• Veröffentlichungsdatum : 25.10.2018

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Bundeswehr denkt amphibisch

Jürgen R. Draxler

Die Amphibik gehört zu den militärisch anspruchvollsten Operationsarten. Sie eröffnet Möglichkeiten, Kräfte in ein Einsatzgebiet an eigene wie fremde Küsten zu bringen - mit einem Höchstmaß an Schutz und auch ohne vorhandene Hafeninfrastruktur. 1993 wurden diese Fähigkeiten der deutschen Seestreitkräfte für entbehrlich erachtet, und man löste die amphibische Gruppe, die zeitweilig ein Großverband auf Brigadeebene war, auf. Das Umdenken begann vor gut 15 Jahren. Die Konsequenz daraus zog man schließlich am 1. April 2014 mit der Aufstellung des Seebataillons (SeeBtl).

Die Ozeane sind Lebensgrundlage und Sehnsuchtsorte zugleich. Vor allem aber stellen sie einen gigantischen Wirtschaftsfaktor dar: Etwa 90 Prozent des weltweiten Warenverkehrs werden über See abgewickelt. Binnenländer, wie Österreich oder die Schweiz, sind ergo von freien Seewegen abhängig. Hinzu kommt: Rund 80 Prozent der Weltbevölkerung leben im Küstenbereich, nämlich maximal 200 Kilometer vom Meer entfernt. Das alles macht deutlich, weshalb seefahrende Nationen Marinen unterhalten (zumindest zum Schutz ihrer Küsten) - und diese zum Teil zu amphibischen Operationen befähigen.

Am 1. April 2014 wurde das Seebataillon aufgestellt. In dieser Einheit konzentriert die Deutsche Marine ihre infanteristischen (und damit spezialisierten) Kräfte mit je einer Bordeinsatz-, Küsten­einsatz-, Aufklärungs- und Minentaucherkompanie. 2017 wurde eine zweite Bordeinsatzkompanie aufgestellt. Die Kampfschwimmer bilden seit 2014 das Kommando Spezialkräfte Marine (KSM).

Wie sehr amphibische Fähigkeiten auch für humanitäre Hilfeleistungen förderlich sind beziehungsweise gewesen wären, verdeutlichte Ende Dezember 2004 die Tsunami-Katastrophe vor Sumatra. Damals war der Einsatzgruppenversorger Berlin - aus einer Operation in der Arabischen See herausgelöst - zu Hilfe geeilt. 

2015 galt es, deutsche Staatsbürger aus dem Bürgerkriegsland Jemen herauszuholen. Während andere Nationen ihre Staatsangehörigen mit militärischem Gerät evakuierten, konnte die deutsche „Operation Albatros“ über eines nicht hinwegtäuschen: Das Seebataillon und das Fallschirmjägerregiment 31 aus Seedorf waren zwar in Bereitschaft versetzt, doch anders als vielen europäischen Seestreitkräften fehlten der Deutschen Marine zu jener Zeit kleine, wendige, schnelle und zudem schwerbewaffnete Kampfboote zur Anlandung in geschützten Häfen oder an Stränden. Man hätte stattdessen - unter hohem Risiko - mit dafür untauglichen Schlauchbooten in jemenitische Häfen einlaufen müssen. Die deutschen Bürger wurden daher ungeschützt mit zivilen Flugzeugen ausgeflogen.

An Land, unter Wasser und aus der Luft

Das Seebataillon bietet der Marineführung - und damit der deutschen Politik - mittlerweile ein außergewöhnliches Einsatzspektrum. Es deckt, ständig begleitet von Soldaten mit medizinischer Ausbildung, die Bereiche Marineinfanterie, Aufklärung, Kampfmittelbeseitigung und Boarding ab.

Dabei lässt die Ausrüstung des Bataillons kaum Wünsche offen. Beschafft wird, was für denkbare Einsätze vonnöten ist: geschützte Fahrzeuge, ferngesteuerte Unterwasser- und kleinere Flugdrohnen, spezielle Waffen oder Kampfboote, die mit Maschinengewehren oder Granatmaschinenwaffen (theoretisch aber auch mit taktischen Flugkörpern) bestückt werden und über den Horizont hinaus (bis zu 100 Kilometer von der Fregatte entfernt) operieren können. 

