• Veröffentlichungsdatum : 12.09.2017
  • – Letztes Update : 18.09.2017

  • 21 Min -
  • 4266 Wörter

Süchtig nach Bewegung

Gerold Keusch

Das Einrücken zum Bundesheer ist für viele junge Menschen mit großem Unbehagen verbunden. Manche können sich nur schwer mit dem Soldatenleben identifizieren, andere arrangieren sich damit, viele sehen ihren Dienst rückblickend als eine "gute Zeit". Es gibt aber auch Menschen, die beim Bundesheer Talente und Fähigkeiten entdecken, die ihnen zuvor unbekannt waren. Einer von ihnen ist Bernhard Keller, der sich vom übergewichtigen und unsportlichen Jugendlichen zum Berufsoffizier und Profi-Triathleten wandelte.

Ein Sommertag im Umdasch-Stadion in Amstetten: Kinder laufen auf der Tartanbahn, Räder stehen in Reih und Glied ausgerichtet neben dem Fußballplatz, dazwischen Plastikboxen mit Sportgewand. Neben der Tribüne steht ein weißes Zelt für 50 Personen, daneben parken Transportbusse für Sportgeräte. So sieht das Trainingscamp für die Nachwuchstriathleten der „Rats-Amstetten“ aus, dem Verein des zweifachen Ironman-Vizeweltmeisters Bernhard Keller. Braungebrannt, schlank und sportlich, hat er im Radtrikot in dem Zelt Platz genommen und erzählt von seiner Metamorphose.

Ein unsportlicher Jugendlicher

„Ich war ein sehr unsportlicher Jugendlicher. Ich war Studienabbrecher, dick und Springreiter. Ich habe geraucht und getrunken, wie es damals, ab einem Alter von 16 Jahren normal war und es eigentlich alle gemacht haben.“  Im Alter von 20 Jahren hatte Keller 95 kg - zwanzig mehr als heute - und ging nach Australien. Das Studium hatte er kurz davor abgebrochen, nun wollte er sein Glück auf einem anderen Kontinent versuchen. „Das ist natürlich total in die Hose gegangen - ich konnte damals ja nicht einmal ordentlich Englisch reden.“

Als er 1991 wieder nach Österreich kam, nocheinmal um 10 kg schwerer, lag der Einberufungsbefehl auf dem Tisch. Keller hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Ambitionen für eine Laufbahn beim Militär und wollte eigentlich nicht einrücken. Sein Vater stellte ihn jedoch vor die Wahl: Entweder acht Monate zum Bundesheer und diese Zeit für eine Neuorientierung nutzen oder eine Lehre. Keller entschied sich für das Bundesheer. „Widerwillig bin ich nach Götzendorf eingerückt und nach drei Wochen Grundausbildung Sanitäter geworden. Ich hatte damals die Wertungsziffer 1 oder 2 - war also fast untauglich - aber für diese Funktion hat es gereicht. Nachdem ich Tierarzt ‚studiert’ hatte, haben sich meine Vorgesetzten vermutlich gedacht: Tierarzt, das hört sich irgendwie eh´ an wie Arzt, der wird Sanitäter.“

Unfall mit Folgen

Während seiner Zeit als Grundwehrdiener deutete zunächst nichts darauf hin, dass sich Keller hinsichtlich seiner persönlichen oder beruflichen Zukunft neu orientieren würde. Erst ein Unfall sollte das ändern. Als er mit zwei Kameraden viel zu schnell nach Hause fuhr, überschlug sich das Auto der Soldaten mehrmals in einer Linkskurve. Keller saß am Beifahrersitz und blieb bei dem Unfall ohne Schramme. Er hatte nicht einmal einen blauen Fleck und zog seine Kameraden, die beide schwer verletzt waren, aus dem rauchenden Auto.

