• Veröffentlichungsdatum : 24.01.2022
  • – Letztes Update : 26.01.2022

  • 10 Min -
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Bergkarabach: Friedhof des Kampfpanzers?

Jörg Loidolt

Am 27. September 2020, kurz nach Beginn der erneuten Kämpfe um Bergkarabach, erreichten die ersten Videoaufnahmen von Drohnenangriffen auf Kampfpanzer über Soziale Medien und Nachrichtenkanäle eine breite Öffentlichkeit. Unmittelbar darauf folgte die „Analyse“, dass am Kaukasus endgültig das Ende des Kampfpanzers gekommen sei. Die Bilder waren verheerend. Eine für Panzerbesatzungen unsichtbare Waffe schaltete ein Fahrzeug nach dem anderen aus. Dabei sah man praktisch nur Turmtreffer, die häufig zur Umsetzung der Munition führten und damit einen Totalausfall verursachten. Drastische Beschreibungen vom „Dinosaurier auf dem Gefechtsfeld“, der durch „modernste Flugroboter“ ausgeschaltet wird, waren rasch zur Hand. Die „Wunderwaffe“ Unmanned Aerial Vehicle (UAV) – die Drohne – zeichnete binnen weniger Tage ein neues Bild des Krieges, das sich rasch zu verfestigen schien. Doch entspricht dieses Bild der Wahrheit und hält es auch einer näheren Betrachtung stand?

Ziel dieses Beitrages ist es, die in der Einleitung beschriebene Schlussfolgerung, die sich vor allem auf Twitter- und Telegram-Meldungen stützt (die sich auf Filmsequenzen der Bordkameras von Drohnen beziehen), ohne Polemik zu beantworten, um einen Diskurs auf militärwissenschaftlicher Basis führen zu können. Dazu muss der Konflikt um Bergkarabach ab dem Jahr 2016 analysiert werden, da ab diesem Zeitpunkt Drohnen in militärisch bedeutender Stückzahl zum Einsatz gekommen sind. Die Wirkungsweise ausgewählter Systeme der „Wunderwaffe Drohne“ werden den Leistungsparametern eingeführter Luftabwehrsysteme gegenübergestellt, um danach geeignete Gegenmaßnahmen zu beschreiben.

Drohnenkrieg in Bergkarabach

Im April 2016 wurden die ersten Berichte über Drohneneinsätze sowohl der Armenier als auch der Aserbaidschaner bekannt. Armenien stützte sich auf Eigenentwicklungen, während Aserbaidschan über mehrere israelische Fabrikate verfügte. Schon aus diesen Gefechten zogen die beiden Streitparteien unterschiedliche Schlüsse. Jerewan vertraute weiter auf sein sowjetisch-russisches Waffenarsenal (besonders bei der Luftabwehr), aber auch auf die Unterstützung der im Land stationierten Russen. Baku arbeitete hingegen an seiner Drohnenkapazität und verstärkte dadurch die Achse nach Ankara. Neben dem Kauf der „Bayraktar“ TB2, eines türkischen „Verkaufsschlagers“, der seine künstliche Intelligenz bereits in Syrien und Libyen trainieren konnte, wurde die militärische Zusammenarbeit mit der Türkei gesucht.

Im Vorfeld zum Herbstkrieg 2020 kam es im Juli zu erneuten Drohnenscharmützeln. Die Armenier vernichteten in der nordwestlichen Grenzregion Tawsuch 13 gegnerische UAVs. Dies gelang mit herkömmlichen Mitteln, da sich die Fliegerabwehrkräfte gezielt auf die Drohnenabwehr vorbereiteten. Aserbaidschan setzte neben den israelischen Typen „Orbiter“ 2 und 3, „Skystriker“, „Hermes“ 900 und „Harop“ auch türkische Systeme ein. Wer diese Drohnen gelenkt hatte, bleibt unklar. Das große Geschick, mit dem sie gesteuert wurden, untermauert die These, dass türkisches Personal involviert gewesen sei. Armenien schien sich auf seinem Weg bestätigt, die Drohnenbedrohung unter Kontrolle zu halten und bei der Abwehr militärischer Angriffe auf die konventionelle Verteidigung abgestützt auf starkes Gelände zu setzen. Aserbaidschan hingegen hatte wesentliche Erfahrungen gesammelt, um Ende September zum entscheidenden Schlag anzusetzen.

