- Veröffentlichungsdatum : 27.09.2023
- – Letztes Update : 06.12.2023
- 6 Min -
- 1293 Wörter
- - 3 Bilder
Das Geschäft mit der Minenräumung
Eine mögliche Entsendung von Spezialisten zur humanitären Hilfeleistung ist ein brisantes Thema, wenn Minen im Kriegsgebiet geräumt werden sollen. Das Bundesheer hat ein breitgefächertes Know-how für die Räumung von Minen und zur Reduktion von finanziellen Zuwendungen für das betroffene Land.
Die Thematik von Minen, militärischer Minenräumung, Minenräumsystemen, Minenräumgeräten und der manuellen Suche nach Minen ist bereits auf www.truppendienst.com unter den Titeln „Humanitäre Minenräumer“ oder „Militärisches Minenräumen“ veröffentlicht. Um begriffliche Klarheiten zu schaffen, werden die Unterschiede zwischen der militärischen Räumung von Kampfmitteln und der zivilen, humanitären Minenräumung beschrieben sowie die effiziente Methode der Kampfmittel-Erkundung/Aufklärung (KM-Erk/Aufkl) am Beispiel der Ukraine veranschaulicht.
Militärische vs. humanitäre Minenräumung
Minenräumung, militärisch wie auch humanitär, ist das Entfernen von Minen aus einer zuvor definierten Fläche. Die Zielsetzung ist allerdings unterschiedlich.
Während das humanitäre Minenräumen die vollständige Entfernung aller Kampfmittel aus einer Kampfmittelbelastungsfläche mit mehreren Qualitätskontrollstufen zum Ziel hat, steht im militärischen Minenräumen die Gefahrenreduktion im Vordergrund. Dabei soll in möglichst kurzer Zeit die Gefährdung durch Minen auf ein Maß reduziert werden, das es den Soldaten mit der zur Verfügung stehenden Schutzausrüstungen ermöglicht, die Gefahrenzone zu passieren, um den militärischen Auftrag fortzusetzen. Hingegen ist nach der humanitären Minenräumung eine Nutzung des Gebietes durch die ungeschützte Zivilbevölkerung das primäre Ziel.
Bevor die Räumung beginnt, werden in beiden Fällen die Kampfmittelbelastungsflächen eingegrenzt. Hierzu kommen Methoden zur Anwendung, welche militärisch unter den Begriff KM-Erk/Aufkl, humanitär unter den Begriff Survey zusammengefasst werden. Sie bilden die Grundlage jeder erfolgreichen Räumung.
Humanitäres Minenräumen
Das „Humanitarian Mine Action Program“ kennt fünf Säulen, von denen die humanitäre Minenräumung (Humanitarian Demining) die bekannteste ist. Dabei werden nach genau vorgegebenen Methoden Kampfmittelverdachtsflächen und Kampfmittelbelastungsflächen bearbeitet und erst nach erfolgter Qualitätskontrolle durch die nationale Minenräumautorität (Mine Action Center) an die lokalen Institutionen zur land-, forst- sowie bauwirtschaftlichen Nutzung übergeben. Bis ins Jahr 2001 galt eine Kampfmittelfreiheit von 99,6 Prozent bis zu einer Tiefe von mindestens 20 cm als geräumte Fläche. Dieser damals geltende Standard wurde auf 100 Prozent angehoben und die Tiefe situationsabhängig auf die sich auf der Fläche befindliche, blindgegangene Munition bzw. Minen abgestimmt. Hierbei erschweren beispielsweise der ehemalige Einsatz von Fliegerbomben, Abwurfmunition (Streumunition), Raketen, Lenkflugkörper naturgemäß die Flächenräumung, genauso wie zerbombte Munitionslager, Stellungen, Feuerstellungsräume, Verteidigungslinien und am Gefechtsfeld zurückgelassene – noch mit Munition beladene – Gefechtsfahrzeuge.
Zur vollständigen Herstellung der Kampfmittelfreiheit braucht es nicht nur Fachpersonal, das manuell Kampfmittel aus den Kampfmittelbelastungsflächen entfernt, sondern auch mechanische Minenräumgeräte zur Oberflächenvorbereitung. Dabei werden die Kampfmittelverdachtsflächen im ersten Arbeitsschritt mit Minenräumfahrzeugen und mit Minensuchhunden aufbereitet, um die Voraussetzungen für das weitere Entminen zu schaffen.
