• Veröffentlichungsdatum : 16.11.2022

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Atombomben fürs Gefechtsfeld

Michael Schrenk

Taktische Nuklearwaffen wurden entwickelt, um lokale kriegswichtige Entscheidungen auf dem Gefechtsfeld zu erzwingen, während der ursprüngliche Gedanke hinter einer strategischen Waffe die Auslöschung einer ganzen Großstadt, deren Industrie und Bevölkerung war. Auch wenn die taktischen Nuklearwaffen weniger Sprengkraft besitzen, bleiben die Bevölkerung, deren Gesundheit und Lebensstil von dem weitläufigen radioaktiven Niederschlag nicht unbehelligt.

Seit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der Sowjetunion waren Nuklearwaffen nur mehr ein Teil von Abrüstungs- und Rückgabeverhandlungen. Die Wahrscheinlichkeit eines Nuklearwaffeneinsatzes war sehr gering, auch wenn einige terroristische Gruppierungen versuchten, sich Zugang zu Nuklearmaterial oder -waffen zu verschaffen. Doch im Februar 2022 rückten Atomwaffen erneut als Bedrohung in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Gleich zu Beginn des Ukraine-Krieges drohte der russische Präsident Wladimir Putin, seine Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft zu versetzen. Durch die anfänglich hohen Verluste und Misserfolge der „Spezialoperation“ und aufgrund der russischen Doktrin „escalate to de-escalate“ stieg nach Meinung einiger Experten die Wahrscheinlichkeit des Einsatzes von Nuklearwaffen drastisch. Im militärischen Bereich wurden neue Risikoanalysen – auf Basis des Einsatzes von einer oder von mehreren taktischen Nuklearwaffen in der Ukraine – erstellt. In den Medien wurde über die Wirkungen und Auswirkungen von taktischen Nuklearwaffen diskutiert. Laut einer US-Expertenanalyse haben die USA derzeit an die 500 taktische Gefechtsköpfe in ihrem Arsenal, wobei 200 auf alliierten Basen in Europa stationiert sind. Die Anzahl der taktischen Gefechtsköpfe in der Russischen Föderation wurde zwischen 1.000 und 6.000 Stück geschätzt – 
seit Beginn des Ukraine-Krieges wurde die Zahl auf etwa 2.000 Stück berichtigt.

Taktische versus strategische Nuklearwaffe

Das Nuclear Matter Handbook 2016 des U.S. Departement of Defense beschreibt den Unterschied zwischen taktischen und strategischen Waffen: 

„Taktische oder nicht-strategische Waffen sind Kernwaffen, welche für den Einsatz am militärischen Schlachtfeld konzipiert wurden. Im Gegensatz dazu stehen strategische Nuklearwaffen, welche gebaut wurden um gegen feindliche Städte, Fabriken, und andere Großflächenziele eingesetzt werden um dem Gegner die Möglichkeit Krieg zu führen nehmen soll.“

In dieser Definition werden weder Detonationsstärken noch Einsatzmittel eingegrenzt. Eine weitere Begriffsbestimmung spielt bei den meisten Verhandlungen und Verträgen zur Rüstungskontrolle eine wichtige Rolle:

„Taktische Nuklearwaffen sind auf Kernspaltung oder/und Kernfusion basierende Waffen welche zur Bekämpfung militärischer Ziele auf dem Gefechtsfeld eingesetzt werden. Eine weitere Abgrenzung zu den Strategischen Nuklearwaffen basiert auf der Reichweite der Einsatzmittel, der Detonationsstärke und der Dislozierung.“

Die typischen Reichweiten von landgestützten Systemen betragen wenige Kilometer bis zu einigen 100 Kilometern. Die taktischen Nuklearwaffen können durch boden-, luft- oder seegestützte Raketen sowie durch Lenkflugkörper, Artilleriegeschosse, von Flugzeugen als abgeworfene Gravitationsbomben und von durch Spezialeinsatzkräfte platzierte Nuklearminen zum Einsatz gebracht werden.

