• Veröffentlichungsdatum : 01.11.2021
  • – Letztes Update : 04.11.2021

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Feldmäßige Detektion von chemischen Gefahrstoffen

Gerald Bauer

Die missbräuchliche Verwendung von zivilen Gefahrstoffen öffnet ein weites Feld in der asymmetrischen Einsatzführung. Die chemischen Stoffe, die eigentlich für einen friedlichen Zweck entwickelt wurden, sind leicht zu beschaffen und verhältnismäßig günstig. Im Verhältnis dazu ist ihre Detektion und Identifikation deutlich aufwendiger und komplizierter. Die Spezialisten der ABC-Abwehr müssen innerhalb einer kurzen Zeitspanne die Gefahr eindeutig erkennen. Dazu nutzen sie Gasprüfröhrchen, Flammenphotometer, Infrarot-Spektroskopie und andere technische Geräte.

Der Begriff chemische Gefahrstoffe umfasst gemäß Militärlexikon chemische Kampfstoffe (Chemical Warfare Agents) und chemische Gefahrstoffe zivilen Ursprungs (Toxic Industrial Chemicals). Die zivilen Gefahrstoffe lassen sich anschaulicher mit dem englischen Begriff erklären, obgleich dieser irreführend ist. „Toxic“ steht für die Gefahr, die aber neben giftig auch korrosiv, leicht entzündlich, oxidierend umfassen kann und „Industrial“ weist auf größere Mengen hin.

Missbräuchliche Verwendung

Chemikalien sind vielfach unterschätzte tägliche Begleiter und eigentlich keine chemischen Kampfstoffe. Die oft sekundären Eigenschaften der chemischen Stoffe können für unterschiedliche Zwecke missbraucht werden. Das beginnt bei der Nutzung der direkten Eigenschaften der Chemikalien, wie der Giftigkeit oder der Korrosivität, wie sie bei herkömmlichen Reinigungsmitteln vorkommen. Manche handelsüblichen Stoffe können mit dem richtigen Know-how und geringem materiellen Aufwand auch zu Sprengstoffen (Home Made Explosives) oder Drogen umgewandelt werden. Mit größerer Anstrengung, mehr Hintergrundwissen und spezielleren Ausgangsstoffen lassen sich auch chemische Kampfstoffe herstellen.

Dual-Use und Missbrauch

Im klassischen militärischen Szenario sind die atomaren, biologischen und chemischen (ABC)-Kampfmittel und deren Wirkungen bekannt und die Verfügbarkeit und Einsatzwahrscheinlichkeit eine Frage der Feindlage. Auf dieses Szenario ist die ABC-Abwehr prinzipiell gut vorbereitet. Der ABC-Individualschutz erlaubt das weitere Durchführen des Auftrages auch unter überraschenden ABC-Bedingungen. Die ABC-Detektionsfähigkeiten auf Einheitsebene erlauben eine erste Feststellung des Kampfstoffes, und die ABC-Abwehrtruppe führt weitere ABC-Aufklärung mit Identifikation durch und stellt bei Bedarf die Dekontamination sowie das Retten und Bergen im kontaminierten Gebiet und die Wasseraufbereitung sicher.

Das urbane Gefechtsfeld und asymmetrische Feinde halten sich aber nicht an diese Konventionen und stellen die ABC-Abwehr vor Herausforderungen. Die Vielzahl an möglichen Chemikalien, deren Verfügbarkeit auf dem urbanen Gefechtsfeld und die Dual-Use-Problematik sind hier zu nennen. Mit Dual-Use können Chemikalien und Vorläuferstoffe bezeichnet werden, die für zivile Zwecke notwendig sind, aber durch entsprechende Verarbeitung oder andere Anwendung als Waffen zum Einsatz kommen können (z. B. Düngemittel oder Desinfektionsmittel). Hinzu kommen noch technologische Entwicklungen wie die Kampfstoffe der vierten Generation (Nervengift Nowitschok ist ein Fourth Generation Agent), die schwieriger aufzufinden und nachzuweisen sind.
Mit der Covid-19-Pandemie rückte auch die ABC-Abwehr mit ihren Fähigkeiten verstärkt in den militärischen Fokus. Darauf aufbauend wurden bereits erste Investitionen getätigt, die Detektions- und Identifikationsfähigkeit der ABC-Abwehrtruppe auf die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen ausrichten sollen.

