- Veröffentlichungsdatum : 20.01.2021
- – Letztes Update : 22.01.2021
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Weltmeister im Dreifach-Ironman
Nach dem Sieg bei der Weltmeisterschaft in Québec stand für den frisch gebackenen Weltmeister zunächst eine ausgedehnte Regenerations- und Orientierungsphase am Plan. Diese nutzte Wildpanner vor allem, um über seine weitere sportliche Laufbahn und seine zukünftigen Ziele nachzudenken, aber auch, um die für ihn völlig unerwarteten und überraschenden Erfolge zu verarbeiten. Nach der großartigen Wettkampfsaison 2002 war zunächst nicht sicher, ob er sich noch einmal solchen Wettkämpfen – und vor allem den aufwendigen Vorbereitungen – stellen würde.
Doch diese Gedanken verschwanden im Laufe der Wintermonate und für Luis drängte sich immer öfter eine andere Frage in den Vordergrund: welcher weiteren Herausforderung könnte sich ein Welt- und Europameister sowie Weltrekordhalter im Double-Ultra-Triathlon stellen? Die Antwort darauf war allerdings relativ einfach, denn als Lösung diente ihm ein Zeitungsartikel über die EM im Triple-Ultra-Triathlon, der ihn dazu gebracht hatte, sich ernsthaft diesem „Wahnsinn“ zu widmen – quasi war also noch eine Rechnung offen. Somit nahm Luis als nächstes Ziel die WM über die dreifache Ironman-Distanz, den Triple-Ultra-Triathlon, ins Visier. Damit verbunden waren die utopisch anmutenden Distanzen von 11,4 km Schwimmen, 540 km Radfahren und dem abschließenden Lauf über 126,6 km (drei Marathons) – und das alles in einem Zuge.
Als Voraussetzung für die Fortsetzung seiner Erfolgsserie musste Wildpanner allerdings noch zwei „Problemfelder“ bewältigen. Zunächst benötigte er die weitere Unterstützung seines Dienstgebers, dem Österreichischen Bundesheer, und – wenn das sichergestellt war – ein verstärktes Betreuungsteam, auf das er sich wie bisher blind verlassen können musste. Schließlich hatte er eine klare Vorstellung und wollte den Weg zum Ziel so exakt wie möglich planen, damit absolut nichts dem Zufall überlassen blieb. Aufgrund seiner bisherigen Erfolge war die neuerliche Teamzusammenstellung mit Hilfe seines Freundes Herbert Egger und den bewährt-verlässlichen Betreuern Werner Planer, Robert Lechner und Hans Plasch keine allzu große Herausforderung. Sie bildeten den Kern von Wildpanners Betreuerteam, wobei Luis im Laufe seiner Extremsportkarriere insgesamt an die 30 Betreuerinnen und Betreuer in den verschiedensten Funktionen zur Seite standen.
Triple-Ultra-Triathlon WM 2003
Die Triple-Ultra-Triathlon Weltmeisterschaft in Lensahn (Schleswig-Holstein; Deutschland) war die Neuauflage der WM in Kanada mit einer größeren Distanz. Dieser Umstand war sowohl den Titelanwärtern als auch den Kennern der Szene bereits im Vorfeld bewusst, nachdem klar war, dass Conraux und Wildpanner dort erneut aufeinandertreffen würden. Zum Unterschied und durch die Erfahrung der vorangegangenen Wettkämpfe waren neben seinem bewährten Kernteam dieses Mal auch ein Pressesprecher als Verantwortlicher für die Medien- und Pressearbeit sowie ein eigenes Foto-Team der Heeresbild- und Filmstelle des Bundesheeres mit dabei. Da mit Wildpanner der Favorit für diese Weltmeisterschaft aus Österreich kam, wurde der Wettkampf im Vergleich zu den vorangegangenen Ultra-Bewerben medial deutlich stärker ins Rampenlicht gerückt. Für Luis, der zum ersten Mal über die dreifache Ironman-Distanz startete, war anfangs nicht klar, wie er mit diesem gestiegenen medialen Druck umgehen sollte. Aber ähnlich wie bei der WM in Kanada stieg der Erfolgsdruck zwar einerseits deutlich an, andererseits bewirkte das öffentliche Interesse einen Motivationszuwachs für den Sportoffizier aus Enns – und diesen wollte er nutzen.
