• Veröffentlichungsdatum : 10.02.2021
  • – Letztes Update : 12.02.2021

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Comeback in Moosburg

Gerold Keusch, Luis Wildpanner

Obwohl Wildpanner in Hawaii eine sportliche und, wegen der enormen organisatorischen und körperlichen Anstrengungen, auch persönlich sehr schmerzliche Niederlage erlitt, wurde er im Jahr 2004 erneut zum Heeressportler des Jahres gewählt. Nachdem er bereits 2002 nach seinem fulminanten Debut in der Ultra-Triathlon-Szene erstmals sowohl den Weltmeistertitel als auch den Weltrekord nach Österreich holen konnte, entschied sich das Gremium auch 2004 wieder dafür, ihn nun bereits zum zweiten Mal mit diesem Titel auszuzeichnen. Die Trophäe war kein „Trostpreis“, sondern vor allem die Anerkennung für seinen dritten Sieg in Serie beim Double-Ironman in Neulengbach, obwohl dieses Rennen im Juni 2004 ausnahmsweise nicht als Europameisterschaft ausgeschrieben war.

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Wildpanners Selbstbewusstsein und seine Motivation erhielten durch diese besondere Auszeichnung einen ungeahnten Aufschwung. Immer wieder drangen die Erfolge, die er bei den meisten seiner Wettkämpfe erzielen konnte, in sein Bewusstsein und verdrängten die Enttäuschung der Niederlage von Hawaii. Relativ rasch war für ihn klar, dass es „nur“ das Pech der Verletzung war, das seinen so sehr erhofften Sieg über die zehnfache Ironman-Distanz vereitelte. Mit diesem Misserfolg konnte und wollte er aber seine sportliche Karriere keineswegs beenden. Deshalb stand bereits kurz nach dem unfreiwilligen Aus in Hawaii fest, dass er seine Karriere auch in der nächsten Saison fortsetzen würde – um wieder auf die Siegerstraße zurückzukehren. Als Start zu diesem neuen Ziel – und zur Überprüfung seiner über die Wintermonate wiedererlangten muskulären Belastbarkeit – wählte er erneut die Europameisterschaft über die doppelte Ironman-Distanz. Diese wurde im Frühjahr 2005 jedoch nicht wie die Jahre zuvor in Neulengbach, sondern erstmals in Moosburg (Kärnten) ausgetragen.

Luis gelang, was damals kaum jemand für möglich gehalten hätte. Trotz unzähliger Unkenrufe und den  „Warnungen“ vieler Außenstehender erneut an den Start zu gehen, schaffte er sein sportliches Comeback. Obwohl die Streckenführung in Kärnten keine Spitzenzeit für einen Weltrekord zuließ, lief er in Moosburg 2005 mit einer Zeit von 21:59:14 Stunden abermals als Gesamtsieger über die Ziellinie. Mit einem Rennverlauf, der für ihn typisch war, gelang es ihm nun auch in seiner Heimat Kärnten, den Titel des Double-Ironman-Europameisters zu sichern – und das zum dritten Mal in Folge bei einem Rennen in Österreich. Es blieb aber nicht bei dem Sieg in der Einzelwertung. Mit zwei anderen Österreichern konnte er überraschend und von den Zusehern umjubelt auch die Trophäe für den Mannschafts-Europameistertitel in Empfang nehmen. Seine Teamkollegen waren Martin Schytil (Gesamtrang 3 in 25:31:29) und Dietmar Hierzer (Gesamtrang 7 in 27:06:48).

Mein dritter Double-Ironman-Europameistertitel

Anmerkung: Den nachfolgenden Erlebnisbericht schrieb Luis Wildpanner kurz nach seinem Sieg in Moosburg 2005.

Vom 9. bis 12. Juni 2005 startete ich bei den Europameisterschaften in Moosburg (Kärnten) im Double Ultra-Triathlon (doppelte Ironman-Distanz) für den HSV Melk. Dabei waren die Distanzen von 7,6 km Schwimmen, 360 km Radfahren sowie 84,4 km Laufen zu absolvieren. Neben den 37 Einzelstartern (davon fünf Frauen) aus insgesamt zehn Nationen nahmen erstmals auch 17 Megastaffeln (zehn Männer/Frauen), sechs 5er-Teams und vier 3er-Teams an einer Europameisterschaft in dieser Disziplin teil.

