Soldaten als Kriegserklärer
Das Bundesheer etablierte im Jahr 2022 ein Expertenteam, das die Medien zum Ukraine-Krieg informiert. Diese Strategie stärkt die öffentliche Wahrnehmung der Armee und erhöhte das Vertrauen in ihre militärische Expertise.
Mit dieser Nachricht an ausgewählte Journalisten, am 22. Februar 2022 um 0841 Uhr, begann der Einsatz der „Ukraine-Experten“ des Bundesheeres. Es waren vorerst drei Generalstabsoffiziere, die für Medienanfragen zum russischen Angriff auf die Ukraine zur Verfügung stehen sollten. Bereits seit dem Sommer 2021 gab es eindeutige Informationen, dass ein russischer Angriff auf die Ukraine bevorstünde. Aufmarschräume, Gliederungen, Truppenteile – das alles war bekannt und hat sich auch genauso bestätigt. Lediglich der Zeitpunkt des Angriffes war unbekannt. Im Jänner 2022 entstand die Idee, Offiziere zu benennen, die für öffentliche Auftritte und Medienanfragen zur Verfügung stehen sollten. Dazu wurde folgende personelle und inhaltliche Einteilung getroffen: Generalmajor Günter Hofbauer sollte alle Fernseh-Anfragen beantworten, Brigadier Philipp Eder stand Radiosendern zur Verfügung und Oberst des Generalstabsdienstes Dr. Markus Reisner sollte die Bedürfnisse von Printmedien abdecken.
In den ersten Wochen und Monaten wurde dieses Angebot von allen österreichischen Medien nahezu ununterbrochen in Anspruch genommen. Hinzu kamen sukzessive Anfragen internationaler Medien, vor allem aus Deutschland, aber auch aus der Schweiz, aus Luxemburg und sogar aus Japan. Der ungeheure Bedarf und die damit verbundene zeitliche Belastung war, nach dem fünften Wochenende nahezu ohne Pause so hoch, dass der Expertenstab erweitert werden musste: Im Laufe der Zeit wurden OberstdG Berthold Sandtner, OberstdG Bernhard Gruber, ObstltdG Christoph Göd und MajordG Albin Rentenberger ebenfalls Teil des Expertenstabes.
Technische Umsetzung
Am 22. Jänner 2022, also genau einen Monat vor Beginn der russischen Invasion, hat die Pressestelle des Bundesministeriums für Landesverteidigung (BMLV) eine Signal-Gruppe eingerichtet. In dieser wurden alle Medienanfragen gepostet und die Experten konnten sich in dieser Gruppe inhaltlich abstimmen. Die ursprüngliche Aufteilung in TV, Radio und Print wurde, aufgrund des enormen Andranges bald aufgeweicht und jene Experten, die verfügbar waren, übernahmen die Beantwortung der Anfrage. Auch dazu dient jene Signal-Gruppe: Jeder sah, welches Medium zu welchem Thema und Format einen Experten benötigt und daher auch, wer den jeweiligen Anfragen nachkommen konnte. Damit war eine Transparenz, Gleichzeitigkeit und Nachvollziehbarkeit zu jeder Zeit gegeben. Die Offiziere hatten zum Thema „Ukraine“ und später zum Thema „Gaza“ inhaltliche Freiheit. Eine Freigabe der Anfrage war nicht mehr notwendig – diese hätte auch dem Zeitdruck, dem Medien unterliegen, widersprochen.
Der Ablauf war daher folgender: Ein Medium benötigt einen Experten und ruft bei der Presseabteilung oder direkt beim Sprecher des BMLV an. Der anfragende Journalist wird gebeten, eine Signal-Nachricht oder eine SMS mit dem Thema/Aspekt, dem spätesten Zeitpunkt für die Beantwortung, dem Ort und der Art des Interviews (live oder geschnitten) sowie die Kontaktdaten zu schicken. Diese Nachricht wird von der Pressestelle in die Signal-Gruppe der Experten gepostet und jener Experte, der zeitlich verfügbar bzw. inhaltlich vorbereitet ist, übernimmt, für alle sichtbar, die Anfrage. Die Zeit zwischen der Anfrage des Journalisten und der Kontaktaufnahme durch einen Experten beträgt im besten Fall wenige Minuten. Die Rückmeldung einer Journalistin eines deutschen Mediums bestätigt die Vorgangsweise: „Es ist unglaublich, wie schnell und unbürokratisch das bei ihnen läuft. Ich muss weder einen schriftlichen Interviewantrag stellen noch muss ich ewig auf eine Antwort warten“.