Zunächst verlief auch dieser Wettkampf wie geplant und ähnelte in manchen Bereichen den vorangegangenen Bewerben. Luis lag nach erneut mäßiger Schwimmleistung mit über einer Stunde Rückstand auf den schnellsten Schwimmer – wenige Sekunden hinter der schnellsten Schwimmerin – im Mittelfeld. Danach radelte er sich – wie bei der Weltmeisterschaft in Kanada – bereits auf Platz zwei (wiederum) hinter den Deutschen Heiko Stoklossa. Dieses Mal jedoch mit einem doppelt so großen Rückstand, der knapp 40 Minuten betrug. Stoklossa, der bei der WM 2001 über diese Distanz hinter dem Franzosen Emmanuel Conraux Vizeweltmeister geworden war (2002 fand keine WM statt), machte mit seiner überragenden Schwimmzeit und der fulminanten Leistung auf dem Rad klar, dass er seine Stärken forciert hatte und als Lokalmatador hier unbedingt gewinnen wollte.
Aber auch Herbert Egger hatte im Vorfeld wieder einmal ganze Arbeit geleistet. Er konnte sich trotz heftiger Gegenargumentation des Veranstalters mit dem Vorschlag durchsetzen, dass Wildpanner während des Radbewerbes von einem Betreuerfahrzeug begleitet werden durfte (der Bewerb fand damals auf einer nicht gesperrten Straße, inmitten des öffentlichen Verkehrs statt). Egger hatte dafür ein unschlagbares Argument. Die Begleitung sei die unabdingbare Voraussetzung für einen neuen Weltrekord über diese Distanz. Nach erbittertem Zweikampf mit Stoklossa – Conraux spielte trotz einiger, aufgrund des Fehlens seines Landsmannes Wolozin, eher harmlosen Attacken bis dahin nur eine untergeordnete Rolle – erreichte der Österreicher, wie bereits ein Jahr zuvor in Kanada, erneut hinter dem dieses Mal noch stärkeren Deutschen die Wechselzone vor dem abschließenden Lauf. Während der gesamten 540 km war Wildpanner nur ein einziges Mal vom Rad gestiegen, da er die losgelöste Startnummer am Rad erneut fixieren lassen musste.
Führungswechsel
Seit der WM in Kanada wusste Stoklossa, dass sein Konkurrent aus Österreich der deutlich bessere Läufer war – und so war es auch in Lensahn. In der Morgendämmerung des zweiten Wettkampftages kam es zu dem von beiden Seiten erwarteten Führungswechsel. Wildpanner lief nach knapp 24 Stunden Wettkampfdauer an dem Deutschen vorbei und setzte sich damit an die Spitze des Feldes. Nun stellte sich Luis vor allem eine Frage: Was ist mit Conraux? Das sollte sich bereits in den nächsten Runden klären, denn auch der Franzose hatte mittlerweile deutlich aufgeholt und lief – wie Wildpanner wenige Minuten zuvor – bald an Stoklossa vorbei. Es stellte sich heraus, dass Conraux auch dieses Mal schneller lief als Luis. Nach den letzten beiden Aufeinandertreffen, die der Österreicher jedes Mal für sich entscheiden konnte, stand einmal mehr fest, dass der Franzose alles geben würde, um sich den Titel erneut zu holen.
Conraux hatte beim Wechsel vom Rad in die Laufschuhe jedoch ungewöhnlich lange gebraucht. Wie sich in einem persönlichen Gespräch nach dem Wettkampf herausstellte, hatte er sich wegen des für ihn ungewöhnlich hohen Radtempos derart verausgabt, dass er vor dem Laufen eine halbstündige Regenerationspause in der Wechselzone einlegen musste. Dadurch hatte Wildpanner bereits einen komfortablen Vorsprung von etwas mehr als vier Laufrunden. Und diese waren – im Gegensatz zu Kanada – tatsächlich eine Rundstrecke mit einer Länge von knapp zwei Kilometern. Der Franzose sah Luis somit jeweils nur kurz von hinten, unmittelbar bevor er an ihm vorbeilaufen konnte. Das war für beide ein entscheidender Unterschied zu dem Laufbewerb in Kanada, wo sie sich alle paar Minuten vor allem von vorne begegneten und ihre Renntaktik viel öfter aufeinander abstimmen konnten (Conraux) bzw. mussten (Wildpanner).