Die Detonationswerte liegen im Bereich zwischen 0,1 kt und 100 kt (Kilotonnen TNT-Äquivalent). Das ist ein Bereich, der hauptsächlich durch Spaltbomben und schwache Fusionsbomben (Wasserstoffbomben) abgedeckt wird. Dass es dabei keine scharfe Abgrenzung zu den strategischen Waffen gibt, veranschaulichen die folgenden Beispiele.

Beispiel der unscharfen Abgrenzung

Die Sprengkraft der auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Nuklearwaffen würde heutzutage in die Definition der taktischen Waffen fallen. Durch ihren Einsatz konnte jedoch der strategische Erfolg der Kapitulation Japans und somit die Beendigung des Krieges verzeichnet werden. Theoretisch könnte eine Mini-Nuke – eine klassische taktische Waffe mit Sprengkraft zwischen 0,1 und 5 kt – den gleichen „Erfolg“ erzielen, wenn diese beispielsweise eine gegnerische Regierung eliminieren würde. Heutige Technologien erlauben es, Einsatzmittel mit Gefechtsköpfen zu bestücken, die in ihrer Sprengkraft variabel sind. Ein Beispiel dafür ist die Gravitationsbombe B61-12, die mit Sprengköpfen von 0,3 kt bis 340 kt bestückt werden kann. Somit ist diese Bombe laut allgemeiner Definition sowohl taktisch als auch strategisch einsetzbar.
 

Verharmlosung der taktischen Nuklearwaffe

Der mögliche Einsatz von taktischen Nuklearwaffen wurden in einigen Medien erörtert und durch ihre primäre Verwendung als Gefechtsfeldwaffe verharmlost. Um ein realistisches Bild von der zerstörerischen Wirkung einer Nukleardetonation vermitteln zu können, ist es notwendig, die Effekte, Wirkradien der Zerstörung und die Zugweiten der „radioaktiven Wolke“ zu erörtern. Zur Veranschaulichung kann man auf die Nuklearwaffenabwürfe auf Hiroshima (13 kt) und Nagasaki (21 kt) zurückgreifen, die heute mit ihren Detonationsstärken eher „schwächeren“ taktischen Waffen entsprechen würden.

Effekte einer Nuklearwaffendetonation 

Mit Kernspaltwaffen kann man den kompletten Detonationswertebereich der taktischen Nuklearwaffen abdecken. Es gibt nur wenige Fusionswaffen, die eine Sprengkraft unter 100 kt besitzen. Daher wird im folgenden Abschnitt nur auf Effekte von Spaltwaffen und deren prozentuelle Energieanteile aus der Detonationsstärke eingegangen.

Thermische Strahlung

Die bei der Detonation entstehenden hohen Temperaturen von zehn Milliarden Grad Celsius erzeugen eine thermische Strahlung mit einem Energieanteil von 35 Prozent. Das führt zu Spontanentzündungen ohne Einwirkung von Funken oder Flammen und löst einen Feuerball aus, der beim Aufstieg in die Atmosphäre durch Rauch und angesaugtes Material den signifikanten Atompilz bildet. 

Druck 

Die hohen Temperaturen lassen das Bombenmaterial und de facto alle Gegenstände in der näheren Umgebung verdampfen. Als Folge der Umwandlung von fester in gasförmige Materie kommt es zu einem extremen Volumen- und somit Druckanstieg sowie zu einer Schockwelle. Diese drückt sich mit bis zu 330 m/s vom Ground Zero radial weg. Der Druck liefert mit 50 Prozent den höchsten Energieanteil und kann noch in vielen Kilometern Entfernung Fenster zerbersten lassen. Durch die Kaminwirkung des aufsteigenden Atompilzes und den Luftbedarf der Brände entsteht unmittelbar nach dem Druckanstieg ein schwächerer, jedoch länger anhaltender Sog in die Gegenrichtung. 