Nachdem die Rettungskräfte die Verletzten in den Hubschrauber geladen hatten, kam ein Sanitäter zu ihm und fragte, ob er OK sei. „Das war meine Chance! Ich habe sofort über starke Rücken- und Halsschmerzen geklagt, also komplett tachiniert. Daraufhin musste ich mich sofort hinlegen, weil er dachte, dass ich etwas hätte. Was ich tatsächlich hatte, war eine Skoliose, eine Wirbelfehlstellung. Im Krankenhaus wurde dann diagnostiziert, dass der Wirbel verschoben ist. Das bedeutete: Abrüsten! Mein Ziel war erreicht.“

Doch es sollte anders kommen: Am Tag vor seiner Entlassung lief ihm durch Zufall ein Oberleutnant über den Weg. Er hatte ein Gipsbein und war mit ihm als Sanitäter ins Spital gefahren. „Wir kamen ins Gespräch und er fragte mich, was ich gelernt hätte. Ich sagte: Gar nichts, aber ich habe Matura. Daraufhin hat er mich gefragt, was ich kann. Ich sagte: Gar nichts. Darauf fragt er mich, ob ich nicht Interesse daran hätte, Soldat zu werden. Bei der Armee würde ich eine Chance bekommen und da ich Matura hätte, könnte ich auch Offizier werden.“

Keller wusste damals nicht, was es bedeutet Offizier zu sein. Nachdem ihm der Oberleutnant erklärte, was seine Aufgaben sind und dass man damit auch noch 14.000 Schilling im Monat (etwa 1.000 Euro) verdienen kann, fasste er seinen ersten militärischen Entschluss: „Das hört sich schneidig an! Das mache ich!“  Das Problem an der Umsetzung dieses Entschlusses war jedoch, dass er eigentlich hätte abrüsten sollen und eine zu niedrige Wertungsziffer für die Offizierslaufbahn hatte. Daraufhin setze er alle Hebel in Bewegung, um das zu ändern, ging zur Stellungskommission und erhielt dort - aufgrund seines „verbesserten“ Gesundheitszustandes - eine höhere Wertungsziffer.

Als Keller seine Familie und Freunde darüber informierte, dass er nun wisse, was er beruflich machen wolle, fielen sie aus allen Wolken. „Der kleine, dicke Bernhard will Offizier werden! Das haben sie nicht „gepackt“ - keiner! In meinem Umfeld waren alle Ärzte und Militärverweigerer. Ich war der Erste, der Offizier werden wollte. Alle haben die Hände über den Kopf zusammengeschlagen - nur meinem Großonkel, ein Oberst im Militärkommando Niederösterreich, hat es gefallen. Er hat gesagt: Das ist schneidig, das brauchen wir!“

Der Weg zum Berufsoffizier

Der Eintritt in die Offiziersausbildung war für Keller, Jahrgang 1969 - also ein Kind der 68er Generation - auch eine Protesthaltung gegenüber der „Protestgeneration“, der seine Eltern angehörten. Statt dem Abrüsten ging es nun in die Ostarrichi-Kaserne nach Amstetten zum Allgemeinen Offiziersanwärterkurs, wo er die Härte und die Disziplin des Soldatenlebens das erste Mal erlebte und täglich an die Grenze seiner psychischen und physischen Belastungbarkeit geführt wurde.

Keller beschreibt seine Erziehung als liberal, da die Eltern berufstätige Ärzte waren, und deshalb selten daheim gewesen sind. Den ganzen Tag konnte er deshalb machen, was er wollte, hatte schlechte Noten, musste wiederholen und wechselte viermal das Gymnasium. „Ich hatte Null Disziplin. Und auf einmal war ich beim Wildpanner Luis [dreifacher Weltmeister über die doppelte Ironman-Distanz und zweifacher Weltmeister über die dreifache Ironman-Distanz; Anm.], der mich und meine Kameraden an die Belastungsgrenze geführt hat. Aber ich habe mich wohl gefühlt. Ich konnte meine Grenzen erkennen, kannte mein Ziel, und meinen Kameraden ist es genauso gegangen. Mir hat das total getaugt.“

Keller war der Dickste und Unsportlichste im Kurs und auch militärisch hat er bei null begonnen, da er ein Quereinsteiger war. „Ich konnte nicht einmal das Sturmgewehr auseinandernehmen - nichts.“  Dennoch hat er die Ausbildung positiv absolviert, da er sich bemühte, den Kurs zu bestehen. Doch dann kam die Aufnahmeprüfung an der Militärakademie. In der Grube der Hindernisbahn wäre der Traum von der Offizierslaufbahn fast vorbei gewesen.

