• Veröffentlichungsdatum : 07.06.2024
  • – Letztes Update : 17.06.2024

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PerspektivenReich: Kriegsbildverweigerung

Katharina Reich

Teil 2: Seit den 1990er-Jahren, die Zeit als das Internet entstand, konnte es sich bis in die 2010er-Jahre als Medium etablieren. Online-Formate sind nun eine Konkurrenz zu den klassischen Medienformaten wie Zeitung, Fernsehen und Radio. Mit der Erschwinglichkeit von Smartphones für die Massen in Europa zwischen 2010 und der Gegenwart wurde, gemeinsam mit der Regulierung der Kosten für Internet und Telefonie durch die EU sowie den Wegfall von Roaminggebühren, eine Erreichbarkeit von Online-Inhalten für Menschen jeden Alters möglich.

Im Vergleich zu 1950 werden wir aktuell mit einem Vielfachen an Informationen geflutet. In den 1950er-Jahren gab es Radio und Zeitungen in jedem Haushalt, Fernseher gab es nur vereinzelt und das Internet noch gar nicht. Heute beschleunigt sich die Informationsflut. Dem Einzelnen stehen mehr Informationsquellen zur Verfügung: Radio, Digitalradio, Internetradio, Fernsehen, Video, Kino, Youtube, TV-Mediatheken, Zeitungen, Magazine, Flyer, Newsletter, Briefe, Fax, SMS, E-Mails, Statusmeldungen, Chats, Foren, Portale, Apps; selbst Autos, Häuser und elektronische Geräte kommunizieren mittlerweile miteinander.

Die Mediengeschwindigkeit nimmt rasant zu, denkt man an die oft zweistelligen Maileingänge pro Tag, mehrere Termine pro Tag, da nur die Teilnahme an neuen Events eine Präsenz in den Medien sichert, immer schneller werden mehr Dokumente erstellt, etc. Denkt man diese Situation nun in die Zukunft weiter, so liegt die Vermutung nahe, dass in dieser Entwicklung keine bis kaum eine Sättigung erwartet werden kann. Vielmehr verlangt diese Entwicklung einen neuen Umgang mit Medien.

Doch was hat das mit Kriegsberichterstattung zu tun? Menschen betrachten lieber, als dass sie lesen. Diese „Faulheit“ ist mitunter Grund dafür, dass heute in jedem Wohnzimmer ein wandfüllender Bildschirm hängt, jedoch das Buchregal fehlt. Der kostbarste Rohstoff im 21. Jahrhundert ist nicht mehr Erdöl oder zuvor Gold. Es sind unsere Blicke. Ganze Branchen leben davon, dass wir ihnen das wertvollste geben: unsere Aufmerksamkeit.

Hilflosigkeit und Ausgeliefert-Sein

Nun stellt sich die Frage, welche Auswirkung diese Mediennutzung auf die Wahrnehmung von „Krieg als Wissen“ hat. Es geht dabei vor allem um eine grundlegende Unterscheidung, nämlich in Ermüdung durch das Gefühl der Hilflosigkeit, dem Nichts-Tun-Können oder dem „Lernerfolg“ einer Berichterstattung, wie einer Dokumentation zum Zweiten Weltkrieg. Kriegsberichterstattung wirkt sich negativ auf die Stimmung aus, weshalb Menschen, die sich in einer Krise befinden, z. B. infolge steigender Stromkosten und Mieten, kaum Informationen zu Krieg „obendrauf“ konsumieren möchten. Wer möchte in einer Lage der gefühlten Knappheit etwas von Kriegen hören? Doch, stimmt das?

Sensation muss her!