Vor dem Hintergrund der gestiegenen Anforderungen ist es erforderlich, dass das Seebataillon personell aufwächst - von derzeit rund 750 auf 1 000 Soldaten plus 270 in Ausbildung bis Ende 2020. Allein für die zweite Bordeinsatzkompanie sind 180 zusätzliche Planstellen vorgesehen. Zurzeit laufen Untersuchungen zur (Wieder-)aufstellung eines Strandmeisterzuges in der Küsteneinsatzkompanie, um Strände aufzuklären und Anlandungen oder Rückführungen durchzuführen.

Struktur und Aufgaben

Das Seebataillon wird als „Multitool“ der Deutschen Marine bezeichnet. Doch während beispielsweise die britischen oder niederländischen Royal Marines für offensive Kampfanlandungen vorgesehen sind und folglich eine entsprechende personelle Stärke (GB: zirka 6 800, NL: zirka 3 500) aufweisen, sieht das deutsche Konzept - ähnlich dem französischen - die Anlandung von Heereseinheiten durch die Marine vor. Das spiegelt sich sowohl in den Aufgaben wie im Personalansatz des Seebataillons wider und erklärt zugleich, weshalb seine Spezialisten zumeist in kleineren Einsatzteams agieren.

Bordeinsatzkompanie

Die Soldaten der zwei Bordeinsatzkompanien sind vielseitig ausgebildete und ausgerüstete Marineinfanteristen. Sie können sich aus Hubschraubern abseilen, Kampfboote fahren und durchlaufen eine spezialisierte Ausbildung im taktischen Durchsuchen von Handelsschiffen. Aufgabe einer Bordeinsatzkompanie ist

  • die Unterstützung von Seeraumüberwachungs- und Embargooperationen,
  • die Durchführung von seegestützten Escort-Aufträgen,
  • die bordgestützte Absicherung von Kriegs- und Handelsschiffen sowie
  • die Unterstützung bei bewaffneter Rückführung im maritimen Umfeld.

Mit der Einführung der Fregattenklasse 125 ergibt sich ein völlig neues Spektrum maritimer infanteristischer Operationen. 

Küsteneinsatzkompanie

Die Soldaten der Küsteneinsatzkompanie sind ebenfalls Marineinfanteristen und speziell für Aufträge an Land sowie seeseitig in Küstennähe ausgebildet und ausgerüstet. Mit gepanzerten Fahrzeugen und schwerer Bewaffnung ausgestattet, ist die Kompanie hauptsächlich an Land zu Hause. Zu ihren Aufgaben zählt

  • der landseitige Schutz von Mensch und Material, vom Straßentransport über den Orts- und Häuserkampf bis zum Kampf gegen gepanzerte Gegner,
  • der seeseitige Schutz von Schiffen, Booten oder Hafenanlagen sowie
  • die Unterstützung von militärischen Evakuierungsoperationen oder der bewaffneten Rückführung im maritimen Umfeld.

Minentaucherkompanie

Minentaucher haben eine Ausbildung als Taucher und Feuerwerker, Kampfmittelbeseitiger und Kraftbootfahrer. Sie werden über und unter Wasser eingesetzt. Waffentechnisch sind sie umfassend ausgerüstet und zeichnen sich insbesondere durch ihre überdurchschnittliche Team- und Leistungsfähigkeit aus.

Zum Auftrag der Minentaucher gehört das Suchen, Identifizieren und Vernichten oder Bergen von Seeminen und anderen Kampfmitteln ebenso wie das Bedienen von Unterwasserdrohnen oder der Schutz von eigenen Schiffen im In- und Ausland und von Marineanlagen vor Kampfmitteln. Die Durchführung von Rettungs- und Bergungseinsätzen zählt auch zu ihren Aufgaben.

Einen neuen Stellenwert bekommt das so genannte Very Shallow Water Diving, also die strukturierte Absuche von Flachwasserbereichen bis zur Brandungszone. Zum Beispiel, um amphibische Landungen auch von kleinen oder einzelnen Booten sicherzustellen, wenn die lokale Infrastruktur zerstört oder das Gewässer militärisch durch Kampfmittel oder nautisch z. B. durch Unterwasserhindernisse oder Felsen unsicher ist.