Anfangs- und Rückstandsstrahlung

Die Anfangsstrahlung hat einen Energieanteil von ungefähr fünf Prozent. Sie setzt sich aus Gamma- und Neutronenstrahlung der Kernspaltungsprozesse und den in den ersten Minuten auftretenden radioaktiven Zerfällen der kurzlebigen Spaltprodukte zusammen. Ein lang anhaltender Effekt ist die Rückstandsstrahlung. Der Energieanteil von zehn Prozent kommt hauptsächlich aus dem radioaktiven Niederschlag, aber auch aus der neutroneninduzierten Strahlung (Aktivierung nicht-radioaktiver Materialien). Der radioaktive Niederschlag entweicht hauptsächlich aus dem Atompilz. Dieser sinkt einerseits lokal zusammen und wird dabei durch den bodennahen Wind verteilt, andererseits kann er durch Höhenströmungen Zugweiten von einigen hunderten Kilometern erreichen.

Nuklearer elektromagnetischer Impuls

Den geringsten Anteil mit weniger als ein Prozent der Energie nimmt der nuklearinduzierte elektromagnetische Impuls (NEMP) ein, der schlagartig bereits vier Nanosekunden nach der Detonation seine Maximalamplitude erreicht (siehe TD-Heft 2/2022, Nr. 385). Richtig angewendet kann dieser kleine Effekt jedoch zum flächenmäßig größten Problem werden. Eine Detonation in einer Höhe von 400 km über der Schweiz kann theoretisch die gesamte elektrische Infrastruktur der Europäischen Union durch Induktion hoher elektrischer und magnetischer Feldstärken lahmlegen.
 

Nuklearwaffentests

Bis heute wurden über 2.050 Nuklearwaffen für Testzwecke gezündet. Davon haben bis zum „Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser“ im Jahre 1963 ungefähr 600 in unserer Atmosphäre stattgefunden. Die gesammelten Daten über das Schadensausmaß hinsichtlich der Bodenverformung, Strahlung, Hitze und des Druckes, aber auch die Daten über die Dimensionen der Atompilze stehen in Tabellenform und in Computerprogrammen zur Beurteilung oder Planung zur Verfügung. Dabei werden die Schäden für geschützte oder ungeschützte Menschen, an Bauwerken oder Gebäuden in Form von Wirkradien wiedergegeben. In der Tabelle wird ein Ausschnitt der Daten für ungeschützte Menschen (ohne Deckung oder baulichen Schutz) bei verschiedenen Detonationsstärken gezeigt. 

Die Steighöhe der Atompilze spielt eine wichtige Rolle bei der Berechnung der Zugweiten des radioaktiven Niederschlages. Dazu benötigt man noch den Datensatz für die Windströmung in den verschiedenen Höhenschichten. Jede ABC-Melde-Auswerte-Stelle kann solche Daten über das ABC-Informationssystem verarbeiten.

Einsatz taktischer Waffen

Nuklearwaffen können 

  • auf dem Festland oder Unterwasser,
  • auf dem Boden oder in Bodennähe, 
  • in geringer oder großer Höhe über dem Ziel, oder 
  • in geringer Erdtiefe (entsprechend der Eindringtiefe von penetrierenden Einsatzmitteln) 

verwendet werden. Weniger relevant für Binnenstaaten ist eine taktische Unterwasserdetonation. Diese könnte gegen feindliche Flottenverbände in Großgewässern oder als Quelle einer tsunamiähnlichen Flutwelle in Küstennähe eingesetzt werden. Der Standardeinsatz einer taktischen Nuklearwaffe dient zur Verzögerung eines gegnerischen Angriffes oder zur Bekämpfung gegnerischer Streitkräfte auf dem Gefechtsfeld. 

Die benötigte Sprengkraft kann anhand von Tabellen und Computerprogrammen mit den gewünschten Wirkradien geplant werden. Zum Schutz der eigenen Truppen ist die Abdriftrichtung des radioaktiven Niederschlages einzuplanen. Das gilt auch zum Schutz der eigenen Bevölkerung, da die Zugweiten des Fallouts einige 100 Kilometer erreichen können. Vergleicht man die relevanten Daten aus den bisherigen Atombombenversuchen, ist ersichtlich, dass bei gleichbleibender Detonationsstärke die Effekte und Wirkungen stark mit der Einsatzhöhe variieren. 