„Ich bin hinein in diese Grube und als ich hinaus springen wollte, ging es nicht. Oben standen mehrere Offiziere, auch der damalige Oberst Höfler. Er sah nach unten, schüttelte den Kopf und meinte: ‚Der kommt da nie heraus.’ Jedes Mal wenn ich daran denke, sehe ich ihn vor mir, wie er das sagt. Alle sind gestanden und haben mich angesehen, und sie hatten natürlich Recht: Ich kam nicht heraus.“  Dennoch bekam Keller die Chance in den Jahrgang einzusteigen. Aufgrund seiner guten theoretischen Noten wurde er bedingt in den Jahrgang „Kaiser Maximilian“ aufgenommen, der im September 1992 begann. Kurz danach hatte er die „Nachprüfung“ im Sport, die er bestand. 

Die Laufschuhe werden zum Begleiter

Zu Beginn seiner Zeit an der Militärakademie hatte Keller noch keine Ambitionen für den Sport. Das sollte sich ändern, als er in Kontakt mit dem damaligen Sportoffizier, Horst Stocker, kam - der sein erster Mentor wurde. Keller lebte de facto in der Militärakademie, hatte keine Freundin und fuhr nur selten nach Hause. Darüber hinaus war er eitel, weshalb es ihn störte, dick zu sein. „Irgendwann habe ich die Laufschuhe angezogen und bin eine Runde im MilAk-Park gelaufen. Bis dahin kannte ich eigentlich nur den gemeinsamen Morgensport.“

Ab diesem Zeitpunkt ging Keller regelmäßig alleine laufen, zuerst eine Runde, dann eine zweite, irgendwann lief er zwei Stunden. Dabei beherzigte er zwei Tipps von seinem Mentor: „Laufen ohne Schnaufen“ und „nur so intensiv, dass man nicht am Bauch schwitzt“. Neben dem Laufen begann er mit dem Krafttraining, beschäftigte sich mit Ernährung und verzichtete auf Fleisch und Wurst.

Mit der Zeit wurden die Hosen immer lockerer und auch seinem Umfeld blieb sein Lebenswandel nicht verborgen. Der damalige Fähnrich erhielt positive Rückmeldungen, auch von seinem Jahrgangskommandanten, was ihn anspornte den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. „Da ich körperlich fit war, gingen mir viele Dinge leichter von der Hand. Ich konnte besser lernen, habe gut ausgesehen, kam gut bei Frauen an und hatte viel Selbstbewusstsein. Alles ging nun irgendwie leichter, das hat mich motiviert. Damals habe ich noch nicht an Triathlon gedacht. Ich wusste nur, dass mir lange Distanzen liegen.“  Zwei Jahre später hatte er zwanzig Kilogramm abgenommen und aufgehört zu rauchen und zu trinken.

Der Weg zum Ironman

1995, nach dem positiven Abschluss der Militärakademie, lief Keller seinen ersten Marathon in der Wachau, den er in 3 Stunden und 19 Minuten absolvierte. Damals gab es bei diesem Bewerb nur etwa 400 Starter und es war noch etwas Besonderes einen Marathon zu laufen. Als er ins Ziel kam, waren seine Frau und Freunde, die ihn begleitet hatten, sehr stolz auf ihn und seine Leistung. „Ich aber war total verzweifelt. Ich hatte solange einen Trainingsplan und der war jetzt aus. Ich wusste nicht, was ich am nächsten Tag machen sollte.“

Es musste also der nächste Trainingsplan und somit das nächste Trainingsziel her. Nun kreuzten sich seine Wege mit zwei Offizieren, die damals aktive Triathleten und Funktionäre beim Heeressportverein Amstetten - Sektion Triathlon waren. Die beiden überredeten Keller bei einer Triathlon-Staffel zu starten. So kam er in Kontakt mit diesem Sport. Keller begann autodidaktisch mit dem Schwimmen und lieh sich von seinem Vater ein „Rennrad“ aus Stahl mit einem Gewicht von 14 Kilogramm und einer Siebengang-Handschaltung am Unterrohrrahmen.