Aufklärungskompanie

Die Soldaten in der Aufklärungskompanie haben den Auftrag, den Informationsbedarf der Marine sowohl bei symmetrischen als auch bei asymmetrischen Bedrohungen zu decken und so zu einem vollständigen Lagebild im Einsatz beizutragen. Um dies zu erreichen, verfügt die Einheit über Sensoren in unterschiedlichen Aufklärungsdomänen. Erkenntnisse werden durch offene und verdeckte Beobachtung, spezielle Gesprächsführung sowie durch die Nutzung moderner, mobiler Überwachungstechnik, wie Unterwasser- und Flugdrohnen, gewonnen. 

Untergliedert ist die Aufklärungskompanie in einen Feldnachrichtenzug, einen Scharfschützenzug (Sniper) und einen technischen Aufklärungszug.

Die Scharfschützen gehören prinzipiell zu allen Einsatzkontingenten des Seebataillons. Sie wirken sowohl von Bord auf ein schwimmendes, sich bewegendes Ziel als auch einsatztechnisch an Land - von der Sicherung eines Hafenumfeldes bis zum Einsatz in Afghanistan.

Führungspersonal & Ausbildung

Zur amphibischen Ausbildung entsendet die Deutsche Marine seit mehr als einem Jahrzehnt Offiziere zur spanischen Infanteria de Marina (der weltweit ältesten Marineinfanterie). Sie durchlaufen dort innerhalb von drei Jahren zunächst den Lehrgang für expeditionelle und amphibische Operationen und werden anschließend in Rota, im Amphibikeinsatzstab der spanischen Marine, zur weiteren Fortbildung eingesetzt.

Andere Offiziere haben die Offiziers­ausbildung der U.S. Marines absolviert. Weitere Offiziere und Portepeeunteroffiziere werden ebenfalls in den USA oder in Großbritannien ausgebildet. 2016 begann ein Austauschprogramm mit den Royal Marines in Plymouth. Während eines zweijährigen Aufenthaltes erlernen deutsche Portepeeunteroffiziere dabei die Verfahren amphibischer Operationen und setzen ihre erworbenen Kenntnisse dann in der 

1st Assault Group der Royal Marines um. Daneben wird ein Portepeeunteroffizier der Royal Marines als stellvertretender Zugsführer in der Küsteneinsatz- oder Aufklärungskompanie eingesetzt, um dort Erfahrungen weiterzugeben. Geplant ist auch, dass ein Austauschoffizier des niederländischen Korps Mariniers beim Seebataillon Dienst versieht und umgekehrt.

Darüber hinaus sind Bootsbesatzungen des Seebataillons (sie gehören zu den Bordeinsatzkompanien) in den vergangenen Jahren in den USA und in Schweden für den Kampf mit Kleinbooten ausgebildet worden. Diese Ausbildung wird durch weitere Teile in den Niederlanden und Finnland komplettiert.

Deutsch-niederländische Kooperation

Das Seebataillon der Deutschen Marine und das Korps Mariniers der Koninklijke Marine der Niederlande wollen künftig gemeinsam das Unterstützungsschiff „Karel Doormann“ nutzen. Die Motivation dahinter könnte gegensätzlicher kaum sein - die Niederlande möchten mit diesem Projekt ihre Kosten reduzieren, die Bundeswehr soll amphibische Fähigkeiten aufbauen.

„Karel Doormann“ - eine Lösung?

Zunächst ein Blick in die Vergangenheit: 1994 gab es Probleme, ein deutsches Heereskontingent mit 1 700 deutschen Soldaten (darunter fünf Frauen) samt 459 Fahrzeugen, 86 Anhängern und 46 Spezialfahrzeugen aus dem zentralsomalischen Belet Huen über den Hafen von Mogadischu in die Heimat abzuziehen. Auf Beschluss der Bundesregierung sollte die Marine (mit der eigens dafür aufgestellten Task Group/TG 500.02 - „Operation Southern Cross“) die Truppen über See in sichere Häfen außerhalb Somalias verlegen. Das Material sollte mit Handelsschiffen abtransportiert werden. Doch keines der Schiffe der TG 500.02 (die Fregatte „Karlsruhe“, das Flaggschiff „Köln“ sowie das Trossschiff „Nienburg“ und der Tanker „Spessart“) war für einen Truppentransport ausgelegt. Die Soldaten mussten folglich, in kleine Kontingente aufgeteilt, im „Shuttleverkehr“ nach Dschibuti ausgeschifft werden. Das zog sich vom 13. Februar bis zum 23. März 1994 hin.