Als haushohe Favoritin bei den Frauen galt die bislang mit Abstand beste Ultra-Triathletin der Welt, die deutsche Astrid Benöhr, die unter anderem die Weltbestzeit der Damen in den wichtigsten drei Ultra-Triathlon-Disziplinen (zwei-, drei- und zehnfache Ironman-Distanz) hält. Bei den Herren zählte, neben den Franzosen Fabrice Lucas (Weltrekordhalter über die zehnfache Ironman-Distanz) und Emmanuel Conraux (Weltrekordhalter über die fünffache Ironman-Distanz), vor allem ich als bislang ungeschlagener Welt- und Europameister im Triple und Double Ultra-Triathlon zu den Favoriten. Da ich mein bisher größtes sportliches Ziel, den Weltmeistertitel über die zehnfache Ironman-Distanz im Jahr 2004 in Hawaii nicht erreichen konnte, war meine Motivation besonders hoch, um meine Leistungsbereitschaft und -fähigkeit ein weiteres Mal unter Beweis zu stellen.

Die Betreuung im Zuge eines Bewerbes mit der Gesamtdauer von 20 Stunden und mehr war für mich immer von besonderer Bedeutung. Aufgrund der negativen Erfahrungen auf Hawaii stellte ich ein komplett neues Team zusammen, das die Grundlage für meinen neuerlichen Erfolg bilden sollte. Herbert Egger hatte sich zwischenzeitlich selbstständig gemacht und war innerhalb kürzester Zeit derart ausgelastet, dass er als Teammitglied und für eine weitere Betreuung zu meinem Bedauern nicht mehr zur Verfügung stand. Daher hatte sich für dieses Mal Vizeleutnant Planer Werner, der „Mann der ersten Stunde“, als neuer Leiter für mein Betreuungsteam angeboten. Neben ihm standen vor allem meine Freundin Ingrid sowie nahezu all ihre Geschwister an meiner Seite.

Ingrid hatte mich bereits in Hawaii nach besten Kräften unterstützt, ihre Geschwister hatten mir von zu Hause die Daumen gehalten. Ihr Bruder Raimund übernahm in Moosburg die Aufgabe der Verpflegsübergabe, die sich aufgrund der hohen Geschwindigkeit während des Radsplits vor allem in der Nacht als besonders anspruchsvoll erwies. Ingrid hatte die Aufgabe der exakten Rundenzählung sowie der individuellen Zeitnehmung und der „Überwachung“ meiner stärksten Konkurrenten. Markus und Wolfgang unterstützten und ergänzten innerhalb des Teams wo gerade Not am Mann war und die Oberösterreicherin Monika Schöffl übernahm als gelernte Köchin die Zubereitung der Wettkampfverpflegung.

Start ins „kalte Wasser“

Nach zwei detaillierten Teambesprechungen im Vorfeld des Wettkampfes, sowie dem Umsetzen deren Ergebnisse am Tag vor dem Start im Athletencamp, erfolgte am Freitag, den 10. Juni 2005 um 16 Uhr der Start in den nur 18° C kalten Moosburger Mühlteich. Es galt nun 13 Runden á 585 m zu schwimmen. Dabei stellte sich wie bereits im Vorfeld vermutet heraus, dass es durch die eher kurzen Runden im Verhältnis zur Anzahl der Schwimmer immer wieder zu Behinderungen der Einzelstarter durch die Staffelteilnehmer kam, von denen naturgemäß viele erheblich schneller durch das Wasser „pflügten“. Zusätzlich erschwert wurde das Schwimmen durch die gleiche Farbe (weiß) der Schwimmhauben und der Wende- bzw. Richtungsbojen, deren relativ kleine Größe zusätzlich für Orientierungsprobleme und Verwirrung sorgte.

