- Veröffentlichungsdatum : 20.05.2020
- – Letztes Update : 08.06.2020
- 21 Min -
- 4274 Wörter
- - 72 Bilder
Die Front bei St. Pölten
Nachdem die Sowjets am 13. April 1945 mit ihren Spitzen die Traisen erreicht hatten, setzten sie ihren Angriff am nächsten Tag fort. Zunächst führten sie ihre restlichen Kräfte an die Traisenlinie, dann griffen sie St. Pölten an. Nachdem die Stadt am 15. April 1945 innerhalb weniger Stunden gefallen war, errichteten die Sowjets in den Tagen darauf einen Puffer westlich der Stadt. Im Zuge dessen etablierten sie die letzte Hauptkampflinie zwischen dem Dunkelsteiner Wald bei Karlstetten und dem Pielachtal bei Hofstetten-Grünau.
Am 14. April stießen die Sowjets bei Herzogenburg über die Traisen, besetzten die Stadt kampflos und griffen Richtung Nordwesten den Kremser Brückenkopf an, wo sie erst am Höhenzug zwischen Theyern und Inzersdorf zum Stehen kamen. Entlang des Perschlingtales griffen sie Pottenbrunn an, wo sie von etwa 0900 bis 1900 Uhr aufgehalten wurden und es zu Kampfhandlungen kam. Dabei wurden 20 Panzer abgeschossen, bevor sich die Wehrmacht nach St. Pölten absetzte. Zwischen der Perschling und der heutigen Autobahn 1 griff die Rote Armee rasch Richtung Westen an und erreichte die Vororte von St. Pölten, nachdem es zuvor in Kirchstetten, Böheimkirchen und Phyra zu Nachhutgefechten gekommen war. Die deutschen Nachhuten sprengten mehrere Brücken, wodurch sie den sowjetischen Vormarsch nicht verhindern, jedoch Zeit zum Absetzen gewinnen konnten.
Bis zum Abend des 14. April waren die Sowjets aus drei Richtungen vorgestoßen und hatten ihre Ausgangspositionen für den Angriff bezogen: aus dem Norden von Herzogenburg kommend über Hain und Ragelsdorf, aus dem Osten einerseits über Ratzersdorf und andererseits entlang der heutigen Autobahn 1 und aus dem Süden von Phyra kommend Richtung St. Georgen und Spratzern. Die deutschen Truppenteile, die entlang der nördlichen und nordöstlichen Stoßrichtung eingesetzt waren, zogen sich mit Masse nach St. Pölten zurück, jene im Osten und Süden setzten sich auch Richtung Wilhelmsburg in das Traisental ab. Am Abend begann die Rote Armee mit den unmittelbaren Vorbereitungen für den Angriff auf St. Pölten. Nachdem sie am Tag bereits Jagdbomber eingesetzt hatte, die den letzten Luftangriff auf die Stadt geflogen waren, begann nun die Artillerie (auch Stalinorgeln) zu feuern. Sie sollte die Teile der Wehrmacht, die in die Stadt strömten (mit Masse Teile der 710. Infanteriedivision vom Korps Schultz), dabei stören sich dort zu organisieren.
Angriff auf St. Pölten
In der Nacht vom 14. auf den 15. April 1945 hatten sich die Sowjets im Osten von St. Pölten bis auf ein paar hundert Meter an die deutschen Sicherungen herangeschoben. Um 0400 Uhr gab der Schuss einer Leuchtpistole das Zeichen für den Angriff auf die Stadt. Daraufhin setzte das Unterstützungsfeuer der Maschinengewehre und Granatwerfer ein und die Infanteristen stürmten vor. Der Hauptstoß des Angriffes erfolgte aus dem Osten über Wagram und die Traisen (Bereich des heutigen Regierungsviertels), von dort weiter in das Stadtzentrum bis an den westlichen Stadtrand. Das Schwergewicht des Angriffes lag beim 351. Regiment (106. Gardedivision; davor Reserve des 38. Gardekorps) das südlich und dem 342. Regiment (104. Gardedivision) das nördlich der der Bundesstraße 1 vorging.
