Die letzten Gefechte - Teil 1
Am 29. März 1945 überschritten Soldaten der Roten Armee die österreichische Grenze im Burgenland. Es war eines von vielen Ereignissen, das die Niederlage des Dritten Reiches ankündigte. Für Österreich markierte es das baldige Ende der deutschen Herrschaft. Zwei Wochen später fiel Wien und am 28. April überschritten die ersten US-Soldaten die Grenze zu Tirol. Der Zweite Weltkrieg war militärisch, politisch und symbolisch entschieden. Er war aber noch nicht beendet, und weite Teile Österreichs standen noch unter NS-Herrschaft.
Anmerkung: Die kursiven Textstellen sind Zitate von Zeitzeugen. Diese entstammen Büchern, Chroniken und Protokollen zum Thema oder wurden in Zeitzeugeninterviews vom Autor erhoben.
Nach dem Ende der Schlacht um Wien am 13. April 1945 drangen die Truppen der Roten Armee im Zuge der Wiener Operation Richtung Westen vor. Am 15. April wurde St. Pölten erobert und am 23. April die Front entlang der nördlichen Ausläufer der Alpen sowie im Triestingtal bezogen. Zur gleichen Zeit stieß die US-Armee aus dem Raum Regensburg in Richtung Österreich vor.
Die, in den damaligen Alpen- und Donaureichsgauen operierende Heeresgruppe Süd, die seit Anfang April 1945 in Heeresgruppe Ostmark umbenannt wurde, musste sich auf einen Zweifrontenkrieg einstellen. Dabei sollten die amerikanischen Truppen jedoch nicht an der Grenze zu Bayern, sondern erst an der Enns aufgehalten werden. Der Kommandant dieser Heeresgruppe, Generaloberst Dr. Lothar Rendulic, gruppierte deshalb seine Kräfte um. Die Voraussetzung dazu war die Begradigung der Ostfront, da nur so Kräfte für den Einsatz im Westen zur Verfügung standen.
Am 26. April 1945 war die Front im Osten begradigt, und die deutschen Truppen hatten ihre letzte stabile Verteidigungslinie in Österreich bezogen. Diese befand sich in Anlehnung an die Traisen entlang der Linie Hollenburg - Statzendorf - Obergrafendorf - Rabenstein - Lilienfeld - Gutenstein - Semmering. Teile der Heeresgruppe Süd richteten sich hier auf die Abwehr des letzten großen und entscheidenden Angriffes der Roten Armee im Alpenvorland ein. Dieser fand jedoch nicht statt. Ab dem 27. April kam die Ostfront zum Stillstand, und die Sowjets gruben sich ein.
6. SS-Panzerarmee
Die deutschen Truppen, die im Alpenvorland südlich der Donau eingesetzt waren, gehörten zur 6. SS-Panzerarmee. Ihr Kommandant, SS-Oberst-Gruppenführer und Generaloberst der Waffen-SS, Sepp Dietrich, war kein unbeschriebenes Blatt. Seit dem Putsch von München 1923 war er ein „Kampfgefährte“, enger Vertrauter und Duzfreund von Adolf Hitler. Er war Kommandeur der Leibwache Hitlers, aus der die 1. SS-Panzerdivision „Leibstandarte SS Adolf Hitler“ hervorging, deren erster Kommandant ebenfalls Dietrich war. Die Divisionen dieser Armee zählten zu den erfahrensten, entschlossensten aber auch berüchtigtsten der deutschen Streitkräfte. Ein Blick auf ihre Nummern und Namen zeigt, dass es sich dabei um die „Elite“ des deutschen Heeres handelte.
