• Veröffentlichungsdatum : 09.11.2021
  • – Letztes Update : 11.11.2021

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Augen im All

Clemens Strauß, Friedrich Teichmann

Die satellitenbasierte Fernerkundung (Remote Sensing) ermöglicht, langsam fortschreitende Prozesse im Einsatzraum von United Nations Peacekeeping Force in Cyprus (UNFICYP) zu erkennen. Die neue technische Möglichkeit kann ebenfalls Vorgänge erkennen, die abseits des sichtbaren Lichtes stattfinden und bis dato nicht identifizierbar waren. Der „Blick aus dem All“ ergänzt und optimiert das Lagebild im Einsatzraum dort, wo Patrouillen nicht fahren können oder aufgrund des Mandates nicht dürfen. Ein Mitarbeiter des Institutes für militärisches Geowesen trägt mit seinem Wissen dazu bei.

Der Geodienst, speziell der militärische, hat drei grundsätzliche Fragen mit seinen Produkten und Services zu beantworten:

  • Wo befinde ich mich?
  • Wie komme ich zu meinem Ziel/Einsatzraum?
  • Wie sieht es dort aus?

Die erste Frage nach dem Standort wird üblicherweise mit Koordinaten einer räumlichen Zuordnung des Kartenstandortes beantwortet. Das entsprechende MilGeo-Produkt sind Karten in unterschiedlicher Auflösung, Interoperabilität der Koordinaten oder der Adressen z. B. Universal Transverse Mercator Sytem (UTM) und Global Navigation Satellite Systems (GNSS) wie Global Positioning System (GPS) oder „Galileo“ der Europäischen Union zur weltweiten homogenen Verortung sowie eine fachspezifische Ausbildung. Die zweite Frage resultiert in einem „Navigation and Routing“ bzw. einer allgemeinen Wegbeschreibung. Dabei gibt es Unterschiede zwischen analog und digital (erfordert spezielle digitale Geodaten). Relevant ist hierbei die digitale Aufbereitung der Wegbeschaffenheit bei der Routenplanung (Distanz, Ausprägung der Straße, Geländeeigenschaften, verschiedene Wegstrecken, Einschränkungen usw.), die bisher der Mensch alleine beurteilt hat, um an das Ziel zu gelangen.

Die dritte Frage nach den Umfeldbedingungen im Zielort erfordert, abhängig vom Szenario, teilweise höchst komplexe Ausarbeitungen. Diese könnten neben diversen Themenkarten spezielle MilGeo-Daten aus dem Einsatzraum, aber auch vollständige Länderbeschreibungen inkludieren. Inhaltlich wären durch den MilGeo-Dienst alle relevanten Parameter einzubinden, die Auswirkung auf den militärischen Einsatz haben könnten (MilGeo-Faktoren-Analyse). Die Karteninhalte können mit Daten zu Gelände, Klima,   Geomorphologie, Lines of Communication (Straße, Schiene, Schiff, Flug), Vegetation, Gefahren und Humangeografie wie Ethnien oder Bevölkerungsdichte ergänzt werden. Sollte es aus diversen Gründen nicht möglich sein (z. B. Planungsverfahren, Zutritt, Gefahren, Entfernung usw.), den Einsatzraum vor Ort zu erkunden, dann sind Fernerkundungsdaten (englisch: Remote Sensing), speziell durch Satelliten, ein höchst erfolgreiches Mittel, das nachfolgend am Beispiel UNFICYP ausführlich erläutert wird.

Satellitenbasierte Fernerkundung bei UNFICYP

„Was geschieht in Varosha?“ war sinngemäß die Frage der Kommandantin der UN-Truppen an ihren Stab im Rahmen der täglichen Morgenbesprechung bei UNFICYP Anfang September 2020 (Varosha ist der südliche Ortsteil der Stadt Famagusta; Anm.). Die Frage zielte auf Bau- und Renovierungsarbeiten ab, die zu diesem Zeitpunkt in Varosha vermutet wurden, aber von den UN-Beobachtungsstellen und entlang des Patrouillenweges nicht erkannt werden konnten. Um den Beobachtungsbereich entscheidend zu vergrößern, begann der Kartografie-Trupp von UNFICYP auf Grundlage der satellitenbasierten Fernerkundung geografische Analysen und Produkte zu erstellen.