Hieraus lässt sich erkennen, dass es sich bei der humanitären Minenräumung um eine sehr zeit- und kostenintensive Dienstleistung handelt. Die bearbeitenden Flächen müssen weitgehend frei von jeglichen, mit der Minenräumung im Zusammenhang stehenden und entstandenen, Rückständen übergeben werden, damit die folgende Nachnutzung zu keinem zusätzlichen finanziellen und organisatorischen Aufwand führt. Diese Aspekte bringen in kürzester Zeit militärische Räumelemente an die Grenzen ihrer Kapazitäten und Durchhaltefähigkeit.
Darüber hinaus ist die humanitäre Minenräumung ein weltweiter Wirtschaftszweig und wird von zahlreichen Governmental Organizations (GO), internationalen und nationalen NGO (u. a Norwegian People AID – NOR), sowie von zivilen Räumfirmen (u. a. Tetra Tech-USA) durchgeführt. Diese werden durch die nationalen „Mine Action Centres“ (MAC) oder den jeweiligen staatlichen Kampfmittelräumdienstakkreditiert und in ihrer Arbeit überwacht. Nationale MAC werden unter dem Schirm des United Nation Mine Action Service (UNMAS) zusammengefasst, angeleitet und überwacht.
Die Vergabe von Räumaufträgen zur Herstellung der Minenfreiheit einer Kampfmittelverdachts- oder -belastungsfläche erfolgt durch das nationale MAC. Dabei werden die benötigten Flächen ausgeschrieben und im Bieterverfahren an den Bestbieter zur Räumung vergeben, wie es im Kosovo oder in Bosnien und Herzegowina erfolgt.
Militärisches Minenräumen
Minenräumung ist aus militärischer Sicht ein Teil der Kampfmittelräumung, welche die Reduktion der Gefahren durch Kampfmittel zum Ziel hat. Minenräumung – wie auch die artverwandten Verfahren wie
- Munitionsräumung,
- Improvisierte Spreng- und Brandvorrichtungsräumung,
- Kampfstoffmunitionsräumung,
- Kampfmittelbeseitigungsaktion,
- behandeln das Suchen, Finden, Verbringen oder Unschädlich-Machen von bestimmten Kampfmitteln (z. B. Minen und Abwurfmunition). Es umfasst im Detail
- die Detektion und Lokalisierung,
- die Klassifizierung, Identifizierung, Markierung und Meldung,
- das Neutralisieren, Entschärfen und Herstellen der Transportfähigkeit,
- das Vernichten durch Kampfmittelbeseitigungsverfahren sowie
- das Vernichten durch berührungsfreies Sprengen.
Darüber hinaus beinhaltet das Räumen von Kampfmitteln als Gefechtsaufgabe folgende Verfahren: - Retten von Personen aus Kampfmittelverdachtsflächen;
- Wiederaufnahme von Minen;
- Schlagen von Gassen mit eingeführten Mitteln und Verfahren der Pioniertruppe.
Diese sind ausschließlich militärische Handlungsoptionen, die dem eigenen operativen, taktischen Vorhaben dienen, um die eigene Bewegung zu fördern. Sie ermöglichen die Herstellung der Bewegungsfreiheit innerhalb einer verminten Fläche oder einer verminten Bewegungslinie.
Kampfmittel-Erkundung/Aufklärung
Vor dem Räumen erfolgt die Kampfmittel-Erkundung/Aufklärung (KM-Erk/Aufkl), die erst die Grundlage zur erfolgreichen Einsatzplanung und Kampfmittelräumung schafft. Die KM-Erk/Aufkl findet auf allen Führungsebenen statt und gliedert sich nach ihren Methoden in
- strategische KM-Erk/Aufkl mit Open Source Intelligence (OSINT) und satellitengestützten Fernerkundungsmittel,
- operative KM-Erk/Aufkl mittels Methoden der Informationsgewinnung vor Ort und flugzeuggestützten Fernerkundungsmitteln,
- taktischer KM-Erk/Aufkl mittels manuellen und drohnengestützten Naherkundungsmitteln sowie
- Kampfmittelverdachtsflächen-Überprüfung mittels manueller und maschineller Methoden.
Das Ziel ist das Erstellen eines klaren Lagebildes der Kampfmittelbelastung und die möglichst genaue Reduktion der Kampfmittelverdachtsflächen auf die tatsächliche Kampfmittelbelastung.
