• Veröffentlichungsdatum : 07.10.2021
  • – Letztes Update : 12.10.2021

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Binationale Artillerie-Kooperation

Michael Vitovec, Alexander Corrieri

Österreich - Lettland

2017 kaufte Lettland die bei der Neuorganisation der österreichischen Streitkräfte über Stand geführten Panzerhaubitzen M-109 A5Ö, um eigene Artilleriekräfte aufzubauen. Seit dieser Zeit werden lettische Soldaten auf dem System M-109 im Aufklärungs- und Artilleriebataillon 4 aus- und fortgebildet. Von dieser Kooperation profitiert auch das Bundesheer.

Aufgrund der Entscheidung Mitte der 2000er-Jahre, die Streitkräfte Österreichs zu reduzieren, löste das damalige Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport im Bereich der Panzerartillerie zwei Regimenter und ein Bataillon auf. Der ursprüngliche Bedarf – es sollten insgesamt 162 M-109 A5Ö betrieben werden – war auf einem Schlag nicht mehr gegeben. Die neu entstandenen Aufklärungs- und Artilleriebataillone (AAB) hatten im Vergleich zu den Panzerartilleriebataillonen mit drei Batterien nur noch zwei schießende Batterien, so dass die 54 M-109 Panzerhaubitzen im Jahr 2000 zum Panzerartilleriebataillon 3 (PzAB3) und 9 (PzAB9) zugelaufenen Geschütze jetzt für alle drei verbliebenen AAB an den Standorten Allentsteig, Mistelbach und Feldbach ausreichten. Das ebenfalls zu diesem Zeitpunkt in den eigenen Heereszeuganstalten laufende Umbauprogramm auf die derzeitige Version M-109 A5Ö wurde nach 53 Panzerhaubitzen abgebrochen.

Für die bereits generalüberholten und kampfwertgesteigerten Geschütze wurde nun ein Kunde gesucht. Nach langer erfolgloser Suche – es war bereits die Entscheidung gefällt worden, die übriggebliebenen Panzerhaubitzen mangels Käufern zu verschrotten – bekundete plötzlich Lettland sein Interesse. Nach relativ kurzer Zeit schien es für Lettland klar, dass die im Einsatz befindliche M-109 für deren Zwecke geeignet sei. Die lettischen Streitkräfte waren gerade dabei, ihre erste mechanisierte Brigade aufzubauen und zu betreiben. Die Einführung eines neuen komplexen Waffensystems stellte die Letten vor die Herausforderung, das richtige und beste System für die Streitkräfte zu finden, wenngleich die M-109 in dieser Beziehung vermutlich das „gutmütigste System“ ist.

In Lettland gibt es kein Systemmanagement, wie es in Österreich implementiert ist. Ein eigener Projektleiter direkt unter dem National Armament Director ist dort für die Einführung neuer Systeme verantwortlich. Dieser muss für alle Angelegenheiten auf die Expertise der Streitkräfte – da gibt es einzelne wenige Spezialisten in der Brigade und im neu aufgestellten Bataillon – zurückgreifen. Es verwundert daher nicht, dass Lettland an den in Österreich etablierten Verfahren und Lösungen sehr interessiert war, zumal eine Vielzahl der lettischen Artilleristen in Österreich ausgebildet wurde.

Umsetzung im AAB4

2017 führte das AAB4 die Ausbildung von Panzerfahrern M-109 und Geschützbedienungen M-109 A5Ö durch (siehe dazu TD-Heft 3/2017, „Haubitzen für Riga“). Ergänzend dazu wurden und werden laufend über die Heereslogistikschule (HLogS) Mechaniker für die Bereiche Wanne und Turm ausgebildet. Ziel der Ausbildung war es, funktionale Elemente heranzubilden, die die Fähigkeit zum scharfen Schuss haben. Die Ausbildungsdauer umfasste den Zeitraum von Februar bis August 2017, was mit der Kaderanwärter-Ausbildung 2 (KAA2) im Bundesheer vergleichbar ist. Den Abschluss bildeten mehrere Scharfschießen auf Ebene Batterie. Die Ausbildung fand weitgehend in englischer Sprache statt, die phasenweise ein Sprachmittler unterstützte. Während dieser Ausbildungsgänge entwickelte sich eine Kooperation zwischen dem österreichischen und lettischen Bataillon, die sich bereits im Herbst 2017 mit dem Scharfschießen des AAB4 in der Übungsserie „Handwerk“ der 4. Panzergrenadierbrigade fortsetzte.

Herausforderungen

Die sprachliche Hürde konnte das Personal des AAB4 durch vorgestaffelte Ausbildung, gute Deutschkenntnisse einiger lettischer Soldaten sowie durch das Vorhandensein von Gerätevorschriften der Panzerhaubitze M-109 in englischer Sprache rasch überwinden. Eine weitere Herausforderung war, dass die lettischen Streitkräfte noch kein elektronisches Feuerleitsystem (Waffeneinsatzsystem) verwendeten. Dieser Umstand zwang beide Seiten zur Übermittlung mittels gesprochener Sprache und zur Anwendung des im Bundesheer nach wie vor eingeführten Systems des „Plantisches“, bei dem die feuerleittechnischen Daten noch analog errechnet werden.