Expertenauswahl
Die Auswahl der Experten erfolgte nach dem Grundsatz der Freiwilligkeit und der Fähigkeit, komplexe militärische Zusammenhänge für eine breite Öffentlichkeit und mediengerecht, in einfachen Worten, gerade für Bürger ohne militärisches Spezialwissen erklären zu können. Alle Experten waren bereits medial geschult und erhielten nach den ersten Auftritten ein weiteres Interviewtraining durch die Firma IntoMedia, bei der auf ihre bisherigen Auftritte Bezug genommen wurde. Einige Monate später gab es ein vertiefendes Training, bei dem ebenfalls mit den bisherigen Interviews gearbeitet wurde.
Ziel und Zweck
Es war vorhersehbar, dass mit dem russischen Angriff wegen des Bedarfes einer militärischen Analyse des Geschehens beim Bundesheer angefragt werden würde: Wo sonst? Der Einsatz der Experten verfolgte daher folgende Ziele:
- Stillen der Bedürfnisse der Medien: Der Bedarf an Fachleuten, die militärische Vorgänge analysieren und bewerten können, ist hoch. Wenn das Bundesheer den Bedarf nicht decken kann, dann tut das jemand anderer.
- Positionierung des Bundesheeres als Organisation mit fähigen und gut ausgebildeten Mitarbeitern: Man schließt von medial bekannten Personen auf die Gesamtorganisation. Wenn die in Medien auftretenden Offiziere professionell agieren, dann ist wohl die gesamte Organisation professionell.
- Schaffung eines Pools an mediengeschulten Offizieren: Das Bundesheer verfügt nun, auch für zukünftige Anlässe, über eine große Anzahl an Offizieren mit praktischer Medienerfahrung.
Öffentliche Wahrnehmung
Die Experten waren gerade zu Beginn des Krieges omnipräsent. Und dies spiegelte sich auch in der öffentlichen Wahrnehmung wider: Eine Befragung von 1 406 Österreichern durch das BMLV zur öffentlichen Wahrnehmung des Bundesheeres im Fernsehen wurden erfragt (Abbildung 1) und wie ihr persönlicher Eindruck dazu war (Abbildung 2). Zusätzlich zeigte der OGM-Vertrauensindex (Österreichische Gesellschaft für Marketing) einen deutlichen Vertrauenszuwachs in das ÖBH. OGM kommentiert diese Entwicklung wie folgt: „2022 kam es im Gefolge des russischen Angriffskrieges zu einem Vertrauens-Boost in das Bundesheer, dazu haben auch gelungene Medienauftritte hochrangiger Militärs beigetragen.“
Die Bewertung der Befragungen durch die Abteilung Zielgruppenkommunikation des BMLV liest sich wie folgt: „Sofern Personen das ÖBH bei Sendungen im Fernsehen wahrgenommen haben, ist der Eindruck im Jahr 2023 für ¾ der Befragten positiv. Im Vergleich zu 2019 ist der Anteil an Personen, die einen positiven Eindruck vom ÖBH im Rahmen von Fernsehsendungen berichten, um nahezu 20 Prozent gestiegen. Zwischen einem positiven Eindruck vom ÖBH im Rahmen von Fernsehsendungen und weiteren Einstellungen zum ÖBH bestehen statistisch nachweisbare Zusammenhänge. So berichten Personen, die einen positiven Eindruck angeben, insbesondere von einem höheren Vertrauen in das ÖBH, bewerten die Leistungen des ÖBH im Rahmen der militärischen Landesverteidigung besser und beurteilen das öffentliche Auftreten der Soldaten besser. Insgesamt ist somit ein substanzieller und wissenschaftlich nachweisbarer Imagegewinn durch die Präsenz der ÖBH-Vertreter in Fernsehsendungen zu verzeichnen.“
Und tatsächlich waren die Experten ständig zu Gast in nahezu allen Medien: Im Zeitraum von 22. Februar 2022 bis 22. Februar 2023, also im ersten Kriegsjahr, gab es 17 Live-Auftritte der Experten in der ZiB2 und 26 Interviews in Ö1-Journalen. In den ersten 365 Tagen des Krieges waren die Offiziere 483-mal in österreichischen Medien zu sehen, zu lesen und zu hören. Hinzu kamen in Deutschland wöchentliche Auftritte auf NTV sowie monatliche Einschätzungen auf ZDF sowie Zitierungen in renommierten Zeitungen wie der NZZ oder der NYT.
