• Veröffentlichungsdatum : 17.04.2024
  • – Letztes Update : 16.04.2024

  • 8 Min -
  • 1555 Wörter

Angriff einer Mobilen Reserve: Grundlagen Taktik

Georg Stiedl

In den vorangegangenen Beiträgen stand die Gliederung der selbstständigen motorisierten Schützenbrigade des Übungsgegners Rot und die Angriffsführung der selbstständigen Brigade im Mittelpunkt. Nun wird ihr Einsatz als Mobile Reserve in einer Armee beschrieben. 

Das Konzept der Mobilen Reserve des Übungsgegners Rot folgt dabei der Idee der Mobilen Gruppen der Sowjetarmee oder der Panzergruppen der Deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, welche mit dem Konzept der Operativen Manövergruppen des Warschauer Paktes während des Kalten Krieges fortgesetzt wurde. Gemeinsam ist ihnen der Kampf im rückwärtigen Raum des Gegners nach dem erfolgten Durchbruch durch die Verteidigung. Die Mobile Reserve unterscheidet sich heute jedoch im deutlich verringerten Kräfteumfang und damit einhergehend einer kürzer gesteckten Gefechtsaufgabe.

Zweck 

Bei der Mobilen Reserve handelt es sich um ein brigade- bis maximal divisionsstarkes Element der Gefechtsordnung einer Armee oder eines Armeekorps. Der Zweck des Einsatzes der Mobilen Reserve ist die entscheidende Ausnutzung eines Durchbruches und der unverzügliche und schnelle Stoß in die Tiefe. Damit soll der Gegner in seiner Handlungsfähigkeit gelähmt und ein rasches Zerschlagen sichergestellt werden.

Im Gegensatz zu einer zweiten Staffel ist die Rolle einer Mobilen Reserve nicht die direkte Überwindung der gegnerischen Verteidigung und damit einhergehend die Vernichtung der hier eingesetzten Kräfte, sondern das Zerschlagen der Verteidigung durch Handlungen im rückwärtigen Raum des Gegners. Der Verteidiger wird gezwungen, seine Kräfte sowohl gegen frontal als auch aus dem Rücken angreifende Kräfte auszurichten. Durch den gleichzeitigen Kampf der angreifenden Armee gegen Front, Flanke und Rücken des Verteidigers soll die Initiative errungen und erhalten, ein hohes Angriffstempo ermöglicht und so der Gegner bezwungen werden.

Aufgaben

Im Zuge des Angriffes einer Armee kann eine Mobile Reserve in der Stärke einer Division (Ausnahme) oder einer Panzerbrigade beziehungsweise motorisierten Schützenbrigade (Regelfall) für Handlungen abseits der Hauptkräfte gebildet werden. Die Mobile Reserve soll auf einen Angriffserfolg der Hauptkräfte aufbauen und hochbewegliche Kampfhandlungen im rückwärtigen Raum der gegnerischen Verteidigung durchführen. 
Die Aufgaben der Mobilen Reserve können dabei sein: 

  • die Zerstörung von weitreichenden Wirkmitteln (u. a. auch Kernwaffen) und Elementen des gegnerischen Aufklärungs- und Wirkungsverbundes,
  • das Abschneiden von Versorgungsstraßen sowie von Rückzugswegen,
  • der Angriff gegen die tiefen Flanken und den Rücken der gegnerischen Hauptkräfte und die Vollendung ihrer Einschließung,
  • die Einnahme von wichtigen Einrichtungen, wie zivilen und militärischen Flugplätzen, Marinestützpunkten (in Küstengebieten), Nachschubbasen und anderen Objekten,
  • die Störung der gegnerischen Einsatzführung im rückwärtigen Raum,
  • die Einnahme und das Halten von Brückenköpfen an großen Wasserhindernissen und anderen wichtigen Linien und Räumen im rückwärtigen Raum des Gegners

Durch Überfälle (Streifzüge) auf Schlüsselobjekte in der Tiefe, wie gegnerische Präzisionswaffen, Mittel des elektronischen Kampfes, Gefechtsstände, Kommunikationseinrichtungen, vorgeschobene Flugfelder, Luftabwehrmitteln, Logistikkräfte und -einrichtungen sowie Versorgungslinien soll die Effektivität der gegnerischen Verteidigung reduziert und so die im unmittelbaren Kampfraum angreifenden Hauptkräfte unterstützt werden.

Bildung und Zusammensetzung 

Eine Mobile Reserve einer Armee kann im Voraus gebildet oder während der Operation aus der zweiten Staffel bzw. der Allgemeinen Reserve und in einzelnen Fällen aus der ersten Staffel einer Truppengruppierung im Operationsgebiet gebildet werden. Unter günstigen Bedingungen kann eine angreifende Brigade der ersten Staffel den gegnerischen Widerstand mit hohem Tempo überwinden und sich durch tiefes Eindringen von den Hauptstreitkräften lösen.