Taktische Geplänkel
Wie bereits in Kanada reduzierte der Franzose kontinuierlich den Abstand auf seinen härtesten Gegner, sobald er auf der Laufstrecke war. Der Abstand zwischen den beiden war dieses Mal aber deutlich größer als ein Jahr zuvor und betrug zu Beginn des Laufbewerbes etwa 8 Kilometer. Aber nun galt es drei anstatt „nur“ zwei Marathons zu laufen. In der Realität des Wettkampfes bedeutete das, dass sich Wildpanner nicht „nur“ 84,4 km lang wehren musste, sondern 126,6 km – nach mittlerweile bereits mehr als 20 Stunden intensiver Vorbelastung. Er wusste dieses Mal jedoch, was auf ihn zukommen würde, wenn er den Franzosen „an den Fersen“ hatte. Deshalb war er sowohl körperlich als auch mental auf das zu erwartende Laufduell mit Conraux vorbereitet. Zu diesem Zweck hatte er auch exakt auf diese Situation abgestimmte Trainingseinheiten in der speziellen Wettkampf-Vorbereitungsphase absolviert.
Eines dieser „Schlüsseltrainingseinheiten“ sah wie folgt aus: 10 km einlaufen in 4 min/km (ohne Pause), danach 20 mal je einen Kilometer in 3:30 min/km mit einer Trabpause bis der Puls auf 120 fiel, abschließend 15 km mit 5min/km „auslaufen“. Dieses hoch belastende und speziell auf eine hohe Durchschnittsgeschwindigkeit auf lange Distanzen zugeschnittene Lauftraining kam Luis nun zu Gute. Denn obwohl ihn Conraux vor allem am Beginn erneut mit deutlich höherer Geschwindigkeit überholte, hängte sich Wildpanner bei jedem Überholvorgang für einige Runden an den Franzosen und lief dabei mit einem Schnitt knapp unter 4 min/km hinter ihm her. Jeder Ausdauersportler weiß, wie hoch dieses Tempo ist und damit sehr unwahrscheinlich einen Lauf dieser Länge durchzustehen. Das wusste auch sein Betreuerteam. Dieses sah es nun als seine Aufgabe, Luis händeringend davon zu überzeugen langsamer zu laufen und den Franzosen ziehen zu lassen.
Da dieses taktische Geplänkel bereits begann, unmittelbar nachdem Conraux in den Laufbewerb eingestiegen war, musste Wildpanner mehr als 100 Kilometer lang zusehen, wie sein Vorsprung von Runde zu Runde zusammenschmolz, obwohl ihn die „gewohnte“ Aufholjagd zu Heiko Stoklossa zunächst sehr motiviert hatte. „Ich durfte mir nicht den geringsten Fehler erlauben, weder durch körperliche Überanstrengung und schon gar nicht durch die hohe mentale Belastung aufgrund des großen Leistungsdrucks, den mir der Franzose versuchte aufzuzwingen. Deshalb musste ich mein Tempo gleichmäßig und so hoch als möglich halten, aber gleichzeitig auch taktisch klug, vernünftig und vor allem gelassen weiterlaufen.“
„Super, Luis! Du hast es bald geschafft! Soeben hast du den letzten Halbmarathon begonnen. Gemäß unserer aktuellen Hochrechnung solltest du in spätestens 2 Stunden im Ziel sein!“, rief Herbert Egger seinem Freund Luis zu, um ihn für die restlichen Kilometer vor dem erlösenden Zieleinlauf zu motivieren. Wildpanner lief jeden der drei Marathons unter 4 Stunden, den ersten sogar in 3:30. Doch nun machte ihm das exzessive Lauftempo, das ihm der Franzose im ersten Drittel des Laufbewerbes aufgezwungen hatte, immer mehr zu schaffen. Seine Beine wurden schwer wie Blei und wie ein Jahr zuvor in Kanada hatte er auch jetzt bei jedem Bodenkontakt wieder das Gefühl, als würde ihm eine unbekannte Macht permanent Stromschläge durch die erschöpfte Beinmuskulatur jagen.