Die Experten standen aber nicht nur Journalisten für Fragen zur Verfügung. Interessierte Zuhörer ihrer Vorträge waren zum Beispiel der Deutsche Bundestag, Studenten der Universität Harvard, die Österreichisch-Britische Freundschaftsgesellschaft, die Tagung der Pädagogischen Hochschulen NÖ, viele Verbände des Bundesheeres, Rotary-Clubs, die Offiziersgesellschaft, der Presseclub Concordia, NATO-Kommanden oder Parlaments-und Landtagsklubs verschiedener politischer Parteien. Hintergrundgespräche vor Journalisten zu ausgewählten Spezialthemen sowie die auf www.bundesheer.at publizierte mehrteilige Serie „3 Fragen und 3 Antworten“ zu aktuellen Themen rundeten die Kommunikationsmaßnahmen ab.
Informationsbeschaffung
Wie kommen die Experten zu ihren Informationen? Voraussetzen muss man, dass sich alle eingesetzten Experten, ungeachtet ihrer eigentlichen Hauptbeschäftigung als Leiter oder Forscher sich aufgrund ihrer militärischen Ausbildung mit dem Thema intensiv auseinandersetzen. Dazu kommt Recherchearbeit aus offenen, allgemein zugänglichen Quellen und die sich daraus ableitenden Analysen. Zusätzlich unterstützt das Heeres-Nachrichtenamt als strategischer Auslandsnachrichtendienst Österreichs die Experten und trägt damit zur Wissensbasis bei. Die Aufgabe des Heeresnachrichtenamtes (HNaA) ist die Beschaffung, Bearbeitung, Auswertung und Darstellung exklusiver Informationen für die politische und militärische Führung. Es verfügt hierzu über nachrichtendienstliche Sensorik und Analyse.
Was sagen Journalisten?
Das Angebot, den Medien Offiziere als Fachleute anzubieten, fand auch bei Journalisten breite Anerkennung. So schrieb Hans Rauscher in einem Kommentar in der Tageszeitung „Der Standard“: „Seit Ministerin Tanner ihren Leuten eine viel offenere Infopolitik erlaubt hat, muss man die Analysekompetenz in den hohen Rängen des Heeres anerkennen.“. Ein Journalist der Salzburger Nachrichten bemerkt: „Die Bereitstellung der Experten zum Ukraine- und Nahostkrieg ist die gelungenste Marketing-Aktion des Bundesheeres seit dem legendären Igel.
Ihre Nüchternheit, Sachkunde und Objektivität hat die Experten des Bundesheeres zu Recht bis über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt gemacht. Mich hat wirklich überrascht, welche Fülle an Expertise im Bundesheer vorhanden ist“ und Elisa Vass, Ö1 meint: „Die Militärexperten des Verteidigungsministeriums sind nicht nur kompetent, sondern schaffen es auch, die oft komplizierten Sachverhalte so zu erklären, dass sie jeder und jede verstehen kann. Die Militärexperten genießen, wie ich denke, bei Hörern und Hörerinnen im gesamten politischen Spektrum großes Vertrauen und können so in einer polarisierten Zeit auch zum faktenbasierten Grundkonsens, der nicht verloren gehen darf, einiges beitragen.“
Irak-Krieg 2003
Bereits im Irak-Krieg 2003 hat das Bundesheer auf Offiziere zurückgegriffen, um militärische Vorgänge für die breite Öffentlichkeit zu erläutern. Einer von ihnen war der inzwischen pensionierte Brigadier Walter Feichtinger. Er beschreibt seine Tätigkeit wie folgt: „Es begann mit der UÇK (Ushtria Çlirimtare e Kosovës) – meine ersten Medienauftritte als Experte des Verteidigungsministeriums hatte ich 1999 im Kontext der Widerstandskämpfe im Kosovo und der NATO-Operation „Allied Force“.
Ein erster Höhepunkt folgte 2003 mit dem US-Einmarsch im Irak. Im Auftrag der Kommunikationsabteilung durfte ich das „Situation Awareness Center“ einrichten, von dem aus sämtliche Medienanfragen erledigt und wöchentliche Pressekonferenzen abgehalten wurden. Einige der heutigen Experten wie Brigadier Eder oder Generalleutnant Hofbauer wirkten schon damals mit. Damit wurde offenkundig, dass im BMLV und am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement „Expertise auf Abruf“ vorhanden war; egal ob es auf dem Westbalkan kriselte, Soldaten des Bundesheeres im Tschad oder in Mali zum Einsatz kamen oder ob Russland die Krim annektierte. Allerdings erfolgten die Auftritte ad hoc und anlassbezogen. Es lag daher nahe, den Informationstransfer in regelmäßiger und strukturierter Form anzubieten – was mit dem Videoblog „Feichtinger kompakt“ gelang. In knapp drei Jahren wurden mit der Heeresbild-und Filmstelle 55 Folgen à 5 Minuten gedreht. Somit konnten aktuelle Krisen oder Hintergrundthemen regelmäßig erörtert werden.
