst nach dem Abtritt des derzeitigen Revolutionsführers stattfinden werden.

OR Dr. Mag. Walter Posch; Referatsleiter&Forscher&Hauptlehroffizier Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement/Landesverteidigungsakademie

Publikation des Autors: „Der iranische Sicherheitsapparat“


Dieser Artikel erschien im TRUPPENDIENST 3/2024 (399).

Zur Ausgabe 3/2024 (399)


 

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