• Veröffentlichungsdatum : 13.06.2018

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20 Jahre Soldatinnen im Heer

Robert Zanko

Aus Frauen wurden Soldatinnen und aus Soldatinnen wurden Kommandantinnen, die Männer befehligen. Seit 1998 dürfen Frauen in allen Waffengattungen dienen. Das war damals etwas Besonderes. Denn ganz ohne Wehrpflicht nehmen sie ihre Treue zur Republik Österreich wahr. Neun sind damals eingerückt. Heute sind etwa 550 Soldatinnen im aktiven Dienst.

Der 1. April 1998 war der erste Tag, an dem in der Garnison Straß in der Steiermark neun Frauen einrücken sollten. Tatsächlich sind sie aber bereits am Abend des 31. März angereist. Der damalige Kommandant des Jägerregimentes, Oberst Josef Puntigam, wusste von einer kleinen Demonstration, die für diesen Tag vor dem Haupttor angemeldet war. Er ließ daraufhin die Damen anrufen und bot ihnen die Möglichkeit, bereits am Vortag in die Kaserne zu kommen und dort zu nächtigen. Alle neun nahmen das Angebot an. Die künftigen Soldatinnen wollten nicht im Mittelpunkt der Presse stehen, sondern sich mit ihren männlichen Kameraden messen. Im Radio spielte damals „My Heart Will Go On“ von Céline Dion. Ob ihr Herz für die Armee schlagen wird oder nicht, würden die nächsten Wochen zeigen.

Befehle

Laut Puntigam wurde in den anfänglichen Befehlen im Spätsommer 1997 von bis zu 90 freiwilligen Frauen gesprochen. Zwei Wochen vor dem Einrückungstermin war noch von 20 die Rede. Überhaupt war die Befehlslage ausgesprochen kompliziert. Zum einen machte sich die politische Führung unter der damaligen Bundesministerin für Frauenangelegenheiten und Konsumentenschutz, Barbara Prammer, große Sorgen über die Umsetzung, zum anderen wollte die oberste militärische Führung direkte Handlungsanweisungen im Detail vorgeben. Es war die Generation, die noch von der Zeit vor der Familienrechtsreform aus 1975 geprägt war, als Frauen ohne Zustimmung des Mannes nicht arbeiten durften. Groß war die Sorge, in ein Fettnäpfchen zu treten und die motivierten Frauen zu vergrämen oder einen Fehler zu machen, der einen Skandal nach sich gezogen hätte. Die Bundesministerin Barbara Prammer sah bereits in der Auswahl der Garnison Straß unter Josef Puntigam die Probleme programmiert.

Doch gerade dieses politische Vorurteil nutzte Oberst Puntigam, um sich mit seinem Kader intensiv und vor allem mit viel Fingerspitzengefühl auf die Situation vorzubereiten und die Herausforderung anzunehmen. Unterstützung holte er sich von der Sozialwissenschaftlerin Edit Schlaffer und der amerikanisch-österreichischen Sozialwissenschaftlerin Cheryl Benard. Puntigam bereitete mithilfe von deren Erkenntnissen sein Kader auf die neue Situation vor. Prammer erkannte ab nun die Fachexpertise und soziale Kompetenz des Regimentskommandanten an. Sie wird für die darauffolgenden Jahre Josef Puntigam auf politischer Ebene den Rücken freihalten.

Die feinen Unterschiede

Frauen waren in der Garnison schon lange als Zivilbedienstete wie etwa als Schreibkräfte tätig. Doch die Frau in Uniform, bewaffnet und als Befehlsempfänger und künftiger Kommandant, war neu. Daraus ergaben sich Fragen: Wie gehen Frauen mit Befehl und Gehorsam um? Sind sie anders zu behandeln als Männer? Ticken sie anders?

Bei der Vorbereitung des Kaders in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlerinnen wurden zwei Dinge herausgearbeitet:

  • Der Sinn und Zweck eines Befehles muss noch deutlicher transportiert werden, was ohnehin in den Allgemeinen Dienstvorschriften des ÖBH immer schon geregelt war und
  • Frauen mögen kein Lob ohne Begründung.