Der Erfolg war überwältigend, wie Rückmeldungen aus dem Ressort sowie aus dem In- und Ausland zeigten. Allerdings gab es auch Gegenwind aus den eigenen Reihen und manchmal war viel Überzeugungsarbeit erforderlich, um den strategischen Nutzen einer proaktiven Informationstätigkeit zu erklären. Dabei lag das Ziel damals wie heute auf der Hand: Die Experten des Bundesheeres leisten einen wertvollen Beitrag zur seriösen Information der Öffentlichkeit. Damit gewinnt das Ressort an Ansehen und Vertrauen und kann auch auf eigene Belange hinweisen.
All das findet derzeit Bestätigung durch die ausgezeichneten Medienauftritte der Militärexperten. Die klare Linie der Ressortführung erleichtert ihre Arbeit, sie können sich auf die Inhalte konzentrieren. Meine Medienaktivitäten verfolgten auch das Ziel, das im Forschungsbereich vorhandene Fachwissen zu präsentieren und anzubieten – was vermehrt anerkannt und in Anspruch genommen wurde. Als größtes Lob empfinde ich noch heute, wenn mir Personen aus unterschiedlichsten Bereichen sagen: „Sie machen das sehr gut, Sie verstehe ich“. Damit zur abschließenden und wichtigsten Erkenntnis: Medienarbeit dient nicht der Selbstdarstellung, sondern soll den Wissensbedarf einer interessierten Öffentlichkeit decken. Daher gilt es, klar, offen und verständlich zu kommunizieren. Der Rest ergibt sich von selbst.“
Unit of the Year 2022
„Neid ist die höchste Form der Anerkennung“: Mit diesem Zitat waren auch unsere Experten immer wieder konfrontiert. Die mediale Präsenz führte sowohl zu meist hinter vorgehaltener Hand erhobenerer interner Kritik als auch zu mancher Beschwerde von Bürgern wegen getroffener Aussagen. Als sichtbares Zeichen der wehrpolitischen Bedeutung der Tätigkeit unserer Offiziere erhielten sie 2022 im Rahmen der Ehrung zum Soldier of the Year den „Special-Award 2022 für ihre fundierten Analysen, sachkundigen Hintergrundinformationen und der präzisen Beurteilung der Lage“.
ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz, selbst Milizoffizier sagte als Laudator: „Sie haben das Bild des Bundesheeres bei Journalisten – und noch viel wichtiger – in der österreichischen Bevölkerung massiv verbessert und massiv gehoben. Es ist wichtig, ein solches Bundesheer und dessen ausgebildeten Offiziere zu haben. Ihre Aufgabe ist nicht nur die Information der Öffentlichkeit über das Kriegsgeschehen in der Ukraine, sondern auch die Beratung der politischen Führung. Ich freue mich und wünsche meinen Kameraden alles Gute.“
Erfolgreiche Strategie
In Deutschland waren zu Beginn des russischen Angriffes ausschließlich pensionierte Offiziere in den Medien als Experten zu sehen und zu hören. Die Strategie des BMLV, aktive Offiziere als Experten anzubieten, hat sich bewährt. Grundlage des Erfolges waren: eine rechtzeitige und vorausschauende Aufbietung und Vorbereitung der Experten, kurze und unbürokratische Wege für Medien, klare inhaltliche Grenzen, innerhalb dieser es jedoch keine Einschränkungen gibt, und eine ständige interne Themenabstimmung. Der Erfolg lässt sich messen: Sowohl die Bevölkerung als auch Journalisten beurteilen den Einsatz und die Performance als sehr positiv. Wie viel Geld hätte man wohl in die Hand nehmen müssen, um denselben Erfolg mit anderen Maßnahmen zu erzielen?
Oberst dhmfD Mag. Michael Bauer; Abteilungsleiter Presse und Sprecher des Bundesministeriums für Landesverteidigung
Dieser Artikel erschien im TRUPPENDIENST 4/2024 (400).