Der Auftakt zu den Kampfhandlungen Ende September 2020 erfolgte seitens der Regierung in Baku durch einen bemerkenswerten Zug. Alte Antonov-Doppeldecker wurden ferngesteuert in den armenischen Luftabwehrschirm geflogen und erreichten das erwartete Ergebnis. Die armenische Fliegerabwehr konzentrierte sich auf die langsam fliegenden großen Flugzeuge und bekämpfte diese. Gleichzeitig mit den Doppeldeckern waren aber auch „Anka“-Aufklärungsdrohnen in den Luftraum eingedrungen. Aufgrund ihres kleinen Radarquerschnittes konnten sie jedoch nicht detektiert werden. Die Aufklärungsdrohnen übermittelten ihre Ergebnisse an die aserbaidschanische Luftraumbewirtschaftung, die daraufhin Drohnen vom Typ „Bayraktar“ TB2 auf die Radarsysteme und Luftabwehrstellungen der Armenier steuerte. So gelang es bereits in den ersten Tagen, praktisch die gesamte gegnerische Luftabwehr zu vernichten. Damit waren die Bodensysteme leichte Ziele für den weiteren massiven Einsatz von Kampfdrohnen und Loitering Munition (Kamikaze-Drohnen). Jedoch waren nicht nur Kampfpanzer im Visier, sondern vor allem Steilfeuerwaffen wie Panzerartillerie, gezogene Artillerie, Mörser und Granatwerfer. Diese Systeme erlitten größere Verluste als die stark gepanzerten Waffenplattformen. Schließlich wurden auch ungeschützte Infanteriezüge angegriffen – ebenfalls mit erheblichen Verlusten.

Die anschließende Bodenoffensive der Aserbaidschaner versuchten die Armenier mit Gegenangriffen zu stoppen und das für sie vorteilhafte Gelände zu nutzen. Der fehlende Luftabwehrschirm führte trotz lokaler Erfolge zu weiteren Verlusten. 44 Tage nach Beginn der Kampfhandlungen trat am 10. November 2020 ein von Moskau ausverhandelter Waffenstillstand in Kraft. Der armenische Präsident musste die Niederlage auf der ganzen Linie eingestehen. Baku feierte den Sieg mit einer großen Parade, bei der zahlreiches Beutegerät präsentiert wurde. Die Führung in Baku verschwieg jedoch, dass es auf ihrer Seite etwa 3.000 Gefallene zu beklagen gab. Diese hohen Ausfallszahlen sind der Bodenoffensive geschuldet, die mit konventionellen Mitteln geführt wurde. Dabei wurden 56 Kampfpanzer zumindest kampfunfähig geschossen – aber nicht von Drohnen, sondern von den verbliebenen mechanisierten Kräften der Armenier.

 

Kein Sieg ohne Drohnen?

Worin liegen die Gründe für den scheinbar leichten Sieg in diesem „ersten Drohnenkrieg“? Zuerst muss erneut auf die Geschichte des Konfliktes verwiesen werden: Bei diesem standen sich altbekannte Gegner gegenüber und das Gelände war beiden Seiten bestens vertraut. Vorangegangene Gefechte und Scharmützel, gepaart mit ständiger Aufklärung führten – besonders auf der Seite Aserbaidschans – zu einem sehr klaren Lagebild. Auf der Seite Bakus waren die Türkei und Israel starke Verbündete, die gleichzeitig ihre eigenen Interessen verfolgten. Jerewan hingegen hatte sich seit dem Regierungswechsel im Jahr 2018 von Moskau entfernt. Daher zeigten die Russen wenig Ambitionen, die volle Wirkung als Schutzmacht zu zeigen, obwohl sie zahlreiche Lehren aus dem Einsatz der Drohnen ziehen konnten. Eine völlige Neuordnung des Raumes zugunsten der Achse Ankara-Baku konnte Moskau jedoch nicht zulassen, was der rasche Waffenstillstand unterstreicht.

Die COVID-19-Pandemie begünstigte das Vorhaben Aserbaidschans ebenfalls. Durch diese war die Weltöffentlichkeit (im Besonderen die EU) abgelenkt und uneins, wie man auf den Konflikt reagieren sollte. Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Aspekt ist der multimediale, digitale und globale Informationsraum, der Teil der Offensive war. Die Videos über zerstörte Kampfpanzer prägten sofort das Bild dieses Krieges. Das Narrativ war klar: Gegen diesen Feind (Drohnen aus Aserbaidschan) gibt es keinen Schutz, die Kapitulation ist der einzige Ausweg!

Die aserbaidschanische Medienoperation hatte eine verheerende Wirkung auf die Moral der armenischen Truppen. Teilweise unterstrichen die Armenier diese Botschaft sogar, beispielsweise als Videos von Kamikaze-Drohnenangriffen auf schutzlose Infanteristen in den Sozialen Medien auftauchten. Die fehlende Tarnung der elektromagnetischen Abstrahlung durch fahrlässig mitgeführte und eingeschaltete Mobiltelefone erwies sich als tödlich. Aber auch taktisch und gefechtstechnisch zeigten sich die armenischen Kräfte nicht auf der Höhe der Zeit. So wurden Verbände ohne entsprechenden Luftabwehrschirm konzentriert. Fehlende künstliche und natürliche Tarnung, vermutlich in der irrigen Annahme, dass dies aufgrund der Sättigung des Raumes mit Sensoren sowieso sinnlos sei, taten ihr Übriges.