Die Vorstellung, diese Schmerzen noch weitere zwei Stunden ertragen zu müssen, war wie ein „Schlag ins Gesicht“ und in dem Moment für ihn mental kaum auszuhalten. Luis musste seine gesamte körperliche und mentale Stärke einsetzen, um „einfach nur weiterzulaufen“. Zu diesem Zeitpunkt war wieder einmal sein Team von entscheidender Bedeutung, um ihn auf der Strecke zu halten. Mit unermüdlichen Anfeuerungsrufen und motivierenden Informationen über den offensichtlich noch übleren körperlichen Zustand des Franzosen schafften sie es, ihn über die restliche Laufstrecke ins Ziel zu pushen und gleichzeitig so zu motivieren, dass er bis zum Schluss das vorgegebene Tempo halten konnte. Luis wusste zwar schon Stunden vor dem Zieleinlauf, dass ihm Conraux dieses Mal nur durch einen unerwarteten Leistungseinbruch gefährlich werden konnte – zu groß war bereits sein Rückstand. Er konnte es sich sogar leisten, zweimal von dem Franzosen überrundet zu werden, ohne dass sein bevorstehender Erfolg dadurch jedoch jemals ernsthaft in Gefahr gewesen wäre. Dennoch war der Ausgang des Rennens bis zuletzt ungewiss, da auch Luis nicht vor einem Krampf, einer Verletzung oder einem plötzlichen Schwächeanfall gefeit war.
Das Ziel - eine Erlösung
Die letzte Runde des Rennens mussten die Teilnehmer gegen die vorgegebene Laufrichtung absolvieren, damit sowohl die Konkurrenten als auch die Zuschauer wussten, dass es für den betreffenden Athleten nur mehr wenige Meter bis zum erlösenden Zieleinlauf waren. Wildpanner wollte sich dieses Mal seinerseits mit einer freundlichen Geste bei seinem härtesten Gegner für dessen unübertreffliche Kampfmoral und vorbildliche Fairness bedanken. Conraux hatte sich durch seine extreme Leistungsbereitschaft aber offensichtlich derart überfordert, dass er beim letzten Aufeinandertreffen vor dem Zieleinlauf des neuen Weltmeisters bereits so schwer gezeichnet und mit sich selbst beschäftigt war, dass er Luis nicht mehr wahrnehmen konnte als dieser an ihm vorbeilief. Der Franzose hatte sich so sehr verausgabt, dass er nach dem Zieleinlauf sogar ärztlich versorgt werden musste und erst Stunden später wieder einigermaßen ansprechbar war.
Nach 11,4 km Schwimmen, 540 km Radfahren und 126,6 km Laufen gewann Wildpanner letztendlich mit 20 Minuten Vorsprung auf Emmanuel Conraux seinen ersten und von ihm heiß ersehnten Weltmeistertitel über die dreifache Ironman Distanz. „20 Minuten sind allerdings ein sehr knapper Vorsprung, wenn man erstens die unglaublichen Distanzen der einzelnen Teilbewerbe und zweitens die möglichen Verzögerungen durch einen Muskelkrampf oder einen Schwächeanfall bedenkt – und so etwas wird umso wahrscheinlicher, je länger ein Wettkampf dauert und je schwächer jeder der Teilnehmer dadurch wird. Im Nachhinein betrachtet war das Rennen in Lensahn zwar nicht vergleichbar mit den mentalen ,Höllenqualen’, die ich in Québec erlebte. Allerdings musste ich auch diesmal meine allerletzten Reserven mobilisieren und durfte keinerlei Schwäche zeigen, sonst hätte der Franzose früher oder später die Führung übernehmen und gewinnen können.“
Weltmeister mit Weltrekord
In Lensahn gewann Wildpanner nicht nur seinen zweiten Weltmeistertitel, er stellte – bereits zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren – auch hier einen neuen Weltrekord auf. 31 Stunden und 47 Minuten benötigte er für diese unglaublichen Distanzen. Das war um 1:07 Stunden schneller als die bisherige Weltbestleistung, die sieben Jahre lang – ebenfalls von einem Soldaten des Österreichischen Bundesheeres, Vizeleutnant Gerhard Weber aus Langenlebarn – gehalten wurde. Neben seiner neuerlich beeindruckenden körperlichen und mentalen Stärke hatte Luis diesen Sieg mit Weltrekord, neben seinem gesamten Betreuungsteam unter der bewährten Führung von Herbert Egger, vor allem zwei Personen zu verdanken: Emmanuel Conraux und Robert Lechner.
