Blutungen - Versorgung auf dem Gefechtsfeld
Studien der U.S. Army zeigen, dass in aktuellen militärischen Konflikten Verwundungen an Blutgefäßen wesentlich häufiger auftreten als früher. Verwundete benötigen deshalb einfache und schnell wirksame Verbandstoffe. Diese sind die Grundlage einer raschen und effektiven Wundversorgung und Blutstillung. Die Qualität der Sanitätsversorgung auf dem Gefechtsfeld ist für viele Soldaten eine Frage des Überlebens.
Ein neues Phänomen
Epidemiologische Studien des Sanitätsdienstes der U.S. Army zeigen, dass in aktuellen militärischen Konflikten Verwundungen, bei denen Blutgefäße verletzt werden, fünfmal häufiger auftreten als in vorangegangen Auseinandersetzungen. Diese Steigerung ist unter anderem auf die asymmetrische Kriegsführung, das Tempo der Gefechtssituationen, aber auch auf eine verbesserte Dokumentation von Kampfhandlungen zurückzuführen. Ein neues Phänomen in aktuellen Konflikten sind IED (Improvised Explosive Devices - improvisierte Sprengvorrichtungen). Diese verursachen durch ihre Splitterwirkung multiple Verletzungsmuster und erhöhen dadurch die Häufigkeit von Gefäßverletzungen.
Verletzungen an Blutgefäßen und der damit einhergehende starke Blutverlust sowie Ischämien (Minderdurchblutung oder vollständiger Ausfall der Durchblutung eines Gewebes oder Organes) stellen eine häufige Todesursache dar. Diese Verwundungen gehören aber der Gruppe der potenziell vermeidbarsten Todesfälle an.
Schwer verletzte Patienten zu versorgen, ist bereits im zivilen Umfeld eine große Herausforderung für die beteiligten Personen. Auf dem Gefechtsfeld ist zusätzlich mit feindlichem Beschuss, langen Wegzeiten und einer schwierigen Versorgungslage zu rechnen.
Die an der Erstversorgung beteiligten Kräfte benötigen schnell wirksame Verbandstoffe, um eine rasche und effektive Wundversorgung und Blutstillung zu erzielen. Diese Verbandstoffe müssen auch in Stress-Situationen sicher anzuwenden sein. Die Aus- und Weiterbildung an solchen speziellen Verbandstoffen wird im Österreichischen Bundesheer durch Sanitätsunteroffiziere (konkret durch die Trainer für erweiterte Verwundetenversorgung auf dem Gefechtsfeld) sichergestellt.
Ergebnisse
- blutflussstoppende Eigenschaften von Hämostatika und taktischen Abschnürbinden,
- die Steigerung der Überlebensrate durch ihre Verwendung und die
- Anwendungssicherheit der Verbände.
Eigenschaften von Hämostatika und Abschnürbinden
Verschiedene Abschnürsysteme konnten ihre Wirksamkeit hinsichtlich der blutflussstoppenden Eigenschaft in der Praxis belegen. Die im Laborversuch erhobenen Ergebnisse decken sich mit den Erfahrungen im Gefecht.
Bei den Tests konnten jedoch nicht alle Abschnürsysteme überzeugen. So schieden bei einer Versuchsreihe vier von sieben getesteten Systemen aus, da ihre Wirksamkeit nicht ausreichte. In einer weiteren Studie wurde die blutflussstoppende Wirkung von Tourniquets (taktische Abschnürbinde; Anm.), besonders bei der Versorgung von schwerstverwundeten Patienten, bestätigt.
Treten Verletzungsmuster wie stark blutende Wundhöhlen auf, bieten Hämostatika eine erfolgversprechende Behandlungsmöglichkeit. Ihre Wirkung in Form von Granulaten oder als Verbandgaze wurde in mehreren Versuchen belegt. Hämostatische Granulate, Wundauflagen und Verbandstoffe konnten im Versuch bei starken Blutungen an den Oberschenkelgefäßen ihre signifikante Wirkung beweisen. Die Ergebnisse von diversen Versuchsreihen führten dabei immer zu ähnlichen Erkenntnissen.