Hätten der Deutschen Marine Docklandungsschiffe (LPD - Landing Platform/Dock), wie die niederländische Rotterdam-Klasse, zur Verfügung gestanden (wie es der damalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General Klaus Naumann, bereits zuvor vergeblich gefordert hatte), wäre die Rückverlegung in einem Zug möglich gewesen. 

Zurück zum Joint Support Ship (JSS) „Karel Doormann“. Diese 27 800 ts große Einheit ist ein Mix aus Transport-, Tank- und Lazarettschiff. Neben einer Besatzung von 130 Mann kann das Schiff noch etwa 170 Soldaten inklusive Ausrüstung an Bord nehmen. Eine Größenordnung, die kaum nennenswerte amphibische Operationen erlaubt. Zum Vergleich: Die halb so große Rotterdam-Klasse (12 750 ts) ist in der Lage, ein Bataillon Marineinfanterie mit 611 Soldaten samt Ausrüstung und Fahrzeugen zu transportieren.

Als Deutschland und die Niederlande Anfang 2016 die Nutzungsvereinbarung für die „Karel Doormann“ schlossen, erweckte dies den Eindruck, hier entstehe der Kern einer künftigen EU-Marine, in die man schon einmal vorab die deutsche Marineinfanterie einbringe. Tatsache ist: Die niederländische Marine hat das Schiff fest für Versorgungsaufgaben verplant. Es wird keineswegs für (deutsche) amphibische Operationen in Bereitschaft gehalten, für die es, wie erwähnt, auch nicht ausgelegt ist.

Fazit: Die Nutzungsvereinbarung in puncto „Karel Doormann“ kann lediglich eine Notlösung sein. Wenn die Bundeswehr über amphibische Fähigkeiten verfügen soll, kommt man nicht an eigenen Landungsschiffen vorbei. Mittelfristig muss die seit Jahren existierende politische Absichtserklärung, zwei zu amphibischen Operationen befähigte Schiffe beschaffen zu wollen, verwirklicht werden.

Im Gespräch: Fregattenkapitän Axel Meißel

Das Seebataillon der Deutschen Marine ist ein leichtes Infanteriebataillon. Doch im Gegensatz zu den Querschnittsbataillonen des Heeres hat es (ausschließlich) spezialisierte Kompanien. Für jeden Kommandeur ein Spagat. Denn die Anforderungen, denen eine Bordeinsatz-, Küsteneinsatz-, Minentaucher- oder Aufklärungskompanie genügen muss, könnten kaum unterschiedlicher sein. Und das gilt von der Ausbildung bis hin zur Ausrüstung. Für den jetzigen Kommandeur, Fregattenkapitän Axel Meißel, eine reizvolle Aufgabe. Er war zuvor auf U-Booten zur See gefahren, Chef einer Elektronischen Kampfführungskompanie und stellvertretender Kommandeur der Marineschutzkräfte (Vorgänger des SeeBtl).

Jede Kompanie ein Unikat

Meißel weiß sehr wohl um die divergierenden Interessen und Voraussetzungen, die im Grunde jede seiner Kompanien zu einem Unikat machen. „Aber es gibt Grundlagen im Rahmen der Infanterieausbildung, die alle von uns haben. Das ist quasi die Basis, auf der wir aufbauen und die zu erhalten ist“, erklärt er.

Darauf abgestützt besitzen beispielsweise die Bordeinsatzkräfte eine Ausbildung, die mit den speziellen Aufgaben von Bordeinsätzen zusammenhängt - also mit allem, was sich am Schiff, vom Schiff aus oder auf dem Schiff abspielt. Die Küsteneinsatzkompanie zum Beispiel agiert dagegen an Land in unmittelbarer Nähe zur Küste und führt vor allem militärische Evakuierungsoperationen durch, sichert Häfen oder übernimmt Patrouillenaufgaben (zum Teil in geschützten Fahrzeugen). Meißel: „Zum Verbringen mit Hubschraubern oder kleinen schnellen Einsatzbooten sind alle Kompanien befähigt, die Bordeinsatzkräfte schwerpunktmäßig auch zum Fast Roping.

Hafensicherung bedeutet, wie der Fregattenkapitän in diesem Zusammenhang erläutert, zum Hafen gehörende Gebäude - gegebenenfalls im Orts- und Häuserkampf - unter Kontrolle zu bringen. Er wird deshalb von der Küsteneinsatzkompanie trainiert. Dass der Häuserkampf ebenfalls von den Bordeinsatzkompanien geübt wird, begründet Meißel so: „Wenn ich mich an Bord eines Schiffes bewege, dann ist das Vorgehen dem Orts- und Häuserkampf sehr ähnlich - nur etwas komplexer, weil man Schiffswände auch durchschießen kann, was in einem Haus in aller Regel nicht geht.

