- Veröffentlichungsdatum : 16.05.2022
- – Letztes Update : 20.05.2022
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"Der Österreicher im Eurocorps"
Oberstleutnant dG Helmut Fiedler dient seit dem 30. August 2021, derzeit als einziger österreichischer Soldat, im Eurocorps am Standort Straßburg. Er ist für die kommenden drei Jahre in der französisch geführten Planungsabteilung des Eurocorps eingesetzt. Darin übernimmt er vor allem die Aufgabe des Planungsgruppenleiters bei der "Crisis Response Planning" auf operativer Ebene.
TRUPPENDIENST (TD): Das Eurocorps kann im Rahmen der NATO und der Europäischen Union eingesetzt werden, widerspricht sich dies nicht?
Helmut Fiedler: „A force for the European Union and NATO“, so lautet der Slogan des Eurocorps. Diese Dualität der Einsetzbarkeit zwischen der Europäischen Union und der NATO charakterisiert das Eurocorps seit der Aufstellung. Zwei Abkommen der Rahmennationen mit der NATO, aus den Jahren 1993 und 2002, beschreiben die Möglichkeit, das Eurocorps unter NATO-Führung in den Einsatz zu stellen. Auf der anderen Seite wurden die „Petersberg-Aufgaben“ im Jahr 1993 gegenüber der Westeuropäischen Union als mögliche Einsatzaufgabe übernommen. Im Anschluss an das Gipfeltreffen der Europäischen Union 1999 in Köln erklärten sich die Rahmennationen dazu bereit, für internationale Krisenmanagementaufgaben der Europäischen Union zur Verfügung zu stehen. Diese duale Einsatzmöglichkeit des Eurocorps spiegelt die europäische verteidigungspolitische Realität der vergangenen 30 Jahre wider.
TD: Kann das Eurocorps als Vorreiter für die europäische Verteidigung gesehen werden?
Fiedler: Will die Europäische Union bei den bereits stattfindenden globalen geopolitischen Veränderungen ein aktiver Akteur sein, wird sie in die Themenfelder technologische Innovation, ökonomische Durchhaltefähigkeit und militärische Durchsetzungsfähigkeit investieren müssen. Anfang der 90er-Jahre des letzten Jahrtausends ergriffen Frankreich und Deutschland die Initiative, um konkrete Entwicklungsschritte einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zu erzielen und stellten daher die deutsch-französische Brigade sowie das Eurocorps auf. 30 Jahre später, und mit viel Einsatzerfahrung hinterlegt, hätte das Eurocorps gegenwärtig die Möglichkeit, in den aktuellen Bemühungen der Europäischen Union rund um die Festlegung ihrer militärischen Ambition als militärisches Hauptquartier der oberen taktischen Führung bzw. der operativen Führung zur Verfügung zu stehen.
TD: Wie kann man sich die Multinationalität im täglichen Dienstbetrieb des Eurocorps vorstellen?
Fiedler: Die meisten Soldaten kennen die herausfordernde Situation der Zusammenarbeit im internationalen Umfeld gerade zu Beginn eines Auslandseinsatzes. Demgegenüber steht das Eurocorps mit dem großen Vorteil der vollständigen Verflechtung der verschiedenen Nationen im täglichen Arbeits- und Kasernenalltag in Straßburg. Im Gegensatz zu den anderen Hauptquartieren in Europa, die eine ähnliche Führungsebene abdecken, die NATO Rapid Deployable Corps, die meist bi- oder trinational aufgestellt sind, ist der multinationale Geist beim Eurocorps in jeder einzelnen Abteilung bzw. in der Unterstützungsbrigade spürbar. Neben verschiedenen Gemeinschaftsaktivitäten in und rund um Straßburg ist vor allem der Wert der täglichen aktiven Bewegung im Eurocorps stark verankert. Ob Calisthenics bzw. CrossFit, ganz klassisch in der Kraftkammer, auf der Laufbahn oder im angrenzenden Wald – hier wird regelmäßig trainiert, um sich fit zu halten und die für Soldaten wichtige körperliche Einsatzbereitschaft aufrechtzuerhalten. Das Motto lautet: Es kommt nicht drauf an, dass du der Beste bist, sondern dass du dein Bestes gibst! Darüber hinaus stärken quartalsmäßige Sportwettkämpfe (Marsch, Orientierungslauf, CrossFit Challenge, Geländelauf usw.) das innere Gefüge der Soldaten sowie deren Zusammenhalt. Die Soldaten des Eurocorps tragen die nationalen Uniformen von den Armeen ihrer Herkunftsländer, aber sie tragen alle das gleiche Barett mit dem gemeinsamen Eurocorps-Abzeichen als Symbol gelebter Multinationalität.
TD: Handelt es sich beim Eurocorps um ein stationäres Hauptquartier, oder ist es verlegbar?