Die Wucht des Angriffes zwang die Deutschen zum Absetzen aus ihren Stellungen im Osten der Stadt. Die Sowjets stießen rasch nach und trafen um etwa 0700 Uhr am östlichen Stadtrand auf den deutschen Verteidigungsring. Unter Einsatz von Artillerie konnten sie diesen nehmen, wobei es bei der Papierfabrik Salzer (351. Regiment) zu heftigen Kämpfen kam, bevor sich die Deutschen über die Traisen Richtung Stadtzentrum absetzen konnten. Mittlerweile hatte sich auch das 342. Regiment, aus dem Nordosten entlang der Bundesstraße 1 kommend, an die Traisen vorgekämpft. Um 0900 Uhr überschritten die Angriffsspitzen der Roten Armee die einzige nicht gesprengte Brücke über den Fluss und standen mit ihren Panzern am Neugebäudeplatz.
Um 0700 Uhr hatten auch die Verbände des nördlichen Stoßes (vermutlich ein Regiment der 105. Gardedivision) aus Herzogenburg kommend, Viehhofen erreicht. Sie durchstießen die dortigen Panzersperren und Stellungen und standen bald danach nördlich des Bahnhofes. Nun setzten das 342. und 351. Regiment den Vorstoß Richtung Westen in das Stadtzentrum fort. Mittlerweile hatten sich die Deutschen einigermaßen organisiert und es kam zum Straßenkampf mit den Angriffsspitzen der Roten Armee. Dieser hatte den Charakter eines Verzögerungskampfes im urbanen Gelände und sollte vor allem ein geordnetes Absetzen der Deutschen gewährleisten. Nach drei Stunden intensiver Kampfhandlungen in der Altstadt war der Kampf entschieden und St. Pölten um etwa 1200 Uhr unter Kontrolle der Sowjets. Die letzten Kämpfe fanden auf dem Stadtfriedhof statt, wo es zum Nahkampf zwischen den Grabsteinen kam.
Hitler tobte nach dem Fall von St. Pölten. Er warf der Heeresgruppe Süd – deren Verbände unter anderem zur Verteidigung der Stadt eingesetzt waren – vor, seinen Befehl zum Angriff mit dem Ziel der Rückeroberung Wiens zu missachten. Er wollte nicht wahrhaben, dass die deutschen Verbände in diesem Raum nicht mehr angreifen konnten und ignorierte die personelle, materielle und strategische Lage an der Front. Stalin hingegen feierte die Einnahme St. Pöltens in Moskau mit einem Salut von zwölf Artilleriesalven aus 124 Kanonen. Der sowjetische Diktator gratulierte seinen Soldaten zu dem Sieg und bedankte sich bei Marschall Fjodor Tolbuchin, dem Kommandanten der 3. Ukrainischen Front sowie den Kommandanten und Soldaten, die in St. Pölten kämpften (38. Gardeschützenkorps, 18. Panzerkorps und 35. Garde-Artillerie-Brigade) für ihren Einsatz.
Zangenangriff und Verzögerungskampf
Der Kampf in St. Pölten wurde zwar heftig geführt, dennoch war die Stadt nur eine Zwischenstation für die Absetzbewegung der deutschen Streitkräfte Richtung Westen. Aus diesem Grund hatten sie sich in St. Pölten nur zeitlich begrenzt zur Verteidigung eingerichtet. Selbst die NS-Parteileitung, die für den Ausbau der territorialen Verteidigungsanlagen zuständig gewesen wäre, hatte kaum Vorkehrungen getroffen, obwohl sie die Stadt „bis zur letzten Patrone“ verteidigen wollte. Wie bereits in Wien und Tulln sowie später in Wilhelmsburg eroberten die Sowjets – unabhängig davon, dass es sich um andere Führungsebenen und Truppenstärken handelte – auch St. Pölten mit einem Zangenangriff. Dabei griffen sie ein Ziel von drei Seiten an, ließen jedoch einen Korridor an einer Seite offen, um dem Gegner das Absetzen zu ermöglichen. So konnten sie sich vor allem in den Städten einen langwierigen und verlustreichen Häuserkampf ersparen.
