- Veröffentlichungsdatum : 07.04.2021
- – Letztes Update : 13.04.2021
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Titos Zentrale unter Felsen
Der Sitz des jugoslawischen Armeekommandos im Kriegsfall (Armijska Ratna Komando) war bis zum Zerfall des Staates eines der am besten behütetsten Militärgeheimnisse. Trotz der langen Bauzeit und dem Umstand, dass sich die Baustelle direkt neben den Vorstadthäusern von Konjic befand, blieb der Befehlsbunker geheim. Im Falle eines Krieges sollten von dort aus der Staat und die Armee geführt werden. Im Bosnienkrieg vor der Sprengung bewahrt, befindet sich heute ein gut besuchtes Museum in dem ehemaligen Bunker.
Die unterirdische Anlage mit dem militärischen Namen „D-0“ (Code „Istanbul“) sollte 350 Personen im Kriegsfall einen „geschützten Arbeitsplatz“ bieten – darunter auch Staatschef Jozip Broz „Tito“. Für dieses Vorhaben wurden von März 1953 bis zum 1. September 1979 mehr als 20.000 Kubikmeter Material aus dem Berg geschafft, das entspricht etwa dem Rauminhalt von acht olympischen Schwimmbecken. Die bauliche Gestaltung und technische Ausrüstung der Infrastruktur gehören zu den am besten erhaltenen Beispielen der Militärarchitektur Jugoslawiens. Die heute noch intakten Generatoren und Maschinen wurden während der 26-jährigen Bauzeit großteils von Industriebetrieben in den ehemaligen Teilrepubliken hergestellt.
Der Bunker war so konstruiert, dass er der Detonation einer 25-Kilotonnen-Atombombe widerstanden hätte, das entspricht etwa der Sprengkraft von zwei Hiroshima-Bomben. Die Kosten für die Errichtung der Anlage inklusive ihrer Nebengebäude, z. B. die Kommunikationseinrichtungen in den Bergen Kiser und Borasnica, betrugen nach heutigem Wert ca. 4,6 Milliarden US-Dollar. Hinter dem Flughafen „Zeljava“ in der Nähe von Bihac und dem Hafen „Lora“ in Split war der Bunker somit die drittgrößte militärische Investition im ehemaligen Jugoslawien.
Gebirgsbunker im Strategischen Territorium
Die strategische Entscheidung zum Bau dieser und anderer Militäreinrichtungen in den Gebirgsregionen Bosnien und Herzegowinas beruht auf der Annahme eines möglichen Angriffes sowjetischer Streitkräfte nach dem Ausschluss Jugoslawiens aus der Kominform (überstaatliches Bündnis kommunistischer Parteien bzw. Staaten, geführt von der Kommunistischen Partei der Sowjetunion unter Josef Stalin; Anm.) im Jahr 1948. Dieses Bedrohungsszenario stellte die im Aufbau befindliche und in jener Zeit kaum einsetzbare Jugoslawische Volksarmee vor gewaltige Herausforderungen. Die politische Annährung an westliche Partnerländer wie den USA war damals die einzige ökonomische und wehrpolitische Option der Staatsführung in Belgrad. Politisch war das ein ungewöhnlicher Schritt für einen kommunistischen Staat, für den der kapitalistische Westen mit den USA als Führungsmacht als ideologischer Feind galt.
Die Streitkräfte der Jugoslawischen Volksarmee hätten sich bei einem Angriff der Roten Armee und ihrer Verbündeten, entsprechend der damaligen Verteidigungsdoktrin, in die unzugänglichen Gebirgsregionen Bosnien und Herzegowinas sowie Kroatiens bis zur Adriaküste zurückgezogen. Dort wollte man einem Angreifer mit der im Zweiten Weltkrieg bereits erfolgreich angewandten und somit bekannt-bewährten Partisanentaktik entgegentreten. Dieses Rückzugsgebiet wurde damals als „Strategisches Territorium“ bezeichnet. In diesem befand sich auch die Masse der militärischen Anlagen inklusive der umfangreichen Militärindustrie und -Logistik.