Beispiel eines Testergebnisses: Im Vergleich zu einer normalen Verbandrolle erwies sich die hämostatische Variante zum Austamponieren von Wundhöhlen als überlegen, wenn die Blutung länger als eine Minute unbehandelt blieb. Zusätzlich erwies sich das Hämostatikum auch bei Bewegungen der verletzten anatomischen Struktur wirksamer als herkömmliche Verbände.
Bei Verwundeten kann aufgrund ihrer Verletzungen der Säure-Basen-Haushalt des Körpers gestört werden (Azidose), was die Blutgerinnung hemmen kann (Antikoagulation). Deshalb werden stark wirksame Mittel zur Versorgung von Verwundeten benötigt. Hämostatische Verbände konnten bei diesen erschwerten physiologischen Zuständen ihre erhöhte Wirksamkeit gegenüber klassischer Verbandgaze belegen.
Steigerung der Überlebensrate
Das Anlegen von Tourniquets an den verwundeten Extremitäten von Soldaten wurde bereits 2007 Studien unterzogen und erwies sich als potenziell lebensrettende Maßnahme. Besonders bei Patienten mit mehreren isolierten Extremitätenverletzungen, schwerem hypovolämischen Schock (Verminderung der Blutmenge im Blutkreislauf) sowie Verletzungen, die umfangreiche Bluttransfusionen erfordern, zeigte sich die Verwendung von Tourniquets als wirksam. Gemäß einer Studie von 2008 überleben 87 Prozent der Soldaten mit solchen Verwundungsmustern, wenn sie mit einer taktischen Abschnürbinde versorgt werden.
Darüber hinaus wurden Untersuchungen durchgeführt, die belegen, dass viele Todesfälle durch richtig angelegte Tourniquets vermeidbar sind. Sie steigern die Überlebenswahrscheinlichkeit bei Verwundeten mit fehlenden Schockzeichen deutlich und haben vor allem bei schweren Verletzungen eine hohe Wirksamkeit.
Die Steigerung der Überlebensrate durch die Anwendung von Hämostatika wurde bisher nur wenig erhoben. In einem Versuch steigerte jedoch die Anwendung eines blutstillenden Granulates die Überlebenschance signifikant im Vergleich zu normaler Verbandgaze. In Verbandstoffe eingearbeitete Hämostatika konnten die Überlebensrate in diesem Test allerdings nicht deutlich steigern.
Anwendungsicherheit
In den bereits angeführten Studien konnten nicht alle Tourniquets überzeugen. Die Gründe dabei waren Schmerzen oder Hautquetschungen bei Verwundeten bzw. Mängel in der Konstruktion der Abschnürbinden.
Eine andere Versuchsreihe erhob Komplikationen, die sich aus der Anwendung von Tourniquets ergaben. Dabei wurde jede Form von Stauungssystemen untersucht -
auch improvisierte, wie Abbindungen. Es wurde festgestellt, dass bei der Verwendung von taktischen Abschnürbinden Weichteilverletzungen und Nervenläsionen auftreten können. Die Rate der Komplikationen ist gering und wurde in ihrer Häufigkeit auch in einer zweiten Studie bestätigt.
Langfristige neurologische Probleme konnten der Anwendung von Tourniquets jedoch nicht zugeschrieben werden. Nervenlähmungen traten zwar auf, diese waren aber nur von vorübergehender Dauer. Keine Amputation, Thrombose oder Nekrose wurde alleine durch die Anwendung eines Tourniquets ausgelöst. Studien sprechen aufgrund der erhöhten Überlebenswahrscheinlichkeit und der geringen Risiken eine klare Anwendungsempfehlung für Abschnürbinden aus.
In früheren Testungen beobachteten Anwender thermochemische Reaktionen bei der Verwendung mancher Hämostatika. Die erhöhte Temperatur im Bereich der Wunde bei bestimmten Produkten wurde
auch in Tests belegt. Die Hämostatika wurden durch den Hersteller bereits verbessert, wodurch diese Begleiterscheinung zukünftig nicht mehr auftreten sollte.