 

Detektion und Identifikation

ABC-Detektion ist der Nachweis des Vorhandenseins von radioaktivem Material, biologischen Agenzien oder chemischen Substanzen von militärischer Bedeutung mit dazu geeigneten Mitteln. ABC-Identifikation ist die eindeutige (qualitative und quantitative) Bestimmung eines Stoffes oder Materials, das in einem ABC-Einsatz zur Anwendung gebracht wurde oder zivilen Ursprungs ist. In der NATO wird der Begriff SIBCRA (Sampling and Identification of Chemical, Biological and Radiological Agents) verwendet. Die NATO unterscheidet (gemäß AEP-66 „SIBCRA-Handbook“) drei Ebenen der Identifikation: vorläufig (provisional), bestätigt (confirmed) und zweifelsfrei (unambiguous). Eine zweifelsfreie Identifikation ist grundsätzlich nur in einem stationären Labor möglich und macht daher eine ABC-Probenahme vor Ort notwendig, um die unbekannten Stoffe der Analyse zuzuführen. Bei manchen Technologien ist die Grenze zwischen Detektion und Identifikation fließend. Derzeit wird im „Detection, Identification and Monitoring Panel“ über eine neue Einteilung diskutiert. Das ist notwendig, da manche Detektionstechnologien zwar kein Spektrum aufnehmen, aber über verschiedene Kanäle und Messmodi ein mehrdimensionales Ergebnis liefern und am Display manche Stoffe dezidiert angeben.

Detektionsfähigkeiten und Verhindern von Fehlalarm

Grundsätzlich sind alle Detektionstechnologien limitiert und können nur gewisse Stoffgruppen und Aggregatzustände detektieren, sie sind in ihrer Empfindlichkeit begrenzt und verfügen über verschiedene Querempfindlichkeiten, wodurch verhältnismäßig ungefährliche Stoffe auch Alarm auslösen können. Zeigt ein Detektor nichts an, dann bedeutet das nicht automatisch, dass kein gefährlicher Stoff anwesend ist. Daher sind die Leistungsparameter der Technik und das Wissen über deren Grenzen fortlaufend auf dem letzten Stand zu halten. Zeigt ein Detektor ein Signal an, kann das bedeuten, dass genau diese spezifische Substanz vorhanden ist, oder ein anderer Gefahrstoff anwesend ist (Querempfindlichkeit) oder ein anderer ungefährlicher Stoff anwesend ist (Querempfindlichkeit).

Hohe Standards im ABC-Individualschutz

Werden Detektoren im ABC-Individualschutz benutzt, bedeutet eine Anzeige (Alarm) die Auslösung des ABC-Alarms. Die im Bundesheer eingeführten Messgeräte sind so sensitiv, dass diese stoffabhängig auf Konzentrationen reagieren, denen man ein paar Minuten ungeschützt ausgesetzt sein kann, bevor ein Schaden eintritt (soweit das technologisch möglich ist). Werden die Geräte von ABC-Spezialisten verwendet, müssen die Ergebnisse hinterfragt und verifiziert werden. Speziell im urbanen Gefechtsfeld kann eine Vielzahl von Chemikalien vorhanden sein, die eine Anzeige bedingen, ohne eine mit chemischen Kampfstoffen vergleichbare Gefahr darzustellen. Deshalb sollten möglichst viele verschiedene Detektortechnologien im Feld angewendet werden. Unterschiedliche Technologien reagieren auf unterschiedliche Querempfindlichkeiten,. Ein technologieübergreifend übereinstimmendes Ergebnis gewährt daher eine höhere Ergebnissicherheit. Querempfindlichkeiten sind aber nicht immer etwas Negatives. Derartige Stoffe werden als Prüfmittel für die Einsatzbereitschaftsprüfung der Geräte verwendet und kommen als Simulationsmittel bei der Ausbildung und im Training zur Anwendung.