Die Sorgen der obersten militärischen Führung spiegelten sich in einem Verhaltenskodex gegenüber Frauen wider, der vom gesamten Ausbildungskader unterschrieben werden musste. Darin war geregelt, dass es eigene Frauenunterkünfte geben muss, dass Frauen und Männer keinesfalls zeitgleich die Duschen benutzen dürfen oder dass das Ausbildungskader nur zu zweit in die Unterkünfte der Frauen gehen darf. Kurz zusammengefasst: ein operativer Verhaltenskodex fern jeder Einsatzrelevanz, geboren aus Angst und Unsicherheit. Was laut Brigadier i.R. Josef Puntigam eine Menge über das Bild aussagt, das die Führung über die eigenen männlichen Soldaten hatte. Diese Ängste fanden sich im Freundes- und Bekanntenkreis der angehenden Soldatinnen wieder. Wie massiv dieser Druck aus dem privaten Umfeld war, zeigt sich ebenfalls darin: Von den neun Soldatinnen rüsteten vier aus privaten Gründen ab.

Demonstration vor dem Kasernentor

Auch vor dem Kasernentor machte man sich Sorgen. So fand eine Demonstration vor den Toren der Erzherzog-Johann-Kaserne statt. Diese war von einem Mann angemeldet worden - im Schlepptau hatte er circa zehn Frauen. Puntigam verließ die sicheren Mauern und stellte sich den Demonstrantinnen, um diese kurzerhand in die Kaserne einzuladen und verschaffte ihnen Zugang zu den Soldatinnen. Den Mann ließ er vor der Tür alleine weiter demonstrieren. 

Ausbildung

Die Frauen wurden mit denselben Maßstäben gemessen wie die Männer. Doch diese sahen sie nur selten. Denn die oberste Führung hatte beschlossen, die Frauen zu separieren und diese in einer eigenen Frauengruppe zusammenzufassen. Viel lieber wäre es den Frauen gewesen, wenn sie mit ihren Kameraden gemeinsam in gemischten Gruppen ausgebildet worden wären. Auch in Bezug auf die sportlichen Mindestanforderungen wurden Unterschiede zementiert und zelebriert.

Dabei sollte eigentlich militärische Gleichberechtigung herrschen - zumindest, wenn es nach Puntigam gegangen wäre. Denn für ihn ist der Einsatz das Maß aller Dinge und sonst nichts. Der Einsatz gibt vor, welche Qualifikation der Soldat haben muss - und nicht das Geschlecht. Daher stellen Frauen keinen Vorteil und keinen Nachteil für eine Armee dar. Im Zentrum stehen die Kampfkraft und der Kampfwert. Und die Frage: Kann ich meinen Auftrag mit Frauen oder mit Männern besser erfüllen? Und das kommt wiederum auf den Auftrag an.

Neue Sportlimits

Die Unterschiede bei der körperlichen Leistungsfähigkeit wurden mit Beginn der neuen Kaderanwärterausbildung aufgelöst und neue Sportüberprüfungen im Österreichischen Bundesheer eingeführt. Die erste Ebene bilden die - „Sportmotorischen Testungen“, die noch auf Alter und Geschlecht Rücksicht nehmen. Sie ermöglichen das individuelle Erstellen eines Trainingsplanes, um in weiterer Folge die Limits der „militärspezifischen Testung im Rahmen der militärischen Basisfitness“ bestehen zu können. Die zweite Ebene der Sportüberprüfung, die - „militärspezifische Testung im Rahmen der militärischen Basisfitness“ ist unabhängig von Alter und Geschlecht zu erbringen. Die dritte Ebene - „funktionsspezifische Fitness“ ist noch nicht eingeführt. Sie wird ebenfalls unabhängig von Alter und Geschlecht sein und die jeweilige Funktion und Waffengattung berücksichtigen. So ist es zumindest vom Kommandanten des Heeres-Sportzentrums, Oberst des höheren militärfachlichen Dienstes Mag. Christian Krammer vorgesehen.