Nachdem die politisch-militärische Krise der 1940er- und 1950er-Jahre überwunden war, wurde die Jugoslawische Volksarmee zur dominanten Militärmacht in Südosteuropa. Diese Entwicklung wurde durch den „Kalten Krieg“ zwischen dem Westen (NATO) und dem Osten (Warschauer Pakt), die durch den „Eisernen Vorhang“ getrennt waren, und die daraus resultierende finanzielle und militärische Unterstützung Jugoslawiens durch die USA zwischen 1949 bis 1956 ermöglicht.
Ein Resultat der jugoslawischen Militärstrategie während des Kalten Krieges war der Bau militärischer Bunkeranlagen, mit dem Anfang der 1950er Jahre begonnen wurde, bis diese Vorhaben Ende der 1970er Jahre eingestellt wurden. Die Armijska Ratna Komanda innerhalb des Berges Zlatar liegt 200 Meter unter der Erdoberfläche, 280 Meter tief im Berg und umfasst eine Fläche von rund 6.800 Quadratmetern, in etwa die Fläche eines FIFA-Fußballfeldes.
Die Einrichtung besteht auch heute noch aus ihren drei ursprünglichen Häusern, die den Zugang zum unterirdischen Teil der Einrichtung ermöglichen. Hinter diesen befinden sich Tunnel, die den unterirdischen mit dem oberirdischen Teil der Anlage verbinden und mit Geländewagen sowie kleineren Lastwägen befahren werden können. Die Tunnel sollten bei einer atomaren Explosion als eine Art „Stoßdämpfer“ fungieren. Sie waren von der Zufahrtsstraße aus erreichbar und hatte auch eine Tarnfunktion.
Der unterirdische Bau verfügt über zehn Schlafräume, zwei Konferenzsäle und fünf militärische Operationszentralen, die im Kriegsfall die Kommunikation zu den lokalen politischen und militärischen Entscheidungsebenen in den Teilrepubliken aufrecht zu erhalten hatten. Hinter den Stahltüren der Anlage, auf denen noch heute rote Aufschriften mit Insignien der Jugoslawischen Volksarmee zu sehen sind, lagerten die Pläne für vorbereitete Militäraktionen. Diese Karten und Dokumente zählten einst zu den am strengsten gehüteten militärischen Geheimnissen, bevor sie 1992 systematisch vernichtet wurden. Im Hauptbetriebszentrum, das mit einer Vielzahl von Telefonen ausgestattet ist, wird der eigentliche Zweck des Bunkers sichtbar: das Sicherstellen der Führung der jugoslawischen Streitkräfte im Angriffsfall, bei dem mit dem Einsatz nuklearer, chemischer und biologischer Waffen zu rechnen ist. Dazu gab es eine eigene Telefonzentrale mit einer Kapazität von 390 Nummern.
Autarkes Labyrinth
Während einer militärischen Auseinandersetzung hätte die Anlage auch dem jugoslawischen Präsidenten und Staatschef Josip Broz „Tito“ Schutz gewähren und ihm als Führungszentrale dienen sollen. Der Präsidentenblock, mit seinen sechs Zimmern, ist noch heute in dem Zustand nach seiner Errichtung. Dieser Bereich war ausschließlich dem Staatsführer und seiner Familie vorbehalten. Neben dem Schlafzimmer befindet sich in dem Trakt auch ein Arbeitszimmer und ein Konferenzsaal im Stil eines Amphitheaters.