Nervengasanzeiger

Der Nervengasanzeiger (Teil des ABC-Selbsthilfesatzes/ABC-Individualschutzes) ist ein enzymatischer Nachweis, dass ein Nervenkampfstoff (Acetylcholinesterase-Inhibitor) anwesend ist. Verfärbt sich der Träger blau oder grün ist kein Nervenkampfstoff vorhanden, bei allen anderen Farben schon. Der Detektor arbeitet mit einem Enzym und reagiert auf alle Substanzen, die dieses Enzym hemmen. Dadurch können Fourth Generation Agents und andere Substanzen wie Pestizide detektiert werden, wenn sie dieselben Effekte wie Nervenkampfstoffe hervorrufen. Vorteile des Nervengasanzeigers: schnell, einfach, robust, keine Querempfindlichkeiten, keine Einlaufzeit, kein Strombedarf, sehr empfindlich, zeigt Substanzen in der Gas- und wässrigen Phase an. Nachteil: zeigt nur Acetylcholinesterase-Inhibitoren an, daher ist eine Blindprobe sinnvoll.

Kampfstoffnachweispapier

Das Kampfstoffnachweispapier (Teil des ABC-Selbsthilfesatzes/ABC-Individualschutzes) ist ein mit mehreren Farbstoffen imprägniertes Papier mit einer klebenden Seite, das speziell für chemische Kampfstoffe entwickelt wurde. Das Papier (CALID-3 Paper – Chemical Agent Liquid Detector Paper) reagiert dabei unterschiedlich auf drei Gruppen:

  • gelb, Nervenkampfstoffe der G-Reihe (Sarin, Tabun, Soman etc.);
  • grün, Nervenkampfstoff der V-Reihe (VX, VXR);
  • rot, Hautkampfstoffe.

Es kann bei jeder Flüssigkeit angewendet werden und funktioniert temperaturunabhängig (solange die Zielflüssigkeit nicht fest wird). Die Farbe Rot ist besonders querempfindlich und kann durch eine Vielzahl anderer Chemikalien (Lösungsmittel, chlorhaltige Substanzen) erscheinen. Vorteile des Kampfstoffnachweispapieres: keine Einlaufzeit, kein Strombedarf, wirkt auch bei Fourth Generation Agents wie dem Nervengift Nowitschok. Nachteile: kein Mindesthaltbarkeitsdatum und trotzdem keine Funktion bei zu hohem Alter durch Austrocknung der Farbstoffe, Querempfindlichkeiten (Chlor, Lösungsmittel etc.).

 

Gasprüfröhrchen

Das Gasprüfröhrchen gibt es für verschiedene Substanzen und Substanzklassen. Es verfügt nur die ABC-Abwehrtruppe darüber. Die Röhrchen sind mit einer Indikatorsubstanz gefüllt, die sich bei Anwesenheit des Zielstoffes farblich verändert. Es gibt einfache Reaktionen, bei denen nur Luft durch das Röhrchen gesaugt werden muss, und komplexere Varianten, bei denen das Röhrchen an einer oder mehreren Stellen gebrochen werden muss, um Flüssigkeiten aus den Ampullen freizusetzen.

Im Bundesheer sind die Röhrchen vor allem für Toxic Industrial Chemicals eingeführt. Prinzipiell eignet sich dieser Detektor gut für die Überprüfung/Bestätigung eines Verdachtes, jedoch weniger gut für die Aufklärung einer unbekannten Gefahr.
Vorteile des Gasprüfröhrchens: Ex-Geschützt (verwendbar in explosionsfähiger Atmosphäre), keine Einlaufzeiten, kein Strombedarf, empfindlich, eine quantitative Abschätzung ist möglich, wenig querempfindlich. Nachteile: teilweise
langwierig/anstrengend und eher als Bestätigung und nicht zur Suche nach „Unbekanntem“ einzusetzen.

Ionenmobilitätsspektrometer

Das Ionenmobilitätsspektrometer (IMS) steht dem ABC-Abwehrfachdienst, der ABC-Abwehrtruppe und ab der Ebene Einheit zur Verfügung. Diese Technologie ist im Bundesheer seit fast 30 Jahren mit dem Enhanced Chemical Agent Detector (ECAM) im Einsatz und ermöglicht die handgehaltene Detektion der verlustbringenden chemischen Kampfstoffe in der Gas-/Dampfphase. Die Moleküle werden in der Gas-/Dampfphase ionisiert und in einem elektrischen Feld in Bewegung gesetzt. Die Anzeige richtet sich nach der Dauer, die der Stoff durch die „Driftröhre“
benötigt.