Nach 2 Stunden, 11 Minuten und 44 Sekunden stieg der Franzose Pascal Pich, der Präsident des internationalen Dachverbandes des Ultra-Triathlons, der I.U.T.A. und einer der besten Schwimmer im Ultra-Triathlon-Zirkus, aus dem Wasser. Verfolgt wurde er von seinem Landsmann Fabrice Lucas, dem Weltrekordhalter über die zehnfache Ironman-Distanz, mit 2:18:13. Ich stieg mit einer Zeit von 2:40:46 auf dem für mich außergewöhnlich guten siebten Rang aus dem Wasser. Allerdings war ich wegen meiner undichten Schwimmbrille wütend – vor allem über mich selbst, da sich diese aufgrund der nicht optimalen Passform immer wieder mit kaltem Wasser füllte und ständig beschlagen war. Das war ein spürbarer Nachteil bei der trüben Sicht im Teich, der Vielzahl an Konkurrenten und eher kurzen Runden. Bei der Vorbereitung war mir dieses Manko nie sonderlich aufgefallen, da ich mich aus trainingstechnischen Gründen bis auf wenige Ausnahmen in Hallen- und Freibädern (Technik und Zeit sind dort wesentlich effizienter zu trainieren) auf den Schwimmbewerb vorbereitet hatte.

Aufholjagd

Nach dem Schwimmbewerb waren meine Finger durch das kalte Wasser derart gefühllos, dass ich nicht einmal mehr in meine Schuhe hineinschlüpfen, geschweige denn, die Schuhbänder zuschnüren konnte. Nach mehreren vergeblichen Versuchen nahm ich sie kurz entschlossen in die Hand und lief die etwa 200 m lange Strecke barfuß in die Wechselzone. Beim Wechsel war ich erfahrungsgemäß immer einer der Schnellsten, denn es gab bei keinem meiner Bewerbe für mich jemals einen Grund, mir dabei Zeit zu lassen, weil dadurch die Wettkampfdauer erheblich länger geworden wäre. Zudem waren einige hochkarätige französische Athleten am Start, an der Spitze Emmanuel Conraux, der Weltmeister aus dem Jahre 2001 über die doppelte und dreifache Ironman-Distanz. Seit dem Jahre 2002 waren wir viermal gegeneinander angetreten, davon wurde er einmal Vierter und dreimal Zweiter. Zweimal davon mit nur etwa 15 Minuten Rückstand, einem Wimpernschlag bei einer Wettkampfdauer von über 20 Stunden. An dieser Reihenfolge sollte sich auch heute nichts Wesentliches ändern – das konnte ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht wissen.

Auch mein neues Team leistete ganze Arbeit und so war für den Rad-Split alles perfekt vorbereitet. Die Teamköchin Monika schob mir noch einige Bissen in den Mund, die ich mit mehreren kleinen Schlucken eines speziell auf meine Wünsche abgestimmten Energiegetränkes hinunterspülte. Dann gab mir Ingrid noch ein paar aufmunternde und liebevolle Worte auf den Weg – und los ging es mit noch eiskalten Gliedern auf die Radstrecke. Nun galt es 50 Runden á 7.095 m zu fahren und abschließend eine ca. 6 km lange Schleife auf die fehlenden 360 km zurückzulegen. Die Strecke erwies sich mit fortlaufender Dauer als sehr anspruchsvoll. Die erste Hälfte wies ein moderates Gefälle auf, dafür musste ich bei der Retourfahrt der Wendestrecke mehrere Male aus dem Sattel, um die drei Anstiege, die mit Fortdauer des Rennens „immer steiler“ wurden, gemäß meinen Anforderungen möglichst schnell zu überwinden. Besonders anspruchsvoll und für mich nicht ganz verständlich war der Ort der Wende auf der diesmal lobenswerterweise für den Verkehr gesperrten Umfahrungsstraße von Moosburg. Diese war inmitten eines bergab führenden Straßenabschnittes festgelegt, sodass das hohe Tempo nur durch kräftiges Abbremsen auf beinahe Schrittgeschwindigkeit zu reduzieren war. Nach dem Passieren der Wendemarke musste man hingegen aus dem Stand heraus bergwärts kräftig in die Pedale treten, um einigermaßen zügig wieder auf Touren zu kommen. Die Bedingungen waren zwar für alle gleich, allerdings kann so weder eine Spitzenzeit, geschweige denn ein Weltrekord, erreicht werden.