Als besondere technische Innovation galt damals ein Kabel-TV-Netz, mit dem Berichte aus den einzelnen Regionen Jugoslawiens direkt in die Befehlszentrale übertragen werden konnten. Außerdem verfügte die Anlage über ein Dechiffrierbüro, fünf Waschräume mit Toiletten, zwei Küchen und ein Krankenrevier mit eigenem Operationssaal, in dem auch komplizierte Eingriffe möglich gewesen wären. Die medizinische Einrichtung bestand darüber hinaus über eine Dekontaminierungsdusche und Röntgengeräte. Ein modernes Klimasystem ermöglichte innerhalb des unterirdischen Objekts eine konstante Temperatur zwischen 21° und 23° Celsius mit einer Luftfeuchtigkeit zwischen 60 und 70 Prozent.
Zwei im Berg befindliche Quellen lieferten das Nutz- und das Kühlwasser für alle Aggregate. Die Abwässer wurden von einem speziellen Wasserreinigungssystem geklärt, bevor sie in den Fluss Neretva geleitet wurden. Zwei voneinander unabhängige Stromnetze gewährleisteten die Energieversorgung. Noch heute befinden sich im Bunker zwei Kraftstofftanks mit jeweils 25.000 Liter Fassungsvermögen. Sie sollten die Stromversorgung der Generatoren gewährleisten und sind noch immer mit Treibstoffreserven aus der Vorkriegszeit gefüllt. Die gesamte Anlage verfügt über ein Belüftungssystem, in das Frischluft durch 200 Meter lange Öffnungen und einen Aerosolfilter, der die Luft im Fall einer chemischen Verunreinigung säubern würde, eingeleitet wird. Insgesamt gibt es im Bunker 22 separate Systeme, wobei beinahe jedes System über einen „Zwilling“ verfügt, der als „Backup“ dient. Darüber hinaus waren auch Ersatzteile und Werkzeuge vorhanden, um Reparaturen ausführen zu können. Ebenso konnten im Fall eines Brandes oder während einer anderen Gefahrensituation drei Notausgänge benutzt werden.
Da der Bunker von außen als unzerstörbar gilt, versuchten Mitglieder der Jugoslawischen Volksarmee das Innere während des Bosnienkrieges zu vernichten, da man ihn im Fall der Fälle nicht dem Gegner überlassen wollte. Die Zerstörung sollte mit Sprengladungen, die im Bereich der Energieversorgung – die Achillessehne der Anlage – angebracht waren, erfolgen. Am 11. Mai 1992 wurde der Bunker von Anrainern, die zuvor den Draht für die Fernzündung durchtrennt hatten, übernommen. Aus diesem Grund blieb er bis heute mit dem vollständigen Inventar erhalten.
Vom Bunker zum Museum mit Kunstbiennale
Mehr als ein halbes Jahrhundert später wurde im Mai 2011 der ehemalige „Tito-Bunker“ zur Internationale Biennale für zeitgenössische Kunst verwandelt. An der Ausstellung „Biennale zeitgenössischer Kunst D-0 ARK Underground“ nahmen etwa 50 Künstler teil. 2013 übernahm die UNESCO die Schirmherrschaft über dieses Projekt.
Der gegenwärtige bauliche Zustand der ehemals geheimen militärischen Anlage ist sehr gut und sie ist auch weitgehend funktionsfähig. Die technische Infrastruktur, wie die Heizung, die Klimaanlage und die Brandschutzeinrichtungen werden regelmäßig gewartet. Das Objekt wird gegenwärtig von der Gemeinde Konjic sowie der Agentur für wirtschaftliche Entwicklung „Prvi Korak d.o.o“ verwaltet, als Museum geführt und im Zuge dessen für Unterrichtszwecke sowie touristische Führungen genutzt. Alleine zwischen März und Oktober 2020 besichtigten 60.000 Gäste aus dem In- und Ausland die als Tito-Bunker bekannte Anlage. 2014 wurde das Gebäude von der Denkmalkommission Bosnien und Herzegowina zur nationalen Gedenkstätte erklärt. Damit ist der Bestand dieses einzigartigen Zeugen der jugoslawischen Militärgeschichte und des Kalten Krieges auch für die Zukunft gesichert.
Michael Ellenbogen ist freier Journalist, Manuel Martinovic ist Jurist, Historiker und Forscher.