Ein Nachteil des ECAM ist, dass er nicht alle Kampfstoffe gleichzeitig detektieren kann. Im Scan-Modus können entweder Nerven- (G) oder Hautkampfstoffe (H) angezeigt werden, und im Auto-Modus wechseln sich Mess- und Anzeigephasen ab. Inzwischen wird im Bundesheer auch das LCD 3.3 (Lightweight Chemical Detector) verwendet, das alle gängigen chemischen Kampfstoffe gleichzeitig und dazu auch einige Toxic Industrial Chemicals anzeigen kann. Generell geht die Weiterentwicklung in Richtung Vernetzung der Geräte und Integration in ein Sensornetzwerk. Derzeit läuft die Ersatzbeschaffung für das ECAM. Dabei wird auch der inzwischen ausgeschiedene C-Kampfstoffwarngerätesatz ersetzt und in einem Gerät zusammengeführt.

Vorteile des Enhanced Chemical Agent Detector (ECAM): robust, relativ wenig querempfindlich. Nachteile: Einlaufzeit, Totzeit im „Auto-Modus“, nur abwechselnde Detektion von Nerven- (G) oder Hautkampfstoffen (H) im „Scan-Modus“, keine akustische Warnung – das Display muss ständig beobachtet werden, Gerät mit radioaktiver Strahlenquelle zur Ionisierung (Einschränkungen bei Transport, Lagerung, Wartung und Entsorgung), zunehmendes Gerätealter. Vorteile des Lightweight Chemical Detector (LCD 3.3): robust, Pseudo-Identifikation möglich, optische und akustische Warnung, bessere Ansprechzeit als das ECAM, das Molekularsieb ist durch den Bediener austauschbar, gleichzeitige Detektion von Nerven- (G) und Hautkampfstoffen (H). Nachteile: Molekularsieb ist ein Verbrauchsmaterial (Zusatzkosten), Nicht Ex-Geschützt, mehr Querempfindlichkeiten als das ECAM.

Flammenphotometer

Der ABC-Abwehrtruppe steht das Flammenphotometer zur Verfügung. Im Gegensatz zum Ionenmobilitätsspektrometer (IMS) detektiert das Flammenphotometer mit dem AP4C keine ganzen Moleküle, sondern Stoffbestandteile wie Phosphor, Schwefel, Arsen und organische Stickstoffverbindungen. Dadurch reagiert die Technologie auch auf Vorläuferstoffe und Abbauprodukte, wenn die entsprechenden Elemente in diesen vorkommen. Ein Vorteil ist, dass das Gerät mit einem separaten Verdampfungsadapter ausgeliefert wird, womit auch Flüssigkeiten untersucht werden können. Diese Technologie stellt eine gute Ergänzung für das IMS dar.

Vorteile des Flammenphotometers AP4C: robust, alternative Technik zum Ionenmobilitätsspektrometer (IMS), optische und akustische Warnung, exzellente Ansprechzeit, zusätzlicher Adapter zur Verdampfung von Flüssigkeiten, „Punktspüren“, „elementare Anzeige“ (reagiert auf alle Stoffe, die die Ziel-Elemente enthalten – viele Stoffe können detektiert werden). Nachteile: Wasserstoffkartuschen (sind Gefahrgut beim Transport), „elementare Anzeige“ (nicht nur gefährliche Stoffe werden detektiert).

Photoionisationsdetektor

Der Photoionisationsdetektor (PID) steht der ABC-Abwehrtruppe zur Verfügung. Bei dieser Technologie wird ein breites Spektrum an Stoffen mit einer UV-Lampe ionisiert. Die Geräte eignen sich aufgrund schneller Ansprechzeiten ideal zur Lecksuche und können, wenn nur ein Stoff atmosphärisch vorherrscht, auch Konzentrationen messen. Allerdings lässt sich von einem Signal ohne zusätzliche Informationen nicht auf die Art des detektierten Stoffes schließen. Vorteile des Photoionisationsdetektors MultiPID2: empfindlich, schnelle Ansprechzeit, Ex-Geschützt, Konzentrationsinformation (bei Reinstoffen). Nachteil: keine stoffspezifische Information.