Aufgrund der geografischen Lage von St. Pölten konnte die Rote Armee diese Taktik der unvollständigen Einkesselung anwenden, obwohl ihre Verbände, die über St. Georgen aus dem Süden angreifen sollten, steckenblieben. Die deutschen Kräfte nutzten die Chance, die ihnen der sowjetische Zangenangriff bot, um die Stadt zu verlassen, und setzten sich relativ geordnet in den Westen ab. Zu harten Gefechten kam es lediglich zwischen St. Pölten und Obermamau. Dort wechselte das Waldstück Kalbling (Kote 343) mehrere Male den Besitzer, wurde am Ende des 15. April jedoch von den Deutschen gehalten, die diese Position erst am nächsten Tag aufgaben. In weiterer Folge richteten sie sich an den Rändern des St. Pöltner Beckens zur Verteidigung ein, wo der Dunkelsteinerwald (von Hollenburg bis Neidling) und die Hügel des westlichen Pielachtales (von Obergrafendorf bis Hofstetten-Grünau) eine überhöhte Barriere boten. In dem knapp zehn Kilometer breiten, offenen und nur leicht kupierten Gelände zwischen Neidling und Obergrafendorf, wurden Stellungssysteme (teilweise auf offenem Feld) errichtet und Minenfelder angelegt, um ein Durchstoßen der Roten Armee zu verhindern.
Folgerungen
Zum Kampf in St. Pölten ist anzumerken, dass die Stadt damals deutlich kleiner war als heute. Die Größe des zusammenhängenden verbauten Gebietes beschränkte sich auf den historischen Ortskern sowie Siedlungen und Gewerbetrieben, die sich innerhalb einer Entfernung von 0,5 bis 1,5 km von der Altstadt befanden. Die Gesamtbevölkerung der Großgemeinde (damals als Groß-St. Pölten bezeichnet), die bei etwas mehr als 40.000 Personen lag, befand sich in einem Gebiet von etwa 70 km², wobei der dicht verbaute Stadtkern nur eine Fläche von etwa 3 km² aufwies. Die Stadt, in der sich zum Zeitpunkt der Kampfhandlungen nur noch etwa 5.000 Zivilisten aufhielten, war demnach zu klein, um dort große und/oder kampfkräftige Teile der Wehrmacht zusammenzuziehen. Diese gab es zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr, da sie entweder an anderen Frontabschnitten gebunden oder aufgrund des raschen Vorstoßes der Sowjets de facto zerschlagen waren.
Für die Rote Armee bedeutete die Einnahme von St. Pölten, dass sie ihren Auftrag hinsichtlich des Vorgehens Richtung Westen am 15. April 1945 erfüllt und die „Wiener Operation“ abgeschlossen hatten. Bis zum 8. Mai erhielt sie keinen Befehl zur Fortsetzung der Offensive in den Westen. Die weiteren Aktionen in dem Raum dienten der Stabilisierung der Front und dem Gewinnen von günstigeren Position im Frontabschnitt. Sie wurden jedoch in einem begrenzten Bereich geführt und auch die Ausgangsposition blieb im Großen unverändert, obwohl auf beiden Seiten noch hunderte Soldaten fielen und zahlreiche Zivilisten starben.
Exkurs: Widerstand in St. Pölten
Das Wissen über die nahende Front und den damit verbundenen Angriff der Roten Armee, der auch St. Pölten treffen musste, war in weiten Teilen der Bevölkerung vorhanden. Zusätzlich war bekannt, dass die NS-Führung St. Pölten so lange wie möglich halten wollte. Das hätte für die durch acht Bombenangriffe bereits teilweise zerstörte Stadt zusätzliche Schäden und Zerstörungen sowie zahlreiche zivile Opfer bedeutet, den Verlauf des Krieges jedoch nicht beeinflussen können.
Um der Stadt den Kampf zu ersparen, gründete sich im Frühjahr 1945 die Widerstandsgruppe Kirchl-Trautmannsdorff. Diese wurde nach den Hauptinitiatoren Otto Kirchl, dem stellvertretenden Direktor der Stadtpolizei St. Pölten, und dem adeligen Besitzer des Schlosses Pottenbrunn, Josef Trautmannsdorff-Weinsberg, benannt und hatte etwa 400 Mitglieder. Ihr Ziel war die kampflose Übergabe der Stadt an die Rote Armee. Dazu wollte sie die Führer der örtlichen NS-Organisation festnehmen und erreichen, dass die ihnen unterstellten Einheiten des Volkssturmes und der Hitlerjungend nicht kämpfen würden. Doch noch bevor sie diesen Plan in die Tat umsetzen konnten, wurden sie am 7. April von einem Spitzel belauscht und ihre Führungsspitze am 11. April bei einer Besprechung im Schloss Pottenbrunn verhaftet.