Für ihre Gegner war es ein Schock, wenn sie erfuhren, dass sie diesen Verbänden gegenüberstanden. Jedoch nicht nur wegen ihrer Kampfkraft. Die meisten Divisionen der 6. SS-Panzerarmee gehörten zur Waffen-SS, dem militärischen Arm der Schutzstaffel. Diese war ein Teil der Organisationsstruktur der NSDAP. Die Waffen-SS war zwar grundsätzlich eigenständig organisiert, im Zweiten Weltkrieg jedoch der Wehrmacht unterstellt. Den Oberbefehl über sie hatte dennoch Heinrich Himmler, der Reichsführer der SS. Eine damalige Werbeschrift für die Waffen-SS bringt es auf den Punkt wenn sie beschreibt, dass der SS-Mann „nicht alleine Soldat (…)“, sondern „Träger der Idee Adolf Hitlers“ sei.
Die Männer der Waffen-SS waren demzufolge „politische Soldaten“. Manche von ihnen waren nicht nur an Kampfhandlungen an der Front eingesetzt, sondern auch am Holocaust und an zahlreichen Kriegsverbrechen beteiligt. „Vom März 1942 bis April 1945 [haben] ungefähr 45 000 Mann der Waffen-SS zur einen oder anderen Zeit in den Konzentrationslagern gedient.“ 1946 wurde die gesamte SS und mit ihr die Waffen-SS vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg zur verbrecherischen Organisation erklärt. In der Endphase des Zweiten Weltkrieges kämpften Teile von ihr im Verbund der Heeresgruppe Süd bzw. Ostmark in Österreich.
Gliederung der 6. Panzerarmee
- I. SS-Panzerkorps:
- 1. SS-Panzerdivision „Leibstandarte SS Adolf Hitler“
- 356. Infanteriedivision
- 12. SS-Panzerdivision: „Hitlerjugend“
- II. SS-Panzerkorps:
- 2. SS-Panzerdivision „Das Reich“
- 3. SS-Panzerdivision „Totenkopf“
- 44. Reichsgrenadierdivision „Hoch- und Deutschmeister“
- III. Korps Bünau (bis 16. April 1945 Korps Schultz)
- 710. Infanteriedivision
- 232. Panzerdivision
- 117. Jägerdivision
- Teile der 2. und 9. Panzerdivision
Anmerkung: Die Gliederung der 6. Panzerarmee wurde in den letzten Kriegswochen mehrere Male geändert. Sie gibt jedoch einen Überblick über die wichtigsten Verbände, die Teil dieses Großverbandes waren. Dieses Korps wurde nach dem Kommandanten benannt.
Die 6. SS-Panzerarmee wurde durch diverse Artillerie-, Fliegerabwehr-, Panzerabwehr- und Infanterieverbände verstärkt. Nach der gescheiterten Plattenseeoffensive im März 1945 verfügte sie jedoch nicht mehr über ihre bisherige Stärke. Bei dem letzten deutschen Großangriff und dem darauffolgenden Rückzug aus Ungarn wäre die 6. SS-Panzerarmee beinahe vernichtet worden. Sie erlitt schwere Verluste an Personal und Material.
Die Divisionen dieses Großverbandes waren deutlich geschwächt und hatten massiv an Kampfkraft eingebüßt. In Österreich wurden der Armee zwar neue Panzer zugewiesen und es wurde versucht, die personellen Lücken zu schließen, ihre einstige militärische Stärke konnte sie jedoch nicht mehr erreichen. Trotz dieser Einschränkungen stellte sie für ihre Gegner noch eine ernsthafte Bedrohung dar. Die 6. SS-Panzerarmee wurde nicht zur Verteidigung von Berlin, Nürnberg oder anderen, für das NS-Regime bedeutenden Orten eingesetzt, sondern in Österreich. Das Mostviertel und mit ihm die heutigen Bezirke Amstetten, Melk, Scheibbs und Waidhofen/Ybbs wurden somit zum entscheidenden Gelände in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges.
Der letzte Akt
Am 27. April 1945 rief der provisorische Bundeskanzler Karl Renner in Wien die Zweite Republik aus. Am nächsten Tag überschritten die ersten amerikanischen Truppen die Grenze in Tirol. Innerhalb von 24 Stunden fanden somit zwei für das Ende des Dritten Reiches in Österreich wesentliche Ereignisse statt. Niemand konnte nach diesem Tag noch mit einem deutschen Sieg rechnen.
