Lourdes: Beten für den Frieden
Glaube, Militär, Geschichte oder Gemeinschaft sind nur einige Schlagworte, die Mitte Mai 2024 Tausende Soldaten bewegten, an der internationalen Wallfahrt in Lourdes teilzunehmen. Etwa 400 Angehörige des Österreichischen Bundesheeres verlegten dorthin,
um die Aura dieses besonderen Ortes zu erleben.
Marschbereit!“, lautete am 23. Mai 2024 die Meldung an den Militärbischof von Österreich. Ein Kontingent des Österreichischen Bundesheeres – darunter Militärmusik, Fahnentrupp, Medienvertreter und natürlich Pilger – tritt seine Reise nach Lourdes an. Unter dem Motto „Kommt in Gemeinschaft hierher“ ist es für die Teilnehmer der Soldatenwallfahrt eine einzigartige Möglichkeit, um für Frieden und das Miteinander der Nationen zu beten. Zu Recht, denn der Krieg ist als Dimension der Politik zurück und steht in unmittelbarer Nähe an den Grenzen Österreichs. Der persönliche Bezug und die persönliche Betroffenheit für die Gesellschaft sind gegeben. Soldaten, die gemeinsam beten, kämpfen nicht gegeneinander – so die Hoffnung.
Lourdes bietet für das Individuum einen Platz der Begegnung und Kameradschaft sowie für alle die Gelegenheit zum Innehalten und zum Gedenken. Nach außen hin treten die heimischen Soldaten unter den etwa 40 Staaten als Vertreter und Repräsentanten Österreichs auf und verkörpern das Bundesheer am internationalen Parkett. Nicht das Individuum, sondern die Gemeinschaft steht im Vordergrund. Der Aufbau neuer persönlicher und organisatorischer Verbindungen soll einen Beitrag leisten, Konflikte in der Zukunft zu verhindern.
Stadt Lourdes
Lourdes ist eine Stadt in Frankreich auf 420 Metern Seehöhe mit rund 13 500 Einwohnern. Sie liegt im Vorgebirge der Pyrenäen, an der Grenze zu Spanien und ist weltweit bekannt als ein Marien-Wallfahrtsort. In der Grotte von Massabielle soll der Legende nach 1858 die Jungfrau Maria einem jungen Mädchen aus dem Ort erschienen sein. Dokumentiert sind 6 000 Heilungen, 2 000 davon „medizinisch unerklärlich“, 67 von der Kirche als Wunder eingestuft. Mit rund fünf Millionen Besuchern pro Jahr hat Lourdes die zweitgrößte Hoteldichte
Frankreichs. Lourdes hat eine Städtepartnerschaft mit Mariazell.
Programm
Trotz eines dicht gedrängten Programmes ist die unvergleichliche Atmosphäre in Lourdes überall spürbar. Bereits beim täglichen Morgensport Richtung Grotte oder zum Kreuz des aufragenden Gipfels des Pic du Jer werden die ersten Stimmungen des Tages läuferisch eingefangen. Nach dem Frühstück heißt es für alle Delegationsteilnehmer „Antreten – Standeskontrolle!“. Obwohl fern der Heimat, wird nichts dem Zufall überlassen. Ein straffer Zeitplan ist einzuhalten. Unterstützt von der Militärmusik Steiermark marschieren die Soldaten zu den Veranstaltungen im Heiligen Bezirk bzw. im Feldlager.
Die Grotte
Im Zentrum der Wallfahrt steht das Gebet zur „Lieben Frau von Lourdes“ – ob alleine für sich oder geschlossen in der Gemeinschaft der (internationalen) Kameraden. In der Grotte von Massabielle ist die Gottesmutter Maria 1858 der 14-jährigen Bernadette Soubirous, Tochter eines verarmten Müllers, mehrmals erschienen. „Die Grotte war früher ein Schweinehort. Im Schwemmland des Flusses Gave wurde Holz gesammelt. An diesem dunklen, dreckigen Fleck ist Maria als Unbefleckte Empfängnis erschienen“, so der Militärdekan und österreichische Bischofsvikar Alexander Wessely. In weiterer Folge wurden die Grotte und das dort entspringende Wasser nach Prüfung durch den Vatikan für heilig erklärt. Seit damals kommen Pilger an diese Stelle und beten bzw. bitten um Frieden und Gesundheit. Seit 1944 unternehmen Soldaten offiziell Pilgerreisen an diesen Ort der Gnade, des Trostes sowie der Zuversicht und beten für Frieden und Gesundheit.