Nach zwei Tagen in denen die 13 Personen, die der Gestapo in die Hände fielen, brutal verhört und gefoltert wurden, stellte man sie am 13. April vor ein Standgericht (ein Mitglied der Gruppe hatte sich zuvor in seiner Zelle erhängt) und verurteilte sie zum Tode. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung wurden sie in den Hammerpark geführt, wo ihr Grab bereits ausgehoben war, dort erschossen und verscharrt. Ein weiterer Widerstandskämpfer wurde am selben Tag festgenommen, kurz darauf ebenfalls dort getötet und begraben. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die Leichen exhumiert und an anderen Orten beigesetzt. Acht von ihnen, darunter Otto Kirchl und seine Gattin, erhielten auf dem St. Pöltner Stadtfriedhof ein Ehrengrab, wo sie heute neben anderen Widerstandskämpfern ruhen.
Erinnerungslandschaft Stadtfriedhof
Der St. Pöltner Stadtfriedhof wurde am 30. Juni 1894 vom damaligen Bischof, Dr. Johannes Rössler eingeweiht, da der bisherige Friedhof zu wenig Platz bot und der Entwicklung der Stadt im Wege war. Aufgrund der beiden Weltkriege blieb er nicht nur die letzte Ruhestätte für die Toten der Stadt, sondern auch für Soldaten. Bereits 1914 wurde der Soldatenfriedhof von der Stadtgemeinde St. Pölten errichtet, auf dem heute 796 tote österreichisch-ungarische Soldaten des Ersten Weltkrieges begraben sind. Neben diesem Gräberfeld wurde ab 1940 ein Soldatenfriedhof für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs angelegt. Dieser wurde für 610 deutsche Soldaten und 30 weitere Kriegstote verschiedener Nationen zur letzten Ruhestätte.
Am Ende des Zweiten Weltkrieges kam es auf dem Gelände des Friedhofes zu Kämpfen zwischen Soldaten der Deutschen Wehrmacht und der Roten Armee. Kurz danach ließen die Sowjets von den Bürgern der Stadt an dessen Rand Stellungen ausheben, um deutsche Gegenangriffe abzuwehren. Der Stadtfriedhof lag damals nur etwa einen Kilometer hinter der sowjetischen Hauptkampflinie und war ein Teil der rückwärtigen Verteidigungslinie, dessen Grüfte von den Sowjets sogar als Unterstände genutzt wurden.
Mehrere Denkmäler und Grabstätten auf dem Areal erinnern an die Verfolgung von Gegnern des NS-Regimes, die getötet wurden, als St. Pölten zur Frontstadt wurde. So befindet sich im Eingangsbereich das Denkmal für die Opfer des Faschismus. Von den 112 Menschen deren Namen dort angeführt sind, wurden 110 in der NS-Zeit getötet, zwei während der Februarkämpfe im Jahr 1934. Acht Mitglieder der St. Pöltner Widerstandsgruppe Kirchl-Trauttmansdorff, die am 13. April 1945 im Hammerpark hingerichtet wurden und dort zunächst begraben wurden, erhielten ihre letzte Ruhestätte auf dem Stadtfriedhof. Das gleiche gilt für jene ungarischen Juden, die in der Nacht vom 2. auf den 3. April in Hofamt Priel (bei Persenbeug) ermordet wurden und bis zum Jahr 1964 in einem Massengrab nahe ihrer Todesstätte ruhten.
Die Hauptkampflinie bei St. Pölten
Die Front im Bereich der niederösterreichischen Landeshauptstadt lässt sich in die drei Frontabschnitte St. Pölten, Wachtberg und Pielachtal einteilen. Der Frontabschnitt St. Pölten umfasst eine etwa zehn Kilometer lange Linie, die ungefähr fünf Kilometer westlich der Stadt entfernt lag und von Karlstetten im Norden, Gerersdorf im Westen und Obergrafendorf im Süden reichte und bis zum 18. April errichtet wurde. Der nördliche Frontabschnitt (Wachtberg) beginnt südlich des Wölbinger Beckens bei Obritzberg, umfasst den Wachtberg und endet bei Karlstetten. Der südliche Frontabschnitt beginnt bei Obergrafendorf und reicht bis zur Meiselhöhe nördlich von Eschenau.
Frontabschnitt St. Pölten
Nachdem sie am Tag der Einnahme von St. Pölten ihre Sicherungen noch an den Stadträndern hatten, schoben die Sowjets die Front ab dem 16. April im Nordosten nach Mamau, im Westen nach Pummersdorf und im Südosten nach Obergrafendorf vor. Damit hatten sie einen etwa fünf Kilometer breiten halbkreisförmigen Puffer zwischen der Hauptkampflinie der deutschen Front (710. Infanteriedivison) und der Stadt geschaffen. Die härteste Gegenwehr erwartete die Spitzen der Roten Armee in Mamau, wo eine Einheit der Waffen-SS für längere Zeit Widerstand leistete, bis sie sich Richtung Karlstetten absetzte. Am 17. April konnte der Ring Richtung Westen vergrößert werden, nachdem die Ortschaft Gerersdorf gefallen war und zur Frontlinie wurde.