Varosha im Herbst 2020

Varosha liegt an der Ostküste Zyperns und befindet sich im Gebiet der nicht international anerkannten Türkischen Republik Nordzypern (TRNZ). Dieser Ortsteil war bis zur Intervention der Türkei im Nationalitätenkonflikt auf Zypern durch die Invasion 1974 und dem damit verbundenen fluchtartig verlassenen Ortsteil von Varosha vorwiegend griechisch-zyprisch besiedelt. Anfang der 1970er-Jahre genoss Varosha einen guten Ruf als zyprisches Tourismuszentrum und war Treffpunkt der Hautevolee im östlichen Mittelmeerraum – den Vergleich mit Saint Tropez brauchte Varosha damals nicht zu scheuen. Nach der Intervention der Türkei wurde Varosha plötzlich zum militärischen Sperrgebiet der Türkischen Republik Nordzypern (TRNZ) erklärt. Lediglich die Turkish Mainland Army (TMA), die Turkish Cyprus Security Forces (TCSF) und Patrouillen der UNFICYP dürfen sich darin bewegen und aufhalten.

Während der Präsidentschaftswahl in der TRNZ im Herbst 2020 wurde eine Öffnung Varoshas für die Öffentlichkeit immer wieder Inhalt des Wahlkampfes. Dies geschah im Zusammenhang mit der Frage zum Umgang mit der Republik Zypern (RZ) und der Lösung der seit Jahrzehnten andauernden Situation auf der Insel. Nach der Präsidentschaftswahl wurde durch den Sieger Ersin Tatar ein politischer Weg eingeschlagen, der die Öffnung von Varosha für die Allgemeinheit bedeutete. Als deutliches innenpolitisches und außenpolitisches Zeichen Richtung Republik Zypern (RZ) und Griechenland konnte das Zusammentreffen zwischen den Politikern Recep Tayyip Erdogan und Ersin Tatar am Strand von Varosha verstanden werden. Im Anschluss wurde Varosha für die Öffentlichkeit entlang von vorgegebenen Routen geöffnet.

Aufgrund der griechisch-zypriotischen Vergangenheit Varoshas und der Entwicklungen im Herbst 2020 im Umfeld der Präsidentschaftswahlen in der TRNZ wies UNFICYP/JMAC (Joint Mission Analysis Center) und die zuständige Stabszelle speziell auf eine mögliche intensive gesellschaftliche und politische Reaktion aus der RZ hin, die Potenzial besitzt, das Spannungsniveau zwischen RZ und TRNZ deutlich anzuheben. 

Grundsätzlich ist das Wissen über Entwicklungen innerhalb Varoshas und des gesamten Einsatzraumes für UNFICYP von essenzieller Bedeutung und zeugt gegenüber der Republik Zypern, der Türkischen Republik Nordzypern und auch dem UN-Sicherheitsrat von Verständnis über Geschehnisse im eigenen Verantwortungsbereich. Dies betrifft die unterschiedlichen Ebenen von den Sektoren, den Stabszellen, über den Chef des Stabes und die Kommandantin bis hin zur Leiterin der UN-Mission.

 

 

Situationsdarstellung und Veränderungsanalyse

Im Umfeld der satellitenbasierten Fernerkundung sind zwei wesentliche Geoproduktgruppen zu unterscheiden, die beim Kartografie-Trupp nachgefragt werden: Zum einen die Situationsdarstellung eines Raumes zu einem bestimmten Zeitpunkt und zum anderen die Identifikation und Kartierung von Veränderungen eines Raumes während einer definierten Zeitspanne.

Je unmittelbarer der Bedarfsträger in der Pufferzone auf Beobachtungsstellen bzw. Sektorenebene zu handeln hat, umso höher ist die Nachfrage nach aktuellen Satellitenbildkarten des Einsatzraumes. Diese ergänzen den Bestand an topografischen Karten in der täglichen Arbeit – Orientierung im Gelände und Identifikation sowie Ansprache von Objekten bzw. Geländeteilen.

Im Gegensatz dazu werden auf der Planungs- und obersten Führungsebene vermehrt Produkte nachgefragt, die Veränderungen aufzeigen und dokumentieren. Dabei umfassen die Produkte nicht nur kartografische Darstellungen, sondern auch Tabellen und Grafiken, die auf Auswerteergebnissen der Fernerkundungsdaten beruhen. Die einleitende Frage der Kommandantin, was denn in Varosha geschehe, ist eindeutig der zweiten Produktgruppe zuzuordnen – „Geschehen“ bedeutet Zustandsveränderung.
 

