- Veröffentlichungsdatum : 02.02.2021
- – Letztes Update : 04.02.2021
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Verhinderter Karrierehöhepunkt
Nach den beiden Weltmeistertiteln mit zwei Weltrekorden aus den Jahren 2002 (Double-Ironman) und 2003 (Triple-Ironman) stellte sich Wildpanner die gleiche Frage wie nach der EM in Neulengbach: Welche weitere Herausforderung wäre so interessant, dass es sich lohnen würde, seine Leistungsbereitschaft und -fähigkeit ein weiteres Mal unter Beweis zu stellen? Die Antwort darauf ergab sich beinahe zwangsläufig und bereits während der Übergangsphase im Herbst 2003 begann er mit der Grobplanung dieser selbst für ihn zunächst noch nicht vorstellbaren Herausforderung: dem Decathlon (Zehnfach-Ironman) auf Hawaii im Herbst 2004.
Für den Perfektionisten Luis Wildpanner sollte dieser besondere Event das sportliche Highlight und gleichzeitig der krönende Abschluss des sportlichen Teils seines Lebens werden. Alle Erwartungen und Bedürfnisse sollten perfekt auf dieses Ziel abgestimmt werden, denn natürlich wollte der mehrfache Welt- und Europameister sowie Weltrekordhalter über die doppelte und dreifache Ultra-Triathlon-Distanz nun auch den Deca-Ultra-Triathlon auf Hawaii gewinnen. Gleichzeitig wollte er dabei auch seinen dritten Weltrekord aufstellen und die damals aktuelle Weltbestzeit, die der Franzose Lucas Fabrice bereits 1992 in Mexiko mit acht Tagen und acht Minuten aufgestellt hatte, brechen.
Diese Weltmeisterschaft stand jedoch von Anfang an unter keinem guten Stern und die Vorbereitungen gestalteten sich deutlich mühsamer als bei allen vorangegangenen Bewerben. Das erste Problem war, dass ihn sein Dienstgeber für die spezielle Vorbereitung inklusive der extrem zeitintensiven Trainingseinheiten, nicht mehr freistellte, was für Luis wegen seiner vorangegangenen Erfolge damals unverständlich war. Darüber hinaus war die Suche nach weiteren Sponsoren unerwartet mühsam, obwohl sich sogar ein Generalstabsoffizier angeboten hatte, das Management für dieses besondere Rennen zu übernehmen. Trotz aller Unstimmigkeiten im Vorfeld konnten letztendlich genügend Sponsoren gewonnen werden, um den Wettkampf einschließlich des dreiwöchigen Aufenthalts für das Betreuungsteam finanziell abdecken zu können. Einen großen Teil des Gesamtbudgets verschlangen dieses Mal die Kosten für einen Fernsehbeitrag, den ein freier Mitarbeiter des ORF angeboten hatte.
Nachdem die Frage der Finanzierung geklärt war, begannen bisher unbekannte – wenn auch zu erwartende – Probleme bei der Erweiterung des Betreuerteams. Aufgrund des langen Zeitraumes in Übersee sagten Herbert Egger und Robert Lechner, zwei von Wildpanners treuesten Begleitern und Stützen seiner bisherigen Erfolge, ihre Teilnahme für Hawaii aus familiären und beruflichen Gründen ab. Dieser Umstand erforderte die Aufstellung eines neuen Betreuungsteams, das letztendlich aus zehn Mitgliedern bestand. Es dauerte nicht lange, bis das Gefüge des neuen Teams ins Wanken geriet. Jedes Mitglied verfügte über reichhaltige Fachkenntnisse, allerdings gab es einige „Alpha-Tiere“, denen es schwerfiel, Herausforderungen innerhalb des Teams zu lösen und Kompromisse zu finden.