„Ohne den permanenten Druck von Conraux – er lief die ersten Kilometer des Laufbewerbes in einer Geschwindigkeit von etwa 4 min/km, das ergibt bei einem 10-Kilometer-Straßenlauf eine Gesamtzeit von 40 Minuten und damit eine Traumzeit für die meisten ambitionierten Hobbyläufer über diese Distanz – hätte ich den Weltrekord vermutlich nicht mit dieser überlegenen Zeit von unter 32 Stunden über die dreifache Ironman-Distanz geschafft. Das zeigt auch der Umstand, dass dieser Rekord erst Ende Juli 2018, ebenfalls in Lensahn, gebrochen werden konnte. Somit hat es 15 Jahre gedauert, bis jemand diese Distanz schneller bewältigen konnte als mein französischer Rivale und ich im Jahr 2003. Das zeigt auch, was im Sport – aber auch in anderen Lebensbereichen – möglich ist, wenn zwei annähernd gleich starke Athleten um den Sieg kämpfen und sich im fairen Duell zu gegenseitigen Höchstleistungen antreiben.“
Als wesentliche Unterstützung, um dem steten Druck standzuhalten und seinen Vorsprung ins Ziel zu retten, wurde Robert Lechner bereits zum dritten Mal zur Schlüsselperson des Erfolges. „Robert ist nicht nur ein Computerspezialist, er war wegen seiner verlässlichen und kontinuierlichen Informationen auch hier mein Ass im Ärmel beim Kampf gegen Conraux.“ Wie bereits bei seinen beiden Triumphen davor, informierte er Wildpanner in jeder Runde über seinen Vorsprung und mit welchem Abstand er voraussichtlich gewinnen würde, falls nichts Unerwartetes dazwischenkommt. „Ab dem Zeitpunkt, an dem ich unter Druck geriet, war Robert zur Stelle. Es war beinahe unheimlich, wie genau er den Ausgang eines Rennens voraussagen konnte und – Gott sei Dank – hatte er immer Recht!“ Neben den Zahlen, Daten und Fakten war Lechner auch eine wesentliche mentale Stütze für Luis. Schließlich aber lief der Österreicher aufgrund der totalen Erschöpfung des Franzosen in Lensahn schneller als er, was nach einer Renndauer von bereits mehr als 20 Stunden eine gewaltige psychische Belastung war. Denn: „Abgerechnet wird immer erst am Schluss!“
Mit dem Sieg in Lensahn konnte Wildpanner an die Form und vor allem an die Erfolge des Vorjahres nicht nur anschließen, sondern wegen der noch längeren und damit anspruchsvolleren Distanzen sogar noch „einen draufsetzen“. Doch es blieb nicht nur bei der Goldmedaille und der Gewissheit, der weltweit Beste in seinem Sport zu sein. Im Vergleich zu seinen vorangegangenen Bewerben gab es für ihn, neben einer wesentlich größeren medialen Wertschätzung durch eine Vielzahl ausführlicher Berichte, zwei weitere große Auszeichnungen: Der damalige Bundesminister für Landesverteidigung, Günther Platter, gratulierte ihm persönlich zu seinem Sieg und nach 2002 wurde er nun auch im Jahr 2003 vom Österreichischen Heeressportverbandes zum Sportler des Jahres gewählt.
Der Ultra-Triathlon und seine Distanzen
Ultra-Bewerbe sind Wettkämpfe, die eine längere Streckenführung aufweisen als die klassischen Langdistanzbewerbe der jeweiligen Disziplin. Beispielsweise ist die längste klassische Laufdistanz der Marathon, bei dem 42,2 Kilometer gelaufen werden. Alles darüber hinaus fällt in die Kategorie der Ultra-Läufe, egal, ob dabei eine Strecke von 50, 100 oder mehr Kilometer zurückzulegen ist. Die längste klassische Triathlon-Distanz ist der sportinteressierten Allgemeinheit als „Ironman“ bekannt, offiziell wird sie jedoch als Langdistanz bezeichnet. Da „Ironman“ ein geschützter Markenname ist, darf diese Bezeichnung jedoch nur von Triathlon-Veranstaltungen verwendet werden, die dafür auch Gebühren an den Lizenzinhaber zahlen. Aus diesem Grund sind die Startgebühren für eine Teilnahme an einem „Ironman“ empfindlich teurer als für eine Teilnahme an einem „normalen“ Langdistanz-Wettkampf.