Einzelgassensor

Der Einzelgassensor „X-am 7000“ (XAM) steht der ABC-Abwehrtruppe zur Verfügung. Es gibt eine Vielzahl an weiteren Sensoren, die speziell für Gas konstruiert werden. Diese können elektrochemisch, katalytisch oder mit Infrarotlicht funktionieren und kommen einzeln oder kombiniert bis zu fünf Stück zum Einsatz. Sie zeigen eine Konzentration der Zielsubstanz an, jedoch müssen sie regelmäßig (alle 120 bis 180 Tage) kalibriert werden. Grundsätzlich sind solche Geräte für den Arbeitsschutz konstruiert und die voreingestellten Alarme orientieren sich an zivilen Grenzwerten wie der „maximalen Arbeitsplatzkonzentration“. Vorteile des Einzelgassensors „X-am 7000“ (XAM): schneller Überblick, Ex-Geschützt, Konzentrationsinformation, Warn- & Alarmschwelle (optisch & akustisch). Nachteile: Einlaufzeiten, Ansprechzeiten mit Sonde (zehn bis 35 Sekunden), Katalysatorgifte (bestimmte Stoffe können die katalytischen Sensoren beschädigen), Kalibrierung alle vier Monate.

 

Identifikationsfähigkeiten

Seit den Anthrax-Anschlägen von 2001 haben sich die handgehaltenen und tragbaren Identifikationstechnologien stark weiterentwickelt. War es damals noch notwendig, eine Probe im Labor auswerten zu lassen und Tage bis Wochen auf das Ergebnis zu warten, können die aktuell im Bundesheer verfügbaren Geräte das verdächtige „weiße Pulver“ innerhalb von Minuten vor Ort bestimmen. Inzwischen gibt es zahlreiche Hersteller von mobilen Geräten. Diese Entwicklung brachte die ehemals laborgebundene Technologie aus dem Labor ins Feld.
Alle nachstehend beschriebenen Technologien nehmen ein Spektrum auf und können daher nach NATO AEP-66 als „bestätigte Identifikation“ verstanden werden. Alle Geräte können nicht nur für die Feststellung von chemischen Kampfstoffen, sondern auch für deren Vorläuferstoffe sowie für Industriechemikalien, Haushaltschemikalien, Explosivstoffe und Drogen genutzt werden.

Raman-Spektroskopie

Die Raman-Spektroskopie (benannt nach dem indischen Physiker C. V. Raman) steht der ABC-Abwehrtruppe zur Verfügung. Dabei wird ein Laser verwendet, der nach Interaktion mit der festen oder flüssigen Probe ein stoffspezifisches Spektrum erzeugt. Dieses Spektrum wird mit einer Datenbank verglichen und die unbekannte Substanz so identifiziert. Allerdings sind nicht alle Substanzen „Raman-aktiv“ bzw. kann das Signal durch Fluoreszenz überlagert werden. Als Faustregel gilt: Weiße Pulver und helle Pulver können analysiert werden, während dunkle Substanzen die Laserenergie absorbieren. Der große Vorteil dieser Technologie ist, dass das

Messgerät nicht direkt mit der Probe in Kontakt kommen muss und es daher nicht kontaminiert wird. Es ist auch möglich, durch Behälterwände hindurchzumessen. Bisher funktionierte das nur bei durchsichtigen Gefäßen, aber inzwischen können auch Plastikkanister und Papiersäcke durchdrungen werden, wenn die Geräte Spatially Offset Raman Spectroscopy (SORS) nutzen. Die derzeit auf dem Markt befindlichen Geräte können Bestandteile ab etwa zehn Prozent Gehalt bestimmen. Aber auch hier sind Weiterentwicklungen (SERS – Surface Enhanced Raman Spectroscopy) im Kommen, die eine um das Zehntausendfache gesteigerte Empfindlichkeit ermöglichen. Ein Nachteil ist der Laser, der bei falscher Anwendung die Augen schädigen und Explosivstoffe bei falscher Anwendung zum Umsetzen bringen kann.
Vorteile der Raman-Spektroskopie mit dem „FirstDefender™ RMX“ (FD-RMX): Gewicht, Einsatzzeit, intuitiv bedienbar, berührungsfreie Messung. Nachteile: Empfindlichkeit (unbekannte Stoffe werden nur bei einer Konzentration von mehr als zehn Prozent richtig erkannt), funktioniert nur, wenn Stoff Raman-aktiv ist, Laser der Klasse 3B (Gefahr für die Augen und Gefahr sensible Explosivstoffe auszulösen).