Das Wetter war heiter, allerdings blies mir ein böiger Wind ins Gesicht, sodass mir trotz Radbrille die Tränen über die Wangen liefen und bei nur etwa 15° C dauerte es einige Runden, bis ich mich einigermaßen erwärmen konnte. Die „Freude“ darüber währte allerdings nicht lange, denn die ohnehin nur teilweise durchblinzelnde Sonne senkte sich mit beängstigender Geschwindigkeit, bis sie schließlich zur Gänze hinter dem Horizont verschwunden war. Aber in welche „Untiefen“ sich die Temperaturen nun begeben sollten, hätte ich auch in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet. Wir schrieben den 10. Juni, ich erreichte bei den Bergab-Passagen Geschwindigkeiten von mehr als 50 km/h und die gefühlte Temperatur fiel damit unter 0°, wie man an den vom Raureif glänzenden Außenhüllen der Betreuerzelte deutlich sehen konnte. Dennoch fuhr ich mit meiner perfekt abgestimmten Rennmaschine „auf Teufel komm’ raus“ so lange weiter, bis ich fast nicht mehr schalten und bremsen konnte. Spätestens jetzt musste ich aus Gründen der Gesundheit und Sicherheit endgültig „in die Box“, um mir Winterbekleidung überzuziehen.

Diese Entscheidung kostete mich einiges an Überwindung, da es bis dahin ein eisernes Prinzip von mir war, bis einschließlich der dreifachen Ironman-Distanz (außer den beiden Wechseln zwischen den drei Teildisziplinen), niemals stehen zu bleiben. Ich hatte mir auch bereits zu Beginn meines Triathlon-Trainings angewöhnt, soviel wie möglich aus und in der Bewegung zu erledigen – egal ob beim Laufen oder am Rad, einzig beim Schwimmen war das bei der Nahrungsaufnahme nicht möglich. Keine Pausen zu machen ist eine reine Einstellungssache, kostet nur wenig Überwindung und spart vor allem wertvolle Zeit. Zusätzlich fällt dabei das anstrengende neuerliche „Ankurbeln“ (auch in mentaler Hinsicht), selbst nach einem kurzen Halt weg. Für die meisten meiner Konkurrenten war es jedoch normal, immer wieder kleinere und sogar größere Pausen zu machen. Mitunter deshalb kamen viele von ihnen oft erst mehrere Stunden nach mir ins Ziel.

Der ungewollte Aufenthalt kostete mich allerdings keine fünf Minuten. Ich wurde von Werner und Raimund vom Rad auf einen Sessel im Betreuerzelt gehievt. Danach zog mir jeder von ihnen einen Radüberschuh an, gleichzeitig wurden mir von Monika warme Leckerbissen in den Mund geschoben. Bereits wenige Augenblicke später half man mir beim Überziehen einer wärmenden windabweisenden Jacke und nachdem ich endlich meine Winterhandschuhe anhatte, ging es wieder auf die Strecke. Ein weiteres Mal wurde mir eindrucksvoll vor Augen geführt, wie wichtig meine Betreuer waren. Schließlich waren meine Finger derart steif gefroren, dass ich mir alleine nicht einmal einen Handschuh hätte anziehen können.

Die Franzosen erfüllten während des Radbewerbes – von einer Ausnahme abgesehen – zum Glück nicht meine Erwartungen. Ich holte Runde für Runde relativ rasch auf und nachdem der Radbewerb auf einer Wendestrecke stattfand, konnte ich beim „Aneinander vorbeifahren“ sehen, wie der Vorsprung meiner wichtigsten Gegner zusammenschmolz. Bis zur Hälfte des Radbewerbes hielten die beiden Franzosen Fabrice Lucas und Emmanuel Conraux tempomäßig einigermaßen mit, mit Fortdauer des Rennens fiel aber vor allem Lucas immer weiter zurück. Conraux hingegen kämpfte in gewohnter Manier wie ein Löwe um seine fünfte Chance, mich endlich zu schlagen. Da es mittlerweile längst Nacht geworden war, wurde die Strecke von etwa alle 50 m senkrecht auf Holzlatten montierten Neonröhren zwar ausreichend beleuchtet, meine Gegner konnte ich dennoch nicht mehr eindeutig erkennen. Erschwerend kam hinzu, dass auch sie ihre Bekleidung gewechselt hatten. So begann ich mich auf bewährte Art und Weise immer mehr auf mich selbst zu konzentrieren. Allerdings setzte wegen der fortgeschrittenen Wettkampfdauer nun auch bei mir die Müdigkeit ein, vor allem aber belasteten mich die stetig fallenden Temperaturen immer stärker.