Aber neben dem Namen gibt es einen weiteren – speziell für Profisportler – sehr bedeutenden Unterschied. Bei jeder offiziellen Ironman-Veranstaltung hat eine geringe Anzahl von Teilnehmern jeder Altersklasse die Möglichkeit, sich durch besondere Leistungen für den „Triathlon-Olymp“ zu qualifizieren: der „offiziellen“ und weltberühmten Ironman-Weltmeisterschaft, die jedes Jahr im Oktober in Hawaii ausgetragen wird. Wie bereits erwähnt sind dabei 3,8 km zu schwimmen, 180 km mit dem Rad zu fahren und abschließend 42,2 km zu laufen. Alle Distanzen, die länger sind, fallen unter den Begriff des Ultra-Triathlon, der vor allem als Double- (zweifach), Triple- (dreifach), Quintuple- (fünffach) oder sogar als Deca- (zehnfach) Ultra-Triathlon durchgeführt wird.
Ultra-Triathlons sind wegen der für „normale Sportler“ kaum vorstellbaren Distanzen keine Massenveranstaltungen wie Ironman-Wettkämpfe oder Marathonläufe, von denen es jährlich hunderte Events mit tausenden bis weit über zehntausend Starter (vor allem bei den großen Städte-Marathons) gibt. So wurden im Jahr 2019 nur neun solcher Ultra-Bewerbe unter der Sporthoheit der International Ultra Triathlon Association (I.U.T.A.), dem Ultra-Triathlon-Weltverband, ausgetragen. Die Anzahl der Starter beträgt dabei je nach Länge des Bewerbes zwischen 20 und 50 Teilnehmer, wobei etwa 30 die Regel sind. Eine Besonderheit bei de facto allen Ultra-Triathlons ist, dass sie auf relativ kurzen Runden absolviert werden. Ein Beispiel dafür ist der aktuelle österreichische I.U.T.A.-Ultra-Triathlon in Bad Blumau, der 2019 über die doppelte, dreifache und fünffache Ironman-Distanz ausgetragen wurde und bei dem insgesamt 79 Athleten am Start waren. Bei diesem Wettkampf fand das Schwimmen in einem 25-m-Becken, das Radfahren auf einer 2,7-km-Runde und das Laufen auf einer 2,94-km-Bahn statt. Auch wenn manchmal in einem 50-m-Becken oder in einem See geschwommen oder auf einer etwa 10 Kilometer langen Strecke geradelt wird, unterscheiden sich die Rundenlängen bei diesen Bewerben nur unwesentlich voneinander.
„Die kurzen Runden bei den Ultra-Bewerben haben vor allem praktische Ursachen, die in der einfacheren Organisation der Bewerbe liegen. Für einen Veranstalter ist es wesentlich leichter eine zwei Kilometer Laufrunde oder eine 10-km-Radrunde für die Dauer des Wettkampfes zu sperren und zu überwachen, als beispielsweise eine 90-km-Runde. Vor allem kann dadurch die Sicherheit der Teilnehmer wesentlich besser gewährleistet und die Kosten und Anzahl des Personals der Veranstaltung auf ein vertretbares Niveau gesenkt werden. Schließlich ist aber auch bei Unfällen oder anderen Einsätzen auf einer kurzen Strecke die Hilfe wesentlich rascher vor Ort und die Rettungskette lässt sich deutlich einfacher organisieren.“ Zusätzlich ist eine behördliche Genehmigung der Rennen leichter zu erwirken, da eine kurze Strecke – die je nach Länge der Veranstaltung auch mehrere Tage benötigt wird – leichter für den öffentlichen Verkehr zu sperren ist.
