PerspektivenReich: Ist Fleiß out?
Was hat Fleiß mit dem Militär zu tun?
Googelt man „Fleiß im Militär“ erscheint der preußische König Friedrich Wilhelm der Erste mit den Preußischen Tugenden am Bildschirm. Die Wertevorstellungen im 17. und im 18. Jahrhundert wurden später zu den deutschen Tugenden. Dazu zählen unter anderem drei grundlegende Eigenschaften: Pünktlichkeit, Ordnung und Fleiß.
Damals wurde das Militär als Schule der Nation bezeichnet, wie dies auch der Berliner Philosoph Friedrich Paulsen im Jahr 1902 beschrieb. Gegenwärtig ist diese These nicht zu halten und erscheint beinahe unpassend. Nur wenige können behaupten, dass das Militär in der aktuellen österreichischen Gesellschaft eine formgebende Institution wäre, die die Nation, konkret das Staatsvolk, entscheidend prägt. Woran liegt das?
Dazu bedarf es eines Vergleiches: Das Bundesheer verfügt über etwa 16.000 Berufssoldaten – davon 645 Frauen, weiters etwa 30.000 Soldaten der Miliz. Dazu kommen etwa 8.000 Zivilbedienstete. Ergänzend werden jährlich rund 17.000 Grundwehrdiener während eines sechsmonatigen Wehrdienstes ausgebildet, so der Stand des Jahres 2020. In Österreich leben 9.027.999 Menschen, wie die Statistik Austria im Jahr 2022 verzeichnete. Berufstätig sind davon 4.442.600, die etwa 16.000 Berufssoldaten sind etwa 2,8 Prozent dieser Gesamtmenge. Das ist verhältnismäßig wenig.
Vergleicht man diese Zahl mit den Anfängen des Bundesheeres der Zweiten Republik und betrachtet die Zahl der Soldaten in den 1950er- und 1960er-Jahre wird klar, dass die Zahlen heute eindeutig gestiegen sind. 1955 wurde die Wehrpflicht überhaupt eingeführt. 1956 verzeichnete man am 15.Oktober 12.800 Grundwehrdiener. Das sind bei weitem weniger als die heute. Hinzu kommt, dass es damals keine Aufteilung in Zivildienst und Wehrdienst gab wie in der Gegenwart. Damals befand sich das Bundesheer erst im Aufbau und die Mittel waren äußerst beschränkt. Diese Phase ist daher keine Basis für eine Gegenüberstellung, da dieser Vergleich hinkt.
Betrachtet man die Geburtenrate ab 1960, wird sichtbar, dass die Bevölkerung laufend angewachsen ist. Das bedingte auch einen Anstieg der Wehrpflichtigen, jedoch wurden Berufssoldaten weiterhin schlecht bezahlt, weshalb man diesen Beruf nach dem Ende des Grundwehrdienstes nur selten wählte. Dazu kam, dass es in der damals laufend wachsenden Wirtschaft viele Angebote gab, die attraktiver waren.
Ab den 1970er-Jahren wurden die Gehälter im Militär zunehmend erhöht, weshalb das Interesse für den Soldatenberuf anstieg, wenngleich die Geburtenrate seit dem Jahr 1971 wieder sank. Damals herrschte ein sozialer Friede, der durch die Sozialpartnerschaft zum Ausdruck kam und die Arbeitslosenquote konnte zwischen 1953 und 1962 von 8,7 auf 2,7 Prozent gesenkt werden. Hinzu kam, dass es nach der Wehrdienstreform im Jahr 1970 die Alternative des Zivildienstes gab, wenngleich eine echte Wahlfreiheit zwischen Wehr- und Zivildienst noch nicht vollständig gewährleistet war. Fazit: die Zahl der Wehrpflichtigen stieg zwar laufend an, es blieb jedoch kaum jemand, um in weiterer Folge Berufssoldat zu werden.
Was hat das alles nun mit dem Begriff Fleiß zu tun? Eine interessante Tatsache ist, dass in den letzten 50 Jahren zahlreiche junge Männer ihren Wehrdienst abgeleistet haben und somit mit dem Militär vertraut sind. Bis heute gilt die Wehrpflicht in Österreich nur für Männer, und das Bundesheer ist somit eine männlich konnotierte Institution. Lediglich etwa vier bis fünf Prozent der Soldaten sind heute Frauen, jedoch steigt ihr Anteil stetig. Während sich in der Wirtschaft seit den siebziger Jahren beispielsweise die Wiener Philharmoniker verweiblichten, gilt im Militär nach wie vor nur den Männern die Wehrpflicht. Das liegt einerseits daran, dass nach dem Grundwehrdienst auch heute noch nur Wenige eine Laufbahn als Berufssoldat einschlagen, andererseits steigt die Zahl derer, die sich für den Zivildienst entscheiden. Hinzu kommt, dass das militärische Gehaltsschema nach wie vor weniger attraktiv ist als die Angebote der freien Wirtschaft.