„So bin ich 1997 zu meinem ersten Sprint-Triathlon in Gmunden gefahren. Das war eine richtige Katastrophe - total schlimm! Aber es hat mich motiviert weiterzumachen. Die nächsten drei Jahre habe ich mich Schritt für Schritt gesteigert. Ich habe meine erste Halbdistanz absolviert und gesehen: Je länger es dauert, umso besser werde ich. Im Jahr 2000 habe ich meinen ersten Ironman in Klagenfurt absolviert.“  Es war der erste Ironman in Kärnten und es gab auch nur eine Handvoll Starter. Damals hatte dieser Triathlon-Bewerb, der aus 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42 km Laufen besteht, noch nicht die aktuelle Popularität. Keller konnte diesen Bewerb in 9 Stunden und 42 Minuten beenden - eine Traumzeit für das erste Antreten mit einem, nach heutigem Ermessen, unkoordinierten Training und katastrophalem Material.

„Diese Leistung hat mich angespornt und ich habe weitergemacht. Schritt für Schritt wurde ich besser, hatte besseres Material und verfügte über immer mehr Wissen in diesem Bereich.“  Zu dieser Zeit kam auch das Internet in die Gänge und die Informationen zu diesem Sport wurden zugänglicher. Bis Keller mit der Internet-Recherche begann, kannte er weder Trainingspläne noch Herzfrequenzbereiche oder andere Begriffe der Trainingswissenschaft. 

Vom Teilnehmer zum Vizeweltmeister

Die intensive Beschäftigung mit dem Thema Triathlon, verbunden mit hartem und konsequentem Training, machte sich bezahlt. 2003 qualifizierte sich Keller das erste Mal für die Ironman-Weltmeisterschaft auf Hawaii, an der er auch 2004 und 2006 teilnahm. „Die ersten beiden Teilnahmen waren schlimm. Ich bin jedes Mal total an die Wand gelaufen.“ 2006 nahm er sich einen Trainer und erlebte seine erste große sportliche Sternstunde: Ironman-Vizeweltmeister der Altersgruppe 35-39!

„Besonders stolz bin ich darauf, den 36. Platz in der Gesamtwertung erreicht zu haben und den Marathon, der den Ironman abschließt, in 2 Stunden und 56 Minuten in der sengenden Hitze der Vulkaninsel bei fast 100 Prozent Luftfeuchtigkeit gelaufen zu sein.“  Für die meisten Menschen aus seinem Umfeld war dieser Erfolg eine Sensation. Keller hatte jedoch insgeheim damit gerechnet relativ weit vorne anzukommen, da die guten Testergebnisse während der Vorbereitung diesen Schluss bereits im Vorfeld zuließen und er im Jahr davor den Klagenfurter Ironman unter 9 Stunden finishen konnte.

Eintritt in den Profisport

„Die Erfolge des Jahres 2006 stellten mich vor die Entscheidung: Weitermachen wie bisher, mit dem Sport aufhören oder zumindest kürzer treten, oder den Schritt in den Profisport wagen.“  In den Jahren davor war Keller zwei Jahre in Elternkarenz und zwei Jahre Teilzeitsoldat. Da die mediale Aufmerksamkeit um seine Person nach dem Erfolg in Hawai groß war und mehrere Firmen aus der Region mit ihm in Kontakt traten und ihm ihre Unterstützung zusicherten, informierte er seine Frau von der Überlegung Profi zu werden. „Ihre Reaktion war eindeutig. Sie sagte: ‚Jetzt oder nie! Du bist 37 Jahre alt, in zwei Jahren kannst du das nicht mehr machen.’ Sie stellte nur die Bedingung, dass ich nicht weniger verdienen darf als beim Bundesheer.“  Nach dem OK seiner Frau ging er zu seinem Kommandanten und teilte ihm mit, dass er in Karenz gehen möchte - ohne Gehalt, ohne Vorrückungen - was schließlich genehmigt wurde. Mit Februar 2007 wurde er Profi und flog sofort auf das erste Trainingslager nach Australien.