Gewitterwolken
Wildpanner, der aufgrund seiner jahrelangen Erfahrung in seiner beruflichen Nebentätigkeit im Bereich der Ausbildungs- und Führungsmethodik eine feine Sensorik für soziale Interaktionen und Gruppendynamik entwickelt hatte, war von Anfang an alarmiert. Wenn er nichts unternehmen würde und die Mannschaft ihre zwischenmenschlichen Probleme nicht in den Griff bekäme, sah er seinen wertvollsten Titel gefährdet. Während seiner ausgedehnten Trainingseinheiten wälzte er stundenlang die Probleme, um einen Ausweg aus dem sich ankündigenden Dilemma zu finden. Aufgrund der umfangreichen Vorbereitungen hatte Luis allerdings zu wenig Zeit, um sich mit den Teammitgliedern auf einen erfolgversprechenden gruppendynamischen Prozess einzulassen. Zusätzlich zweifelte er daran, dass sich alle die erforderliche Zeit nehmen würden bzw. könnten, um sich zusammenzuraufen. Dies wäre allerdings für das Team-Building unbedingt notwendig gewesen. Als letzten Ausweg berief Wildpanner wenige Tage vor dem Abflug das gesamte Team zu einer Krisensitzung ein, um es eindringlich auf das große gemeinsame Ziel einzuschwören. Doch auch dieses Treffen lief nicht wunschgemäß, da zwei maßgebliche Mitglieder gar nicht erst erschienen waren.
„Die ständige Besserwisserei unter den Teammitgliedern und deren gegenseitige Eifersüchteleien resultierten erwartungsgemäß in mühsamen und endlosen Streitereien, die auf Dauer immer unerträglicher wurden und letztendlich sogar in einem Handgemenge zwischen zwei Betreuern gipfelte.“ Unter diesen Umständen war Luis nicht in der Lage, die gesamte Bandbreite seiner Leistungsbereitschaft und -fähigkeit abzurufen. Für ihn war ein harmonisches Umfeld gerade in einer extremen Situation wie dieser eine unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Wettkampfstrategie. Zu negativ war die Stimmung im Team, vor allem im Vergleich zu der bisher nahezu perfekt eingespielten und harmonischen Betreuermannschaft. Die Querelen im Team waren jedoch nicht der einzige Schatten, der über dem Wettbewerb lag. Seit dem vorigen Jahr hatte Luis immer wieder mit speziellen Wadenproblemen zu kämpfen, die ihn 2003 sogar zur verletzungsbedingten Aufgabe beim Double-Ironman in Litauen gezwungen hatten.
Ankunft in Hawaii
Doch trotz der aufziehenden Gewitterwolken war Luis hochmotiviert und konnte es kaum erwarten, endlich auf der Hauptinsel von Hawaii inmitten des Pazifischen Ozeans zu landen und den Ort, den er für seinen Karrierehöhepunkt auserkoren hatte, hautnah zu erleben. Im Gegensatz zu seinen bisherigen Wettkämpfen hatte ihm der Veranstalter so gut wie keine Details über diesen Bewerb bekanntgegeben. Die meisten Anfragen wurden ignoriert, einige bestenfalls sporadisch und nach einer langen Wartezeit, alle aber unbefriedigend beantwortet. Als der Favorit aus Österreich mit der Vorhut seines Teams eine Woche vor dem Start des Rennens endlich am Ort des Geschehens eintraf, traute er seinen Augen nicht:
„Es war nichts, absolut gar nichts, für den Wettkampf vorbereitet. Wir studierten mehrmals die Landkarte, um sicher zu sein, dass wir auch wirklich dort waren, wo der Wettkampf stattfinden sollte. Die Rad- und Laufstrecke, die innerhalb eines militärischen Übungsgeländes waren, befanden sich inmitten eines urwaldartig bewachsenen Geländes, durch das eine völlig desolate Asphaltstraße führte, neben der meterhohes Gras stand. Weit und breit war kein Mensch zu sehen, aber nach einiger Zeit hörten wir ein leises Summen. Wir folgten dem Geräusch, das wie ein Rasenmäher klang, und wie sich kurz danach herausstellte, von einer Motorsense stammte. Wir begrüßten den Gärtner, der sich als Veranstalter des Wettkampfes zu erkennen gab. Er hatte soeben damit begonnen, die Zeltplätze für die Betreuungsteams vom meterhohen Gras zu befreien – knapp eine Woche vor dem Start und noch dazu ganz alleine!“