Entstehung der Wallfahrt
Die internationale Soldatenwallfahrt entstand im Jahre 1958 aus einer gemeinsamen Friedensinitiative französischer und deutscher Soldaten, die den Wunsch hatten, durch ihren gemeinsamen Glauben bestehende Gegensätze zu überwinden. Seit ihrer Gründung nimmt eine österreichische Delegation durchgehend an dieser Wallfahrt teil. Heute ist dieses Treffen die größte Friedenskundgebung von Soldaten der europäischen Streitkräfte. Dies bekräftigt auch Papst Franziskus in seiner Grußbotschaft während der internationalen Eröffnungsfeier: „Wir brauchen Männer und Frauen des Glaubens, die fähig sind, die Waffen in den Dienst des Friedens und der Geschwisterlichkeit zu stellen. Wo immer du hingeschickt wirst, bezeuge das Evangelium unter deinen Kameraden!“
So kommt es, dass am letzten Wochenende im Mai etwa 15 000 Soldaten – darunter eine Delegation aus den Vereinigten Staaten, der Elfenbeinküste, der Ukraine sowie eine Abordnung der Schweizer Garde – an Kreuzwegen, Prozessionen, nationalen und internationalen Messen teilnahmen und gemeinsam beteten. Neben den Gebeten bleibt Zeit für eine Stadt- und Burgführung. Am Platzkonzert der Militärmusik nimmt auch die einheimische Bevölkerung teil. Im Anschluss stimmen in der von Pilgern gefüllten Altstadt Hunderte italienische Soldaten in das Italo-Medley mit dem Hit „Sarà perché ti amo“ mit ein. Ob im Zeltlager, den Hotels oder den Cafés der Stadt: Mit der Kameradschaftspflege werden Kontakte geschlossen und es wird länderübergreifend musiziert und gesungen.
Es sind der Glaube und die Kameradschaft, die für die Gemeinschaft der Pilger die Attribute des Verbindenden darstellen. „Soldat sein verbindet, trotz der Herausforderungen durch kulturelle und traditionelle Unterschiede“, so der Militärbischof für Österreich, Dr. Werner Freistetter. Eine besondere Verbundenheit wird dem „Chaplain“ der ukrainischen Streitkräfte stellvertretend für sein Land erwiesen: Infolge seiner Ansprache bei der Schlusszeremonie reagieren die Teilnehmer mit minutenlangem Applaus.
Auf die Frage, was die Beweggründe zur Teilnahme an der Soldatenwallfahrt seien, meint eine Soldatin: „In der heutigen Zeit ist es wohl mehr denn je notwendig, für den Frieden zu beten, denn am grünen Tisch alleine werden Konflikte augenscheinlich nicht gehindert auszubrechen, noch werden sie dort gelöst.“ Ein Kamerad begründet seine Reise wie folgt: „Neben einem persönlichen bzw. familiären Antrieb zur Wallfahrt fördert der Glaube den Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl unter den Soldaten. Dies soll national und international erfolgen. Mir ist es wichtig, dazu beizutragen und diese Stimmung zu erleben.“
Tieferer Sinn
Der Glaube spielt für viele Menschen und ganz speziell für viele Soldaten eine ganz besondere Rolle. Er kommt dabei in verschiedenen Aspekten des militärischen Lebens und in der Bewältigung persönlicher Herausforderungen vor. „Du sollst nicht töten“ – wie es im fünften Gebot heißt – steht im Gegensatz zur militärischen Auftragserfüllung, die in letzter Konsequenz den letalen Einsatz der Waffe bedeutet. Hier bietet der Glaube eine feste Unterstützung. Insbesondere in traumatischen oder stressigen Situationen kann der Glaube als psychologische Unterstützung Halt bieten. Damit verbunden spendet er Trost und Hoffnung bei der Bewältigung von gefährlichen Situationen. Durch ein In-sich-Gehen oder durch Gebete kann Stress abgebaut und innere Ruhe gefunden werden. Dies wirkt sich wiederum positiv auf die Kampfgemeinschaft aus.