Ab dem 18. April wurde es in diesem Raum – trotz vereinzelter Geplänkel – deutlich ruhiger. Aufgrund einer Umgruppierung der 3. Ukrainischen Front wurden wesentliche Elemente südlich der Donau abgezogen und nördlich von Wien eingesetzt, wo das neue Schwergewicht des sowjetischen Angriffes lag. Die verbleibenden Kräfte, die den Deutschen noch immer mit einer Größenordnung von etwa 3:1 überlegen waren, legten ihre Aufmerksamkeit zunächst auf den Kremser Brückenkopf. Da ihnen dort der Durchbruch verwehrt blieb, richteten sie ihr Hauptaugenmerk ab dem 21. April auf den südlichen Teil dieses Frontabschnittes (Traisendreieck - Gölsental), wo sich die Nahtstelle zwischen dem Korps Bünau und dem 1. SS-Panzerkorps befand (siehe: Vorstoß entlang der Traisen).
Die Front verlief in diesem Abschnitt von der Traunleiten kommend über Pultendorf – Afing – Hofing – Gerersdorf – Eggsdorf – Pummersdorf bis östlich von Matzendorf, wo sich die Sowjets am Rand des Eichwaldes befanden. Wie auch im Wölblinger Becken lässt sich die Front auch hier in das Niemandsland zwischen den vorgeschobenen Sicherungen, dem vordersten Rand der Verteidigung und mehrerer Linien mit Stellungssystemen von unterschiedlichen Ausbaustufen und dem rückwärtigen Raum mit den Feuerstellungsräumen der Artillerie sowie den Führungs- und Versorgungseinrichtungen unterscheiden. Nachdem die Front westlich von St. Pölten zum Stillstand gekommen war, begann dort der Stellungskrieg. Dabei durchbrachen sowohl die Sowjets als auch die Deutschen immer wieder die Frontlinie bei räumlich begrenzten Angriffen und Stoßtruppunternehmen.
Die Deutschen gelangten dabei bis an den Rand von St. Pölten und die Sowjets drangen bis an die Ausläufer des Dunkelsteiner Waldes vor, wo sie unter anderem das Schloss Goldegg (Neidling), wo sich noch einige Tage zuvor das Hauptquartier der 6. SS-Panzerarmee befunden hatte, beschießen konnten. Diese kurzfristigen Vorstöße konnten weder die Lage im unmittelbaren Frontabschnitt noch im Großen verändern. Um sie dennoch zu vereiteln verlegten beide Seite Minen, und die Sowjets errichteten sogar große Minenfelder zwischen St. Pölten und Gerersdorf, um einen etwaigen Angriff mechanisierter Kräfte der Wehrmacht zu verhindern. Zusätzlich setzten die Sowjets in diesem Abschnitt Propagandakompanien ein, die die Deutschen aus ihren Lautsprechern beschallten und zum Überlaufen aufriefen.
Frontabschnitt Wachtberg
Der Wachtberg teilt das St. Pöltner und das Wölblinger Becken, beherrscht beide Geländeteile und ermöglicht somit eine weitreichende Beobachtung und Wirkung. Für beide Seiten war der Besitz des Wachtberges bedeutend, weshalb er und die beiden angrenzenden Ortschaften Obritzberg-Landhausen sowie Karlstetten in den letzten Wochen des Krieges zur Kampfzone wurden.
Obritzberg-Landhausen
Der Kampf um Obritzberg-Landhausen begann am 16. April, nachdem die Spitzen der Roten Armee, nach einem etwa 24-stündigen Kampf, die Nachbarortschaft Kleinrust genommen hatten. Von Kleinrust kommend, stießen sie zunächst nach Landhausen, wobei die halbe Ortschaft ein Raub der Flammen wurde. Kurz nachdem die Sowjets Landhausen genommen hatten, griffen die Deutschen mit zwei Zügen und der Unterstützung zweier Sturmgeschütze dorthin an. Die Sowjets wehrten den Angriff ab, schossen ein Sturmgeschütz in Brand und stießen ihrerseits nach Obritzberg vor, während sich die Deutschen nach Heinigstetten absetzten. Noch bevor sich die Soldaten der Roten Armee in dem Ort einrichten konnten, griffen Einheiten der Wehrmacht erneut an, die dabei auch Flugzeuge und Panzer einsetzten und Obritzberg nahmen.