Einige Tage später kam Wildpanner mit einigen Betreuern wieder zum Veranstaltungsort, der etwa eine Stunde von seinem Hotel entfernt war, wo sie erneut auf den Veranstalter trafen. Dieses Mal war er mit einem Helfer damit beschäftigt, die unzähligen Löcher im Asphalt der Rad- und Laufstrecke mit Mörtel auszufüllen. Und damit das auch ganz sicher während des gesamten Bewerbes hielt, gossen die beiden sicherheitshalber ein wenig mehr Mörtel in die Löcher, wodurch eine Unzahl von kleinen Höckern und Hügeln entlang der gesamten Wettkampfstrecke entstand. „Ungläubig starrten wir auf dieses ‚Meisterwerk’. Denn dadurch war vorauszusehen, dass die männlichen Teilnehmer, speziell während der nächtlichen Radrunden, in denen man die Sprunghügel kaum sehen konnte, wohl eine Hodenquetschung erleiden würden. Vermutlich musste man dafür aber gar nicht bis zum Einbruch der Nacht warten, da die Anzahl der ausgebesserten Belagsschäden so groß war, dass man diesen selbst am Tag nicht ausweichen konnte.“
Aber das war noch lange nicht alles, was bei einer WM dieser Kategorie nicht hätte geschehen dürfen. Das nächste Dilemma wartete beim Schwimmbecken. Die Wassertemperatur des 50-m-Beckens war mit knapp 30 Grad um nahezu 10 (!) Grad wärmer, als die üblichen 20 bis 22 Grad bei einem vergleichbaren Wettkampf. Dennoch musste der Schwimmbewerb aufgrund der extrem langen Zeitdauer aus Sicherheitsgründen mit einem Neoprenanzug absolviert werden (bei den einfachen Ironman-Bewerben gilt für die Elite ab 21,9 Grad Wassertemperatur Neoprenverbot!).
Der Wettkampf beginnt
Der beste Schwimmer, der in Hawaii am Start war, kam aus Italien. Sein persönliches Ziel war es, die 38 km erstmals unter zehn Stunden zu schwimmen – dafür müsste er knapp 4 km/Stunde (inklusive Pausen) schaffen. Für Wildpanner war das völlig unrealistisch. Sein Ziel lag bei etwa 2 min pro 100 m bzw. 3 km/Stunde (ohne Pausen). Der Italiener verfehlte sein Ziel zwar knapp, erreichte aber mit 10:20 h immerhin eine neue Weltbestzeit in diesem Bewerb.
Wildpanner verfehlte sein Ziel beim Schwimmen mit 16:20 h jedoch deutlich. Er musste zusätzlich zu den 760 Längen weitere 20 – und somit einen Kilometer – weiter schwimmen als seine Konkurrenten. Die Wettkampfrichter hatten sich zu seinen Ungunsten verzählt und wiesen den vehementen Protest seines Teams ab, das die tatsächliche Anzahl seiner absolvierten Längen von Anfang an akribisch aufgezeichnet hatte. „Für mich war das eine Katastrophe. Dieser eine Kilometer mehr mag für einen Außenstehenden als nicht sehr viel erscheinen. Schließlich macht es ja keinen allzu großen Unterschied, ob jemand 38 oder 39 Kilometer weit schwimmen muss. Für denjenigen aber, der – so wie ich damals – kaum mehr die Arme aus dem Wasser heben kann, war das eine unvorstellbare, und im Vergleich zu meinen Konkurrenten, unnötige und ungerechte Zusatzbelastung.“
Wildpanner stieg letztendlich als Elfter aus dem Wasser. Obwohl er wegen dieser Unachtsamkeit der Wettkampfrichter stinksauer war, rief er sich immer wieder ins Gedächtnis, dass der Wettkampf – obwohl er bereits mehr als 16 Stunden im Gange war – für ihn nun erst richtig begonnen hatte. Die meisten Teilnehmer gönnten sich unmittelbar nach dem Schwimmbewerb ihre erste längere Pause, manche versuchten sogar schon ein wenig zu schlafen. Für Wildpanner war das zu diesem Zeitpunkt allerdings noch keine Option. Er wollte sich noch ein wenig „Einfahren“ und die Radrunde endlich im Rennmodus kennenlernen. Zusätzlich wollte er den zu diesem Zeitpunkt noch enormen Rückstand auf die führenden Teilnehmer verkürzen und sich langsam aber sicher der Spitze des Feldes nähern.