Auf seine Zeit als professioneller Triathlet blickt Keller gerne zurück: „Ich habe viele schöne Zeiten erlebt, konnte viel Erfahrung sammeln und einige schöne sportliche Erfolge erzielen - vor allem wenn man bedenkt, wann meine sportliche Laufbahn begonnen hat. Von den 35 Ironman lief ich den Marathon 15 Mal unter drei Stunden, wobei meine Bestzeit 2 Stunden und 48 Minuten beträgt. Manche Streckenrekorde bestehen noch heute.“

Bis 2011 verlief die Profikarriere nach Wunsch. Dann kam der Zeitpunkt, ab dem es nicht mehr „glatt“ lief. Einerseits musste er mittlerweile sehr viel Zeit in den Sport investieren, um wegen seines Alters von damals 42 Jahren das Niveau überhaupt halten zu können, andererseits bemerkte er die ersten körperlichen Probleme, beispielsweise an der Achillessehne. „Das war auch kein Wunder, da ich teilweise bis zu 50 Stunden in der Woche in einem - für den Sport schon relativ hohen Alter - trainiert habe.“  2011 beendete er seine Laufbahn als Profi. Das Ende der Profikarriere bedeutete jedoch noch nicht das Ende der sportlichen Laufbahn, sondern die Rückkehr zu den Amateuren. Und auch nach Hawaii kehrte er zurück, wo er 2012 noch einmal Vizeweltmeister in der Altersgruppe 40-44 werden konnte. 

Höhen und Tiefen

Das Leben eines Sportlers besteht nicht nur aus Erfolgen und Siegerfotos, auch Rückschläge und bittere Momente gehören dazu. Besonders der Triathlon ist ein Sport, bei dem Schmerz und Leidenschaft wie in kaum einer anderen Disziplin miteinander verbunden sind. Keller stand bei 35 Langdistanz-Triathlons am Start und weiß wie es sich anfühlt, wenn man „an die Wand läuft“.

Das Gefühl, wenn langsam die Kraft ausgeht und man weiß, dass es in der nächsten halben Stunde „aus“ ist, die Augen vor Müdigkeit und Erschöpfung zufallen, der Puls ansteigt, obwohl die Geschwindigkeit sinkt, die Muskeln nicht mehr arbeiten, es einfach nicht mehr schneller geht, selbst wenn man es noch so möchte und Krämpfe wie Messerstiche die Muskeln durchdringen. Mit viel Erfahrung und einer guten Renn- und Essenseinteilung kann man rechtzeitig gegensteuern. Wenn man die Intensität verringert, isst und trinkt, kann man das Schlimmste vermeiden. Dennoch kommt jeder Sportler während eines Triathlons an seine Grenze.

Den bittersten Moment erlebte Keller auf der schattenlosen Laufstrecke beim Langdistanztriathlon in Podersdorf im Burgenland, bei fast 40 Grad im Schatten. „Dort habe ich das einzige Mal in meinem Leben bei einem Wettkampf aufgegeben. Das war bitter und hat jahrelang an mir genagt. Ich bin eingegangen, weil ich auf der Radstrecke überzockt habe und komplett fertig war. Aufgeben gibt es aber nicht - schon gar nicht auf der Langdistanz. Schließlich geht es darum zu ‚finishen’ - ins Ziel zu kommen. Ich hatte Wettkämpfe mit Radstürzen, die ich ‚gefinished’ habe, aber in Podersdorf habe ich Schwäche gezeigt.“

Dass er einen Fehler gemacht hatte, war ihm bereits bei der Chipabgabe bewusst. Es sollte das einzige Mal bleiben, dass er bei einem Wettkampf aufgab. Auch wenn es noch so hart war und die Schmerzen noch so unerträglich wurden, was gerade beim Ironman - speziell auf Hawaii - häufig passiert, blieb er im Rennen. „Wenn ich mir vornehme, dass ich starte, dann komme ich auch ins Ziel. Man hat 17 Stunden Zeit um 3,8 km zu Schwimmen, 180 km Rad zu fahren und 42 km zu laufen. Da kann man sich theoretisch auch zwei Stunden hinlegen und dann weitermachen. Beim Ironman geht es darum ins Ziel zu kommen. Wen interessiert es schon, ob du 13 oder 14 Stunden für den Bewerb brauchst, das versteht ja sowieso niemand, der es nicht selbst einmal gemacht hat.“