Am nächsten Tag (17. April) griffen die Sowjets erneut an und warfen die Deutschen bis Winzing zurück. Doch auch dieses Mal ließen sie den Soldaten der Roten Armee nicht genügend Zeit, um sich in Obritzberg zur Verteidigung einzurichten. Der neuerliche Angriff erfolgte so überraschend und zügig, dass sich ein sowjetischer Scharfschütze, der sich am Kirchturm befand, nicht mehr absetzen konnte. Er nutzte seine unerkannt gebliebene Position, um deutsche Soldaten, die sich in der mittlerweile ausgebrannten Ortschaft befanden, zu bekämpfen. Schließlich wurde er erkannt und der Kirchturm gesprengt, um ihn auszuschalten. Er dürfte jedoch kurz davor entkommen sein, da man keine Spur von ihm in den Trümmern fand. Knapp drei Wochen lagen sich die gegnerischen Soldaten nun gegenüber, wobei die beiden Hauptkampflinien nur etwa 200 m voneinander entfernt lagen und die Straße zwischen Obritzberg und Landhausen die Frontlinie war.
Karlstetten
Der Ort wurde bereits am Vormittag des 15. April, noch bevor die Sowjets den eigentlichen Angriff auf den Wachtberg starteten, zum Ziel ihrer Artillerie, bei dem auch Zivilisten starben. In weiterer Folge richtete sich dort eine Kompanie der Waffen-SS zur Verteidigung ein, die am Kirchturm eine Funkstation betrieb und dort auch einen Artilleriebeobachter hatte. Bis zum 8. Mai konnte diese Kompanie alle Angriffe auf Karlstetten, die von Schaubing, Untermamau und Obermamau geführt wurden, abwehren. Den Sowjets gelang es zwar die Traunleiten, das Waldstück zwischen Obermamau und Karlstetten in Besitz zu nehmen und den Ort von dort aus zu beschießen. Um den Wachtberg zu nehmen, fehlten den Sowjets jedoch die nötigen Kräfte.
Ohne den Besitz dieses entscheidenden und überhöhten Geländeteiles konnten sie auch Karlstetten nicht angreifen, da der Ort überhöht liegt und eine freie Fläche von etwa einem Kilometer zu überwinden gewesen wäre. Dennoch fielen etwa 50 deutsche Soldaten in den letzten drei Wochen des Krieges und auch zahlreiche Einheimische wurden getötet. Die meisten von ihnen starben aufgrund des sowjetischen Artilleriebeschusses, der die Gebäude stark beschädigte, obwohl nur zwei Scheunen abbrannten. Vom 17. April bis zum letzten Tag des Krieges lag der Ort unter permanenten Beschuss, wodurch die Bevölkerung dazu gezwungen war, in den Kellern der Häuser zu bleiben.
Frontlinie beim Wachtberg
In den letzten drei Wochen verlief die Frontlinie im Abschnitt Obritzberg-Karlstetten von Nord nach Süd von Eitzendorf kommend zwischen Obritzberg und Landhausen, danach zwischen Heinigstetten und Obermerking östlich des Wachtberges, entlang der Waldinseln Süßenberg, Krumme Lust, Traunleiten zwischen Karlstetten sowie den Ortschaften Schaubing, Untermamau, Obermamau und von dort weiter nach Pultendorf. In der Nacht vom 7. Mai auf den 8. Mai erhielten die Deutschen Einheiten den Befehl zum Absetzen. Kurz nachdem sie diesen Befehl ausgeführt hatten, setzten die Sowjets zum letzten Mal ihre Artillerie ein. Am Morgen des 8. Mai rückten sie nach Obritzberg und Karlstetten vor.