Fiedler: Egal für welche Rolle das Eurocorps gerade zur Verfügung steht, etwa als Force Headquarters der Europäischen Union, für die NATO als Rapid Deployable Reaction Corps oder als Joint Task Force Headquarters, die Möglichkeit zur Verlegung des Eurocorps inklusive Gefechtsstand ist gegeben. Zur Planung und Durchführung eines solchen Gefechtsstandwechsels wird in Straßburg die multinationale Unterstützungsbrigade, ein Unterstützungsbataillon sowie eine Communication and Information Systems-Company bereitgehalten. In Deutschland steht eine weitere Fernmeldekompanie zur Unterstützung des Gefechtsstandes zur Verfügung. Die gesamte Gerätschaft, die für einen einsatzmäßigen Gefechtsstandwechsel benötigt wird, lagert ebenfalls in Straßburg. Darunter befinden sich zum Beispiel 106 Zelte, 94 Container, zahlreiche Aggregate und vieles mehr.
TD: Dem militärischen Einsatz verpflichtet. Auf welche Einsatzerfahrung kann das Eurocorps zurückblicken?
Fiedler: Der erste Einsatz im Rahmen des internationalen Krisenmanagements führte das Eurocorps im Jahr 1998 nach Bosnien und Herzegowina, wo die Stabilisierungstruppen (SFOR) vor Ort geführt wurden. Bereits im Jahr 2000 wurde der Kern der Missionsführung im Kosovo (KFOR) von Eurocorps gestellt. 2004 sowie 2012 übernahm das Eurocorps die Führung der Internationalen Truppen (ISAF) in Afghanistan. Seit 2015 war es mehrmals für die beiden Ausbildungsmissionen der Europäischen Union in Mali und in der Zentralafrikanischen Republik verantwortlich. Seit dem Erreichen der Einsatzbereitschaft am 5. November 1995 war dieses Hauptquartier etwa ein Viertel der Zeit seines Bestehens in militärischen Einsätzen in Führungsverantwortung. Dies macht das Eurocorps zu einem der am meisten eingesetzten Corps in Europa. Die erwähnten Einsätze zeigen deutlich, dass es sowohl bei verschiedenen Einsatzszenarien als auch auf unterschiedlichen Ebenen der militärischen Führung eingesetzt werden kann. Alle zwei bis drei Jahre ändern sich daher das Einsatzprofil und der Aufgabenbereich des Eurocorps. Ein Beispiel dafür sind die gegenwärtigen und künftigen Aufträge des Eurocorps. Derzeit hat man die Verantwortung für die Trainingsmission der Europäischen Union in der Zentralafrikanischen Republik inne. Zeitgleich startet die Vorbereitung auf die Aufgabe als operatives Hauptquartier für die NATO im Jahr 2024 und im Anschluss daran, wird das Eurocorps die Führungsverantwortung für die European Battlegroup 2025 übernehmen.
TD: Für welche Art von Einsätzen kann das Eurocorps herangezogen werden?
Fiedler: Da die Sicherheit Europas maßgeblich von der Stabilität der unmittelbaren Nachbarschaft abhängt, konzentrierte sich das Eurocorps in den vergangenen Jahren darauf, Einsatzszenarien des internationalen Krisenmanagements bestmöglich abzudecken. Darunter fallen zum Beispiel humanitäre Hilfeleistungen, friedenserhaltende sowie friedensschaffende Einsätze bzw. Ausbildungs- und Trainingsmissionen. Um für diese verschiedenen Szenarien schnellstmöglich die notwendige Führungsstruktur vor Ort zu haben, entwickelte das Eurocorps ein modulares Gefechtsstandkonzept. Es kann an die Eigenarten des Einsatzes angepasst zusammengestellt werden.
TD: Schlagworte wie Cyber-Angriff oder hybride Kriegsführung sind in aller Munde. Wie bereitet sich das Eurocorps auf künftige Bedrohungsszenarien vor?
Fiedler: Europa wird nicht umhinkommen, die Voraussetzungen für eine strategische Autonomie beschleunigt zu entwickeln, um der fortschreitenden Konfliktausweitung an Europas Peripherie erfolgsversprechend entgegentreten zu können. Dazu zählt im Besonderen die militärische Selbstbehauptungsfähigkeit. Geänderten Erscheinungsformen der Einsatzführung, wie Bedrohungen im Cyber-Raum oder hybrid agierende Akteure, die gerade in Krisenzeiten einen hohen Druck auf europäische Regierungen und Gesellschaften ausüben, kann man nur mit gesamtstaatlichen Ansätzen im Einklang mit der Europäischen Union erfolgversprechend begegnen. Multinationale Kommanden mit einer hohen Einsatzbereitschaft sind ein wichtiger Baustein der europäischen Sicherheitsarchitektur. Das Eurocorps zählt seit beinahe 30 Jahren dazu und lieferte seinen militärischen Beitrag zur Konfliktbewältigung auf dem Westbalkan, in Afghanistan sowie in Westafrika. Gerade die Dualität bzw. die mehrseitige Verwendung des Eurocorps, sowohl durch die Europäische Union als auch durch die NATO, machen dieses Hauptquartier auch in Zukunft zu einem unverzichtbaren Bestandteil europäischer Sicherheit.