Auf dem Rad
Bereits im Vorfeld hatte Luis bei seinen Trainingsrunden festgestellt, dass die Radstrecke – abgesehen von den unzähligen künstlichen Hügeln – die wohl ungeeignetste war, die man sich als Radrennfahrer vorstellen kann. Die Runde hatte die Form eines Herzens, war ungefähr eine Meile (ca. 1,6 km) lang und lag inmitten eines leicht hängenden Geländes mit einem völlig ungeeignetem Rennbelag. „Die Streckencharakteristik bedeutete, dass ich alle 500 Meter – also insgesamt dreimal – eine etwa 120-Grad-Spitzkurve durchfahren musste. Vor allem bergab bedingte das ein scharfes und rechtzeitiges Bremsmanöver vor jeder Kurve und unmittelbar danach ein kräfteraubendes Antreten. Bis heute bin ich stolz darauf, dass ich die 1.800 Kilometer damals als Einziger mit einem Tempo von durchschnittlich 30 km/h bewältigen konnte.“
Rennen mit Schlafpausen
Nachdem dieser Wettkampf, im Vergleich zu den vorangegangenen, völlig andere Anforderungen an Luis und sein Team stellte, musste einiges erst im Wettkampf selbst „erfahren“ bzw. ausprobiert werden. Schließlich hatte niemand im Team Erfahrungen mit einem Bewerb über diese Distanz. Die größte und bedeutendste Unbekannte, mit der Luis bei keinem einzigen seiner bisherigen Wettkämpfe Bekanntschaft gemacht hatte, war der Schlaf. Es war eines der wenigen Details, dessen mögliche Auswirkungen er vor dem Wettkampf mit seinem Team zwar intensiv und ausführlich besprochen, aber nicht exakt planen konnte. Einerseits wollte er im Vorfeld keine fixen Schlafpausen festlegen, um nicht in „Hochphasen“ vom Rad steigen zu müssen, nur weil es der Zeitplan so vorsah. Andererseits wollte Luis keinesfalls das Risiko eingehen, durch eine zu lange Belastungsdauer vor Ermüdung vom Rad zu kippen, um die anschließende Ruhephase länger als nötig in Anspruch zu nehmen.
„Es gab daher die klare Order: geschlafen wird, wenn ich es für nötig erachte. Das habe ich teilweise sehr kurzfristig entschieden, was bei einer Rundenlänge von ca. 1,6 km gut möglich war. Meine Pausen bestanden jeweils aus drei Phasen: die erste Phase war die Einnahme von warmer Verpflegung, danach kam die Schlafphase in der Dauer von maximal drei Stunden und vor dem Wiedereinstieg in das Rennen gab es ein 20- bis 30minütiges aktives Erwachen. Dieses wurde von meiner Mentaltrainerin Hanna Lutz geleitet, die mich bereits in der speziellen Wettkampfvorbereitung einmal pro Woche darauf vorbereitet hatte.“
Donnerwetter trotz Sonnenschein
Die Wasch- und Duschgelegenheiten für die Athleten und deren Betreuungsteams befanden sich im Schwimmbad, das nur wenige hundert Meter von der Rad- und Laufstrecke entfernt war. Obwohl die Benützung für die gesamte Wettkampfdauer zugesichert wurde, konnte sie nur während des Schwimmbewerbes genutzt werden. Unmittelbar danach gab es diese Möglichkeiten, ohne weitere Angabe von Gründen seitens des Veranstalters, nicht mehr. Zu allem Überdruss tauchte dieser zum Ärgernis und der Verwunderung der Teilnehmer und ihrer Betreuer unter und niemand des ohnehin überschaubaren Veranstalterteams wusste, wo er sich aufhielt. Erst einige Tage später tauchte er wieder am Wettkampfort auf. Bis dahin hatte er sich erfolgreich vor der aufgestauten Wut sämtlicher Teams versteckt, da das Chaos während des Wettkampfes immer größer wurde. Beispielsweise wusste keiner der Athleten am Beginn des Radbewerbes, wie viele Runden zu absolvieren waren. Wildpanner versuchte dennoch – so weit das angesichts der Umstände möglich war – einen kühlen Kopf zu bewahren.