Frontabschnitt Pielachtal
Nach dem Fall von St. Pölten am 15. April errichteten die Sowjets ab dem 16. April die bereits angesprochene Pufferzone, die etwa fünf Kilometer westlich der Stadt verlief. Im Zuge dessen schoben sie die Front auch auf das überhöhte Gelände östlich des Pielachtales, südlich der heutigen Autobahn 1 bis Ober-Grafendorf vor. Diesen Bereich erweiterten die angreifenden Kräfte parallel zu ihrem Vorstoß entlang des Traisentales und schufen erneut einen Puffer. Dieser ermöglichte ihren Angriff und schützte ihre Flanke vor einer Überraschung aus dem Westen. Nachdem der Vorstoß im Traisental bei Marktl zum Stillstand kam, verlief die Front östlich der Pielach in den Gemeinden Ober-Grafendorf und Hofstetten-Grünau sowie ein etwa 2,5 km langer Abschnitt durch die Gemeinden Weinburg und Wilhelmsburg.
Ober-Grafendorf
Am 16. April stieß die Rote Armee von St. Pölten bzw. dem Traisental kommend auf die Höhe bei Gattmannsdorf vor und bezog die Hügeln östlich von Ober-Grafendorf. Die deutschen Kräfte wurden mit Panzern verstärkt und konnten beim Schloss Fridau, in dem sich bis zum 15. April ein deutsches Lazarett befunden hatte, einen Brückenkopf östlich der Pielach bilden und bis zum Kriegsende halten. Die Einheiten der Deutschen Wehrmacht befanden sich in den Ortsteilen: Fridau, Neustift, Rennersdorf und Badendorf. Ihnen gegenüber lagen, nur einige hundert Meter entfernt, die Sowjets in den Weilern: Farthof, Kotting, Reizing, Gasten, Kuning, Gattmannsdorf und Gröben. Dazwischen befand sich das Niemandsland der Front, das von beiden Seiten auch teilweise vermint worden war.
In den nächsten drei Wochen nutzen die Sowjets das überhöhte Gelände im Bereich des Eichenwaldes östlich von Matzersdorf und Kotting, um ihre Gegner, die in Ober-Grafendorf und östlich davon beim Schloss Fridau lagen, unter Beschuss zu nehmen. Sie griffen jedoch nicht ernsthaft an. Südlich von Fridau, auf dem Höhenrücken zwischen Neustift und Rennersdorf sah die Situation anders aus. Dieser etwa zwei Kilometer breite Abschnitt war in den drei Wochen, in denen sich die Front bei Ober-Grafendorf festgefahren hatte, besonders hart umkämpft. Der Besitz dieses Geländeabschnittes hätte den Sowjets eine weitreichende Beobachtung und Wirkung in das Pielachtal bzw. westlich davon ermöglicht und gleichzeitig Deckungs- und Bewegungsmöglichkeiten dahinter geboten.
In dieser Phase gelangte der Zickhof in den Fokus beider Seiten und wurde zum Brennpunkt der Kämpfe in dem Raum. Der Zickhof ist das einzige Gebäude, das direkt auf dem Höhenrücken liegt und bot somit eine gute Deckungs- und Beobachtungsmöglichkeit. Aus diesem Grund wurde er zum Angriffsziel der Sowjets, die ihn rasch einnehmen konnten. Doch noch bevor sie sich dort einrichten konnten, griffen die Deutschen an und zwangen ihre Gegner zum Absetzen Richtung Osten. Kurz darauf setzten wiederum die Sowjets an und warfen die Deutschen an die Pielach zurück. In weiterer Folge wurde beinahe täglich um das Gehöft gekämpft. Dieses wechselte häufig – wenn auch immer nur für wenige Stunden – den Besitzer, konnte jedoch von keiner Seite in ihre Hauptkampflinie integriert werden und blieb im Niemandsland der Front.
Beim ersten Angriff der Sowjets war die Familie, die den Zickhof bewohnt, noch im Gebäude. Beim darauffolgenden Ansatz der Deutschen rieten die Soldaten der Roten Armee den Hausbewohnern, sich mit ihnen abzusetzen und den Hof zu verlassen. Die Mutter befolgte den Rat und kroch mit ihren Kindern neben den sowjetischen Soldaten über das offene Feld. Danach fand die Familie Unterschlupf bei Verwandten, die auf der nächsten Anhöhe wohnten. Dort blieben sie jedoch nur kurz, denn nachdem die Sowjets den Zickhof erneut genommen und gesichert hatten, kehrten sie dorthin zurück. Innerhalb der nächsten drei Wochen verließen sie ihr Haus mehrmals im Kugelhagel eines deutschen Angriffes, um wenig später zurückzukehren. Mittlerweile hatten die Sowjets zwischen dem Zickhof und der östlich dahinterliegenden Senke knietiefe Gräben ausgehoben. In deren Schutz näherten sie sich dem Höhenrücken beim nächsten Angriff an, um sich beim nächsten Gegenangriff, gemeinsam mit den Hofbewohnern, darin wieder abzusetzen.