Um ein möglichst selbstständiges Handeln der Mobilen Reserve zu gewährleisten, wird diese in der Regel durch Kräfte der Heeresflieger, Luftsturmtruppen, Panzerartillerie, Luftabwehr, Spezialtruppen, der Logistik und der medizinischen Unterstützung verstärkt. Wenn Wasserhindernisse überwunden werden müssen, wird die Mobile Reserve mit Übersetzmitteln der Armee bzw. Front verstärkt. Vor allem erfolgt eine Verstärkung mit Aufklärungs- und Sicherungskräften, Abteilungen zur Sicherstellung der Bewegung, mit mobilen Instandsetzungs- und Bergekräften sowie mit höheren Material- und Munitionsbeständen. Ziel ist es, eine logistische Autarkie der Mobilen Reserve für bis zu drei Tage sicherzustellen. Im Bedarfsfall ist auch eine begrenzte Versorgung auf dem Luftweg möglich.

Eine frühzeitig gebildete und bereitgehaltene Mobile Reserve befindet sich in der Regel in einem 50 bis 70 Kilometer hinter der Frontlinie festgelegten Verfügungsraum. Bei Notwendigkeit kann sie vor der Einführung in die Schlacht einen Bereitstellungsraum 20 bis 40 Kilometer hinter der Frontlinie beziehen, um die Zeitdauer bis zu ihrem Wirksamwerden zu verkürzen.
 

Einführung in die Schlacht

Zur Unterstützung der Hauptkräfte im Angriff soll die Mobile Reserve so früh wie möglich in die Schlacht eingeführt werden, um den Kampf rasch in den Rücken des Gegners vorzutragen. Durch die Bedrohung beziehungsweise Bewirkung der gegnerischen rückwärtigen Teile soll die Verteidigung geschwächt und rasch aufgebrochen werden. Im Falle einer eilig bezogenen gegnerischen Verteidigung ist eine Einführung durch Lücken noch vor dem Angriff der Hauptkräfte möglich. Wesentlich für das Einführen einer Mobilen Reserve ist die zumindest teilweise Erzielung eines Überraschungseffektes.

Die Mobile Reserve wird nach Überwindung der ersten, manchmal auch erst nach Überwindung der zweiten Verteidigungslinie des Gegners in die Schlacht eingeführt. Im günstigsten Fall erfolgt die Einführung der Mobilen Reserve nach der Vollendung des Durchbruchs der Hauptverteidigung, andernfalls hat dieser durch die Vorausabteilungen der Mobilen Reserve in engem Zusammenwirken mit den Kräften der ersten Staffel erzielt zu werden.

Das Heranführen an den Einführungsabschnitt erfolgt in Vorgefechts- oder Marschordnung auf mehreren Marschstraßen unter dem Schutz einer Vorausabteilung und von Vorhuten. Zumeist wird zur Sicherstellung des Einführens der Mobilen Reserve eine massive Feuervorbereitung des Sturmangriffes durch den Oberbefehlshaber der Armee veranlasst. Die Vorausabteilung (Vorhut) vernichtet im Bedarfsfall gegnerische Kräfte in Gefechtsordnung und ermöglicht den Hauptkräften der Mobilen Reserve ein rasches Vordringen in die Tiefe durch Lücken in der gegnerischen Verteidigung. Eine Mobile Reserve in Divisionsstärke kann sich dabei 50 bis 80 Kilometer von den Hauptkräften der Armee lösen.

Die Gefechtsordnung der Mobilen Reserve besteht in der Regel aus einer Staffel und einer Allgemeinen Reserve. Die Vorgefechts- oder Marschordnung der Mobilen Reserve kann bei Bewegungen im rückwärtigen Raum der Verteidigung des Gegners im „Keil vorwärts“, „Keil rückwärts“, in „Staffel links/rechts“ oder in „Rautenformation“ erfolgen. Verbände der Artillerie, Luftabwehr und der rückwärtigen Dienste (Kräfte für die materielle, technische und medizinische Sicherstellung) marschieren „geschützt“ im Zentrum der Gefechtsordnung und in den Kolonnen der Hauptkräfte.

Der Einsatz von taktischen Luftlandeeinheiten, Voraus- und Streifzugabteilungen sowie starken Aufklärungs- und Marschsicherungselementen sind charakteristisch für die Mobile Reserve. Streifzugabteilungen bewegen sich in der Regel an der Spitze der Kolonnen der Hauptkräfte auf Marschstraßen, welche ein schnelles Vorrücken zu den einzunehmenden oder zu vernichtenden Zielen gewährleisten. Die Panzerabwehrreserve und die Bewegliche Sperrabteilung marschieren mit den Hauptkräften auf jenen Marschstraßen, welche einen schnellen Stellungsbezug zum Schutz der Hauptkräfte vor gegnerischen Panzerangriffen ermöglichen. Die Regimentsartillerie beziehungsweise den Bataillonen direkt unterstellte Artillerie marschiert für gewöhnlich mit den Vorhuten, während sich die Brigadeartillerie beziehungsweise die Divisionsartillerie an der Spitze der Hauptkräfte bewegt.