Ende und Neuanfang

2015 zeichnete sich für den ehemaligen Berufsoffizier nach einem Kreuzbandriss das Ende seiner sportlichen Laufbahn ab. Ab diesem Zeitpunkt ging es sportlich bergab, da er nicht genügend regenerierte und die Verletzung deshalb nicht ausheilen konnte. „Seitdem ist meine Sportkarriere zu Ende. Ich bin zwar noch ein guter Radfahrer und Schwimmer, aber Laufen kann ich nicht mehr. Ich bin auch im Kopf weg davon, an Wettkämpfen teilzunehmen. Jetzt konzentriere ich mich auf meinen neuen Beruf, dem des Trainers. Daneben habe ich noch meinen Verein und den Mostiman (Kurzdistanz-Triathlon in Wallsee; Anm.) als Hobby.“

Dem Bundesheer hat er 2016 den Rücken gekehrt, als er endgültig abrüstete und seine Ausrüstung abgab. Seine große Leidenschaft ist das Nachwuchstraining. „Es begeistert mich, wie die Kinder dankbar sind - die kleinen, großen, dicken, schlanken - alle sind dankbar, wenn man sich mit ihnen beschäftigt.“

Auch wenn Keller nicht mehr an Wettkämpfen teilnimmt, betreibt er immer noch Sport, jedoch ohne Trainingsplan. Und auch die Ziele sind bescheidener geworden: Fit bleiben ohne Schmerzen. Dennoch gibt er zu, dass er gerne noch einmal nach Hawaii fahren möchte, denn: „Ich bin total fanatisch nach Sport, das ist meine Sucht. Wenn ich nicht einmal am Tag trainiere, werde ich unrund. Gestern hatte ich einen trainingsfreien Tag, das war eine Katastrophe. Ich bin süchtig nach Bewegung. Egal ob es Schwimmen, Radfahren, Krafttraining, Langlaufen oder etwas anderes ist. Hauptsache ist, dass ich trainieren kann.“

In seinem neuen Beruf begeistern ihn vor allem die jungen Sportler zwischen 14 und 17 Jahren, die er beim niederösterreichischen Landesleistungszentrum Triathlon trainiert. Diese Athleten absolvieren dort ein beinhartes Training. Sie gehen nicht fort, fahren nicht auf Urlaub, haben einen kleinen Freundeskreis, da sie nichts anderes machen außer trainieren - und sie haben ein Ziel: Olympia. „Das sind schon ‚Knechte’. Was die trainieren, würde ich heute nicht mehr schaffen. Trotzdem hört man sie niemals sudern. Nie! Im Bedarfsfall muss ich sie aus dem Training nehmen, damit sie sich nicht überlasten. Die beeindrucken mich und es stimmt mich sehr zufrieden, dass ich solche Personen geformt habe.“

Militärische Führung im Sportverein

Auch wenn Bernhard Keller nicht mehr Angehöriger des Bundesheeres ist, so ist er der Armee noch immer verbunden. „Was ich beim Bundesheer gelernt habe ist, zu Führen. Ich bin ein Alphatier, was ich früher nicht wusste, was sich aber auch in meiner aktiven Zeit beim Heer herauskristallisiert hat.“  Ein besonderes Vorbild ist für ihn sein ehemaliger Kommandant beim Pionierbataillon 3, Oberst Wolfgang Kaufmann. „Ich habe mir sehr viel von ihm abgeschaut. Wie er geführt hat - wie er uns Offiziere geführt hat. Ich denke heute noch darüber nach, wie er es gemacht hätte, wenn ich eine Entscheidung treffen muss.“

Das Führungsverhalten, das Führungsverfahren und die Führungsgrundsätze, die Keller beim Bundesheer kennengelernt und verinnerlicht hat, prägen die Art und Weise, wie er „seinen“ Verein führt und den Mostiman organisiert. Diese Triathlon-Veranstaltung unterliegt einer streng hierarchischen Struktur, die etwa 130 freiwillige Mitarbeiter umfasst, die in sieben Teams, fünf Tage lang von früh bis spät im Einsatz sind. Dass es „militärisch“ zugeht, zeigt sich auch an der „Uniform“ der Crew, die mit ihren rosa Shirts klar erkennbar ist.