Auf die angespannte Personallage - insbesondere bei der Marine - angesprochen, reagiert der Kommandeur gelassen. Er sieht dem Aufwuchs seines Bataillons (auf 1 000 Soldaten und 270 im eigenen Ausbildungszentrum) optimistisch entgegen, obwohl schon die psychischen Eignungsvoraussetzungen ambitioniert sind. Meißel: „Es ist nicht für jeden etwas von einem Hubschrauber mit voller Ausrüstung am schwankenden Seil 20 Meter in die Tiefe auf ein sich ebenfalls bewegendes Schiff zu ropen - ohne eine Sicherung, nur auf seine Hände vertrauend.“ 

Die Ausbildung sowie die spätere Verwendung verlangen den Soldaten zudem eine über das normale Maß hinausgehende Leistungs- und Leidensfähigkeit ab: „Da ist beispielsweise der Minentaucher, der bei minus zehn Grad in die dementsprechend kalte See steigt, um sich einer Mine anzunehmen. Er braucht neben psychischer und körperlicher Robustheit auch technische Intelligenz, um mit dem sehr komplexen Equipment - bis hin zu gesteuerten Robotern und Ähnlichem - umgehen zu können. Alles zusammen also Voraussetzungen, die in der Realität nicht allzu leicht zu finden sind“, ist sich der Marineoffizier bewusst. 

Was die Nachwuchsgewinnung betrifft, macht er sich aber - ganz pragmatisch - um anderes eher Gedanken: nämlich um die Ausbildungskapazitäten und -fähigkeiten seines Ausbildungszentrums und die Frage, wo und wie er die künftigen Soldaten unterbringen kann. Kein Wunder, wenn man weiß, dass sein Bataillon auch in absehbarer Zeit auf drei Standorte verteilt bleiben wird.

Dass im Kontext mit der Personalsituation das Thema „Frauen“ nicht übergangen werden kann, liegt nahe. Was überrascht, ist: Der Kommandeur (wie auch die militärischen Führer seines Bataillons) wünscht sich - grundsätzlich - einen höheren Frauenanteil. Und: In puncto Leistungsfähigkeit gibt es für ihn keine Unterschiede. „Die Ausbildung ist für alle gleich. Wir operieren zumeist in kleinen Teams, und da kommt ein identisches Leistungsniveau einer Lebensversicherung gleich“, betont er.

Erkennbar stolz verweist Meißel darauf, dass in seinem Bataillon Frauen in jeder Laufbahn sowie in unterschiedlichen Verwendungsreihen zu finden sind: „Ich habe auch Frauen in Verwendungsreihen der Mannschaften, Unteroffiziere und Offiziere in den Kampfkompanien - und eben nicht nur, wie häufig, in Verwendungsreihen wie dem Stabsdienst. Erst jetzt ist eine Zugsführerin mit ihren Soldaten erfolgreich aus einem Einsatz zurückgekehrt.“ Er macht jedoch keinen Hehl daraus, dass der Frauenanteil sehr gering ist.

Auf die Frage nach der deutsch-niederländischen Zusammenarbeit im Bereich der Marineinfanterie tritt der Fregattenkapitän einer immer wieder kolportierten Aussage entgegen: „Die deutsch-niederländische Kooperation wird nicht zu einer Verlegung des Bataillons in die Niederlande führen. Richtig ist, dass man sich ergänzt, weil jede Seite Fähigkeiten einbringt, die der Partner nicht hat.

Bei der Aufstellung des Bataillons im Jahr 2014 war diese Kooperation noch nicht absehbar. Mit ihr ergeben sich unter Umständen andere Einsatzmöglichkeiten - und vielleicht auch Einsatzanforderungen. „Im Moment wird daher im Marinekommando geprüft, welche amphibischen Fähigkeiten wir im System Bundeswehr benötigen. Hieraus resultieren möglicherweise weitere Transformationen des Bataillons“, erklärt der Kommandeur. 