Die Flugabwehrkräfte marschieren innerhalb der Kolonnen, um aus der Bewegung oder aus einem kurzen Halt den Schutz vor Luftbedrohungen zu gewährleisten. Abteilungen zur Sicherstellung der Bewegung bewegen sich auf jeder Marschstraße hinter den Vorhuten und schaffen bei Bedarf Gassen durch Sperren oder erkunden und errichten Umgehungen. Eine Mobile Reserve, welcher der Durchbruch in den rückwärtigen Raum der gegnerischen Verteidigung gelungen ist, vermeidet dort grundsätzlich langwierige Gefechte mit dem Gegner. Stattdessen bewegt sich die Mobile Reserve tiefer in den Rücken der gegnerischen Hauptkräfte. Dort werden Führungseinrichtungen, Logistikeinrichtungen, Verfügungs- und Feuerstellungsräume sowie wichtige Infrastruktur angegriffen und die Versorgungsstraßen abgeschnitten. Schwächere gegnerische Kräfte werden vernichtet und der Vormarsch mit 
hohem Angriffstempo fortgesetzt.

Handlungen

Die Handlungen einer Mobilen Reserve sind charakterisiert durch das Führen überraschender Schläge auf den Gegner aus mehreren Richtungen, die Durchführung von tief vorgetragenen Streifzügen, Handlungen der Truppenteile im gesamten rückwärtigen Raum und in hohem Tempo, schnelle Manöver in wechselnde Richtungen, das enge Zusammenwirken mit Luftsturmkräften und die Umfassung des Gegners aus der Luft sowie die Einsatz von Voraus- und Streifzugabteilungen zur Einnahme oder Vernichtung von wichtigen Zielen.

Eine selbstständige motorisierte Schützenbrigade als Mobile Reserve kann ein bis zwei Streifzugabteilungen in der Stärke eines verstärkten motorisierten Schützenbataillons und zwei bis drei Spezialabteilungen in der Stärke einer verstärkten motorisierten Schützenkompanie bilden. Eine Division als Mobile Reserve kann Streifzugabteilungen in der Stärke eines Regimentes bilden. Streifzugabteilungen können bis zu einem Tag selbstständig handeln, wobei sich bataillonsstarke Streifzugabteilungen bis zu 20 höchstens 30 Kilometer und regimentsstarke Streifzugabteilungen bis zu 50 Kilometer zur Vernichtung ihrer Angriffsziele von den Hauptkräften lösen können. Nach Abschluss der zugewiesenen Aufgabe vereint sich die Streifzugabteilung wieder mit den Hauptkräften oder erhält eine neue Gefechtsaufgabe zugewiesen.

Wasserhindernisse werden in der Regel durch die Vorausabteilung in breiter Front überquert. Dazu werden verfügbare Brücken, Furten und andere geeignete Stellen zum Überqueren eingenommen. Die Organisation einer Verteidigung am Wasserhindernis durch zurückweichende oder vorrückende gegnerische Kräfte wird durch Luftangriffe und die Fernverminung der Marschstraßen verhindert.

Vorrückende gegnerische Reserven sollen am Marsch in Begegnungsgefechten zerschlagen werden, bevor diese in die Verteidigung übergehen können. Greift der Gegner mit überlegenen Kräften an, werden diese durch Artilleriefeuer bekämpft und ihr Angriff durch fernverlegte Minensperren verzögert. Die Mobile Reserve geht zur Rundumverteidigung über und hält das bisher gewonnene Gelände bis zum Aufschließen der Hauptkräfte der Armee.

Zusammenfassung

Das gegenwärtige Konzept der „Mobilen Reserve“ des Übungsgegners Rot folgt im Grunde jener der „Operativen Manövergruppe“ des Warschauer Paktes gegen Ende des Kalten Krieges. Aufgrund der Restrukturierung der Landstreitkräfte zu Beginn des 
21. Jahrhunderts sind der Kräfteumfang und somit auch die gestellten Gefechtsaufgaben an die heutige Mobile Reserve im Umfang deutlich geringer.

Die Zielsetzung bleibt dennoch unverändert. Nach dem erfolgten Durchbruch soll der Kampf rasch in den rückwärtigen Raum des Verteidigers getragen werden. Dieser soll durch gleichzeitige Angriffe gegen seine Front, Flanke und Rücken überfordert werden, während der Angreifer die Initiative und den Angriffsschwung aufrechterhält, um rasch die Zerschlagung des Gegners herbeizuführen.

Mjr Mag.(FH) Georg Stiedl, MA; Hauptlehroffizier Referat Taktik/IHMF/LVAk.


Dieser Artikel erschien im TRUPPENDIENST 1/2024 (396).

Zur Ausgabe 1/2024 (396)


 

Ihre Meinung

Meinungen (0)