Das war auch Generaloberst Rendulic bewusst. Ihm unterstanden die deutschen Truppenteile, die auf österreichischem Boden kämpften. Dem General war klar, dass nach einem Verlust des Versorgungsraumes der Heeresgruppe Ostmark, das Ende seines Großverbandes nicht mehr abzuwenden war. Dieser Raum befand sich mit Masse in Oberösterreich, wo nun die Offensive der US-Armee begonnen hatte. Die Direktive für den Kampf der deutschen Truppe gegen die Amerikaner lautete, symbolischen Widerstand zu leisten. Den Sowjets wollte man jedoch noch mit aller Härte entgegentreten. Das war zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht notwendig, da die Rote Armee im Wesentlichen ihre Waffen ruhen ließ. Es kam zwar zu kleineren Kampfhandlungen, diese waren jedoch für den Verlauf des Krieges unbedeutend.
An der Front im Osten war der Winter zurückgekehrt, und die Moral der Truppe war am Tiefpunkt, wie den Schilderungen eines ehemaligen Soldaten zu entnehmen ist: „Oftmals hatten wir den Eindruck, dass sich die Abwehrkämpfe in Einzelaktionen auflösten und jeder um das nackte Überleben kämpfte, um nicht in sowjetische Gefangenschaft zu geraten. Es war ein langsames Vergehen der Kräfte. (…) Kameradschaft, Vertrauen, Gehorsam und Treue galten nur noch dort etwas, wo man sich kannte und wusste, dass einer für den anderen da war. Wenn auch keiner mehr an den Endsieg glauben konnte, so fühlte sich jeder nur in seinem „Haufen“ zu Hause. (…)“
Einer der Soldaten die so fühlten war Konrad Radner. 1943 wurde er nach der Musterung zur Waffen-SS eingezogen. „Aussuchen konnten wir uns das nicht, wir wurden der Waffen-SS zugeteilt, ob wir wollten oder nicht.“ Er versah seinen Dienst bei einem Fernschreibtrupp im Kommando der 1. SS-Panzerdivision. Im Vergleich zu vielen seiner Kameraden hatte er eine privilegierte Position mit deutlich höheren Überlebenschancen, als direkt an der Front. Nach zwei Jahren an verschiedenen Frontabschnitten hatte ihn der Krieg schließlich in die Nähe seiner Heimat im Mostviertel gebracht.
Selbstmord
Als die Front in Niederösterreich zum Stehen kam, befahl die Oberste Heeresleitung in Berlin eine Umgliederung der Truppen an der Ostfront. Auch die Heeresgruppe Süd, die sich kurz zuvor neu formiert hatte, musste wesentliche Kräfte für die Verteidigung ihres Frontabschnittes abgeben. Diese wurden in den Raum Brünn (Brno, im heutigen Tschechien) verlegt, um dort eine sowjetische Offensive Richtung Prag abzuwehren.
Am 30. April 1945 verübte Adolf Hitler Selbstmord im Bunker der Berliner Reichskanzlei. Die Soldaten an der Front erfuhren davon am nächsten Tag. Viele von ihnen waren erleichtert, denn „allen ist klar geworden, dass der Krieg sein Ende gefunden hat. Zu Ende ist die ständige Angst im Nacken vor der nächsten Schlacht am nächsten Tag und das Sterben“. Mit diesem Tag beendete die Oberste Heeresleitung in Berlin die Truppenverschiebungen in Österreich. Die Gliederung der Heeresgruppe Ostmark blieb von diesem Zeitpunkt bis zum Kriegsende im Wesentlichen unverändert.
„Bis an die Front war nun auch das Gerücht durchgesickert, dass die Enns die Demarkationslinie zwischen den Amerikanern und den Sowjets werden sollte.“ Darüber hinaus gab es schon Informationen über deutsche Kommandanten, die mit den Amerikanern verhandeln würden, damit möglichst große deutsche Truppenteile in amerikanische Gefangenschaft kommen. „Nun zum Schluss nicht noch den Sowjets in die Hände fallen“, war die Devise der meisten Soldaten.