Tiefe Luftdetonation

Wird eine tiefe Luftdetonation mit einer Bodendetonation verglichen, so stechen zwei Effekte heraus:  Die tiefe Luftdetonation reißt weniger Bodenmaterial mit und hat somit weniger Material im radioaktiven Niederschlag. Dafür gibt es eine Vergrößerung der Druck-Wirkradien um 10 Prozent und der thermischen Wirkung um 80 Prozent.

Hohe Luftdetonation

Eine hohe Luftdetonation im Bereich von 100 bis 500 km dient nur einem Zweck – der Erzeugung eines NEMP über einem großflächigen Gebiet mit einem Radius von bis zu 2 500 km. Dabei werden elektrische und magnetische Feldstärken in der Größe von 50 kV/m bzw. 130 A/m erzeugt und dadurch Elektronik, elektrische Geräte sowie Infrastruktur zerstört. Eine Zerstörung von Satelliten durch die, aus verdampften Materialien bestehende Druckwelle (Abreißen der Solarpanele) oder durch die radioaktive Strahlung und die hochenergetischen Plasmateilchen, welche die Bordelektronik schädigen, können ebenfalls beabsichtigte Effekte sein.

Sonderformen

Sonderformen zur Steigerung eines oder mehrerer Effekte können geplant werden. Soll beispielsweise viel radioaktiver Niederschlag erzeugt werden, muss die Detonation auf dem Boden oder in Bodennähe stattfinden. Alternativ können statt einer 60-kt-Detonation vier „kleinere“ 15-kt-Einzeldetonationen ausgelöst werden. Dabei wird wesentlich mehr Schmutz in die Atmosphäre befördert als durch die größere Nuklearwaffe. 

Schmutzige Bombe

Wird eine Erhöhung der langfristigen Strahlung auf dem Gefechtsfeld geplant, können „Schmutzige Bomben“ eingesetzt werden. Dabei wird die freiwerdende Neutronenstrahlung zur Aktivierung des Kobaltmantels der Nuklearwaffe verwendet, um aus nichtradioaktivem Kobalt das radioaktive Kobalt-60 mit einer Halbwertszeit von 5,2 Jahren zu erzeugen.

Neutronenbombe 

Eine Sonderform zur Erhöhung der Anfangsstrahlung ist die angeblich „saubere“ Neutronenbombe mit einem sehr hohen Anteil an Neutronenstrahlung. Da die Neutronenbombe zu den Wasserstoffbomben zählt – und immer durch eine Spaltbombe gezündet wird –, verdient sie keinesfalls den Status „sauber“. Die Neutronenstrahlung kann nicht wie die Gammastrahlung durch Stahl oder Blei abgeschirmt werden. Somit gelangt die Neutronenstrahlung im vollen Ausmaß in das Innere eines Panzers, der grundsätzlich einen hohen Schutzwert gegen Gammastrahlung hat. Herrschen Gamma/Neutronen-Dosen von über 30 Sievert (Sv) vor, wird ein sofortiger Ausfall der Besatzung erzielt. Soviel zur Theorie. In der Praxis haben Neutronenbomben meist eine Detonationsstärke von nur ein kt und entsprechend kleinere Wirkradien. 

Mini-Nukes

Der Einsatz von Mini-Nukes darf nicht verharmlost werden. Selbst wenn die Detonationsstärke nur ein Zehntel einer normalen taktischen Waffe beträgt, werden die Wirkradien oder -flächen nicht im gleichen Maße reduziert. Vor allem die Radien für die Strahlung verringern sich nur um etwa 50 Prozent. Auch die Steighöhe des Atompilzes, der den radioaktiven Niederschlag windbegünstigt abdriften lässt, darf nicht unterschätzt werden.

Gefechtskopf und Einsatzmittel

Eine Nuklearwaffe setzt sich immer aus dem Gefechtskopf und dem Einsatzmittel zusammen, wobei die Spannweite der Einsatzmittel vom Rucksack bis zur Hyperschallwaffe reicht. Interkontinentalraketen können auch aus Gefechtsköpfen mit geringem oder großem Detonationswert bestehen, jedoch fallen diese aufgrund ihrer Reichweite aus der allgemeinen Definition der taktischen Nuklearwaffen heraus.