„Für Wettkämpfer sind die kurzen Runden nur auf den ersten Blick ein Nachteil, da man bei kurzen Runden wesentlich öfter und leichter versorgt, betreut und informiert werden kann. Bei einer (theoretischen) Runde von 360 km beim Radfahren wäre das – ausgenommen durch ein Begleitfahrzeug – de facto unmöglich.“ Dennoch waren diese auch für Wildpanner, speziell am Anfang seiner Ultra-Triathlon-Karriere, ungewohnt und lästig. „Besonders bei meinem zweiten Ultra-Bewerb im Zuge der WM in Kanada, bei dem ich mich mit Conraux über Stunden hinweg um jeden Laufmeter duellieren musste, empfand ich das vor allem mental äußerst unangenehm und belastend. Ich bin davon überzeugt, dass ich auf einer normalen Strecke ohne Sichtkontakt mit einem deutlicheren Vorsprung und vor allem wesentlich einfacher gewonnen hätte. Schließlich hätte Conraux nie so genau gewusst, um wieviel langsamer ich laufe als er und wäre bei weitem nicht so motiviert gewesen, um aufzuholen. Er hätte mich ja auch während des gesamten Laufbewerbes nie gesehen, da die Laufdistanz bei einem Tempo um die 4min/km und einem Vorsprung von sieben Minuten ja immerhin knapp zwei Kilometer beträgt.“ Und dennoch brachten die kurzen Strecken auch einen bisher unerwähnten und nicht zu unterschätzenden Vorteil, denn „die Bewerbe waren dadurch kurzweiliger, da ich meine Konkurrenten ständig beobachten konnte und durch das bunte Treiben neben der Rennstrecke immer wieder auch ein wenig Ablenkung fand.“
Aufwendungen und Kosten für einen Ultra-Triathlon
Die Kosten für die Teilnahme an einem Ultra-Triathlon sind nicht einfach zu beziffern. Wie bei fast allen Sportdisziplinen kommt es darauf an, ab wann man zu rechnen beginnt und welche Posten man in die Rechnung miteinbezieht. Theoretisch könnte man für einen Weltmeistertitel vom ersten Sportkurs, den die Eltern bezahlt haben, bis zum Verdienstentgang, weil man sich auf den Sport und nicht so sehr auf die berufliche Karriere konzentriert hat, beinahe alle Ausgaben ein- oder hochrechnen. Wenn man lediglich die reinen Kosten des Wettkampfes (exklusive dem Material), von der Anreise bis zur Ankunft näher betrachtet, dann sind im Ultra-Triathlon vor allem zwei Kategorien zu unterscheiden: nationale und internationale Wettkämpfe – und dabei vor allem jene, die in Übersee stattfinden.
Bei nationalen Wettkämpfen kommt man mit einem oder zwei Kleinbussen durch, für die man im schlimmsten Fall je ein bis zwei Tankfüllungen benötigt. Es reicht auch aus, ein paar Zimmer für ein verlängertes Wochenende zu buchen und sich über den nächsten Supermarkt zu verpflegen oder am Abend vor bzw. nach dem Wettkampf in ein angemessenes Lokal zu gehen. Dazu kommen noch die Startgelder, die zwischen 500 und 1.000 Euro betragen und gegebenenfalls eine Tageslizenz sowie weitere Kleinigkeiten. Mit einem reinen Wettkampfbudget von 1.500 bis 2.000 Euro lässt sich so ein Bewerb für den Athleten und ein überschaubares Team ohne weiteres finanzieren.
Wenn man allerdings an Wettkämpfen im Ausland teilnimmt, die man nicht mehr mit dem Kleinbus erreichen kann, sieht die Situation völlig anders aus. Sobald man in den Flieger steigt, explodieren die Kosten. So kostete der Hin- und Rückflug nach Kanada im Jahr 2002 pro Person etwa 1 500 Euro und die Aufenthaltsdauer verlängerte sich aufgrund der beiden Flugtage und der erforderlichen Akklimatisierung vor Ort auf mindestens eine Woche, was inklusive Verpflegung nicht unter 500 Euro/Person möglich ist. Der Transport von zwei Rädern einschließlich der erforderlichen Ersatzteile, von Fahrradreifen über mehrere Laufräder bis hin zur vom Training gewohnten Zusatzverpflegung, kostete zusätzlich an die 1 000 Euro. Das ergab damals eine Gesamtsumme von zumindest 11.000 Euro für die Teilnahme der fünfköpfigen Mannschaft an einem Übersee-Wettkampf. Realistischer ist jedoch eine Summe von etwa 15.000 Euro, da man wahrscheinlich nicht die billigste Absteige wählen wird und auch nicht nur von Kaltverpflegung und Dosen leben möchte. Darüber hinaus möchte sich so mancher Athlet nach dem Wettkampf mit seinen Betreuern noch ein paar Urlaubstage im Veranstalterland gönnen, in das man auch nicht alle Tage kommt. Somit ist ein Bewerb im Ausland, den man nur mit dem Flugzeug erreichen kann, etwa zehnmal so teuer als einer in Österreich.
