• Veröffentlichungsdatum : 18.12.2024

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  • 753 Wörter

Psychologie: Kontakt in die Heimat

Georg Ebner

In krisenhaften Auslandseinsätzen, wie derzeit unter anderem bei UNIFIL im Libanon (auf den sich dieser Beitrag aufgrund meiner Erfahrungen als Betreuungspsychologe im Einsatz im Februar und April 2024 bezieht), ist die psychologische Betreuung ein wesentlicher Faktor für die Soldaten im Einsatz und deren Familien. 

In der psychologischen Einsatzvorbereitung vor der Entsendung werden die Soldaten intensiv auf die Bedeutung von der Kommunikation mit ihren Familien bzw. deren Information über den Einsatz und die damit einhergehenden Umstände hingewiesen. Dabei geht es vor allem darum, ein möglichst realistisches Bild der bevorstehenden Belastungen zu zeichnen. Die Soldaten müssen ihren Angehörigen, egal ob sie das erste Mal in den Einsatz gehen oder bereits mehrere Missionen absolviert haben, die aktuellen Bedingungen genau darstellen. Dabei ist es notwendig, dass für beide Seiten ein mögliches Ritual für den Kontakt gefunden wird, der normalerweise sehr gut gewährleistet ist. Dieser erfolgt mittels Telefon, WhatsApp, Signal, oder anderen Kanälen. Somit ist es nicht nur sinnvoll, sondern auch möglich eine gewisse Zeit bzw. entsprechende Tage für den Kontakt zu vereinbaren. Dabei ist auch die Videotelefonie von entscheidender Bedeutung. 

Durch die derzeitigen Kampfhandlungen zwischen Israel und dem Libanon haben sich die Kommunikationsmöglichkeiten der UNIFIL-Soldaten jedoch verändert. Durch die dauernden Shelter(Schutzraum)-Alarme, die es täglich etwa ein- bis dreimal gibt, ist es nicht immer möglich, zur vereinbarten Zeit Kontakt in die Heimat aufzunehmen. Normalerweise wird ein Router in den Shelter mitgenommen, aber dies ist nicht immer möglich, da die dafür eingeteilten Personen nicht immer im gleichen Shelter unterkommen. 
Zurzeit kommt es auch häufig vor, dass Soldaten mit ihren Angehörigen telefonieren und es zu diesem Zeitpunkt einen Raketeneinschlag bzw. einen Bombenabwurf durch einen Kampfflieger in der Nähe des Camps gibt. Dies wird von den Angehörigen zu Hause besonders  intensiv wahrgenommen und durch den darauffolgenden Sirenenalarm, das Signal für das Aufsuchen der Shelter, verstärkt. Wenn der Router mitgenommen wird, kann aus dem Shelter Kontakt mit der Familie aufgenommen, und so auf die eigene Sicherheit hingewiesen werden. Wenn der Router aber nicht verfügbar ist, beginnt für die Angehörigen eine lange Wartezeit bis zur nächsten Kontaktaufnahme – sie erleben dabei die vielleicht längsten 90 Minuten ihres Lebens. 

Aufgrund der skizzierten Umstände ist es umso wichtiger, die Angehörigen darauf vorzubereiten, dass solche Situationen vorkommen können. Sie machen sich natürlich auch nach einer entsprechenden Vorbereitung Sorgen um ihre Liebsten im Einsatz, ihre Resilienz wird jedoch gesteigert. Zusätzlich kann es durch geänderte Tagesabläufe oder eine längere Einsatzdauer in Folge von Alarmierungen dazu kommen, dass die Soldaten nicht immer sofort erreichbar sind. Wenn diese nach einer geplanten Patrouille erst mehrere Stunden später als vorgesehen ins Camp zurückkommen, da sie z. B. in einem anderen Camp unterziehen mussten, kann dies bei den Angehörigen Ängste, Grübeln, Nervosität etc. auslösen. Der Tagesablauf ist bei der derzeitigen Lage nicht – wie sonst üblich – planbar und auch deshalb ist dieser Umstand mit den Angehörigen realistisch zu besprechen. Dabei ist es wichtig, sie darauf hinzuweisen, dass man sich wieder meldet, sobald dies möglich ist. 

Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang sind die Medien bzw. die Mediennutzung der Angehörigen in Österreich. Die selektive Aufmerksamkeit der Angehörigen für den Einsatzraum ihres Familienmitgliedes steigt sehr stark an. In den Medien werden Kämpfe, Bombardierungen, Raketenbeschüsse etc. oft deutlich intensiver dargestellt, als diese von den Soldaten vor Ort wahrgenommen werden. Vielfach bekommen die Soldaten diese gar nicht mit – außer sie lesen elektronische Nachrichten aus dem Einsatzraum –, weil diese Ereignisse aufgrund der Größe des Einsatzgebietes weit entfernt voneinander stattfinden. Für die Familien kann jedoch der Eindruck entstehen, dass die Soldaten (ständig) unter Beschuss stehen. Wenn sie dann nicht erreichbar sind, kann dies Ängste hervorrufen. Somit sollten Soldaten im Einsatzraum mit ihren Angehörigen, die sich Sorgen machen, so bald wie möglich Kontakt aufnehmen.   

Für die Soldaten werden die Sirenenalarme und das Aufsuchen der Shelter zum täglichen Begleiter. Nach einiger Zeit gewöhnen sie sich an diese speziellen Herausforderungen. Für die Familienangehörigen zu Hause trifft dies aber nicht in gleichem Maße zu. Auch deshalb ist es unerlässlich, dass Soldaten im Auslandseinsatz bzw. ihre Angehörigen in der Heimat diesen Aspekt berücksichtigen. Wenn die Familie diese Dauerbelastung und die damit verbundenen Ängste nicht aushält, so kann ein Einsatz in letzter Instanz durch das Zurückziehen der Freiwilligenmeldung jederzeit beendet werden – schließlich ist jeder Auslandseinsatz freiwillig. Damit dies jedoch nicht geschieht, gilt es den Angehörigen zu vermitteln, dass sie Ruhe bewahren sollen, denn: Im Einsatzraum wird alles unternommen, damit die österreichischen Soldaten wieder gesund und wohlbehalten nach Hause zurückkommen. 

Hofrat Oberst dhmfD Mag. Dr. Georg Ebner; Militärpsychologe Auslandseinsatzbasis 


Dieser Artikel erschien im TRUPPENDIENST 3/2024 (399).

Zur Ausgabe 3/2024 (399)


 

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