Die Hoffnungen vieler Soldaten lagen vor allem bei Großadmiral Karl Dönitz, der nach dem Selbstmord Hitlers die Nachfolge als Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Deutschen Wehrmacht übernahm. Er sollte den deutschen Soldaten die sowjetische Gefangenschaft ersparen. Die Situation der Soldaten an der Front änderte sich dadurch jedoch nicht. An der Hauptkampflinie an der Traisen gab es zwar ständig kleinere Kämpfe, im Großen und Ganzen war die Lage dort jedoch stabil. „Wir haben (…) den Befehl erhalten, (…) so lange zu verteidigen bis alle rückwärtigen Einheiten - Verbandsplätze, Lazarette, die zum Teil fliehende Bevölkerung eingeschlossen - vor den angreifenden Russen in Sicherheit sind.“ Die letzte Phase des verlorenen Krieges hatte begonnen.
Amerikanischer Vorstoß
Seit Ende April 1945 befanden sich amerikanische Truppen im bayerisch/österreichischen Grenzgebiet. Am 26. April begann der Angriff der US-Armee nördlich der Donau über den Bayrischen Wald in das westliche Mühlviertel. Die ersten Aktionen der 11. US-Panzerdivision konnten die deutschen Truppen im Grenzbereich von Kollerschlag im Mühlviertel noch abwehren. Am 30. April überschritten US-Soldaten schließlich die Grenze zu Österreich. Drei Tage später waren sie etwa 20 km bis Neufelden und Haslach vorgestoßen. Das Vorgehen der amerikanischen Kräfte im Mühlviertel erfolgte wesentlich langsamer als in Bayern. Schwere Regenfälle und ein Gelände, das schwierig zu passieren war, verzögerten den Vormarsch.
Ab dem 2. Mai begann die US-Offensive auf breiter Front auch südlich der Donau. Dort griffen die 65., 71. und 80. Division zügig Richtung Osten an. Aufgrund einer Weisung von Admiral Dönitz, sollte den US-Truppen nur so lange Widerstand entgegengesetzt werden „bis die Rückführung der deutschen Armeen aus dem Osten hinter die Linien der Westalliierten gelungen sei“. Bereits am 4. Mai standen die Amerikaner bei der Linie Eferding - Wels - Lambach - Vöcklabruck.
Hartnäckiger Widerstand wurde nur noch bei Eferding geleistet. Hier waren weißrussische Einheiten der Waffen-SS eingesetzt. Sie wussten, dass sie bei einer Gefangennahme an die Sowjets ausgeliefert werden würden, was ihren sicheren Tod bedeutet hätte. Das wollten sie auf jeden Fall verhindern. In ihrem Kampf wurden sie ein letztes Mal von deutschen Jagdflugzeugen des Typs Me-109 aus der Luft unterstützt.
Nördlich der Donau stand die 11. US-Panzerdivision nur noch wenige Kilometer von Linz entfernt. Dort befand sich die letzte Verteidigungslinie vor der Stadt. Noch am 4. Mai konnten die Angriffe der Amerikaner dort abgewehrt werden. Für eine Verteidigung von Linz gab es jedoch nicht mehr genügend deutsche Truppen, weshalb sich die dort eingesetzten Einheiten in der folgenden Nacht Richtung Westen absetzten. Am 5. Mai rückte die US-Armee von Norden und Westen Richtung Linz vor. Der Vorstoß auf die Stadt wurde nur noch von einigen Fliegerabwehrbatterien verzögert. Diese hatten den Auftrag, durch Steilfeuer auf die amerikanischen Truppen das Absetzen der zurückweichenden Verteidiger zu ermöglichen. Kurz nach 1100 Uhr trafen die ersten amerikanischen Panzer am Linzer Hauptplatz ein. Die Stadt war gefallen.