Ein anderer Faktor mit dem Medien arbeiten ist die Sensationslust, die damit zu tun hat, dass die Leben vieler in Österreich, sehr sicher verlaufen. Es fehlt am direkten Erleben von Gewalt durch Waffen, Angriffe und Bedrohung durch Krieg. Dies führt zu einer gewissen Abstraktion von Krieg. Eine lange Phase des Friedens im Land von mehr als 70 Jahren, führte zu einer Hinwendung zum Pazifismus und einer Abwendung von der Landesverteidigung in der Bevölkerung. Es fehlte der „Angewandte Fall des Krieges“ im kollektiven Bewusstsein, denn auch die Zeitzeugen sind mittlerweile verstorben, die aus ihren Erfahrungen erzählen könnten.

Erst durch den Ukrainekrieg 2022 wendete sich das Blatt im Bewusstsein für ein verteidigungsfähiges Österreich und das Bundesheer erhält wieder mehr Mittel. Zurückzuführen ist dies unter anderem auf die dichte Berichterstattung zum Ukraine-Krieg mit Live-Tickern, Blogs und Videos in den sozialen Medien und jederzeit auf den eigenen Smartphones. Hier war eine Zeit lang die mediale Aufmerksamkeit zum Krieg vorhanden.

Die Empathie war so lange da, solange man mithelfen konnte, durch Informationen, Sachspenden oder sogar der Unterstützung von Flüchtlingen aus dem Kriegsgebiet. Zu Beginn des Ukraine-Krieges wurde mit der eigenen Mildtätigkeit auch gerne auf Social Media versucht an Prestige zu gewinnen bzw. mit auf diesen Flow zu mehr Follower aufzuspringen. Heute fehlen die Follower und das Interesse am Krieg ist gesunken, weshalb es keinen Mehrwert mehr hat öffentlich die eigene mildtätige Unterstützung auf Social Media zu teilen. Doch weshalb ist das Interesse heute verschwunden?

Vermutlich hat es teilweise mit der gesättigten Sensationslust, die durch den direkten Kontakt mit Menschen aus der Ukraine gespeist wurde zu tun. Damals waren plötzlich überall Helfer und das Helfen wurde zu Massenphänomen in den Medien. Ab einem gewissen Sättigungspunkt war jedoch der Helfer selbst nicht mehr besonders, sondern Teil einer großen Gruppe und eines Massenphänomens. Der Mensch jedoch ist dann interessiert, wenn die Anerkennung der Gruppe Resultat eines herausstechenden Handelns ist, also eine Aktivität einer kleiner Gruppe. In den Sozialen Medien wurde die Unterstützung zu einem breiten Phänomen, weshalb das Interesse immer mehr abgeflaut ist. Plötzlich kannte jeder jemanden aus der Ukraine, und alle hatten die Berichte aus erster Hand über den Bekanntenkreis gehört. Somit sank das Interesse, denn die Sensation blieb aus.

Authentische Berichterstattung

Manche Kommunikationswissenschaftler der 2010er-Jahre vertraten die Ansicht, dass Webblogs bereits funktionale Äquivalente des Journalismus seien. Gerade in Berichterstattungen über streng kontrollierte Länder wie Diktaturen sind die Webseiten einzelner Blogger besonders gefragt. Im Ukrainekrieg wird das Internet genutzt, um Menschen zu beeinflussen und es wurde gekonnt mit der Sensationslust gespielt. Blogs von der Front – sogenannte Warblogs, auf denen sich Kriegsberichte aus erster Hand finden – sind, im Vergleich zu einem fremden Korrespondenten, häufig im Vorteil.

Jedoch können Webblogs lediglich als Ergänzung zu professionellen Medien dienen, denn sie sind nicht in der Position, diese vollständig zu ersetzen. Ihr Erfolg gründet auf gesunkenen Publikationsschwellen und der Begeisterung für die Authentizität, mit der Blogger berichten. Vor allem aber ist die Sensationslust der Leser am Bildschirm die Wurzel, während der Blogger selbst die „Baumkrone des Systems“ ist.