 

Vorteile

Durch die Kooperation mit den lettischen Artilleristen konnten die Soldaten des AAB4 ihre Kenntnisse von artilleristischen Verfahren und Abläufen sowie die Gerätekunde deutlich vertiefen bzw. verbessern. Die Inhalte waren folgende:

  • Anwendung des Verfahrens „Plantisch“ als alternatives Verfahren der Feuerleitung und -anforderung;
  • intensive Fortbildung in der Waffengattung auch in englischer Sprache;
  • Erhöhung der Anzahl der schießenden Elemente durch lettische Soldaten in Zeiten der Reduktion von Grundwehrdienern und somit die Möglichkeit der multinationalen Feuerleitung durch den Bataillonsstab des AAB4;
  • Nutzung der durch Lettland beigestellten Munition auch für Teile des AAB4;
  • Vertiefung der Kenntnisse in internationalen Verfahren der Feuerunterstützung, besonders im Bereich „Joint Fire Support“;
  • Verfügbarkeit von Trainingsanlagen für die im AAB4 vorhandenen „Joint Terminal Attack Controler“ (JTAC) im Artilleriebataillon der lettischen Streitkräfte;
  • Bestätigung der Notwendigkeit des seit Langem betriebenen Projektes der Schnittstelle zu einer internationalen Kooperation von Artillerie-Waffeneinsatz-Systemen (Artillery Systems Cooperation Activities);
  • Bestätigung des Aufklärungs- und Wirkungsverbundes sowohl in der Wirkung „Boden – Boden“ (Steilfeuer) als auch „Luft – Boden“ (Luftnahunterstützung – Close Air Support) sowie dessen Koordinierung im Bataillonsstab des AAB4;
  • Möglichkeit der Teilnahme an gemeinsamen Übungen und Scharfschießen in Österreich und Lettland;
  • sinnvolle Ergänzung zu den bereits bestehenden Partnerschaften und Kooperationen mit dem Gebirgsaufklärungsbataillon 230 sowie dem Artilleriebataillon 131 (beide Deutsche Bundeswehr).

Synergien

Aus all diesen oben angeführten Punkten ergaben sich auch zahlreiche Synergien innerhalb des Bundesheeres. So entwickelten sich neben dem reinen Verkauf der Panzerhaubitzen M-109 zwei Kooperationsfelder: der Ersatz der Richtkreise und die Ausbildungsanlage Turm. Die Kooperationen zur Bereitstellung gemeinsamer Ausrüstungen dauern normalerweise länger, weil die Harmonisierung der Forderungen, der Budgets und der rechtlichen Voraussetzungen zusätzlich zu beachten ist. Trotzdem rentiert sich die kooperative Beschaffung, da über die dadurch im Umlauf befindlichen höheren Stückzahlen oftmals ein besserer Preis erzielt werden kann und internationale Programme meistens stabiler sind, da diese Neupriorisierungen nicht in dem Ausmaß unterworfen sind wie reine nationale Vorhaben. Für Österreich ergibt sich der Vorteil, dass in der durchgeführten Vergabe aufgrund der größeren zu beschaffenden Menge der Preis deutlich gesenkt werden konnte. Ein Beispiel ist die Beschaffung des neuen Ausrüstungssatzes für die Erkundungs- und Vermessungsgruppen.

Auf einen Blick

Der Verkauf der überzähligen M-109 und die daraus entstandene Kooperation mit Lettland brachten einen wesentlichen Vorteil für die Artillerietruppe in Österreich im Allgemeinen und für das AAB4 im Besonderen. Es ist somit die Basis gelegt, um die Kooperation zu erweitern und zu vertiefen. Damit können wesentliche Erkenntnisse und Weiterentwicklungen im Bereich Joint Fire Support für die 4. Panzergrenadierbrigade und die Streitkräfte gewonnen werden. (siehe: Implementierung von Fähigkeiten zur „Streitkräftegemeinsamen Taktischen Feuerunterstützung“). Aus Sicht des AAB4 ist diese Kooperation ein Erfolgsprojekt, da die Zusammenarbeit zwischen den Bataillonen funktioniert, was „kurze Wege“ ermöglicht. Zusätzlich kann durch die Abbildung von mehreren zusätzlichen schießenden Elementen die Ambition des Feuerleitverbundes auf Ebene Bataillon sichergestellt werden.

Dass eine Zusammenarbeit mit anderen Streitkräften für das Bataillon und jeden einzelnen Soldaten einen Motivationsschub erzeugt, zeigten die bisherigen gemeinsamen Vorhaben. Die Fortsetzung des Projektes wird die bisherigen Effekte der effizienten Ressourcennutzung und Beschaffung, des Mehrwertes im Bereich des Feuerleitverbundes sowie der Verbesserung der gefechtstechnischen Abläufe noch verstärken.

TD-Artikel: Haubitzen für Riga

Oberstleutnant Michael Vitovec, MSD; Kommandant des Aufklärungs- und Artilleriebataillon 4.

Oberst dhmtD Dipl.-Ing. Alexander Corrieri; Leiter Referat Gepanzerte Kampf- und Gefechtsfahrzeuge im Amt für Rüstung und Beschaffung.

 

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