Aufstellung einer zweiten Bordeinsatzkompanie

Eine Transformation hat sich bereits ergeben - allerdings infolge der Einführung der Fregattenklasse 125 (First of Class ist die Baden-Württemberg): die Aufstellung einer zweiten Bordeinsatzkompanie. Meißel: „Jede diese Fregatten führt vier so genannte Buster mit. Das sind mehrrollenfähige Boote, die mit zwei unabhängigen Jetantrieben 50 Knoten [rund 93 km/h] fahren können und vier Waffenstationen haben (für schwere MGs, Granatmaschinenwaffen und Ähnliches). Sie haben aber auch AIS (Automated Identification System) und eine HF-Funkeinrichtung (High Frequency), so dass die grünen Kräfte [sprich: Marineinfanterie] der Fregatte 125 losgelöst von dieser über den Horizont hinausfahren können - zum Beispiel als Eskorte. Die finalen Möglichkeiten, also wie weit wir mit diesen Booten gehen können, werden wir erst in der Einsatzerprobung und in tatsächlichen Einsätzen, die ja noch ausstehen, erfahren.

Die Fähigkeiten, die in der 125er-Klasse stecken, bieten aus Sicht des Kommandeurs weitere Einsatzoptionen, die jedoch ebenfalls erst überprüft werden müssen. „So zum Beispiel“, wie Meißel weiter ausführt, „dass das Schiff mit seiner 127-Millimeter-Kanone über 100 Kilometer hochpräzise wirken und ich meine eigenen Kräfte damit theoretisch 100 Kilometer voraus stationieren kann und dabei noch die Feuerunterstützung des eigenen Schiffes habe. Zugegeben, 100 Kilometer sind auf See nicht bedeutend, aber in Küstengewässern ist das schon eine gewaltige Distanz.“ 

Dass das Seebataillon als eine Art Toolbox konzipiert wurde, aus der man das jeweils notwendige „Werkzeug“ entnehmen kann, lässt sich sowohl an den Einsätzen wie an den Übungen ablesen, zu denen Teams oder einzelne Spezialisten angefordert werden. „Das geht rund um den Globus - von Afghanistan bis Mali oder von Island bis in den Indischen Ozean, vom Libanon über Mali bis in den Pazifik zum RIMPAC („Rim of the Pacific“, dt.: Randzone des Pazifiks) auf Hawaii“, skizziert Fregattenkapitän Axel Meißel die Bandbreite. In Zahlen ausgedrückt: Von den rund 750 Soldaten des Seebataillons sind - neben den Übungen - ständig bis zu 40 Männer und Frauen im Einsatz.

Den Anführer und den Scharfschützen eliminieren - Aufklärungskompanie

Acht Uhr morgens mitten in der Märkischen Heide nahe Potsdam: Die Sonne steht strahlend über dem Truppenübungsplatz Lehnin. In den Gebäuden der weitläufigen Häuserkampfanlage ist es noch etwas frisch, ebenso in den Kellern und Tunnels. Vor dem ersten Zug der Aufklärungskompanie des Seebataillons liegt ein langer Tag - wenn alles planmäßig verläuft, endet die Übung erst am nächsten Morg

Doch zunächst einmal trainieren die Soldaten in den folgenden zehn Stunden den Häuserkampf in seinen unterschiedlichen Facetten. Ab 1800 Uhr soll dann umgesetzt werden, was tagsüber auf dem Programm stand. Die Rahmenlage: Drei Zweiertrupps, irgendwo im Umfeld abgesetzt, sollen in das gegnerische Gelände einsickern, Stellung beziehen und aufklären. Im Zeitfenster zwischen 0300 und 0330 Uhr gilt es - vorbei an den Straßenpatrouillen der feindlichen Kräfte -, den dann erwarteten Anführer sowie einen getarnt agierenden Scharfschützen exakt zeitgleich sowie lautlos auszuschalten, sich anschließend zu lösen und sich - möglichst unbeobachtet - zum Abholpunkt zurückzuziehen.

Ob alles tatsächlich so stattfindet, darf angezweifelt werden. Schließlich ist mit Kapitänleutnant („Kaleu“) Dietmar F., Kompanieeinsatzoffizier einer Bordeinsatzkompanie, ein „Leitender“ für den Übungsablauf verantwortlich, der „wegen ihres Lerneffektes“, viel für Hindernisse übrig hat.

Und dann kommt’s: Damit die angreifenden Soldaten kein zu leichtes Spiel haben, hat der „Kaleu“ der Gegenseite eine Aufklärungsdrohne zugewiesen, die permanent - und nahezu geräuschlos - durch den Abendhimmel kreuzt. Überdies fallen den Angreifern - unmittelbar nachdem sie sich formiert haben - die GPS-Systeme aus.