Am Abend des 5. Mai 1945 standen die amerikanischen Truppen südlich der Donau an der Enns. Nördlich der Donau stießen sie nach Zell, etwa 30 km nordöstlich von Linz vor. Der Versorgungsraum der Heeresgruppe Ostmark war nicht mehr in deutscher Hand. Der Großverband verfügte zwar noch über eine relativ gute Versorgungslage mit ausreichend Waffen, Gerät und Munition, womit er noch ernsthaft Widerstand hätte leisten können. Diese Vorräte wären jedoch nach wenigen Kampftagen aufgebraucht und nicht mehr zu ersetzen gewesen. Die Kapitulation der Heeresgruppe war unausweichlich.
Bevor Konrad Radner mit seiner Division an die Ostfront verlegt worden war, war er an der Westfront eingesetzt. Dort stand er schon einmal den Amerikanern gegenüber, in deren Gefangenschaft er sich nun begeben sollte. Nach der Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 kämpfte er bis zum Jänner 1945 gegen amerikanische Truppen. Diese waren am 5. Mai 1945 nur noch 80 km von ihm entfernt. An der Westfront 1944 erlebte er im Kessel von Falaise seine gefährlichsten Momente während des Krieges: „Als wir durch die Hecken rannten, wurden wir von allen Seiten beschossen. Vor mir und neben mir wurden Kameraden von Kugeln getroffen und blieben liegen. Plötzlich fuhr ein Panzer vorbei, der auch eine Kanone transportierte. Ich nutzte die Gelegenheit und sprang auf das Geschütz. Kurz darauf saßen links und rechts von mir noch weitere Soldaten. Ich dachte, bevor ich getroffen werde, erwischt es die. Nicht alle fanden einen Platz auf der Kanone. Ein Soldat der auf den Panzer springen wollte landete in dessen Ketten. Ich kann noch heute seine Schreie hören.“
Widerstand nördlich der Donau
Der Vormarsch der amerikanischen Truppen nördlich der Donau gestaltete sich schwieriger als südlich. Entlang der Linie Grein - Königswiesen leistete die 3. SS-Panzerdivision hartnäckigen Widerstand. Die Chronik des Gendarmeriepostens von Königswiesen gibt einen Einblick in die Kampfhandlungen: „Am 5. Mai um 1100 Uhr kamen amerikanische Parlamentäre und forderten den Bürgermeister auf, den Markt kampflos zu übergeben. Der Bürgermeister sagte dies auch zu und ließ die weiße Fahne hissen.“ Der Ortsgruppenleiter der NSDAP wollte den Ort jedoch unbedingt verteidigen und rief eine Einheit der Waffen-SS herbei, „die um 1530 Uhr eintraf und sogleich in Stellung ging.“
Der Bürgermeister, einige Bürger und der Postenkommandant der Gendarmerie versuchten, mit den Amerikanern Verbindung aufzunehmen. Dabei wurden sie von Soldaten der Waffen-SS beschossen und mussten umkehren. „Um 1800 Uhr kam es zu einem kurzen Feuergefecht mit der amerikanischen Vorhut (...). Das Gefecht wurde abgebrochen und die Amerikaner bezogen mit sieben Panzern den Höhenrücken von Kastendorf. In der Nacht zum 6. Mai kam laufend SS-Verstärkung an, welche die umliegenden Höhen besetzten.“
Am 6. Mai war Königswiesen voller Soldaten. Viele Bewohner versuchten, sich in den Gehöften der Umgebung oder in den Wäldern zu verstecken. „Um ungefähr 1330 Uhr begann der Kampf etwa zwei Kilometer außerhalb des Ortes. (…) Von Mönchdorf feuerte der Amerikaner. (...) Das Ziel war der MG-Stand auf dem Kirchturm. Am 7. Mai setzte der Amerikaner Flieger ein, welche den Markt und die Umgebung umkreisten. Sie beschossen die SS-Stellungen mit Bordwaffen. (…) Die SS stellte hierauf den Kampf ein, aber der Amerikaner stieß nicht mehr vor.“
Ähnlich war die Situation bei Grein, wo auch schweres Artilleriefeuer die dort eingesetzten Soldaten nicht aus ihren Stellungen werfen konnte. Am 7. Mai griffen die amerikanischen Truppen mit Unterstützung von Jagdbombern an, die Verteidiger konnten die Frontlinie jedoch nach wie vor behaupten. Der hartnäckige Widerstand der 3. SS-Panzerdivision diente dazu, den Abzug ihres Korps zu decken. Sie standen dennoch im Gegensatz zum Verhalten der restlichen Teile der Heeresgruppe Ostmark. Der Grund könnte darin liegen, dass sich die 6. SS-Panzerarmee unter Sepp Dietrich dem Befehl von Generaloberst Rendulic vom 6. Mai widersetzte. Rendulic befahl, dass am 7. Mai ab 0900 Uhr die Kämpfe gegen die US-Armee einzustellen sind.