„Ich habe versucht, mich von dem Tohuwabohu möglichst nicht beirren zu lassen. Ich konzentrierte mich wie gewohnt zu 100 Prozent darauf meine Leistung abzurufen. Nach den 780 Längen, die ich in dem brütend heißen Wasser abspulen musste, war ich ohnehin so müde und benebelt, dass mir erst nach ein paar Radrunden das Unwissen meines Teams über die korrekte Anzahl der zu fahrenden Runden auffiel. Ein vergleichbares Desaster habe ich weder zuvor noch danach jemals wieder erlebt! Ich benötigte ein paar weitere Runden, um überhaupt zu erfassen, was ich nun bereits mehrfach von meinen Betreuern erfahren hatte. Als ich realisierte, was da tatsächlich abging bekam ich einen Wutanfall, wie selten zuvor in meinem Leben. Ich unterbrach kurzerhand das Rennen, um diesen unvorstellbaren Fauxpas mit dem Veranstalter persönlich zu klären. Nachdem dieser wieder einmal nicht auffindbar war, steigerte sich mein Unmut über die katastrophale Organisation dieser offiziellen Weltmeisterschaft ins Unermessliche. Das brachte ich gemeinsam mit einigen Konkurrenten, die sich zu diesem Zeitpunkt ebenfalls bereits auf der Radstrecke befanden, gegenüber meinen Teammitgliedern und dem Veranstalterteam auch sehr ungestüm zum Ausdruck.
Ich hatte damit zwar einigermaßen Dampf abgelassen, wie viele Runden ich noch zu bewältigen hatte, wusste ich aber noch immer nicht. Aufgrund meiner im Vorfeld absolvierten Trainingsrunden wusste ich zwar, dass die Runde in etwa 1 Meile lang war, und ich daher etwa 1.120 Runden mit dem Rad und anschließend 262 Runden für die zehn Marathonläufe zu bewältigen hatte. Allerdings hatten wir kein Messrad zur Verfügung, mit dem wir diese Schätzung überprüfen hätten können. Als weiteren Beleg über die unglückliche Organisation dieser Veranstaltung sei erwähnt, dass der Veranstalter kurze Zeit später damit beschäftigt war, das Start-Ziel-Transparent erst während des Radrennens mitten in der Nacht über der Wettkampfstrecke aufzuhängen. Das hatte eine minutenlange Unterbrechung des Rennens zur Folge, bis auch diese Aktion endlich abgeschlossen war.“ Der Höhepunkt dieser chaotischen Veranstaltung fand im letzten Drittel des Radbewerbes – ebenfalls mitten in der Nacht – statt. Kurz nachdem Wildpanner bei einer Pause in den Schlaf gesunken war, standen einige Kontrahenten völlig unerwartet im Betreuerzelt der Österreicher. Die aufgebrachte Athleten schrien in verschiedenen Sprachen wild auf die völlig überraschten Österreicher ein. Erst nach einiger Zeit hatte sich der Tumult etwas gelegt und es konnte geklärt werden, warum sie in das Zelt gestürmt waren. Das Team der Zeitnehmung sowie die Rundenzähler hatten ohne jeden Kommentar das Wettkampfgelände verlassen – bei einer offiziellen Weltmeisterschaft!
Wie sich im Nachhinein herausstellte, hatte der Veranstalter dem Zeitnehmungs-Team die versprochene Ablöse nicht geschickt. Irgendwann ist den völlig übermüdeten Zeitnehmern dann der Kragen geplatzt, woraufhin sie – nach (zu) kurzer Vorwarnung gegenüber den Betreuungsteams – den Wettkampfort beinahe fluchtartig verlassen hatten. Da Luis gerade aus dem kurzen Tiefschlaf gerissen wurde und neben einem neuerlich beginnenden Wutanfall seine Gedanken zu ordnen begann, gab es eine unerwartet rasche Lösung. Einer der beiden Offiziere aus Wildpanners Teams erklärte sich kurzerhand dazu bereit, die Zeitnehmung zu übernehmen und die Rundenzählung neu zu organisieren. Luis fiel, so wie den anderen Teilnehmern auch, ein Stein vom Herzen. Noch dazu, weil die neue Zeitnehmung – bis zum neuerlichen Eintreffen der offiziellen Mannschaft einige Tage später – reibungslos funktionierte.
Nachdem dieses Problem gelöst war, zogen bereits die nächsten Gewitterwolken am Horizont auf. Ein französischer Athlet wurde beim Abkürzen der Laufstrecke erwischt, was dessen sofortige Disqualifikation zur Folge hatte. Sepp Resnik, der weit über die österreichischen Grenzen hinaus bekannte Offizier und ehemalige Extremsportler (er nahm vor vielen Jahren als erster Österreicher am Ironman in Hawaii teil), fielen die unrealistisch schnellen Rundenzeiten des Franzosen als Erstem auf. Resnik war es dann auch, der ihn beim nächsten Abkürzungsversuch auf frischer Tat ertappte. Der Franzose wollte die chaotischen Zustände der Veranstaltung offensichtlich zu seinen Gunsten nutzen. Und tatsächlich war dieses Vergehen auch nur möglich, da es das Organisationsteam verabsäumt hatte, einen quer durch die Laufrunde führenden Weg zu sperren und zu diesem unsportlichen Verhalten geradezu einlud.