Nutzen der satellitenbasierten Fernerkundung

Der Einsatz von satellitenbasierter Fernerkundung (Remote Sensing) ermöglicht dem Bedarfsträger

  • einen ergänzenden Blickwinkel auf den Einsatzraum zu erhalten,
  • über Auswertung von Daten zu verschiedenen Zeitpunkten auch langsam fortschreitende Prozesse zu erkennen,
  • Vorgänge, die sich abseits des sichtbaren Lichtes abspielen, zu identifizieren und
  • die Situation im Einsatzraum zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit zu rekonstruieren.

 

Ergänzender Blickwinkel

Jenen großen Raum, den das Satellitenbild abdeckt, auf einmal betrachten zu können, lässt Zusammenhänge erkennen, die aus einer anderen Perspektive gedanklich nur sehr schwer zu bewerkstelligen sind – z. B. vom Boden, aus dem Fenster des Hubschraubers oder auf dem Bildschirm einer Drohnenkamera übertragung. Auch ist man den örtlichen Einschränkungen nicht unmittelbar unterworfen, z. B. Minengefahr, Sperrgebiet, Witterung, Überfluggenehmigung

Erkennen von langsamen Veränderungen

Die Kontingente in den Sektoren verfügen zum Ende ihres jeweiligen Turnus über ein sehr genaues Wissen darüber, was in ihren Sektoren geschieht – zumindest für den Verlauf ihrer Anwesenheit und je nach Qualität der Übergabe/Übernahme auch für jenes Geschehen vor ihrer Ankunft. Die fernerkundliche Zeitreihenanalyse ermöglicht, sehr langsam fortschreitende Prozesse im Gelände zu detektieren, die über mehrere Turnusse hinweg andauern bzw. für einen längeren Zeitraum, z. B. jahreszeitenbedingt, nicht wahrgenommen werden können.

Lichtspektrum

Da sich Sensoren von Fernerkundungssatelliten nicht auf das sichtbare Licht beschränken, können Phänomene detektiert werden, die dem menschlichen Auge sonst verborgen bleiben. Vegetationsbezogene Prozesse haben eine deutliche Erkennbarkeit im infraroten Spektralbereich. Veränderungen der Vegetation, wie sie z. B. bei Bautätigkeiten an der Erdoberfläche auftreten, sind klar in einem Infrarotbild erkennbar.

Vorgeschichte und Verlauf

Archivdaten erlauben die Rekonstruktion der Situation im Einsatzraum zu einem bestimmten Zeitpunkt. Grundsätzlich sind Bilder für den Zeitraum der vergangenen fünf Jahre verfügbar. Somit sind Satellitenbilder nicht nur ein „fescher“ Hintergrund bei großmaßstäbigen Karten, sondern ein wertvoller Informationsträger, der als Einzelbild oder im Zuge einer Zeitreihenanalyse einen Mehrwert für Entscheidungsprozesse im Einsatzraum liefert.

 

Relevante satellitenbasierte Fernerkundungsdaten für UNFICYP

Um diese Geoproduktgruppen mit satellitenbasierten Fernerkundungsdaten zu versorgen, stehen UNFICYP typischerweise folgende drei Quellen zur Verfügung:

  • Bildgebende Sentinel-Erdbeobachtungssatelliten der europäischen Weltraumorganisation (frei verfügbar): Multispektrale Bilder mit einer Bodenauflösung bis zu zehn m/Pixel und einer Wiederholrate von zehn Tagen.
  • Radar-Sentinel-Erdbeobachtungssatelliten der europäischen Weltraumorganisation (frei verfügbar): Radar mit synthetischer Apertur (SAR) im C-Band mit einer Bodenauflösung von ca. zehn m/Pixel und einer Wiederholrate von zwölf Tagen.
  • Bildgebende WorldView-Erdbeobachtungssatelliten des US-Unternehmens Maxar (kommerziell): Multispektrale Bilder (für UNFICYP nur Rot, Grün und Blau) mit einer Bodenauflösung von ca. 35 cm/Pixel. Der Aufnahmezeitpunkt wird vom Kunden vorgegeben und kann sich auf Zypern wöchentlich oder mehrmonatlich wiederholen. UNFICYP besitzt nur einen Zugang zu Archivdaten – zu jenen Bildern, die von anderen Kunden in Auftrag gegeben wurden. Alleine die Verfügbarkeit eines neuen Satellitenbildes im Archiv mit seiner geografischen Ausdehnung und seinem Aufnahmezeitpunkt wird an die zuständige Stabszelle weitergemeldet und dient der Ergänzung des umfassenden Lagebildes.
     

Verwendung hochauflösender Satellitenbilder

Detailgenauigkeit ist die große Stärke hochauflösender Satellitenbilder (35 cm/Pixel), und diese Stärke wird vorrangig für großmaßstäbige Satellitenbildkarten, die Texturierung von 3D-Geländemodellen, die Verifizierung kleinräumiger Sachverhalte und für die visuelle Veränderungsanalyse eingesetzt.