Doch die unterschiedlichen Limits waren damals nicht das Einzige, was speziell auf die Frauen zugeschnitten worden ist. 1998 wurde versucht, den Frauen eine besondere Uniform zu geben. Dr. Sylvia Sperandio, die Leiterin des militärischen Gesundheitswesens, ist eine von zwei Ärztinnen im Rang eines Brigadiers. Sie ist eine Soldatin der ersten Stunde und erinnert sich noch gut an die Anfangszeit. Und daran, dass es für die Frauen damals eigene Hosen gab - diese hatten viel zu kleine Taschen und waren unpraktisch, so dass sich Frau Rekrut Sperandio gemeinsam mit den anderen Soldatinnen innerhalb weniger Tage die Männerhosen holte. Das war ein Problem, das es heute glücklicherweise nicht mehr gibt, genauso wie die damals heiß diskutierte Frage, ob es nun Frau Hauptmann oder Frau Hauptfrau heißen soll. Auch das hat sich mit der Zeit gelöst. Die korrekte Anrede lautet: Frau Hauptmann.

Trotzdem, Frauen sind heute - 20 Jahre danach - noch keine Normalität im Österreichischen Bundesheer. Das zeigt die kärgliche Anzahl von 521 Soldatinnen - davon 185 weibliche Unteroffiziere und rund 65 weibliche Offiziere. Und das verteilt auf ganz Österreich. Ihnen stehen 15 473 männliche Berufssoldaten gegenüber (Stand 5/2018). 1998 war langfristig ein Frauenanteil von zehn Prozent geplant. Davon ist das ÖBH heute genauso weit entfernt wie damals.

Leistungsfähigkeit

Die Motivation ist bei Männern und Frauen mannigfaltig und oft überschneidend. Denn Frauen und Männer sind einander ähnlicher, als viele denken. Das hat Univ.-Prof.. Mag. Dr. Tuulia M. Ortner, MA - Abteilungsleiterin Fachbereich Psychologie an der Universität Salzburg - erforscht. Ihre Ergebnisse zeigen: Es gibt bei psychologischen, kognitiven Tests keine messbaren Unterschiede zwischen Mann und Frau. Die Testergebnisse können nicht einem Geschlecht zugeordnet werden. Das bestätigt die Entscheidung von 1998, Frauen den uneingeschränkten Zugang zu stark belastenden Waffengattungen zu gewähren.

Motivation

Was motiviert Frauen zum Heer zu gehen? Oft genannt werden von den Soldatinnen Kameradschaft und Sport, gleiche Bezahlung und Aufstiegsmöglichkeiten wie die der Männer. Wachtmeister Ida Schmid-Baborsky ist Kommandantin Jägergruppe bei der Garde, derzeit arbeitet sie als Kanzleiunteroffizier. Für sie ist Sport kein Hobby, sondern Berufung. Als ehemalige Leistungsportlerin im Delfinschwimmen suchte sie nach einer Möglichkeit, langfristig Sport, Beruf und Lebensunterhalt zu vereinen. Am Institut „Jäger“ hat sie alles mit ihren Kameraden mitgemacht. Sportliche Probleme hatte die ehemalige Leistungssportlerin keine. Und auch im Umgang mit den Kameraden empfand sie alles einfach und entspannt. Was sie an ihrem Beruf schätzt: Dass sie auch dann, wenn sie die sportlichen Erfolge nicht mehr bringen kann, einen sicheren Job hat.

Major Mag.(FH) Maria Eder, MA wollte schon in der Schule zum Bundesheer. Und sie ist glücklich, dass sie es getan hat. Die meisten Kameraden sind Männer.  Zu den wenigen Frauen, mit denen sie arbeitet, hat sie ein kameradschaftliches Verhältnis.

Als Offizier und Führungskraft bemerkt sie in der Auftragserfüllung keinen Unterschied, ob ihre Untergebenen männlich oder weiblich sind. Von ihren Vorgesetzten fühlt sie sich als Frau wegen ihres Geschlechtes weder bevorzugt noch benachteiligt. Trotzdem hat sie das Gefühl, dass andere Soldaten im Umgang mit ihr vorsichtiger agieren, als sie es bei einem Mann tun würden. 