TD: Das Eurocorps befindet sich in Straßburg. Welche Bedeutung hat dieser Standort?
Fiedler: Unmittelbar nach dem deutsch-französischen Gipfeltreffen am 22. Mai 1992 in La Rochelle, als das Eurocorps formal gegründet worden war, fiel auch die Entscheidung, Straßburg zum Sitz des Hauptquartiers zu machen. Die wechselvolle Geschichte und die historische Bedeutung der Grenzregion Elsass machten die Stadt zur idealen Garnison für das neu aufzustellende Eurocorps. Bis in das Jahr 2007 wurden drei Kasernen in Straßburg genutzt, seit 2007 beheimatet das Quartier Lizé und das Quartier Aubert de Vincelles, beide im Süden der Stadt, die Soldaten des Eurocorps. Es gibt sehr enge Verbindungen der Stadt zum Militär, zum Beispiel eine aktive Kooperation mit der hier ansässigen Universität. Darüber hinaus gibt es unzählige Synergien mit den europäischen Institutionen, die in Straßburg angesiedelt sind, wie dem Europäischen Parlament, dem Europarat und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die wirtschaftliche Bedeutung des Eurocorps für die Stadt und die umliegenden Regionen beträgt jährlich etwa 30 Millionen Euro.
TD: Seit Sommer 2021 weht die österreichische Flagge in der Kaserne Aubert de Vincelles in Straßburg. Wie erlebten Sie die Aufnahme in den Kreis des Eurocorps?
Fiedler: Mit einem militärischen Festakt wurde am 23. September 2021 die österreichische Flagge gehisst. Im Beisein des österreichischen Generalkonsuls in Straßburg, Dr. Alexander Wojda, und dem österreichischen Verteidigungsattaché in Frankreich, Brigadier Peter Grünwald, wurde in einem äußerst würdigen Rahmen Österreich als assoziierte Nation im Eurocorps willkommen geheißen. Dahinter steht natürlich die „Zukunft unserer Sicherheit“ in der Welt des 21. Jahrhunderts. Diese verlangt ein internationales Krisen- und Konfliktmanagement unter Einbindung möglichst vieler handlungsfähiger westlicher Staaten. Dabei sind Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit die effektiven Kardinaltugenden. Neben dem militärischen Festakt gibt es das unmittelbare Arbeitsumfeld, den Kasernenalltag und die Kameradschaft. Vom ersten Tag an wurde ich bestens im Kreise des Eurocorps aufgenommen. Mein unmittelbarer Vorgesetzter ist ein französischer Oberst, der sich gerade zu Beginn meiner Zeit in Straßburg persönlich meiner angenommen und mir die Besonderheiten der französischen Führungskultur nähergebracht hat. Dabei bestätigte sich, dass das beste und schnellste Integrationsrezept ein gemeinsames Ziel und eine gemeinsame Aufgabenstellung sind. So ist die bereits angelaufene Transformation des Eurocorps zu einem operativen Hauptquartier für das Jahr 2024 jene Planungsaufgabe, die meine Kameraden und mich in der Planungsabteilung täglich beschäftigt und auf Trab hält.
TD: Was sind nun nach rund sieben Monaten im Eurocorps Ihre ersten militärischen Eindrücke?
Fiedler: Es ist noch ein weiter Weg, den Europa gehen muss, um innerhalb des Verteidigungssektors den Sprung von der Koordination hin zur Integration zu schaffen. Bei fast allen Vorbereitungen auf die operative Führungsrolle, die das Eurocorps derzeit plant, hakt es beim Thema Integration. Beispielsweise tritt diese Integrationsproblematik bei der Erstellung eines neuen Gefechtsstandkonzeptes, bei der Aufnahme eines Brigadekommandos als taktisch führendes Element für die zu unterstellenden Landstreitkräfte oder bei der Erarbeitung von Plänen für die Verlegung im Falle eines Einsatzes zutage. Die Schere zwischen europäischer Ambition und den tatsächlichen Beiträgen bzw. Zugeständnissen der einzelnen Mitgliedstaaten ist offensichtlich. Vielleicht klingt das jetzt ein wenig pessimistisch, soll es aber nicht sein. Man sollte vielmehr ab und zu zurückblicken, was Europa in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik bereits geschaffen hat. Ich stelle mir da stets das Bild eines Radfahrers vor: Stetig muss er in die Pedale treten, um voranzukommen. Manchmal, besonders wenn es bergauf geht, ist es härter, ab und zu, wenn es dann wieder flach wird, lässt es sich leichter treten. Aber er darf nie aufhören zu treten, sonst fällt der Radfahrer samt Fahrrad um. Ähnlich ist es mit der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union – man darf nicht aufhören in die Pedale zu treten, auch wenn es manchmal sehr anstrengend ist!
Oberstleutnant dG Mag. (FH) Helmut Fiedler, PhD; Planungsgruppenleiter beim Eurocorps in Straßburg.