Das Erkennen von Fahrzeugen, Straßenmarkierungen oder Schützengräben ist dabei möglich; speziell für die Frage, was in Varosha geschieht, sind Veränderungen an Gebäudedächern und der Verkehrsinfrastruktur in dieser Auflösung gut erkennbar. Herausfordernd sind Bildvergleiche bei Veränderungsanalysen dann, wenn ein Farbbild mit einem Grauwerte-Bild zu vergleichen ist, die Tageszeit der Aufnahmen und somit die Schattenwürfe nicht gleich sind oder sich die Aufnahmerichtung der Bilder unterscheidet und somit hohe Objekte, z. B. Häuser oder Bäume, in verschiedene Richtungen in den Bildern kippen.

Im Zusammenhang mit Satellitenbildern mittlerer Auflösung werden hochauflösende Bilder einerseits zur Qualitätskontrolle der automatisierten Auswerteverfahren genutzt. Andererseits werden die hochauflösenden Bilder speziell dort genauer ausgewertet, wo das automatisierte Verfahren eine Abnormität detektiert; eine Form der kartografischen Schwergewichtsbildung für die visuelle Auswertung.

 

Verwendung von Satelliten-bildern mittlerer Auflösung

Der große Vorteil dieser Bilder (zehn m/Pixel) im Vergleich zu den hochauflösenden Bildern ist – neben dem zusätzlichen Farbkanal für infrarotes Licht – die regelmäßige Verfügbarkeit neuer Aufnahmen. Diese Verfügbarkeit erlaubt es, Analyseprozesse zu realisieren, die in der gleichen Regelmäßigkeit standardisierte Geoprodukte den Bedarfsträgern zur Verfügung stellen. Darunter fallen Veränderungsanalysen der Vegetation in Varosha, die Dokumentation des Baufortschrittes eines Flugfeldes in Mammari (Ortschaft etwa zehn Kilometer westlich Nikosias) oder die Identifikation von Gas- bzw. Ölbohrschiffen in der Bucht von Tasucu (türkisches Gebiet, nördlich Zyperns).

Abgesehen davon werden diese Satellitenbilder als Kartenhintergrund bei mittel- und kleinmaßstäbigen Karten – Maßstab 1:50 000 oder kleiner – eingesetzt und können durch den regelmäßigen Aufnahmezyklus auch die jeweilige jahreszeitliche Situation darstellen. Sollte durch Wolken der gewünschte Bildausschnitt unbrauchbar sein, steht die Radarfernerkundung als Alternative zur Verfügung. Mit Stand März 2021 wird diese Technologie bei UNFICYP für die Identifikation von Gas- bzw. Ölbohrschiffen und zur Kartierung großer ebener Flächen (z. B. Start- und Landebahnen) genutzt. Eine Nutzungserweiterung der Radardaten hinsichtlich einer interferometrischen Analyse der Oberflächenveränderung befindet sich in Konzeption.
 

Geoprodukte

Die praktische Umsetzung dieser Produkte erfolgt mit den freien Softwarepaketen SNAP (Auswertesoftware für satellitenbasierte Fernerkundungsdaten) und QGIS (Geografisches Informationssystem für räumliche Analysen und kartografische Gestaltung). Am Ende der Verarbeitung steht eine Karte im Pdf-Format in jeglicher Standardpapiergröße (A4 bis A0) und Sondergrößen zur Verfügung; je nach räumlicher Ausdehnung des Interessengebietes und des benötigten Maßstabes bzw. nach der Bodenauflösung. Ob die Bereitstellung des Pdf-Dokumentes auf einer Online-Plattform ausreicht oder ein Ausdruck über den Plotter des Kartografietrupps (HP T2530) notwendig ist, liegt im Ermessen des Bedarfsträgers. Speziell für Stabsbesprechungen wird zusätzlich die Darstellung auf einer Präsentationsfolie angefordert, was eine minimalistische Gestaltung des kartografischen Anteiles an der Folie zur Folge hat.
 

Fazit

Generell sind diese fernerkundungsbasierten Geoprodukte weder ein Ersatz für topografische Karten noch ersetzen sie die Aufklärung vor Ort. Aber diese speziellen Produkte ergänzen das Verständnis für den Einsatzraum zum momentanen Zeitpunkt, zu einem beliebigen Zeitpunkt in der näheren Vergangenheit und dem Geschehen dazwischen.

 

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