In Deutschland, aber auch in Österreich, leidet das Militär an positivem Desinteresse. Das sollte hinsichtlich der zunehmenden Krisenherde und Kriege – wie jener in der Ukraine oder der Lage im Nahen Osten – zum Nachdenken anregen. Dafür gibt es einige Gründe. Die lange empfundene Friedenszeit hat das Militär abstrakt werden lassen. Parallel dazu wurde der Fleiß abgewertet und der damit zugehörige Arbeitsethos verlor an Substanz. Bis zum Ausbruch des Ukraine-Krieges waren militärische Bedrohungen für die Österreicher abstrakt, wodurch auch soldatische Tugenden wie der Fleiß an Bedeutung einbüßten.
Hinzu kommt der massive Bruch mit den Traditionen nach 1945, der durch alle westlichen Gesellschaften ging, inklusive den USA, wie es Herfried Münkler 2006 in seinem Werk „Der Wandel des Krieges“ beschrieb. Klar wird heute, in der Phase der zweiten Moderne, dass das Bundesheer nicht mehr als Produzent der gesellschaftlich relevanten Tugenden Fleiß, Pünktlichkeit und Ordnung betrachtet wird, weder quantitativ noch qualitativ. Fraglich ist jedoch, wer oder was diesen Platz ausfüllen kann, wenn es nicht das Militär ist, da es heute keine mit ihm konkurrierenden Organisationen gibt. Somit tut sich hier eine Lücke auf, die das Bundesheer ursprünglich schließen konnte.
Der Verlust der militärischer Werte hängt mit dem sinkenden Interesse an der Verteidigung des eigenen Gemeinwesens und dem fehlenden Zugehörigkeitsbewusstsein zusammen und führt in Folge auch zum fehlenden Interesse am Fleiß. Schließlich war der Fleiß bereits bei den Germanen eine kriegerische Tugend und wurde so ein Teil jenes Wertegerüstes, das später durch das Militär vermittelt wurde. Die heutige Gesellschaft baut aber unter anderem auf Work-Life-Balance und Spaß auf. Das lässt sich kaum miteinander vereinbaren. Ohne eine Rückbesinnung auf den Fleiß in unserer Gesellschaft fehlt die Basis für das Bewusstsein, um Werte auch militärisch zu verteidigen.
Wie holt man aber den Fleiß zurück?
Die Werte Fleiß und Leistung sind eng mit Wirtschaft sowie Politik verbunden und haben, trotz aller zeitgeistigen Erscheinungen, eine wichtige Rolle in der Gesellschaft.
Fleiß wird oft als eine wertvolle Eigenschaft angesehen, die mit strebsamem und unermüdlichem Arbeiten verbunden ist. Jedoch ist Fleiß allein nicht ausreichend, um beruflichen Erfolg zu erzielen, denn tatsächlich hat sich der Blick auf den Fleiß verändert. Übermäßiger Fleiß bei Mitarbeitern führt vermehrt dazu, dass diese in ihren Positionen festgehalten werden, anstatt befördert zu werden. Dies liegt vor allem daran, dass lautes Schreien häufig effizienter ist, als tatsächliche Leistung. Vergessen scheint das Sprichwort zu sein: Man wird nicht an seinen Worten, sondern an seinen Taten gemessen.
Wirtschaft ist mehr als nur die Summe abstrakter Zahlen; genauso wie das Militär. Es geht bei beidem auch um Leidenschaft und die Umsetzung von Ideen, wenngleich es unterschiedliche Felder sind. Die Wirtschaft ist ein dynamisches System, das ständig Innovationen hervorbringt, die das Leben der Menschen verbessern sollen. Gerade das Militär war früher bei innovativen Ansätzen führend und hat dadurch die Industrie kreativ beeinflusst. Eine Verknüpfung von Wirtschaft mit militärischer Innnovation ist daher erstrebenswert. Forschung und Militär müssen ebenfalls enger zusammenrücken, was Fleiß auf beiden Seiten voraussetzt.
Politik bezog sich ursprünglich auf die Strukturen, Prozesse und Inhalte zur Regelung der Angelegenheiten eines Gemeinwesens. Dabei spielte die verbindliche Entscheidungsfindung eine wesentliche Rolle, die schlussendlich auf Macht beruht. Politische Entscheidungen können erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Verteilung oder auch Umverteilung von Ressourcen haben. Daher ist eine laufende Anhebung der Budgets für das Militär die Basis für eine positive Entwicklung des Militärs, weil es so mehr Handlungs- und Verteidigungsfähigkeit mit neuen Waffensystemen und besseren Jobangeboten erhält, die mit der Wirtschaft konkurrieren können.