Fourier Transformation Infrarot Spektroskopie

Die Fourier Transformation Infrarot Spektroskopie (FTIR) nutzt ebenfalls einen Laser wie die Raman-Spektroskopie und steht der ABC-Abwehrtruppe zur Verfügung. Bei der FTIR-Spektroskopie wird der Laser benutzt, um ein Signal von der festen oder flüssigen Probe zu erhalten. Dieser wird durch einen Kristall mit direktem Kontakt in die Probe gelenkt und das Signal wiederum durch diesen Kristall aufgenommen. Eine flüssige Probe benetzt den Kristall optimal, Feststoffproben hingegen müssen an den Kristall angepresst werden. Das Gerät benutzt die Fourier Transformation, eine mathematische Methode, um aus dem Signal ein Spektrum zu erhalten.

Dieses Spektrum wird mit einer Datenbank verglichen und die unbekannte Substanz so identifiziert. Allerdings sind nicht alle Substanzen „IR-aktiv“. Als Faustregel gilt, dass die Substanzen, bei denen Raman nicht funktioniert, dann mit FTIR erkannt werden können. Die Empfindlichkeit liegt ähnlich wie bei der Raman-Spektroskopie im Bereich von zehn Prozent. Eine Limitation dieser Technologie ist der bereits angesprochene direkte Kontakt mit dem Gefahrstoff. Das Gerät wird also durch die Messung kontaminiert. Das bedeutet einen Mehraufwand bei der Anwendung im Feld, da eine Dekontamination nach jeder Messung erfolgen muss.

Vorteile der Fourier Transformation Infrarot Spektrometer mit dem „HazMatID Elite“ (HMIE): Gewicht, Einsatzzeit, intuitiv bedienbar. Nachteile: direkter Kontakt (und Kontamination), Empfindlichkeit (unbekannte Stoffe werden nur bei einer Konzentration von mehr als zehn Prozent richtig erkannt), funktioniert nur, wenn der Stoff Infrarot-aktiv ist.

Massenspektrometrie

Die Massenspektrometrie steht derzeit nur der 1. ABC- und Umweltmessstelle am ABC-Abwehrzentrum zur Verfügung. Bei der Massenspektrometrie wird die gasförmige Probe mittels Hochspannung ionisiert. Feste und flüssige Proben müssen fein verteilt und verdampft werden, um sie für dieses Verfahren zugänglich zu machen. Je nach Ionisierungsverfahren und Energie zerbrechen die Moleküle statistisch in Bruchstücke oder bleiben ganz. Die Moleküle und Bruchstücke werden in einem Filter nach ihrem Masse-Ladungsverhältnis aufgetrennt, so dass immer nur eine bestimmte Masse pro Zeitfenster auf den Detektor trifft. Daraus ergibt sich das Massenspektrum, das wieder mit einer entsprechenden Datenbank verglichen wird.

Es gibt derzeit nur ein Gerät auf dem Markt, das „MX908“, bei dem als Massenfilter eine Ionenfalle zum Einsatz kommt. Das „MX908“ zeichnet sich durch verschiedene Messmodi aus, die nicht nur eine Messung der Gas-/Dampfphase (VAPOR-Modus) erlauben, sondern auch Flüssigkeiten und Feststoffe (TRACE-Modus) sowie Aerosole (AEROSOL-Modus) zugänglich machen.

Ein weiterer Vorteil dieses Gerätes ist, dass es über eine Datenbank verfügt, die Nowitschok enthält und es daher derzeit das einzige der hier beschriebenen Identifikationsgeräte ist, das diese neue Kampfstoffgruppe identifizieren kann. Ein Nachteil ist die aufwendige Dekontamination nach einer Fest- oder Flüssigmessung. Vorteile der Massenspektrometrie mit dem „MX908“: Gewicht, Einsatzzeit, hochempfindlich, verschiedene Messmodi (Gas, Dampf, Aerosol, flüssig, fest). Nachteile: Kontaminationsgefahr im TRACE-Messmodus, aufwendige Dekontamination, Überladungsgefahr bei der Messung von Flüssig- und Feststoffen, spezielle Form der Ionisierung und daher nicht mit den üblichen Massenspektrendatenbanken kompatibel.