Nukleare Minen

Während des Kalten Krieges wurde der Einsatz von Nuklear-Minen an kritischen Geländeabschnitten in Betracht gezogen. Geplant war das Platzieren durch Spezialeinheiten unmittelbar vor dem Durchstoß feindlicher Truppen. Über eine Zeitschaltung mit bis zu 24 Stunden Verzögerung wäre die Waffe aktiviert worden. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit gering gewesen wäre, diese Detonation genau zum Zeitpunkt des Angriffes inmitten des Gegners zünden zu können, hätte man mit dieser Waffe recht gut einen gewissen Geländeabschnitt nuklear versiegeln und den Angriff somit verzögern oder umleiten können. 

Kofferbomben

Während die amerikanische Mine die Bezeichnung Special Atomic Demolition Munition (SADM) trägt und mit und dem MK-54 Gefechtskopf mit einer Sprengkraft von bis zu 0,5 kt bestückt ist, geht das russische Gegenstück als „Kofferbombe“ in die Geschichte ein. Diese wurde schon vor Jahrzehnten aus dem Arsenal genommen, es gibt jedoch Gerüchte, dass einige Kofferbomben „verschwunden“ sind. 

Nuklear-Artillerie-Granaten

Die US-amerikanische „Davy Crockett“, die von einem Dreibein bzw. Jeep abgefeuert wurde, hatte eine maximale Reichweite von nur vier Kilometern und verwendete den MK-54-Gefechtskopf in den Varianten 0,01 bis 0,5 kt. Diese Waffe wurde bereits Ende der 1960er-Jahre außer Dienst gestellt. Abgelöst haben sie Artilleriegeschoße mit Reichweiten um die 20 Kilometer, die bis heute Teil der Arsenale großer Nuklearstaaten sind. So kann die auch bei uns bekannte Panzerhaubitze M109 ihre Nukleargranaten sehr genau ins Ziel bringen. Durch den geringen Granatendurchmesser von 155 mm muss ein spezielles Sprengkopfdesign (lineare Implosion) verwendet werden. Der Wirkungsgrad solcher Sprengköpfe ist aber schlecht, und die Detonationsstärken liegen im Bereich von ein kt.

Nukleare Fliegerbomben

Es gibt ein breites Spektrum an Gravitationsbomben, wobei die einfachste Variante die klassische Bombe ohne Fallschirm oder Lenkungsmöglichkeit ist. Die meisten Bomben werden von Flugzeugen abgeworfen. Der Fallschirm dient zur Verzögerung, damit sich die Flugzeugbesatzung weit genug absetzen kann, bevor die Nuklearwaffe in der gewünschten Höhe zündet. Die Zielfixierung oder manuelle Steuerung der Bombe ist eine weitere Variante der lenkbaren Bomben. Ist die Bombe gehärtet, kann sie durch meterdicke Betonstrukturen oder viele Meter tief in die Erde eindringen. Solche bunkerbrechenden Waffen erzeugen im Erdreich starke Scherkräfte und eine hohe Zerstörung an unterirdischen Anlagen.

Nukleare Lenkflugkörper

Weit verbreitet sind Lenkflugkörper, die sich selbstständig ins Ziel steuern. Der Gefechtskopf kann mit normalen oder nuklearen Sprengköpfen bestückt werden. Einige Bauarten werden durch Flugzeuge in großer Höhe abgekoppelt. Sobald der eigene Antrieb zündet, kann der Flugkörper im leichten Sinkflug einige hundert Kilometer zurücklegen. Auch ein Parallelflug in kurzer Distanz zum Boden ist bei einigen Modellen möglich. Zum Start werden boden- oder schiffsgestützte Plattformen verwendet.