Religionen vermitteln durchwegs Werte wie Ehrlichkeit, Verantwortung oder Mitgefühl. Werte, die Soldaten helfen, Entscheidungen nach ethischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Somit wird der Glaube zu einem moralischen Kompass und gibt den ideellen Weg vor, der gegangen werden soll.
Neben den moralischen Grundsätzen des einzelnen Soldaten kann der Glaube Einfluss auf die Art und Weise der Kriegsführung im Allgemeinen haben. Religiöse Überzeugungen können beispielsweise die Anwendung von Gewalt einschränken und die Einhaltung humanitärer Prinzipien fördern. Sie können dazu beitragen, dass Soldaten das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und den Schutz von Zivilisten respektieren. Ähnlich den militärischen Traditionen, vermag es der Glaube, das Kollektiv der Soldaten zu stärken und den Zusammenhalt zu fördern. Durch gemeinsam geteilte Meinungen und Anschauungen oder das Begehen von liturgischen Feiern werden der Zusammenhalt und das Vertrauen gestärkt. Dadurch werden die gegenseitige Unterstützung und Solidarität gefördert.
„Ich hatt’ einen Kameraden“ – der Umgang mit Verlusten ist eine Thematik, der sich Soldaten wohl oder übel stellen müssen. Hier kann der Glaube unterstützen. Für Soldaten, die Kameraden im Einsatz verlieren oder verloren haben, bietet er Trost und eine Möglichkeit, mit Trauer und Schmerz umzugehen. Rituale wie Gottesdienste oder Gedenkfeiern und Gebete unterstützen bei der Verarbeitung von Schmerzen. So war es „The Last Post“, gespielt von der British Army Band, das auf dem sonst so quirligen Vorplatz der Basilique Notre-Dame du Rosaire für absolute Stille sorgte; ein Gänsehautmoment.
Pilgerandenken
Bei den Pilgerandenken handelt es sich nicht nur um das hektoliterweise abgefüllte Wasser aus der Grotte – welches Behauptungen zufolge nie verdirbt – oder die Kerzen, die als Mitbringsel gekauft wurden, sondern in erster Linie um immaterielle, ideelle Andenken. Ein Schweizer General bringt es auf den Punkt: „Von nun an heißt es liefern. Das wird von uns erwartet. Jeder hat in seinem persönlichen privaten und dienstlichen Bereich den Auftrag, am Frieden beizutragen. Sei es im militärischen Bereich mit den Untergebenen oder Vorgesetzten, im zivilen Bereich mit den Partnern, den Freunden oder der Familie. Denn Friede kommt zu denen, die ihn vorbereiten.“
Fazit
„Go(o)d job – mission accomplished“, lautet das militärische Fazit des Kontingents des Österreichischen Bundesheeres, das seine Repräsentationsaufgaben würdig wahrnahm. Die Teilnehmer der heimischen Abordnung erlebten nicht nur eine unterhaltsame und erlebnisreiche Zeit. Der Austausch und das Aufeinanderzugehen schafften neue Perspektiven, Vorurteile wurden abgebaut und Freundschaften geschlossen. Dass diese Verlegung durch die gezeigte und gelebte Gemeinschaft zu Frieden und Sicherheit beiträgt, ist unbestritten; so das geistliche Fazit. Die Pilger haben den Glauben nicht nur gesehen, sondern auch gefühlt, erlebt und gespürt. So ist die Kameradschaftspflege bei der Soldatenwallfahrt ein wichtiger und gewollter Teil, doch formt und prägt diese Reise weit darüber hinaus. Diese Erfahrungen nehmen alle auf ihrem künftigen Weg mit. Ein Bewusstsein, dass bei einigen vielleicht erst auch später eintritt.
Ministerialrat Oberst dhmfD Mag.(FH) Dr. Wilfried Thanner, MLS; Referent im Referat InfoOW/Abteilung Zielgruppenkommunikation im BMLV
Dieser Artikel erschien im TRUPPENDIENST 3/2024 (399).