Das wesentliche Ergebnis ist: Hämostatische Verbandstoffe, Granulate und Wundauflagen lassen sich einfach anwenden, sind lange haltbar und haben ein geringes Packmaß. Signifikante gewebsschädigende Eigenschaften oder thermische Reaktionen konnten bei keinem der getesteten Produkte beobachtet werden.
Diskussion und Limitation
Die Fachliteratur bescheinigt den Hämostatika und taktischen Abschnürbinden eine positive Anwendungsbilanz. Die Auswahl geeigneter Systeme zur Versorgung ist jedoch unabdingbar für ihren erfolgreichen Einsatz auf dem Gefechtsfeld.
Neben der Wirkung solcher Systeme kommt der richtigen Handhabung eine wesentliche Bedeutung zu. Eine Abschnürbinde, die falsch angelegt wird, kann die Situation eines Patienten sogar verschlimmern. Dennoch: Tourniquets haben sich im Einsatz bewährt und werden von der Truppe akzeptiert. Ihre Anwendung muss jedoch ständig trainiert werden. Das Wissen und das Ausbildungssystem selbst sind ständig zu evaluieren, um Risiken in der Anwendung zu minimieren.
Die Ergebnisse der Studien bezüglich Hämostatika sprechen den getesteten Produkten eine signifikante Wirksamkeit zu, sind aber hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf die Versorgung auf dem Gefechtsfeld limitiert. Die in den Versuchen künstlich hergestellten Verletzungsmuster bildeten nur in begrenztem Umfang die Verwundungen von Soldaten im Gefecht ab. Die blutenden Gefäße waren immer einfach zugänglich und es wurden keine üblichen Sekundärverletzungen von Explosionen wie Verbrennungen und Druckschädigungen dargestellt. Penetrierende Verletzungen mit kleinem Wundkanal und starken inneren Blutungen, wie sie durch Schusswunden verursacht werden, erfordern eine weitere spezifische Forschungstätigkeit.
Folgerungen für die Praxis
Die vorliegenden Ergebnisse lassen die Verwendung von Tourniquets und hämostatischen Verbandstoffen in der Verwundetenversorgung im militärischen Einsatz sinnvoll erscheinen. Sie stellen für Verwundete praktikable, sichere und kostengünstige Behandlungsmöglichkeiten dar. Trotz ihrer grundsätzlichen Einfachheit und Funktionalität ist dennoch die Gesamtheit aller Maßnahmen für den Behandlungserfolg entscheidend. Maßnahmen der Ersten Hilfe, wie die Schockbekämpfung und der traumatologische Notfallcheck, dürfen durch die Ersthelfer nicht vernachlässigt werden.
Das Erlernen des Umganges mit diesen Verbandmitteln bedarf einer gründlichen Ausbildung und muss regelmäßig aufgefrischt werden. Nur so können neue, evidenzbasierte Erkenntnisse in die Praxis übertragen werden. Die Ausbildung sollte auf eine realistische Wunddarstellung abgestützt und durch die Simulation einer Gefechtssituation realitätsnah gestaltet sein. Das bereitet den Soldaten auf das richtige Handeln in Stress-Situationen vor.
Eine weitere Herausforderung ist die Bereitstellung funktioneller Ausrüstung und etablierter Handlungsvorgaben. Nur geeignete und wissenschaftlich überprüfte Gerätschaften und Methoden sollten an die Truppe ausgegeben bzw. vermittelt werden. Weitere Forschungsarbeit über die Anwendung von Hämostatika am Menschen ist notwendig, da in diesem Bereich noch kein umfangreiches Wissen vorhanden ist.
Erfahrungen anderer Armeen in diesem Bereich der Sanitätsversorgung sollten vom ÖBH aufgegriffen, geprüft und gegebenenfalls implementiert werden. Diese Wissensquellen stellen für das Österreichische Bundesheer eine erhebliche Bereicherung dar, da es in diesem Bereich zu wenig eigene Einsatzerfahrungen gibt.
Stabswachtmeister Erich Weiss BScN ist Sanitätsunteroffizier, Trainer für erweiterte Verwundetenversorgung und Lehrer für Gesundheits- und Krankenpflege.