Aufholjagd und Niederlage
Nach dem Radfahren lag Luis bereits auf dem zweiten Rang. Der Australier Brock McKinlay, der sich von Beginn an als einer seiner größten Konkurrenten entpuppte, konnte einen erheblichen Teil seines Zeitvorsprunges aus dem Schwimmbewerb auf die Laufstrecke „mitnehmen“. McKinlay, der ebenfalls Offizier war und in der australischen Armee damals den Rang eines Oberstleutnants bekleidete, konnte – wie Wildpanners Team in der Zwischenzeit aus dem Internet herausgefunden hatte – auch auf Erfahrungen von 6-Tages-Radrennen zurückgreifen. Doch trotz dem Chaos in der Rennorganisation und der Tatsache, dass er noch nicht in Führung lag, verlief das Rennen für Luis großteils nach Plan. Der Sieg samt Weltrekord war nach wie vor realistisch und – von unvorhergesehenen Ereignissen abgesehen – in Griffweite. Bereits nach zwei der abschließenden zehn Marathons lag er nur noch zwei Laufrunden (etwa drei Kilometer) hinter seinem australischen Konkurrenten. Die Frage war nicht mehr, ob – sondern nur noch – wann Luis die Führung endgültig übernehmen würde. Doch dieses Mal sollte es anders kommen.
In einer seiner letzten Radrunden war Wildpanner mit hoher Geschwindigkeit wieder einmal in eines der unzähligen Schlaglöcher gefahren, die trotz der Ausbesserungsversuche in unübersehbarer Anzahl nach wie vor vorhanden waren. Die nach 38 Kilometer Schwimmen und beinahe 1.800 Kilometern bereits stark ermüdete Beinmuskulatur konnte diesen Stoß jedoch nicht mehr ausgleichen. Das war die Ursache für anfangs noch eher harmlose aber während des Laufbewerbes kontinuierlich zunehmende Schmerzen in der linken Wade. Die Verletzung, die ihn bereits ein Jahr zuvor zur Aufgabe bei der Double-Ironman-Weltmeisterschaft in Litauen gezwungen hatte, war wieder akut geworden.
Wie bereits ein Jahr zuvor in Litauen war Luis nun zum zweiten Mal dazu gezwungen, seine Taktik von Grund auf zu überdenken und alles zu unternehmen, um die mittlerweile stark reduzierte Laufgeschwindigkeit so konstant wie möglich zu halten. Bis zu diesem Rennen war es „lediglich“ sein Rivale Conraux gewesen, dessen nahezu unvorstellbarer Siegeswille Wildpanner vor allem auf der Laufstrecke veranlasste, seine Renntaktik anzupassen. Dabei konnte er sich bisher immer auf die Unterstützung seines Teams und die Informationen von Robert Lechner verlassen, der ihn mit seinen verlässlichen Vorausberechnungen stets als Sieger über die Ziellinie führte. In Hawaii war Robert jedoch nicht vor Ort, aber gegen körperlich-medizinische Probleme dieser Art wäre selbst er machtlos gewesen.
„Jeder noch so ausgefeilte Versuch, wieder in Fahrt zu kommen, war letztlich erfolglos. Die muskulären Probleme wurden immer größer, der Druck in der angeschlagenen Wade immer stärker, die Schritte kürzer und die Geschwindigkeit langsamer. Schließlich wurden die Schmerzen so unerträglich, dass ich einfach nicht mehr laufen konnte. Als letzte Maßnahme versuchte ich noch einige Runden in Begleitung von einem der beiden marscherfahrenen Offiziere meines Teams zu Gehen. Mit all meinen restlichen Kräften wollte ich die mittlerweile völlig unrealistische Distanz der sieben noch ausständigen Marathons verkürzen. Aber all seine Bemühungen waren dieses Mal nicht erfolgversprechend.“
Nach knapp drei Marathon-Distanzen auf der Laufstrecke (114,3 Kilometer), musste sich Wildpanner am 19. November 2004 um 0940 Uhr Ortszeit endgültig geschlagen geben. Sein ganz großer Traum vom Sieg in Hawaii war 307,7 Kilometer vor der Ziellinie ausgeträumt. Die gesamten Mühen und Entbehrungen der mit Abstand aufwendigsten Vorbereitung aller seiner bisherigen Wettkämpfe waren damit umsonst gewesen.