 

Unerkannte Bedrohung

Die besten Täuschungsmaßnahmen helfen nichts, wenn die Bedrohung gegen Drohnen praktisch nicht aufgeklärt wird und diese folglich nicht bekämpft werden können. Warum sie schwer zu detektieren sind, liegt an mehreren Faktoren.
Luftabwehrsysteme stützen sich zur Zielerfassung auf die Radartechnologie. Diese ist jedoch auf die Bedrohungen des 20. Jahrhunderts (Kampfjets und -hubschrauber) ausgelegt. Ein herkömmliches Kurzstreckensuchradar bestreicht die Winkelgruppe von 0 bis 70 Grad (mit Fokus auf 10 bis 50 Grad), um erfolgreich nach gegnerischen Luftfahrzeugen zu suchen. In diesem Bereich wirft das Radar (laienhaft ausgedrückt) ein Netz aus und sucht Flugobjekte mit einer Zielradarrückstrahlfläche (Radarquerschnitt) größer oder gleich einem Quadratmeter. Die vorher beschriebenen Antonov-Doppeldecker weisen einen Radarquerschnitt von mehr als 2 m² auf und werden leicht erkannt. Dieses grobmaschige Netz ist allerdings ungeeignet, um kleinere unbemannte Flugobjekte zu erkennen. So unterschreitet die von Aserbaidschan eingesetzte „Anka“-Aufklärungsdrohne bereits die Marke von 1 m² Radarquerschnitt.

Noch schwieriger wird es bei Kampfdrohnen. Das Hauptwirkmittel in diesem Krieg, die türkische waffenfähige Aufklärungsdrohne Bayraktar TB2, unterschreitet mit 0,5 m² den notwendigen Radarquerschnitt deutlich. Somit kann sie in den Sichtbereich eines Kurzstreckenradars (bis zu 12 km) zumeist unbemerkt eindringen. Vom äußeren Rand des Sichtbereiches klinkt sie dann lasergelenkte Luft-Boden-Waffen aus. Die Gleitbombe MAM-C/L (Mini-Präzisionsbombe mit Laserleitsystem), mit der die „Bayraktar“ TB2 bestückt ist, besitzt eine Reichweite von 8 bis 14 km bei einem Radarquerschnitt unter 0,05 m². Sie ist für Radarsysteme praktisch unsichtbar, da die MAM keinen Antrieb besitzt und in das Ziel gleitet, ist sie auch für Wärmebildgeräte schwer zu erfassen.

 

Zur Veranschaulichung: Das Radar müsste ein Papiertaschentuch in 8 km Entfernung erkennen und verfolgen. In wenigen Sekunden müsste der Effektor aufgeschaltet und ins Ziel geführt werden. Zusätzlich potenziert sich die Gefahr durch die Geschwindigkeit von bis zu 60 m/s (216 km/h). Die Bekämpfung dieser Kleinstziele ist derzeit kaum möglich. Allerdings muss die Trägerdrohne mit ihrem Wirkmittel eine Quasi-Sichtlinie halten, um dieses ins Ziel zu steuern. Daher gilt es, über geeignete Mittel zu verfügen, um die Trägerdrohne zu zerstören, bevor sie die Gleitbombe ausklinkt.
Einen niedrigen Trägerdrohnen-Radarquerschnitt haben auch laser-gelenkte Luft-Boden-Waffen (Kamikaze-Drohnen) wie die israelische „Harop“ oder die „Orbiter“ K mit einem Wert von 0,1 bzw. 0,05 m².

Da sie im Gegensatz zur MAM aber nicht durch Trägheit und Erdbeschleunigung ins Ziel getragen werden, sondern über einen Antrieb verfügen, erreichen sie deutlich höhere Geschwindigkeiten von über 115 m/s (414 km/h). Hinzu kommt, dass ihr Angriffswinkel im Bereich von 45 und 85 Grad liegt, und somit außerhalb des radarbestrichenen Raumes. Neben all diesen Vorteilen aufseiten der Drohnen können rotierende 360-Grad-Radaranlagen keine permanente Radarwand in eine Richtung projizieren, da ihr Netz im Kreis geschwenkt wird. Dadurch verringert sich die Erkennungswahrscheinlichkeit zusätzlich.