In dieser Phase zeigte sich einmal mehr die Bedeutung eines aktiven Teams. Durch exakte, kurze und vor allem laufende Informationen wurde mir schnell klar, dass ich im Verhältnis zu meinen härtesten Gegnern auch dieses Mal wieder schnell unterwegs war. Dieses Wissen motivierte mich zusehends. Somit war es nur eine Frage der Zeit (seit längerem lag ich nun schon auf dem dritten Gesamtrang), bis ich an den – nach wie vor an zweiter Stelle liegenden – Lucas und bald darauf am bereits müde und ausgelaugt wirkenden Franzosen Pich vorbeifahren würde. Pich war, was ich ganz und gar nicht begreifen konnte, nur zwei Wochen zuvor über die selbe Distanz in Neulengbach gestartet.

Da beide Konkurrenten zu diesem Zeitpunkt offensichtlich resigniert hatten (Pich Pascal gab kurz darauf, nach 33 Radrunden wegen einer Muskelzerrung im Oberschenkel auf), gingen die beiden Überholvorgänge so rasch vor sich, dass ich die Übernahme der Gesamtführung erst registrierte, als ich von meinem Team um etwa 0130 Uhr in der Früh darüber informiert wurde. Nun hieß es dranbleiben und weiter Dampf machen, denn der Radbewerb ist jene Disziplin im Ultra-Triathlon, bei der ich bei all meinen bisherigen acht Teilnahmen noch jedes Mal der Schnellste war und dabei meistens auch noch einen neuen Streckenrekord erzielte.

Mit Vorsprung in die Laufschuhe

Wohlwissend, dass mir jede Minute, die ich Conraux beim Radbewerb abnehmen konnte, einen unbezahlbaren Vorsprung auf der unmittelbar darauffolgenden 84,4 km langen Laufstrecke bringen würde, trat ich weiterhin so fest wie möglich in die Pedale. Bei Tagesanbruch, um etwa 6 Uhr morgens, beendete ich die 360 km mit einer Zeit von 11 Stunden, 21 Minuten und 29 Sekunden. Das ergab einen Schnitt von etwa 32 km/h. Bei besseren Bedingungen schaffte ich bisher bei Rennen über die gleiche Distanz eine um drei bis vier km/h höhere Durchschnittsgeschwindigkeit. Zwei Jahre zuvor fuhr ich bei meinem Weltrekord im Zuge der Weltmeisterschaft über die dreifache Ironman-Distanz in Lensahn eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 33 km/h auf einer Distanz von 540 km. Aufgrund der Bedingungen und im Verhältnis zur Zeit meiner Gegner konnte ich aber auch hier mehr als zufrieden sein.

Obwohl sich die Temperaturen nun langsam „zu erholen“ begannen, war es immer noch bitterkalt und am Ende des Radbewerbes war ich derart steifgefroren, dass ich Mühe hatte, alleine vom Rad zu steigen. Meine Fingerspitzen, vor allem die beiden Mittel- bzw. Zeigefinger, waren trotz der winddichten Winterhandschuhe sogar noch einen Monat nach dem Wettkampf taub. Mit vereinten Kräften wurden mir von meinen Betreuern die feuchtnassen Kleidungsstücke vom Leibe gerissen und schneller als mir diesmal lieb war, hatten sie mir auch schon meine Laufschuhe angezogen. Ich durfte allerdings nicht allzu viel Zeit verlieren, da ich meinem „ewigen Rivalen“ Emmanuel Conraux von Beginn des Laufbewerbes an keine Chance für eine seiner befürchteten Aufholjagden einräumen wollte. Denn eines war so sicher wie das Amen im Gebet – er würde kommen und ein weiteres Mal versuchen, mir den Titel streitig zu machen.