Da die Mitarbeiter Freiwillige sind, kann man zwar keine Befehle erteilen, dennoch erleichtern klare Aufträge den Ablauf. „Wenn ich vor einem Problem stehe, gilt es Ruhe zu bewahren und nicht aus der Hüfte zu schießen. Dann sind die militärische Abläufe gefragt: Erfassen des Auftrages, Beurteilen der Lage, Abwägen der Möglichkeiten, Entschluss. Wenn ich nach Absprache mit dem Team einen Entschluss gefasst habe, gebe ich den Befehl, stehe zu der Entscheidung und halte meinen Leuten den Rücken frei. Denn ab diesen Zeitpunkt gibt es kein Zurück mehr.“  Für den ehemaligen Berufsoffizier ist das der Grund warum einerseits der Verein seit zehn Jahren erfolgreich ist und beispielweise 2017 die Vereinswertung des Österreichischen Triathlon Nachwuchscups anführt, und andererseits der Mostiman mit etwa 1.000 Athleten reibungslos über die Bühne geht. 

Führungsgrundsätze - Schlüssel zum Erfolg

Keller ist überzeugt: „Ohne militärischer Führung ginge das nicht. Zumindest könnte ich nicht ohne arbeiten.“  Konkret spricht er hier die Führungsgrundsätze an, wobei ihm die „Handlungsfreiheit“ und der „Platz des Kommandanten“ ein besonderes Anliegen sind. „Es ist zwar nett, wenn ein Veranstaltungsleiter, den Athleten aus dem Wasser hilft, das nimmt ihm aber die Handlungsfreiheit. Als Kommandant darfst du dich nirgends einbinden, sonst kannst du nicht führen.“

Wer den ehemaligen Berufsoffizier am Wettkampftag beobachtet, wird weder einen Tropfen Schweiß noch Stress bei ihm erkennen. Er geht spazieren, fährt mit dem Roller, schaut dort hin und da nach, steht an einem Übersichtspunkt und beobachtet. „Arbeiten“ wird man ihn während des Wettkamptages aber nicht sehen. „Nie! Das würde mir nicht einfallen. Wenn Not am Mann ist, bin ich natürlich da. Aber solange nicht der Hut brennt, mache ich nichts. Und selbst da teile ich jemanden zum Löschen ein. Ich rühre keinen Finger an den Wettkampftagen. Davor und danach schon.“

Für Keller ist das der Schlüssel zum Erfolg, denn „sobald du dich bindest, entgleitet dir die Führung.“  Deshalb haben alle Mitarbeiter der Crew ein Headset, weil Führung nur durch direkte Kommunikation funktioniert. Somit weiß er auch immer, was wo passiert und bekommt alles mit. Das heißt aber nicht, dass er sich einmischt. „Erst wenn ich sehe, dass diskutiert wird, gehe ich hin, verschaffe mir einen Überblick, sage meine Lösung und die wird dann umgesetzt - ohne Diskussion.“

Bernhard Keller ist eine Person die polarisiert, dessen ist er sich bewusst. Aber seine Entscheidungen werden respektiert, da sie funktionieren. Und auch wenn Keller nicht jedermanns Liebling ist, sein Organisationstalent ist unbestritten und wird selbst von seinen Kritikern anerkannt und gelobt. Eine militärische Führungsstruktur bedeutet weder einen rüden Umgang, noch laute Worte, sondern einen wertschätzenden und kameradschaftlichen Umgang. So wollen er und seine Crew auch wahrgenommen werden. „Wenn man ein Organisationmitglied etwas fragt, bekommt man eine nette Antwort. Wenn einer etwas nicht weiß, dann weiß er, wo er nachschauen kann.“ 

Militärische Tugenden

Nicht nur als Veranstaltungsleiter, sondern auch als Trainer und Vereinsobmann legt der ehemalige Berufssoldat großen Wert auf militärische Tugenden. Eine davon ist die Pünktlichkeit. „Wir fangen pünktlich an und hören pünktlich auf. Pünktlichkeit ist das oberste Gebot, weshalb alle fünf Minuten vor der Zeit da sind.“  Eine andere Tugend, die ihm wichtig ist, ist die Disziplin. Das gilt sowohl für ihn, da ihm die Eltern vertrauen, dass er ihre Kinder gut behandelt als auch für seine Sportler. „Aufmucken“ gibt es nicht. „Wer zurückredet bekommt einen ‚Schuss vor den Bug’, beim zweiten Mal einen ‚Treffer’, beim dritten Mal wird er ‚versenkt’. Jeder weiß, dass ich das nicht akzeptiere. Und das taugt ihnen. Sie kommen immer wieder. Ich denke mir oft: Warum kommen sie schon wieder, das gibt es doch gar nicht. Der Grund ist einfach - genau deshalb.“