Im Auslandseinsatz verfügt das Militär über Kampfmittelabwehrelemente (Explosive Ordnance Disposal Teams/EOD-Teams) für die eigenen sowie multinationalen militärischen Aufgaben. Das sind in erster Linie der Truppenschutz vor nicht zur Wirkung gelangten Kampfmitteln sowie die Aufrechterhaltung der Bewegungsfreiheit der eigenen Kräfte. Ein typisches Beispiel ist das Wiederherstellen von Versorgungslinien, die durch blindgegangene Munition für die Truppen unbefahrbar geworden sind. Des Weiteren können kampfmittelbelastete Flächen im Einsatzraum militärisch genutzt werden, nachdem man sich dem sogenannten Battle Area Clearance Verfahren (BAC) bedient. Hierbei wird eine Kampfmittelfreiheit ohne International Mine Action (IMAS) Standards hergestellt, um in weiterer Folge einen Hubschrauberlandeplatz zu etablieren oder ein Camp zu errichten.
Mehrdimensionale Kampfmittelaufklärung spart Geld
Humanitäre Minenräumung wird großteils durch Spendengelder bzw. staatliche finanzielle Zuwendungen finanziert. Am Beispiel der Ukraine erwartet die Weltbank Kosten in der Höhe von rund 37,5 Milliarden Euro zur Herstellung der Kampfmittelfreiheit. Dabei wird von einer Kampfmittelverdachtsfläche, die doppelt so groß wie Österreich ist (ca. 175 000 km²), ausgegangen. Hier muss beurteilt werden, ob auf der gesamten Fläche mit Kampfmitteln zu rechnen ist und wie eine so große Fläche in kürzester Zeit und mit begrenzten Ressourcen kampfmittelfrei gemacht werden kann.
Das Schlüsselelement für die erfolgreiche Wiederherstellung der Kampfmittelfreiheit ist die Kampfmittel-Erkundung/Aufklärung (KM-Erk/Aufkl). Durch die Anwendung und Kombination verschiedener Sensoren und Methoden kann ein äußerst genaues Kampfmittellagebild vom vorgesehenen Einsatzraum erstellt und können damit schon vor der tatsächlichen Räumung große Teile der Kampfmittelverdachtsflächen freigegeben werden.
Das Bundesheer hat das Know-how zur Kostenreduktion. Durch eine kompetente und ganzheitliche KM-Erk/Aufkl unter Zuhilfenahme von technischen Fern- und Nahaufklärungsmitteln auf allen drei Führungsebenen, kann in einem überschaubaren Zeitraum effizient, schnell und präzise das vorerst als Kampfmittelverdachtsfläche definierte Areal auf eine reale, von Kampfmitteln belastete Fläche reduziert werden. Dabei würden nationale MAC (Mine Action Centres) unterstützt, die nur einen eingeschränkten Zugriff auf Daten von militärischen Aufklärungsmitteln haben und die Auswertung aus Mangel an Fachpersonal nicht durchführen können. Somit kann die Ausschreibung von Räumaufgaben durch die national verantwortlichen Stellen zielgerichtet erfolgen und die unnötige Bearbeitung von Flächen verhindert werden.
Die Durchführung der mehrdimensionalen KM-Erk/Aufkl kann einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion einer vorerst vermeintlich großen Kampfmittelverdachtsfläche leisten. Die reduzierten Flächen können sofort wieder einer wirtschaftlichen Nutzung zugeführt, die verbleibenden Kampfmittelbelastungsflächen mit geringeren Kosten vergeben und durch zivile Minenräumfirmen oder NGO anhand der durch IMAS u. a. vorgesehenen Verfahren:
- Mine Clearance bzw.
- Technical Survey geräumt werden.
Fazit
Das humanitäre Minenräumen ist eine weltweit florierende Wirtschaftsbranche, die großteils mit Gewinnabsicht arbeitet. Demnach ist es wichtig, Kampfmittelverdachtsflächen von professionellen, kompetenten und erfahrungsreichen Institutionen untersuchen zu lassen, um einen größtmöglichen Kosten-Nutzen-Effekt für den Geldgeber und die zivile Bevölkerung zu erzielen.
Das Bundesheer hat das Know-how zur Kampfmittel-Erkundung/Aufklärung (KM-Erk/Aufkl). Dazu benötigt es lediglich die Nachbeschaffung geeigneter Geräte und Systeme, um die Durchführung einer mehrdimensionalen Kampfmittelaufklärung international gewährleisten zu können.
Major Mag.(FH) Ing. Johannes Mössler; Kommandant Lehrgruppe und Hauptlehroffizier für Kampfmittelbeseitigung an der Heereslogistikschule.
Dieser Artikel erschien im TRUPPENDIENST 3/2023 (393).