Wachtmeister Anna Bundschuh war schon in frühen Jahren von der Leistungsschau des Bundesheeres begeistert und hat sich mit ihrem Beruf einen Kindheitstraum erfüllt. Der Job fordert sie intellektuell und sozial - sie kann hier Führungsverantwortung tragen. Sie schätzt am Bundesheer Kameradschaft, Disziplin und die Arbeitsplatzsicherheit.

Dafür nahm sie gerne kleine Hürden in Kauf - wie sich zuerst einmal an das Gerät und die Uniform „gewöhnen“ zu müssen. Denn das kennt man aus dem zivilen Leben nicht. Und nicht nur sie mag ihren Job, langsam ändert sich auch die Stimmung in der Bevölkerung. Ihr Freundes- und Bekanntenkreis ist - anders als es die Erfahrungen der ersten Soldatinnen vor 20 Jahren zeigen -  heute von ihrem Beruf begeistert und verfolgt die Laufbahn der Panzerkommandantin. Sie sind stolz, eine Soldatin zu kennen. 

Stabswachtmeister Gerlinde Wißounig ist seit 13 Jahren beim Bundesheer als Pionier und Wirtschaftsunteroffizier in Villach. Sie war eine „Spätberufene“, wie sie sagt. Als sie zum Heer kam, war sie über 30 Jahre und wollte sich beruflich komplett verändern. Das hat sie geschafft - beim Heer.

Was sie an ihrem neuen Beruf am meisten schätzt, sind erstens die geregelten Arbeitszeiten, wenn sie nicht gerade im Einsatz ist. Und zweitens die fortwährenden Veränderungsmöglichkeiten - es wird einfach nie langweilig. Der Einstieg war schwierig, bis sie vollständig akzeptiert worden ist.

Und sie hatte das Gefühl: „Am Anfang muss man mehr leisten, um zu beweisen, dass man dazu passt.“ Auch für sie sind Kameradschaft und die vielen Möglichkeiten der Aus- und Weiterbildung wichtig. 

Stabswachtmeister Kerstin Gottl ist seit 15 Jahren beim Bundesheer. Am Anfang ihrer Laufbahn war sie ABC-Spürer, jetzt ist sie auf dem Arbeitsplatz eines Artillerie-Beobachters. Warum sie sich für diesen Beruf entschieden hat?

Weil sie etwas Anderes, etwas Aktives, etwas Interessantes machen und den Sport mit dem Job verknüpfen wollte. Sie stellt sich täglich ihrer Pflicht unter den Augen der Männer. Sie fühlt sich manchmal kritisch beäugt, ob denn da eine Frau auch wirklich die gleiche Leistung erbringen kann.

Resümee

Was zeigen die Erlebnisse der interviewten Soldatinnen? Wie ist der Status quo nach 20 Jahren „Soldatinnen beim Heer“?

  • Soldatinnen haben das Gefühl, dass sie mehr leisten müssen, um akzeptiert zu werden. - Soldatinnen müssen dieselben Ausbildungsvoraussetzungen bringen und erhalten dieselbe Bezahlung wie die Männer.
  • Soldatinnen sind von Organisations- und Arbeitsplatzänderungen genauso betroffen wie Männer.

Daraus lässt sich ein unkonventioneller Schluss folgern, nämlich dass das Bundesheer die Gleichberechtigung lebt und gleiche Leistung fordert. In der Armee wird keine(r) „verhätschelt“, sondern das Erfüllen von Aufträgen ist oberstes Gebot. Vielleicht bleibt deswegen auch der Ansturm aus. Denn so, wie sich die Musik in den vergangenen 20 Jahren verändert hat, haben sich auch der Arbeitsmarkt, die Einsätze und die Frauen selbst verändert.

Ein Wesen des Soldatenberufes ist jedoch unverkennbar gleich und einzigartig geblieben:

Furcht vor persönlicher Gefahr entschuldigt eine Tat nicht, wenn es die soldatische Pflicht verlangt, die Gefahr zu bestehen.

(§ 4, Militärstrafgesetz).

Und zwar auch, wenn es das eigene Leben kosten kann. Und das ist die andere Seite der Gleichberechtigung. 

Robert Zanko ist Leitender Redakteur beim TRUPPENDIENST.

 

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