Gaschromatographie-Massenspektrometrie

Die Gaschromatographie-Massenspektrometrie steht der ABC-Abwehrtruppe zur Verfügung. Dabei wird die Massenspektrometrie mit der Gaschromatographie kombiniert, wodurch vor dem Massenfilter ein zusätzlicher Auftrennungsschritt erfolgt und auch komplexe Mischungen analysiert werden. Bei der Gaschromatographie wird die gasförmige Probe durch eine 15 Meter lange Kapillare geströmt wobei die enthaltenen Moleküle unterschiedlich mit der beschichteten Wand der Kapillare reagieren und so unterschiedlich lang für den Weg hindurch benötigen. Diese Technologie stellt den Gold-Standard der feldmäßigen chemischen Identifikation dar. Ist bei der Auswertung nicht auf den ersten Blick ein Ergebnis erkennbar, ist es unbedingt notwendig, auf Reach-Back (Fachberatung durch Experten, die nicht vor Ort sind – in diesem Fall Chemiker) für eine detaillierte Analyse der aufgenommenen Spektren zurückzugreifen. Das im Bundesheer eingeführte Gerät HAPSITE (Hazardous Air Pollutants on Site) ist deutlich größer und schwerer (20 kg) als die zuvor beschrieben. Es kann fahrzeuggestützt (auf dem Allschutz-Transport-Fahrzeug „Dingo“) oder auf dem Rücken getragen werden.

Vorteile der Gaschromatographie-Massenspektrometrie mit dem HAPSITE: hochempfindlich, Identifikation auch von komplexen Mischungen möglich. Nachteile: Gewicht (20 kg), bei Anwesenheit von sauren Gasen kann das Gerät beschädigt werden, eine Messungsdauer von zehn Minuten im Analyse-Modus.

Limitierende Faktoren

Die Identifikationsgeräte funktionieren nur so gut wie ihre Datenbank. Mit den feldmäßigen Technologien ist es unmöglich, eine Probe zu bestimmen, wenn kein entsprechendes Vergleichsspektrum in die Datenbank eingetragen wurde. Man kann zwar ein Spektrum mit den mobilen Geräten aufnehmen, aber die Informationen entsprechen nicht den Qualitäts-Standards einer Datenbank. Die zur Verfügung stehenden Datenbanken sind je nach Gerät mit 10 000 bis mehr als 100 000 Substanzen sehr umfangreich. Das Beispiel des Nervengiftes Nowitschok zeigt die Unterschiede in den Datenbanken. Die Fourth Generation Agents wurden erst im Jahr 2020 durch die Organisation für das Verbot von Chemischen Waffen (OPCW) in deren Listen aufgenommen. Aktuell verfügt nur das Massenspektrometer „MX908“ über einen entsprechenden Datenbankeintrag. Nowitschok kann im Feld derzeit nur durch das Kampfstoffnachweispapier, den Nervengasanzeiger und das Flammenphotometer „AP4C“ unspezifisch detektiert und mit dem „MX908“ nachgewiesen werden. Diese Datenbanksituation sollte aber mit den nächsten Datenbankupdates
behoben sein.

Zusammenfassung

Alle vorgestellten Geräte sind nach dem Point-and-Shoot-Verfahren (man richtet das Gerät auf die Probe und startet die Messung) konzipiert und relativ einfach zu bedienen. Die Herausforderung liegt in der Auswahl des Messortes und bei mehrdeutigen oder unklaren Ergebnissen auf der Auswertung. Hier ist ein funktionierendes Reach-Back-System (etablierte Verfahren, sichere Kommunikationsmittel und abrufbare Expertise) für die Übertragung der Dateien und Auswertung durch Experten notwendig, um die Stärken der Technologien tatsächlich ausschöpfen zu können.

Bis zum Jahr 2020 war nur das HAPSITE in allen ABC-Abwehrkompanien verfügbar. Inzwischen sind bis auf das „MX908“ alle Gerätetypen (Gasprüfröhrchen, ECAM, LCD 3.3, AP4C, XAM, FD-RMX, HMIE) auch in den ABC-Abwehrkompanien verfügbar. Im Bereich der Feststellung von chemischen Gefahrstoffen ist das Bundesheer derzeit gut aufgestellt.

Major dhmtD DI Dr. Gerald Bauer; Chemieexperte am ABC-Abwehrzentrum.

 

 

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