In einer Leistungsgesellschaft erfolgt die Verteilung von materiellen und immateriellen Werten wie Macht, Einkommen, Prestige und Vermögen entsprechend der Leistung, die jedem Gesellschaftsmitglied zugerechnet wird. Dem gegenüber steht die Haltung, dass Talent und Fleiß gleichermaßen wichtig sind, um beruflichen Erfolg zu erzielen. Mit einem abgewerteten Fleißbegriff werden körperliche Kraft und Disziplin, Pünktlichkeit und Ordnung sowie Talent und Fleiß jedoch unwichtig.
Fleiß, Wirtschaft, Politik und Leistung müssen Aspekte der gegenwärtigen Gesellschaft bleiben, wenn diese weiterhin bestehen soll. Sie interagieren in einem komplexen Zusammenspiel miteinander. Es ist daher ausgesprochen wichtig, ein Gleichgewicht zwischen diesen zu finden, um eine gerechte und prosperierende Gesellschaft zu fördern. Gerade das Militär hat bei der Vermittlung von – gegenwärtig oft fehlenden – Werten eine wichtige Rolle.
Learning-From...
Ein Learning-From kann an dieser Stelle angebracht werden. An den Universitäten Chemnitz und Hamburg untersuchten zwei Soziologen, wie es zu enormen Unterschieden im Fleiß bei unterschiedlichen Familien mit verschiedenen kulturellen Hintergründen in Deutschland kam. Es wurden 700 deutsche, vietnamesische und türkische Familien in der Studie untersucht, die alle ein ähnliches Einkommen zur Verfügung hatten.
Das Resultat war, dass vietnamesische Eltern nicht strenger erziehen als türkische oder deutsche. Das Vorurteil der autoritären Erziehung der Asiaten ließ sich nicht bestätigen, denn „Tiger Moms“, so das Ergebnis, dürfte es in Europa nicht geben. Der Unterschied der vietnamesischen Väter und Mütter im Vergleich zu den türkisch- und deutschstämmigen zeichnete sich vor allem in den wesentlich höheren Erwartungen an den Nachwuchs ab. Wenn es um die Schule und Bildung geht, wird sanfter und vor allem kreativer Druck auf das Kind ausgeübt. Der Fleiß wird somit reaktiviert.
Betrachten wir die postmoderne Didaktik so, steht das Damokles-Wort „Spaß“ über allem. Unterricht muss Freude machen, hingegen werden Anstrengungen der jungen Bürger im Schulsystem ausgeblendet oder – wenn überhaupt – nur beiläufig erwähnt. So fehlt schon in jungen Jahren etwas Wesentliches: Der Stolz auf die eigene Leistung. Deshalb sind Ideen, dass weniger gearbeitet werden soll, zwar nett, doch eine Gesellschaft, die sich in einem internationalen Umfeld mit harter Konkurrenz behaupten will, muss Leistung durch Fleiß erbringen.
Betrachtet man darüber hinaus die Altersstruktur der Österreicher, wird klar, dass weniger Arbeit für junge Menschen als angestrebter Lebensstil an der Realität vorbeigeht. Schließlich wird in Zukunft eine deutlich geringere Anzahl junger Menschen für eine wesentlich größere Anzahl älterer Menschen sorgen müssen – ähnlich wie in der überalterten japanischen Gesellschaft. Wie soll das ohne Fleiß in einem sich noch aktuell verstärkenden Missverhältnis funktionieren?
Das setzt die Bereitschaft für Fleiß voraus, die auch durch das Militär geprägt werden kann und muss. Aber auch das Schulsystem und das Elternhaus müssen dazu beitragen, dass sich der Nachwuchs kreativ-fleißig entfalten kann. Schließlich kann in einigen Monaten Wehrdienst nicht nachgeholt werden, was viele Jahre nicht thematisiert wurde. Ein Wehrdienst von weniger als neun Monaten ist dabei ebenfalls hinderlich. Es liegt somit in den Händen aller, ob der Fleiß wieder jenen Wert erhält, den er benötigt und erneut einen Platz im „System“ sowie im österreichischen und europäischen Bewusstsein findet.
Mag. Arch. Katharina Reich CMC lehrt zu sicherheitsrelevanten Infrastrukturen, Ökonomie und komplexem Denken an diversen Universitäten und Fachhochschulen und hält regelmäßig Vorträge an der Landesverteidigungsakademie in Wien.