Die beschriebenen Fakten zeigen eines deutlich: Drohnen ermöglichen es auch kleinen Streitkräften, die Luftüberlegenheit zu erreichen. Durch die anfängliche Vernichtung der feindlichen Luftabwehr können sie danach auf der taktischen, bodengebundenen Ebene erhebliche Erfolge erzielen. Ist der Luftabwehrschirm durchbrochen, sind Waffensysteme, die das Vorgehen von Bodentruppen verhindern oder zumindest hemmen können, bevorzugte Ziele. Steilfeuerwaffen und mechanisierte Verbände sind die Nächsten in der Prioritätenliste. Sind diese zerschlagen, folgen Versorgungseinrichtungen sowie -fahrzeuge und letztlich die ungeschützte Infanterie.

Folgerung und Maßnahmen

Die Folgerung, dass Kampfpanzer – zurzeit – leichte Ziele für Kampf- und Kamikaze-Drohnen sind, ist grundsätzlich richtig. Die daraus abzuleitende Schlussfolgerung, diese Waffengattung deshalb abzuschaffen, ist eine zwar mögliche, aber nicht zielführende Antwort. Ohne Kampfpanzer werden Drohnen die nächstgefährlicheren Ziele (gehärtete oder ungehärtete Bodentruppen) rascher angreifen und vernichten. Das Fehlen von Kampfpanzern erhöht aber nicht nur die Drohnengefahr für solche Truppen, sondern schmälert die taktische Reaktionsfähigkeit gegen feindliche Kampfpanzer maßgeblich. Hätte Armenien über keine Kampfpanzer verfügt, hätten sie den vorrückenden aserbaidschanischen Panzern keine Verluste zufügen können und einen noch wesentlicheren Nachteil in dieser Phase des Krieges gehabt. Die richtige Folgerung lautet somit: Aserbaidschan hat den Krieg durch den Einsatz von Drohnen und Kampfpanzern gewonnen. Schließlich können Drohnen kein Gelände in Besitz nehmen und halten. Das Ziel der Beurteilung von Streitkräften muss es sein, dieser neuen Bedrohung adäquat zu begegnen, bevor man sich hastig von bewährtem Gerät trennt. Sofort umsetzbar sind Maßnahmen, die schon seit Beginn des Ukraine-Konfliktes gelten sollten. So haben Mobiltelefone nichts in der Ausrüstung von Soldaten auf dem Gefechtsfeld des 21. Jahrhunderts verloren. Sie sind eine Einladung zum Beschuss inklusive Zielzuweisung durch Steilfeuer und/oder Drohnen. Tarnmaßnahmen müssen immer und überall ergriffen werden. Zusätzlich erschweren Täuschungs- und Verschleierungsmaßnahmen (beispielsweise durch stetige Bewegungen) und die Massierung von eigenen Kräften nur im unbedingt notwendigen Ausmaß die Aufklärung.

Zum Bekämpfen von Drohnen bedarf es anderer Mittel als der „althergebrachten“. Gegen eine Konfliktpartei (staatlich oder nicht-staatlich), die Drohnen einsetzt, ist eine mobile Luftverteidigung notwendig. Diese muss mit starren, engmaschigen Sensoren im Bereich der Akustik, der visuellen und ultravioletten/infraroten Optik, der elektromagnetischen Strahlung und des Radars ausgestattet und vernetzt sein, aber auch über Effektoren von Geschützen, Luftabwehrraketen bis zu Jammern und Jagddrohnen verfügen. Zum unmittelbaren Schutz der Truppe und ihrer Gefechtsfahrzeuge muss sich die Fliegerabwehr aller Truppen neu orientieren. Waffenstationen, wie sie die Deutsche Bundeswehr bei der Enhance forward Presence einsetzt oder eine reaktive kinetische Panzerung in Verbindung mit Radar können diese Waffenplattformen vor der unmittelbaren Drohnenbedrohung schützen.

Derart ausgestattete Kampfpanzer würden nicht nur sich selbst und seine Besatzungen schützen, sondern auch einen inneren Nah- und Nächstschutzschirm für ungehärtete Kräfte bieten. Die grundsätzliche Konzeption dieser Fahrzeuge durch ihre inhärente Panzerung und Beweglichkeit gepaart mit der Möglichkeit zur Erweiterung mit neuen Systemen ermöglicht dies. So ausgestattet stehen Kampfpanzer weiter für den bodengebundenen Kampf zur Verfügung, um die Truppen, die nach den Drohnen kommen, wirksam zu bekämpfen. Das spricht für den Erhalt und die Adaptierung von Kampfpanzern und gegen deren Stilllegung in modernen Streitkräften, auch weil diese die Fußsoldaten vor unterschiedslos wirkenden Kamikaze-Drohnen schützen.

Oberstleutnant Mag.(FH) Jörg Loidolt, MA; Kommandant Panzerbataillon 14.

 

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