Dass sich die drei Zweiertrupps am Ende dennoch nicht verlaufen, hat Kapitänleutnant F. erwartet. Dass sie ihren Auftrag nicht erfüllt haben, gehört für ihn zu den Erfahrungen, „die jedes Team besser im Übungsgeschehen als im Einsatz sammeln soll“. Einen zweiten Anlauf (sprich: Chance) gibt es in dieser Übung nicht. Und jede Wette - selbst wenn es mit der Eliminierung des Anführers und des Scharfschützen geklappt hätte - wären die Soldaten aufgeklärt worden, hätten sich kämpfend zurückziehen und einen ihrer Kameraden verwundet mitnehmen müssen. Eine Spekulation, die „Kaleu“ F. verschmitzt lächeln lässt.

Neben den Aufklärern üben auch zwei Teams einer der beiden Bord-

ein­­satz­kompanien und Teile ihres Bootszuges in Lehnin den Häuserkampf. „Jeder soll verstehen und nachvollziehen können, was die Kameraden der jeweils anderen Züge oder Kompanien zu leisten haben. Im umgekehrten Fall üben sich die Aufklärer beispielsweise auch mal im Fahren unserer Boote“, erklärt Kapitänleutnant Dietmar F.

Bordeinsatzkompanie - Gebäude nehmen, feindfrei kämpfen

Es ist Mittag, die Sonne brennt. Wer konnte, hat sich ein schattiges Plätzchen gesucht und die schweißtreibende Ausrüstung auf den Boden gleiten lassen. Hauptbootsmann Alexander W., Teamführer Alpha im 1. Zug der Bordeinsatzkompanie 1, zieht ein Resümee und erklärt seinen Soldaten, was sie als nächstes im Übungsgeschehen erwartet. 

Am Vormittag war es darum gegangen, in einem Gebäude feindliche Kräfte zu bekämpfen. Unbekannte unbewaffnete Personen sollten festgesetzt werden. Am Nachmittag wird es ganzheitlicher: Die Annäherung an und der Einstieg in ein vermutlich von Gegnern besetztes Gebäude kommen hinzu. Art und Stärke des Feindes sind nicht bekannt. Das Gebäude ist zu nehmen und feindfrei zu kämpfen.

Hauptbootsmann W.: „Das Ausbildungs­ziel liegt darin, eine Harmonisierung zwischen neuen Soldaten, die gerade ins Team gekommen sind, und Soldaten, die bereits fünf oder mehr Jahre zum Team gehören, zu erreichen. Am Ende sollen alle auf demselben Ausbildungsstand sein. Dazu haben wir mit den Basics angefangen und steigern nun den Schweregrad.

Der erfahrene Portepeeunteroffizier erkennt erfreut an, „dass die Neuen das notwendige Potenzial nach oben besitzen“. Er weiß zu schätzen, dass die „Jungs“, die aus dem Ausbildungszentrum des Bataillons in die Bordeinsatzkompanie kommen, ein solides Grundwissen und eine gute Basis mitbringen. „Die Männer bewegen sich sehr aufmerksam, setzen die Forderungen sehr gut um, zeigen sich motiviert. Aber das reicht noch nicht, um sie adäquat vorbereitet in einen Einsatz schicken zu können“. Seit fünf Monaten arbeitet man zusammen, vermitteln die Älteren ihre Erfahrungen insbesondere im Bereich Boarding, Bordeinsatzgrundlagen oder Boardingtaktik, die eng an die Grundzüge des Orts- und Häuserkampfes angelehnt sind, an den Nachwuchs. Hauptbootsmann W. geht davon aus, „dass das Team in neun Monaten einsatzfähig sein wird.“ 

Apropos einsatzfähig: Für W. ist auf dem Weg dorthin „nicht nur Schnelligkeit wichtig, sondern besonders auch eine präzise Ausführung der Arbeit“. Darauf legt er persönlich viel Wert. Dennoch - am Faktor Zeit lässt sich die Qualität ablesen: Ein gut ausgebildetes Team mit einer mindestens zweijährigen Erfahrung hat ein Haus - ohne Feindberührung und abhängig von der Größe - weit schneller unter Kontrolle als weniger eingespielte Teams.

Fregattenkapitän d. R. Mag. Jürgen R. Draxler.

 

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