Militär und Recht - Sept. 2018 bis Sept. 2019
Der aktuelle Beobachtungszeitraum war in politischer Hinsicht von einer ausgeprägten Zweiteilung gekennzeichnet. Zunächst wurden bis Mitte Mai 2019 von der Bundesregierung und ihren Mitgliedern sowie den diese tragenden Koalitionsparteien, die im Regierungsprogramm vom Dezember 2017 verankerten Schwerpunkte einschließlich der für deren Umsetzung erforderlichen Legislativmaßnahmen planmäßig bearbeitet. Im Gefolge des sogenannten „Ibiza Videos“ traten jedoch tiefgreifende politische Spannungen und Verwerfungen auf, die letztlich nach einem Misstrauensvotum des Nationalrates gegen die damalige Bundesregierung und der Installierung einer „geschäftsführenden Expertenregie-rung“ (samt zweimaligem Ministerwechsel im Verteidigungsressort) Mitte Juni 2019 zur formellen Auflösung des Nationalrates und der damit verbundenen vorzeitigen Beendigung der Legislaturperiode (siehe das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 52/2019) führten.
Diese Entwicklungen auf politischer Ebene bedingten zwangsläufig eine weitgehende Unvorhersehbarkeit und Unplanbarkeit betreffend die weitere Bearbeitung aller offenen Legislativprojekte, wovon auch diverse unmittelbar ressortrelevante Maßnahmen betroffen sind. Seit nahezu einem Jahrzehnt besteht hinsichtlich des KSEBVG ein umfangreicher materieller Änderungsbedarf, der sich im Wesentlichen aus den vielfältigen praktischen Erfahrungen der unterschiedlichen militärischen Auslandseinsätze ergibt und schwergewichtsmäßig diverse Maßnahmen zur Verwaltungsbeschleunigung und -vereinfachung umfasst. Trotz wiederholter, in mehreren Regierungsprogrammen bekundeter politischer Absichtserklärungen zur Umsetzung dieser Änderungsnotwendigkeiten, ist ein entsprechendes Legislativprojekt über die Erstellung eines entsprechenden Novellierungsentwurfes durch das Verteidigungsressort im Frühjahr 2016 sowie eine umfassende aktualisierende Überarbeitung im Frühjahr 2018 aufgrund letztlich unzureichender politischer Gestaltungskraft bisher nicht hinausgekommen. Es bleibt damit offen, ob und inwieweit eine konkrete legislative Weiterbearbeitung dieser Materie in der künftigen Gesetzgebungsperiode erfolgen wird.
Wehrrechtsänderungsgesetz 2019
Die letzten umfassenden Adaptierungen sämtlicher Wehrrechtsnormen erfolgten, jeweils durch umfangreiche „Sammelnovellen“, im Sommer 2013 im Zusammenhang mit der Einführung einer (echten) Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie im Frühjahr 2018 im Hinblick auf die umfassende Neugestaltung des grundlegenden europa- und nationalrechtlichen Rahmens für den Datenschutz. In diesen beiden Novellen konnten allerdings außer den im Mittelpunkt stehenden Grundinhalten (Verwaltungsgerichtsbarkeit bzw. Datenschutz) kaum andere erforderliche Änderungen vorgenommen werden. Im Übrigen erfolgten seit etlichen Jahren ausschließlich punktuelle Adaptierungen einzelner wehrrechtlicher Bestimmungen in kleinem Umfang. Somit hat sich bereits seit längerer Zeit ein inhaltlich und umfänglich erheblicher Modifikationsbedarf im gesamten Wehrrecht aufgebaut. Der entsprechende Entwurf für eine Sammelnovelle („Wehrrechtsänderungsgesetz 2019“) wurde nach umfassender ressortinterner und politischer Abklärung im Jänner 2019 dem allgemeinen Begutachtungsverfahren zugeleitet. Eine formelle Beschlussfassung des Entwurfes als Regierungsvorlage (vgl. 509 BlgNR, XXVI. GP) sowie deren Weiterleitung zur parlamentarischen Behandlung und Verabschiedung erfolgten Ende Februar 2019. Aufgrund der eingangs aufgezeigten politischen Verwerfungen konnte im Frühjahr 2019 keine materielle parlamentarische Behandlung stattfinden. Nach einem „Fristsetzungantrag“ wurde der Entwurf schließlich Ende September 2019 in der letzten Nationalratssitzung vor der Parlamentswahl angenommen. Die weiteren Formalschritte für das geplante Inkrafttreten mit 1. Dezember 2019 (Annahme im Bundesrat, Beurkundung durch den Bundespräsidenten, Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler, Kundmachung im Bundesgesetzblatt) sind umgesetzt bzw. eingeleitet. Inhaltlich werden mit dieser Novelle in allen zehn dem Wehrrecht zuzurechnenden Gesetzen im Wesentlichen einerseits der auf langjährigen praktischen Vollziehungserfahrungen beruhende Änderungsbedarf, andererseits diverse legistische Verbesserungsnotwendigkeiten umgesetzt. Im Speziellen sind vielfältige Adaptierungen zur Verwaltungsvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung vorgesehen. In materieller Hinsicht sind insbesondere diverse Modifikationen für die Milizangehörigen, mehrere Verbesserungen betreffend die Besoldung und Auszeichnungen für Soldaten im Präsenz- und Ausbildungsdienst sowie bedarfsorientierte Adaptierungen zur militärischen Befugnisausübung hervorzuheben.