Die heutige Ironman-Szene erlaubt es jährlich tausenden Triathleten an exotische Orten zu reisen, um dort an Langdistanz-Triathlons teilzunehmen. Es gibt Reiseveranstalter, die sich auf dieses Publikum spezialisiert haben und Sportkollegen, die jede Menge an Tipps und Tricks für diese Art von Reisen parat haben sowie zahlreiche Internet-Foren, die sich diesem Thema widmen. Zusätzlich steht heutzutage bei beinahe jedem ambitionierten Triathleten mindestens ein Trainingslager am Jahresplan. Auch hier werden klimatisch begünstigte Plätze bevorzugt und der Flieger bestiegen, wenn man nicht als „Substandard-Triathlet“ gelten möchte und einem auch die Lifestyle-Komponente dieses Sports wichtig ist. Somit hat beinahe jeder wettkampforientierte Sportler neben seiner Rennmaschine und den Trainingsrädern auch einen Radkoffer im Keller stehen, der mittlerweile schon relativ günstig zu haben ist.
Als Wildpanner aktiver Triathlet war, existierte die Szene in dieser ausgeprägten Form noch nicht, obwohl seit seinem Rücktritt gerade einmal 15 Jahre vergangen sind. Luis flog mit einer Holzkiste zu den Wettkämpfen, die von seinen Betreuern im Vorfeld maßgeschneidert zusammengebaut wurde und in der – neben vielen Taschen und Koffern – die gesamte Zusatzverpflegung gemeinsam mit einer Unmenge an Gegenständen verladen wurde. Beim Rückflug von der Weltmeisterschaft 2002 in Kanada benötigte er sogar einen Cargo-Flieger, da die Kiste zu groß für das ursprünglich geplante Flugzeug war. Das war damals mit erheblichen, nicht einkalkulierten Mehrkosten verbunden, die – zum Erstaunen und zur Freude des Betreuerteams auf das Ansuchen des frischgebackenen Weltmeisters – von der Fluglinie übernommen wurde. Die Organisation der Reisen war damals ein wesentlicher Teil des Abenteuers Ultra-Triathlon, was auch durch die weltweit verstreuten Wettkampforte begründet war. So fand zum Beispiel die Weltmeisterschaft im Double-Ironman 2006 im Bergland von Ibarra (Ecuador) auf etwa 3.000 m Seehöhe statt, das auch heute noch als ein außergewöhnlich interessantes Reiseziel gilt.
„Vor allem aber der Zehnfach-Ironman in Hawaii 2004 war finanziell und organisatorisch eine extreme Herausforderung. Bei diesem Wettkampf waren zwölf Personen ganze drei Wochen lang mit mir am Wettkampfort. Die erste Woche diente der Vorbereitung, in der zweiten war der Wettkampf geplant und die dritte wollten wir für die Nachbereitung und Regeneration aber auch zur Besichtigung der einen oder anderen Insel Hawaiis – quasi als Belohnung – nutzen.“
Bei diesem Bewerb explodierten die Kosten auf etwa 80.000 Euro. Das war ein Vielfaches der Gesamtausgaben aller bisherigen Wettbewerbe. Ein wesentlicher Kostenfaktor war dabei die Berichterstattung für den ORF – ein freier ORF-Mitarbeiter und guter Bekannter von Luis schlug ihm einen exklusiven Report über seine Teilnahme an diesem „extremsten aller extremen“ Ausdauerbewerbe vor. Die Kosten für das Reporterteam inklusive der Berichterstattung schlugen sich mit etwa 20.000 Euro zu Buche. „Ohne entsprechenden finanziellen Hintergrund – in meinem Fall ohne lukratives Sponsoring – hätte ich niemals an diesem Bewerb teilnehmen können. Damals hatte ich jedoch das Riesenglück, mit der bekannten Bäckerei Ströck, die vor allem in Wien zahlreiche Filialen betreibt, einen finanzkräftigen und sehr großzügigen Hauptsponsor an meiner Seite zu haben. Mit dessen Hilfe konnte ich auch die Kosten für den Beitrag des ORF abdecken. Zusätzlich wurde ich von mehreren kleineren Sponsoren, wie dem Leiternhersteller Josef Steiner aus Purgstall, die mir seit der WM in Kanada bei jedem meiner Wettkämpfe treu zur Seite standen, unterstützt. Andere Unternehmen stellten mir ihre Produkte – Ausrüstung, Bekleidung und Ernährung – unentgeltlich zur Verfügung.“
Hofrat Gerold Keusch, BA ist Redakteur beim TRUPPENDIENST. Oberstleutnant Luis Wildpanner ist Diplomsportlehrer und Referent im Fachstab Luft.