Die Reichweiten von Lenkflugkörpern werden durch Kurzstrecken- und Mittelstreckenraketen abgedeckt. Die Raketen beschreiben jedoch ballistische Flugbahnen und können somit besser als tieffliegende Marschflugkörper geortet werden. Raketen können aufgrund der limitierten Ladekapazitäten in der Spitze nur mit Gefechtsköpfen kleinerer Bauart und somit geringer Detonationsstärke ausgestattet werden.

Nukleare Torpedos

Der Einsatz von Nuklear-Torpedos zur See ist gegen feindliche Flotten oder zur Erzeugung einer Flutwelle in Küstennähe angedacht. Heutzutage können Torpedos bereits unbemannt und selbstständig das gewünschte Ziel erreichen. Als Superlative gilt heute der „Poseidon“, ein über 20 Meter langer russischer Torpedo (Unterwasserdrohne). Er kann nuklearbetrieben mit einem Nukleargefechtskopf autonom über lange Strecken unentdeckt eingesetzt werden.

Letzte Entwicklungen

In den vergangenen Jahrzehnten wurden die Nuklearwaffenarsenale von knapp 65.000 auf 12.700 Gefechtsköpfe reduziert. Dabei wurde bei den meisten Nuklearmächten keine Umstrukturierung auf taktische Nuklearwaffen registriert. Bis zum Jahr 2018 – während die Amerikaner noch immer mit der Wartung der bestehenden Kernwaffen und der Verbesserung der Zielgenauigkeit ihrer Einsatzmittel beschäftigt war, hat die russische Föderation mit Stolz bekannt gegeben, dass sie auf jede Bedrohung jederzeit und in jeder beliebigen Stärke, auch nuklear reagieren könne. Mit diesem Statement hat die russische Regierung bestätigt, dass diese stark auf Nuklearwaffen geringer Sprengkraft setzt. Damit wurde die amerikanische Regierung bezüglich ihrer Kernwaffenentwicklung aus dem Tiefschlaf gerissen und hat seither großen Nachholbedarf bei der Umstrukturierung ihres Arsenals auf Nuklearwaffen mit geringerer Detonationsstärken.

INF-Vertrag

Der INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces Treaty) wurde 1987 unterzeichnet und 1988 in Kraft gesetzt. Allerdings galt er nur zwischen der damaligen UdSSR und den Vereinigten Staaten. Die Volksrepublik China als drittgrößte Nuklearmacht war nicht eingebunden und hat sich daher auch nicht an die Reglements gehalten. 2018 wurde der INF-Vertrag zuerst von russischer und dann von US-amerikanischer Seite aufgekündigt. Somit besteht wieder die Option, bodengestützte Mittelstreckenraketen mit Reichweiten von 500 bis 5.500 km mit nuklearen Sprengköpfen zu bestücken. Der Begriff „bodengestützt“ wurde von allen Seiten umgangen, indem man die Anzahl der von U-Booten und Schiffen aus abzufeuernden Kurz- und Mittelstreckenraketen erhöht hat.

Bis jetzt sind keine neuen Entwicklungen und Designs bei den Sprengköpfen bekannt. Die Umrüstung eines Atomwaffenarsenals dauert viele Jahre. Daher hat man in den USA mit der Reduktion der Detonationsstärke bei bestehenden Wasserstoffbomben begonnen, indem man bei einigen Systemen den sekundären Fusionskern ausbaut und nur die primäre Spaltbombe aktiv gehalten hat. Es gibt aber auch noch andere Maßnahmen, um die Effektivität bestehender Systeme zu reduzieren. 

Nicht nur die Zielgenauigkeit von bestehenden Flugkörpern, Raketen oder Bomben wurde verbessert, auch die Durchschlagskraft für bunkerbrechende und erdpenetrierende Systeme wurde gesteigert. Hyperschallraketen und Flugkörper mit gesteigerter Reichweite durch geringeren Treibstoffverbrauch wurden im letzten Jahrzehnt genauso realisiert wie ein Mini-Kernreaktor als Energielieferant eines Torpedos.

Major dhmtD Dipl.-Ing. Michael Schrenk; Referatsleiter Grundlagen (Physik) am ABC-Abwehrzentrum.

 

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