Dienst- und Besoldungsrecht
Im Bereich des Dienst- und Besoldungsrechtes für Bundesbedienstete wurden mehrere Änderungen mit unmittelbarer Relevanz für das Verteidigungsressort mit der 2. Dienstrechtsnovelle 2019, BGBl. I Nr. 58, umgesetzt. Im Mittelpunkt stand dabei die Schaffung einer einheitlichen (weisungsfreien) „Bundesdisziplinarbehörde“ beim Bundesministerium für öffentlichen Dienst und Sport, die mit operativer Wirksamkeit ab 1. Juli 2020 an die Stelle der in jedem Bundesministerium eingerichteten Disziplinarkommissionen tritt und für alle Disziplinarverfahren für „zivile“ Bundesbeamte zuständig sein wird. Aufgrund einer uno actu erlassenen Novelle des Heeresdisziplinargesetzes 2014 wird diese neue Behörde auch für sämtliche Kommissionsverfahren gegen Militärpersonal zuständig sein. Die derzeit eigenständige, im Verteidigungsressort angesiedelte Disziplinarkommission für Berufssoldaten sowie die zur Vertretung der Dienstinteressen bei dieser Kommission vorgesehene Einrichtung des Disziplinaranwaltes werden dann aufgelöst. Diese umfassenden Zuständigkeitsverschiebungen sind im Wesentlichen mit der Nutzung erheblicher Synergieeffekte durch die gemeinsame Wahrnehmung der disziplinarbehördlichen Aufgaben im Bundesdienst bei einer einzigen, bundesweit zuständigen Einrichtung begründet. Darüber hinaus wurde in der gegenständlichen Novelle im Bundespersonalvertretungsgesetz die Einrichtung von Fachausschüssen im Verteidigungsressort unter Bedachtnahme auf diverse Änderungen der Heeresorganisation (ohne nennenswerte inhaltliche Modifikationen) neu geregelt und damit formelle Rechtssicherheit und -klarheit für die Durchführung der Personalvertretungswahlen im Herbst 2019 geschaffen.
Umbenennung Militärstreife
Im Spätsommer 2018 ordnete der Verteidigungsminister die formelle Umbenennung der „Militärstreife“ in „Militärpolizei“ im speziellen Interesse einer internationalen Vergleichbarkeit ihres militärischen Tätigkeitsfeldes mit Wirkung ab 1. April 2019 an. Zur Umsetzung dieser Anordnung waren im Legislativbereich mehrere Formalanpassungen im Bereich von Bundesgesetzen und -verordnungen erforderlich; konkret betraf dies Adaptierungen im Verkehrsrecht (Straßenverkehrsordnung 1960 und Kraftfahrgesetz 1967), Waffengesetz 1986 und Heeresdisziplinargesetz 2014 sowie in mehreren Durchführungsverordnungen im Verteidigungsressort. Auf Gesetzes- ebene ist der in Rede stehende Änderungsbedarf nunmehr vollständig umgesetzt (siehe die Novellen BGBl. I Nr. 97/2018 sowie 19, 37 und 58/2019). Auf Verordnungsebene ist derzeit noch die Modifizierung der Allgemeinen Dienstvorschriften für das Bundesheer (ADV) offen. Die entsprechende legislative Umsetzung ist eingeleitet.