Zivilcourage

Eine Kompensation zur Sensationslust findet sich in der Zivilcourage. Diese nimmt jedoch laufend ab, was im Gegensatz zu ihrem sensationsgetriebenen Gegenspieler steht. Daher stellt sich die Frage, ob mit einem Mausklick ein Leben gerettet werden kann. Studien belegen, dass die Bedeutung von Zivilcourage und Solidarität in der Gesellschaft abnimmt. Parallel dazu werden über soziale Medien zahllose gesellschaftliche Anliegen leicht transportierbar und gelangen so zum einzelnen Bürger. Grundsätzlich werden dadurch Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Problemstellungen sichtbar gemacht und können weltumspannend diskutiert werden. In der Folge erhöht sich der Druck auf Politik, Medien und Gesellschaft zur Veränderung eines Missstandes, soweit zum Prinzip. Doch können die Hashtags #Gewalt oder #Krieg, etwas bewirken? Enthüllungsplattformen, wie Wikileaks, können das, der einzelne Bürger jedoch sehr schwer.

Leak-Protagonisten sind Menschen, die lange im Verborgenen Informationen sammeln und Filtern, was die Möglichkeiten des Normalbürgers weit überschreitet. Daher ist ein Hashtag hübsch, aber dieser alleine bewirkt ohne ein Netzwerk an Mitstreitern und darüberhinausgehendes Engagement nicht viel. Dasselbe gilt für Postings in den sozialen Medien wie Facebook und Co.

Zu Unterscheiden gilt, dass Opposition nicht gleich Zivilcourage ist. Doch wenn es gegen Fälle schwerer Ungerechtigkeit geht und die legalen Mittel ausgeschöpft sind, ist ein gewissensbasierter bestimmter Widerstand moralisch als korrekt zu bewerten. So sehen es jedenfalls Rawls, Dworkin und Habermas, denn sie verteidigen und reflektieren zivilen Ungehorsam als relevanten Teil von liberalen Verfassungsstaaten. Begründet wird dies in dem Nebeneinander ordentlicher Handlungen mit gelegentlichen Gesetzeswidrigem, um inakzeptable Zustände zu hinterfragen und zu verändern. Was heute gerne im Netz als Ehrung von Einzelnen unter einem Aspekt der Zivilcourage herausgestrichen wird, erfüllt jedoch selten die definierten Kriterien, die es für diese einzuhalten gilt. Auch weil gegenwärtige kollektive Aktionen des zivilen Ungehorsams nicht selten mit Gewalt verbunden sind.

Die Definition 1983 von Habermas zu Zivilcourage lautet wie folgt: „Unstrittig sind die zentralen Bestimmungen, die sich aus dem Zweck des Appells an die Einsichtsfähigkeit und den Gerechtigkeitssinn einer Mehrheit von Staatsbürgern ergeben. Ziviler Ungehorsam ist ein moralisch begründeter Protest, dem nicht nur private Glaubensüberzeugungen oder Eigeninteressen zugrunde liegen dürfen; er ist ein öffentlicher Akt, der in der Regel angekündigt ist und von der Polizei in seinem Ablauf kalkuliert werden kann; er schließt die vorsätzliche Verletzung einzelner Rechtsnormen ein, ohne den Gehorsam gegenüber der Rechtsordnung im Ganzen zu affizieren; er verlangt die Bereitschaft, für die rechtlichen Folgen der Normverletzung einzustehen; die Regelverletzung, in der sich der zivile Ungehorsam äußert, hat ausschließlich symbolischen Charakter – daraus ergibt sich schon die Begrenzung auf gewaltfreie Mittel des Protests.“

Diese Begrenzungen bilden gemäß Habermas den Rahmen für den zivilen Ungehorsam und sind eine legitime Form demokratischen Verhaltens. Allerdings ist das demokratische Gemeinwesen in seiner Zustimmung der Mehrheit der Bürger ebenfalls relevant. So konnte beispielsweise die Weimarer Republik leicht durch die Nationalsozialisten vereinnahmt werden, weil ihr die Zustimmung der Mehrheit fehlten. Daher geht es nicht um Versuch und Irrtum, wie dies manchmal von Aktivisten angeführt wird, sondern auch um die Zustimmung der Mehrheit.