Schock und Enttäuschung
Trotz abermals perfekter Vorbereitungen und einem professionellen zehnköpfigen Team war der Wettkampf in Hawaii damit zu Ende und Wildpanner musste sich seinem Schicksal aufgrund der Belastungsgrenzen seines Körpers bereits zum zweiten Male beugen. Ihm war sehr wohl bewusst, dass körperliche Probleme jederzeit bei Bewerben dieser Kategorie auftreten können und eine Aufgabe des Rennens daher immer in Betracht zu ziehen ist - das liegt auch in der Natur dieser Extremsportart.
Dass diese Situation jedoch tatsächlich eintreten würde – noch dazu beim wichtigsten Wettkampf seines Lebens – damit hatte letztendlich niemand wirklich gerechnet. Das war eine böse Überraschung, ein unerwarteter Schock und eine riesige Enttäuschung für alle Beteiligten, die noch eine geraume Zeit anhalten sollte. Die besondere Tragik der damaligen Aufgabe zeigt unter anderem der Umstand, das zum Zeitpunkt von Wildpanners verletzungsbedingtem Abbruch der spätere Weltmeister, Mario Rodriguez aus Mexiko, erst als insgesamt Vierter auf der Laufstrecke war und mehr als 65 (!) Laufrunden Rückstand auf ihn hatte. Dennoch gewann er das Rennen in 9 Tagen, 2 Stunden und 38 Minuten vor dem Italiener Giacomo Maritati (9 Tage, 13 Stunden, 54 Minuten) und dem Australier Brock McKinlay (9 Tage, 19 Stunden, 19 Minuten).
„Ich habe alles gegeben und hätte diese WM unglaublich gerne gewonnen. Bis die Probleme akut und danach immer größer wurden war ich auch auf dem besten Weg dorthin. Immerhin hätte ich für die „restlichen“ sieben Marathons noch ganze drei Tage á 24 Stunden Zeit gehabt, und das wäre aufgrund meiner im Vorfeld erbrachten Wettkampfergebnisse und meiner damaligen Marathonbestzeit von 2:35 Stunden eine machbare Leistung gewesen. Meine damalige Enttäuschung wurde durch das Vertrauen und den festen Glauben an mich und meinen Sieg sowohl durch mein Betreuerteam als auch durch meine Sponsoren sowie durch die Berichterstattung des ORF noch deutlich verstärkt. Diesen Glauben an mich hatte ich dieses Mal jedoch enttäuscht, zumindest sah ich das damals so. Schließlich hatten mir meine Sponsoren in Erwartung meines Erfolges eine beinahe sechsstellige Summe bereitgestellt und nun kam ich mit leeren Händen nach Hause.
Das vorzeitige Aus bei der Weltmeisterschaft in Hawaii ist für mich bis zum heutigen Tag eines meiner lehrreichsten Schlüsselerlebnisse. Von einigen Ausnahmen abgesehen, gelang es mir immer, die geplante Renntaktik bei den wichtigen Wettkämpfen in die Praxis umzusetzen. Ich war bei insgesamt zwölf Ultra-Triathlons – von der doppelten bis zur zehnfachen Ironman-Distanz – am Start. Nur bei vier Rennen musste ich meine Taktik wegen unerwarteter Ereignisse während des Bewerbs anpassen. Bei allen übrigen Wettkämpfen hatte ich nach dem Radfahren bereits einen so großen Vorsprung, dass eigentlich nichts mehr passieren konnte. Überlegungen zu den gesundheitlichen Folgen oder der Fortsetzung meiner sportlichen Karriere gab es damals natürlich auch. Sie spielten vorerst aber nur eine untergeordnete Rolle – zu groß war die Enttäuschung über das Platzen meines großen Traums vom Weltmeistertitel und Weltrekord über die zehnfache Ironman-Distanz, der eigentlich zum krönenden Abschluss meiner bislang so erfolgreichen sportlichen Karriere hätte werden sollen.“
Hofrat Gerold Keusch, BA ist Redakteur beim TRUPPENDIENST. Oberstleutnant Luis Wildpanner ist Diplomsportlehrer und Referent im Fachstab Luft.