Bei allen Anordnungen und Befehlen, die zu Kriegsende an deutsche Truppen erteilt wurden, gab es einen wesentlichen Unsicherheitsfaktor: Die im deutschen Heeresverband kämpfenden Teile der Waffen-SS. Als militärischer Arm der SS waren sie vor allem Adolf Hitler, der Partei bzw. dem NS-Staat verpflichtet und deshalb für die Heeresführung unberechenbar. Wie weit sie nach dem Tod Hitlers dem ebenfalls wankenden NS-Regime noch treu sein würden, war fraglich und von Verband zu Verband unterschiedlich. Den meisten Angehörigen der Waffen-SS war bewusst, dass der Krieg verloren war und sie hatten nur noch den Wunsch, in amerikanische und nicht in sowjetische Gefangenschaft zu gelangen.
Auch wenn sie Teilkapitulationen wie jene der Heeresgruppe Ostmark nicht akzeptierten - die Gesamtkapitulation sahen sie dann doch als verbindlich an. Wie groß die Bedenken des Oberkommandos der Wehrmacht waren, zeigt ein Telegramm an Sepp Dietrich. Noch am frühen Nachmittag des 9. Mai, also bereits nach dem offiziellen Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa, wurde er dazu gemahnt, die bedingungslose Kapitulation zu respektieren.
Die letzte Umgruppierung
Durch den Vorstoß der amerikanischen Truppen an die Enns am 5. Mai verstärkte die Heeresgruppe Ostmark noch ein letztes Mal ihre Positionen entlang der Enns. Damit sollte ein Durchbrechen der US-Armee solange verhindert werden, bis die Masse der Soldaten der Ostfront in amerikanischer Gefangenschaft wären. Außerdem wollte man verhindern, dass im Rücken der gegen die Sowjets kämpfenden Truppen, plötzlich US-Soldaten auftauchten. Die Truppenverschiebung war nur möglich, da es an der Ostfront nach wie vor relativ ruhig war. Rendulic setzte mit der Verstärkung der Verteidigungslinie entlang der Enns auch einen Befehl seines Vorgesetzten um. Dieser lautete, den Westmächten nur noch hinhaltenden Widerstand zu leisten, den Sowjets jedoch nach wie vor entschlossen entgegenzutreten und das Absetzen Richtung Westen zu intensivieren.
Die Heeresgruppe Ostmark wurde dabei auch von Kräften unterstützt, die zwar Uniform trugen, aber sonst wenig mit soldatischen Tugenden verband. Es waren die SS-Wachmannschaften des Konzentrationslagers Mauthausen, die dieses am 3. Mai verlassen hatten. Nun besetzten sie das Gebiet östlich des Lagers. „Die Auffangstellung befand sich auf einem Hügelgebiet und zog sich etwa entlang des Bahngleises Mauthausen in Richtung Norden. (…) Ein kleiner Teil der SS-Formationen wurde über die Donaubrücke dirigiert, um in den Auen und entlang des Flusses Enns Stellung zu beziehen.“ Diese Einheiten waren bereit bis zur letzten Patrone zu kämpfen. Aufgrund ihrer Tätigkeit in der Terror- und Tötungsmaschinerie des Dritten Reiches wollten sie keineswegs in Gefangenschaft geraten - egal auf welcher Seite.
Offiziersstellvertreter Gerold Keusch ist Redakteur bei TRUPPENDIENST.