Rolle der Wissenschaft

Auch gilt es weg zu gehen von Ideologien in der Wissenschaft, um eine flexibel denkende Gesellschaft zu entwickeln. Derzeit sind Politik, Wirtschaft und Wissenschaft durch Informationsbeschaffung und Fördergebertum sehr nahe miteinander verbunden. Dies fördert einen geschlossenen Wissenschaftsbetrieb und eine Forschung die sich an den Interessen der Fördergeber orientiert. Doch die Wissenschaft soll frei sein!

Diese Entwicklung beeinflusst die Bildung von Glaubenssätzen, die am Ende zur Kriebsbildverweigerung führen, denn es fehlt schlichtweg an Kraft sich mit dem Thema des Krieges noch auseinander zu setzen. Nun stellt sich die Frage: Wie soll eine Welt, die aus den gesellschaftlichen Fuge gerät noch den Krieg verstehen? In der Schule hört kaum jemand etwas über das Kriegsrecht und wie dieses mit dem Völkerrecht zusammenhängt, geschweige denn, wann ein Krieg als solcher zu bezeichnen ist. Doch sind nicht gerade solche Definition notwendig, um sich mit dem Thema Krieg auseinanderzusetzen?

Die Vereinten Nationen wurden gegründet um „künftige Geschlechter von der Geißel des Krieges zu bewahren“, wie deren Charta besagt. Ein Recht des Staates auf Krieg kennt das moderne Völkerrecht nicht, im Gegenteil besteht eine Verpflichtung zum Frieden. Die Charta der Vereinten Nationen besagt lediglich, dass Staaten Gewalt ausüben dürfen, um einen bewaffneten Angriff abzuwehren – das Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung ist, in Übereinstimmung mit dem Artikel 51 der VN-Charta.

Resümee - Hinwendung zur Sachlichkeit

Kriegsbildverweigerung ist zwar eine Möglichkeit mit der Informationsflut umzugehen, aber auf Dauer ein Irrweg. Vielmehr sind Medien gefordert eine zahlen-, daten- und faktenbasierte Berichterstattung ohne moralisierende Beiträge umzusetzen. Ist es tatsächlich relevant zahllose weinende Kinder vor zertrümmerten Häusern am Schulweg zu zeigen? Undifferenzierte Beiträge in den Medien, die auf die Gefühlsebene der Medienkonsumenten abzielen, erlangen zwar schnell eine sensationslust-gesteuerte Aufmerksamkeit, doch auf Dauer wird die Hilflosigkeit des Betrachters so groß, dass dieser sich abwendet. Kurz: es gilt zu differenzieren, was eine sachliche Berichterstattung ist und was an Zahlen, Daten und Fakten neues dazugekommen ist.

Die Rolle der Journalisten gilt es in diesem Zusammenhang zu überdenken. Journalisten sind keine Politiker und sie haben keine gestaltende Position wie diese. Politiker sind hingegen demokratisch legitimiert und gewählt. Die journalistische Riege entfaltet jedoch eine gestaltende Wirkung zur Politik mit ihren Fragen und Darstellungen. Sie legt die Auswahl der Themen, die präsentierten Informationen und die Schlussfolgerungen dar. Emotionen werden heute häufig als beliebte Instrumente herangezogen. So werden von der Front in der Ukraine oder aus Israel kaum Fakten zu Toten und Verwundeten oder Waffennutzungszahlen vermittelt. Der Informationsgewinn einer Emotionsdarstellung, wie dieser ist jedoch äußerst gering. Einen Krieg über Emotionen ohne sachliche Berichterstattung zu beurteilen, geht am alten journalistischen Grundsatz, Zahlen, Daten und Fakten zu liefern, damit sich der Leser selbst eine Meinung bilden kann, vorbei!

Link zu Teil 1

Mag. Katharina Reich lehrt zu sicherheitsrelevanten Infrastrukturen, Ökonomie und komplexem Denken an diversen Universitäten und Fachhochschulen.

 

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