Durchführungsverordnungen
Auf der Ebene der Durchführungsverordnungen wurden im Beobachtungszeitraum einige ressortbezogene Eigenlegislativmaßnahmen verwirklicht. Neben den erwähnten Formaländerungen im Zusammenhang mit der Einführung des Begriffes „Militärpolizei“ – davon konkret betroffen waren mehrere Verordnungen über die dienstrechtliche Grundausbildung von Ressortbediensteten – wurde mit Wirksamkeit vom 29. Dezember 2018 eine inhaltlich erweiterte „Befugnisverordnung“ für die EUTM Mali, BGBl. II Nr. 374/2018, neu erlassen und damit insbesondere Rechtssicherheit für eine mögliche Ausübung militärischer Zwangsbefugnisse durch die innerhalb dieser EU-Trainingsmission eingesetzten österreichischen Soldaten geschaffen. Im Übrigen trat mit 1. September 2019 eine weitere Novelle (BGBl. II Nr. 238/2019) der für die in einem Dienstverhältnis stehenden Soldaten vorgesehenen Dienstgradeverordnung 2018 in Kraft, die im Wesentlichen eine den bisherigen praktischen Erfordernissen Rechnung tragende Neuregelung des Zuganges zum Dienstgrad Stabswachtmeister vorsieht.
Staatsverträge
Bereits seit einigen Jahren wird vonseiten Österreichs eine Intensivierung der grenzüberschreitenden Kooperation im gesamten Spektrum der Luftraumüberwachung ins Auge gefasst. Zur Umsetzung dieser Absicht war zunächst der Abschluss eines (gesetzändernden) Staatsvertrages zwischen Österreich und der Schweiz zur umfassenden Zusammenarbeit im Bereich der grenzüberschreitenden Sicherung des Luftraums gegen nichtmilitärische Bedrohungen aus der Luft beabsichtigt. Dieses Abkommen sollte im Wesentlichen die Möglichkeit des „formlosen“ Überfliegens der gemeinsamen Staatsgrenze durch Militärluftfahrzeuge zum Zweck des sicheren „Übergebens“ eines verdächtigen zivilen Luftfahrzeuges an die Luftstreitkräfte des jeweiligen Nachbarstaates, einschließlich diverser Maßnahmen zur Identifikation und Intervention (ausgenommen die Ausübung eines militärischen Waffengebrauches), eröffnen. Ein diesbezüglicher Staatsvertrag wurde von den Verteidigungsministern der beiden Staaten am 28. September 2017 unterzeichnet und im Herbst 2018 der erforderlichen parlamentarischen Behandlung und Genehmigung zugeführt. Nach seiner formellen Ratifizierung und Kundmachung im Bundesgesetzblatt (BGBl. III Nr. 214/2018) trat dieser Staatsvertrag mit 1. Februar 2019 in Kraft und bietet nunmehr eine solide rechtliche Grundlage für die entsprechende militärische Zusammenarbeit der beiden Vertragspartner. Die im Frühjahr 2018 über eine deutsche Initiative begonnenen konkreten Bearbeitungen für einen (weitgehend inhaltsgleichen) Staatsvertrag zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland wurden im Jänner 2019 mit weiteren bilateralen Fachgesprächen sowie daran anschließenden innerstaatlichen Abklärungen fortgesetzt. Im Hinblick auf den verdichteten und konkretisierten inhaltlichen Konsens in dieser Materie in beiden Staaten kann für die nahe Zukunft mit einer zügigen Weiterbearbeitung dieses bilateralen Projektes gerechnet werden.
Ausblick
Die eingangs dargestellten aktuellen Rahmenbedingungen auf politischer Ebene – vorzeitige Beendigung der Legislaturperiode und daraus resultierende Neuwahlen zum Nationalrat im September 2019 sowie der Regierungsbildung – lassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine seriöse Prognose betreffend künftige legislative Schwerpunkte sowohl im allgemeinpolitischen als auch im ressortrelevanten Bereich zu. Es ist daher abzuwarten, welche konkreten Projekte mit Bedeutung für bzw. Auswirkungen auf den Bereich der militärischen Landesverteidigung im Arbeitsprogramm der Bundesregierung für die neue Gesetzgebungsperiode in Aussicht genommen werden.
Ministerialrat Brigadier Mag. Dr. iur. Karl Satzinger ist Leiter der Gruppe Präsidium, Rechtswesen und Legislativer Dienst im BMLV.