Hofstetten-Grünau
Die Sowjets nahmen bei ihrem Vorstoß in das Traisental den Ort Wilhelmsburg, in dem sie westlich und östlich davon vorgingen und den Deutschen im Süden einen Korridor offenließen, damit sie sich absetzen konnten (siehe: Vorstoß in das Traisental). Bei diesem beidseitigen Umfassungsangriff benötigten sie einen etwa drei Kilometer breiten Streifen, des ungefähr vier Kilometer breiten Raumes zwischen den Flüssen Traisen und Pielach. Am 19. April hatten sie die Höhe Luberg (Gemeinde Weinburg) genommen, brachten dort Artillerie in Stellung und beschossen den Ortskern von Hofstetten-Grünau. In weiterer Folge gingen sie Richtung Süden vor und etablierten eine Frontlinie, die entlang Kuhberg - Schindeleck – Dreihöf – Plambachecker Höhe – Meiselhöhe und von dort weiter zum Kaiserkogel verlief.
Die Sowjets zogen ihre Hauptkampflinie in diesem Bereich nicht bis an die letzte Geländekante östlich der Pielach vor, sondern blieben etwa einen Kilometer östlich des Flusses stehen. Das zeigt die Breite ihrer Umfassung, die dem Einsatz ihrer Kräfte, jedoch weniger taktischen Grundsätzen geschuldet war. Offensichtlich konnten sie, aufgrund der Umgruppierung der 3. Ukrainischen Front, die ab dem 18. April begann und die Ablöse der bislang eingesetzten Kräfte und Verminderung der Kräfte vor Ort zur Folge hatte, das Gelände nicht mehr so auszunutzen, wie es grundsätzlich möglich und taktisch sinnvoll gewesen wäre.
Nun befanden sich die Gehöfte entlang der Frontlinie im umkämpften Niemandsland der Front. Die Bewohner, die wegen dem raschen Vorstoß der Roten Armee und der fehlenden Informationen, völlig überrascht waren, mussten ab dem 20. April 1945 in ihren Kellern leben. Ihre Häuser wurden von beiden Seiten beobachtet und regelmäßig mit Feuer belegt, damit sie die jeweils andere Seite nicht als Gefechtsvorposten nutzen konnte. In der Nacht wurden sie zum Ziel der Spähtrupps, die sich im Niemandsland der Front bewegten und sich bei dieser Gelegenheit auch Lebensmitteln von diesen Häusern holten. Dabei kam es auch vor, dass sich die Soldaten bei oder sogar in den Häusern begegneten, was in Feuergefechten mündete, die auch für die Hausbewohner gefährlich waren. Zu Übergriffen kam es in dieser Phase nicht, vielmehr erkundigten sich die deutschen Soldaten, ob die Bewohner Unterstützung benötigen würden. Aufgrund der Verwundungen, die einige davontrugen, mussten sie diese Hilfe häufig annehmen, wobei viele auch vor Ort im Geschoßhagel starben.
In diesem Frontabschnitt gab es häufige Artillerieüberfälle von beiden Seiten. Die Deutschen hatten ihre Artillerie (unter anderem 8,8-cm-Geschütze) auf den Hügeln westlich des Pielachtales in Stellung gebracht, die Sowjets östlich der Frontlinie. Die Gegner konnten sich bei ihren Tätigkeiten beobachten und das Steilfeuer ihrer Geschütze leiten, für den Einsatz weitreichender Flachfeuerwaffen war die Entfernung jedoch zu groß. In der Nacht vom 7. auf den 8. Mai erfolgte der schwerste Artilleriebeschuss des Ortes Hofstetten-Grünau, der in den Morgenstunden plötzlich verstummte. Danach kamen die Soldaten der Roten Armee von den Hügeln östlich der Pielach und besetzten das Tal. Die Soldaten der Wehrmacht waren zu diesem Zeitpunkt bereits auf ihrem Weg Richtung Westen, um bei den US-Truppen, die bereits seit mehreren Tagen an der Enns standen, in Gefangenschaft zu gehen.
Oberstleutnant Volker Chytil, MSD ist stellvertretender G5 der 3. Jägerbrigade, Offiziersstellvertreter Gerold Keusch, BA ist Redakteur beim TRUPPENDIENST.