Allerdings war er auch noch nie so weit hinter mir wie dieses Mal. Alleine über die Schwimmdistanz hatte ich ihm mit über 20 Minuten – mehr als doppelt so lange als bei meiner bis dahin besten Schwimmzeit (in Neulengbach waren es ein Jahr zuvor ca. zehn Minuten) – abgenommen. Was selbst die wenigsten Ultratriathleten wissen: Conraux zählte damals auch zu den besten Ultra-Langstrecken-Läufern der Welt. Ein Jahr zuvor lief er beispielsweise bei der Weltmeisterschaft im 24-Stunden-Lauf auf den dritten Gesamtrang. Und was vielleicht sogar noch weniger wissen: das Radfahren war vor allem zu Beginn meiner sportlichen Laufbahn im Ultra-Triathlon nicht meine einzige Stärke.

Mein eiserner Wille zur neuerlichen Überwindung dieser erheblichen Belastungen war vor allem mein unerschütterlicher Glaube, nach wie vor einer der besten Läufer in der Ultra-Triathlon-Szene zu sein. Alleine deshalb war es mir nicht genug, „nur“ einen guten Wettkampf zu bestreiten. Ich wollte hier vor allem ein weiteres Mal gewinnen. Dieses Ziel erforderte neben einem gediegenen Training, einer perfekten organisatorischen Vorbereitung ein hochmotiviertes Team und die exakte Kenntnis der Stärken und Schwächen der Gegner, um mich und meine Taktik optimal auf diese einstellen zu können.

Die letzten Wettkämpfe ergaben Großteils dasselbe Bild: zu Beginn der Rennen, vor allem beim Schwimmbewerb und noch bis zur Hälfte der Raddisziplin, kämpften viele meiner Mitstreiter teils verbissen um jeden Platz. Einige Stunden später waren sie dann, noch lange vor Beendigung des Laufbewerbes, aufgrund des hohen Kräfteverschleißes zum Wechsel zwischen Laufen, Gehen und Pausieren gezwungen. Sowohl der Franzose Conraux als auch ich waren da eher die Ausnahme. Wir beide konnten ein relativ hohes Tempo nicht nur über einen langen Zeitraum aufrechterhalten, sondern bis zum Ende sowohl auf der Rad- als auch auf der Laufstrecke dieses erforderlichenfalls noch steigern. Der Franzose hatte zudem die „unangenehme“ Eigenschaft, dass er am Rande der Erschöpfung und selbst in scheinbar aussichtsloser Position noch in der Lage war, einen Kilometerschnitt von etwa 4:00 min hinzuknallen.

Die Sonne kehrt zurück

Nun, einige Wettkämpfe später, war ich bereits um ein vielfaches gelassener und wie wichtig dieses Wissen um die Stärke meines größten Konkurrenten war, sollten die nächsten Stunden zeigen. Ich genoss die ersten Kilometer, da ich mich nun beim Laufen endlich zusehends erwärmte – und auch das Zuschauerinteresse erwachte wieder mit diesem neuen Tag. In der Nacht war ich mit meinen Freunden aus dem Betreuerteam und meinen Konkurrenten mutterseelenalleine auf weiter Flur, aber auch darauf hatte ich mich von vorneherein gut eingestellt – denn das Alleinsein über lange Zeiträume ist ein typisches Kennzeichen des Ultra-Triathlon-Sports. Trotz meiner zunehmenden Wadenprobleme und deshalb deutlich eingeschränkten Lauftrainings war ich überraschend schnell unterwegs und bereits zu Beginn guter Hoffnung, den bereits erheblichen Vorsprung erneut ins Ziel zu bringen.

Mit etwa 20 Minuten Rückstand wechselte der Franzose Fabrice Lucas als Zweiter vom Rad auf die Laufstrecke. Von ihm drohte allerdings keine Gefahr. Wir nahmen bereits vor zwei Jahren den Laufbewerb in Neulengbach nahezu gleichzeitig in Angriff und am Ende betrug mein Vorsprung auf ihn knapp eine Stunde. Ein zusätzlicher Motivationsschub ergab sich durch die Möglichkeit der persönlichen Kontrolle über Conrauxs letzte Radrunden, da die Laufrunde mit einem kurzen Abschnitt der Radrunde ident war. Insgesamt waren im abschließenden Laufbewerb 57 Runden á 1.481 m mit einer überaus unangenehmen etwa 200 m langen, der prallen Sonne ausgesetzten Steigung zu absolvieren. Das Geschrei einiger „übernachtiger“ Fans empfand ich im Verhältnis zu meinem mittlerweile eher moderaten Lauftempo mehr als übertrieben, ich ließ es allerdings über mich ergehen und bedankte mich dafür höflich Runde für Runde.