Disziplin ist wichtig für den Lern- und Trainingserfolg, gerade im Sport und speziell im Triathlon. Triathleten sind Einzelkämpfer und keine Mannschaftssportler. Jeder ist für seinen Erfolg selbst verantwortlich, auch und vor allem, wenn gemeinsam trainiert wird. Beispielsweise bei Schwimmübungen im Wasser; da muss es ruhig sein, nur dann kann jeder konzentriert arbeiten. „Wenn alle ruhig sind, kann ich mich auf mich selber konzentrieren und bringe etwas weiter. Wenn nur ein Störenfried da ist funktioniert es nicht mehr.“ Was Keller überhaupt nicht leiden kann, ist das „typisch österreichische Gesudere“. „In meinem Verein gibt es kein Sudern. Wenn einer jammert, dann rate ich ihm aufzuhören. Es macht auch nichts leichter.“

„Zugskommandant“ und Ausbildungsleiter

Keller bildet die Trainer im Verein selbst aus. Diejenigen, die heute auf dem Platz sind und Kinder und Jugendliche trainieren, haben vor etwa zehn Jahren im Verein angefangen. Sie vermitteln deshalb in gewisser Weise seinen Führungsstil. Die Trainer führt Keller ähnlich wie ein Zugskommandant seine Gruppenkommandanten: Wenn er beispielsweise sieht, dass ein Trainer mit dem Rücken zur Sonne steht, geht er hin und macht ihn darauf aufmerksam.

Den Grundsatz, dass die Auszubildenden nicht in die Sonne blicken dürfen, hat er beim Militär gelernt. Auch dass ein Ausbilder laut und deutlich reden und dabei die richtige Worte wählen muss, was speziell im Hallenbad, bei den vielen Nebengeräuschen, wichtig ist. Wer den militärischen Führungsstil nicht will, der hat weder in der Führungsstruktur noch als Athlet einen Platz im Verein, denn: „Es muss funktionieren. Was funktioniert ist gut - was nicht funktioniert ist unbrauchbar und wird bei mir nicht akzeptiert.“

Eines ist unbestritten: die militärische Struktur funktioniert bei jeder Lage und in jeder Situation. Das zeigt sich auch bei der Auswahl der Trainer. „Es gibt immer wieder Eltern, die Lehrer sind und meinen, wenn sie in einer Schule unterrichten, können sie auch Sportler ausbilden. Aber das ist etwas ganz anderes. Ein Lehrer kann sagen: ‚Setzt dich hin, sonst bekommst du einen Fünfer’. Das funktioniert hier nicht, da beim Sport Bewegung aktiv und zielgerichtet gefördert wird und nicht verhindert werden soll. Wenn ich der Meinung bin, dass es nicht funktioniert, muss der Trainier gehen. Schließlich steht der sportliche Erfolg des Kindes im Fokus und nicht das Glück des Trainers.“

Auf einen Blick

Keller hat eine wilde Kindheit und Jugend hinter sich, so wie es in den 1970ern und 1980ern üblich und normal war. Er hat nichts versäumt in seinem Leben und sich vom über 100 kg schweren Bewegungsmuffel und Studienabbrecher zum Berufsoffizier, Triathlon-Profi und Trainer entwickelt. Auch wenn Keller nicht mehr Angehöriger des Bundesheeres ist, so ist er der Armee noch immer verbunden, was sich nicht zuletzt in seinem Führungsverhalten äußert, denn: „Man ist kein Soldat, nur weil man ein grünes Gewand anhat. Soldat zu sein bedeutet vielmehr, dass man nicht sudert, sondern sich am Riemen reißt und diszipliniert ist.“  Ein wenig Wehmut lässt sich dennoch vernehmen, wenn der ehemalige Berufsoffizier meint: „Ich war immer Soldat mit Herz und Seele und irgendwo bin ich das noch heute.“

Trainingstipps vom Triathlon-Profi

Offiziersstellvertreter Gerold Keusch ist Redakteur beim TRUPPENDIENST.

 

Ihre Meinung

Meinungen (0)