Nach einer Stunde und mittlerweile sieben Runden Rückstand betrat nun auch Emmanuel Conraux das Laufbankett. Er lief von Beginn an wie erwartet mit einem hohen Tempo und da er seine Chance auf den Titel wahren wollte, hatte er auch keine andere Möglichkeit. Aber dieses Mal konnte er es sich, im Gegensatz zu unseren vergangenen Aufeinandertreffen, nicht leisten zu taktieren. Er musste von Anfang an alles geben, da sein Rückstand diesmal bereits beträchtlich war. Aufgrund dieses für mich unerwarteten aber durchaus angenehmen Umstandes musste ich fast schmunzeln, denn es war wieder einmal – wie bereits in den Rennen zuvor – das gleiche „Spiel“. Ich hatte mein Team auf diese vorauszusehende Situation vorbereitet und es reagierte, arbeitete und informierte mich verlässlich wie ein Uhrwerk. Nachdem die äußeren Umstände sowie die Streckencharakteristik einen neuerlichen Weltrekord unmöglich machten, zählte für mich diesmal nur der Sieg.

Aus Erfahrung wusste ich, dass es völlig sinnlos war, mich bei diesem Tempo an Conraux anzuhängen, obwohl ich mir das bei jedem seiner Überholmanöver überlegte und es möglicherweise über einen gewissen Zeitraum sogar gelungen wäre. Aber wozu? Der Wettkampf war noch lange nicht vorbei und ich dachte bereits an die kommende Weltmeisterschaft über die selbe Distanz Ende August, die zum wiederholten Male in Litauen stattfinden würde. Jeder „unnötig“ zu schnell gelaufene Kilometer würde mir wertvolle Zeit bei der Regeneration kosten – und mit dem Rennen in Litauen hatte ich ja noch eine Rechnung offen. Und so wurde ich von Conraux mit gewohntem Höllentempo überrundet und überrundet. Der Sprecher im Zielgelände überschlug sich beinahe vor Aufregung angesichts der Aufholjagd des Franzosen und der zunehmende Jubel der immer größer werdenden Anzahl heimischer Zuseher trug das ihre dazu bei. Sie alle wussten aber nicht, was ich nur zu gut wusste und daher hielt ich auch, das Ziel bereits vor Augen, an meinem im Vergleich zu Conraux moderaten Tempo fest.

Zieleinlauf als Sieger

Am Samstag, den 10. Juni 2005 lief ich kurz vor 14 Uhr, nach 21:59:14 Stunden im Ortszentrum von Moosburg als alter und neuer Europameister über die doppelte Ironman-Distanz unter dem frenetischen Jubel der begeisterten Zuseher über die Ziellinie. Die Hochrechnungen meines Teams zur Abstimmung meiner Laufgeschwindigkeit auf das Tempo des Franzosen stimmten ein weiteres Mal so exakt, dass der Franzose – nun bereits zum fünften Mal – mit der „berühmten“ Viertelstunde Rückstand und abermals als Zweiter in einer Zeit von 22:14:38 das Ziel erreichte. Erst während der offiziellen Siegerehrung am nächsten Tag erfuhr ich von meinem neuerlichen Doppelerfolg nach 2002 in Neulengbach. Gemeinsam mit Martin Schytil (Rang 3 mit 25:31:29) und Dietmar Hierzer (Rang 7 mit 27:06:48) holte ich auch die Goldmedaille im Mannschaftsbewerb für Österreich.

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Hofrat Gerold Keusch, BA ist Redakteur beim TRUPPENDIENST. Oberstleutnant Luis Wildpanner ist Diplomsportlehrer und Referent im Fachstab Luft.

 

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