- Veröffentlichungsdatum : 08.06.2020
- – Letztes Update : 21.12.2020
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Der Weg des Drachen
Die Welt befindet sich im Krisenmodus. Die Krankheit COVID-19 und der Umgang mit dem auslösenden Virus SARS CoV 2 verläuft wie ein Realexperiment, das im Kern eines gemeinsam hat: Die Unsicherheit in der Anwendung der richtigen Abwehrstrategie.
Hunderte von hochrangigen internationalen Experten aller Fachgebiete verbindet vor allem das Unvermögen, eine klare Antwort darauf zu finden, wie auf die unsichtbare Bedrohung reagiert werden soll. Die Politik ist jedoch gezwungen, Maßnahmen zu setzen. Zum Schutz der betroffenen Bevölkerungen handelt sie. Sie agiert dabei auf unbekanntem Terrain, und die langfristigen Folgen ihres Handelns liegen derzeit noch völlig im Unklaren. Zum jetzigen Zeitpunkt scheint gesichert, dass China der Ausgangspunkt des neuartigen „SARS CoV 2“-Virus gewesen ist. Chinas Staatsführung war daher gefordert, als Erstes zu reagieren. Sie tat es, und zwar in einer Art und Weise, die den Westen in Staunen versetzte. Einen genaueren Blick auf die getroffenen chinesischen Maßnahmen zu werfen, scheint daher angebracht.
Am 26. Dezember 2019 bemerkte die chinesische Ärztin Jixian Zhang, die Leiterin der Lungenabteilung des Provinzkrankenhauses in Hubei, vier ungewöhnliche Fälle einer Lungenentzündung. Drei der Fälle waren in derselben Familie aufgetreten. Bereits zwei Tage später meldete die Ärztin ihre Entdeckung der lokalen Vertretung der staatlichen Gesundheitsbehörde. Nur einen Tag später entdeckte sie drei weitere Fälle. Die Meldung der Ärztin wurde rasch durch die Instanzen weitergereicht und bereits am 30. Dezember wurde damit begonnen, lokal nach weiteren Verdachtsfällen zu suchen.
Am 31. Dezember 2019 meldete die zuständige Gesundheitsbehörde der Provinz Hubei die Fälle an die chinesische zentrale staatliche Stelle zur Seuchenbekämpfung, die die Information wiederum an die Weltgesundheitsbehörde WHO weitergab. Am nächsten Tag, dem 1. Jänner 2020, wurde auf Anweisung der lokalen chinesischen Behörden der Fischmarkt in Huanan geschlossen und am 7. Jänner hatte man das Virus genetisch soweit identifiziert, dass es offiziell als „2019-nCoV“ bzw. „SARS CoV 2“ bezeichnet werden konnte.
Informationsgewinnung über einen unsichtbaren Gegner
Wie war es möglich gewesen, dass bereits derart wenige Fälle eine ernsthafte Reaktion der chinesischen Behörden bewirkt hatten? Die rasche Meldekette scheint – entgegen der immer lauter werdenden Behauptung, die chinesischen Behörden hätten sie unterdrückt – tatsächlich innerhalb weniger Tage funktioniert zu haben. Überschattet waren die Reaktionen aber auch von Fällen wie dem Augenarzt und Whistleblower Li Wenliang, der selbstständig damit begann, die Welt über das neue Virus in Kenntnis zu setzen und dafür von den chinesischen Behörden bedroht wurde und schließlich sogar selbst der Krankheit erlag. Trotz der aktuell immer lauter werdenden Vorwürfe der Unterdrückung und Druckausübung durch die chinesische Regierung darf nicht vergessen werden, dass Asien nicht das erste Mal mit einer Pandemie konfrontiert ist.
Viele asiatische Staaten haben – im Gegensatz zu den Europäern und Amerikanern – aus den Erfahrungen von SARS CoV 1 (2002/2003), Vogelgrippe H5N1 (ab 2004), Schweinegrippe A/H1N1 (2009/2010) und MERS (2012, anhaltend) gelernt. Zu den Folgen zählten in den vergangenen Jahren unter anderem großflächige Schulungen des medizinischen Personals in der Erkennung möglicher Frühindikatoren einer regionalen Epidemie oder überregionalen Pandemie. Einer raschen Informationsgewinnung und einer Vernetzung der zuständigen Stellen der Seuchenbekämpfung kam so eine entscheidende Bedeutung zu. China und Asien reagierten daher schnell. Australien veröffentlichte beispielsweise bereits am 7. Februar 2020 einen „Australian Health Sector Emergency Response Plan for Novel Coronavirus (COVID-19)“. Es bleibt daher die Frage, ob die bereits aus Asien (nicht nur aus China, sondern auch aus anderen betroffenen Ländern) vorliegenden Informationen auch in Europa und Amerika von Anfang an mit der notwendigen Ernsthaftigkeit betrachtet wurden.
Straffe und einheitliche Führung
Innerhalb kurzer Zeit stiegen die Infektionsfälle in China weiter an. Nach vorliegenden Quellen wurde in Wuhan bereits am 10. Jänner 2020 von einem ersten Todesopfer im Zusammenhang mit COVID-19 berichtet. Weitere 42 Personen wurden an diesem Tag offiziell als Infizierte geführt. Es vergingen weitere fast 14 Tage, bis die chinesische Regierung am 23. Jänner schließlich die erste harte Maßnahme anordnete und auch durchsetzte. Praktisch über Nacht wurde Wuhan, die Hauptstadt der Provinz Hubei, von Sicherheitskräften abgeriegelt; ohne Ankündigung oder Vorwarnung der betroffenen Bevölkerung. Von einem Moment auf den anderen fand das bisherige Leben der Bürger ein abruptes Ende.
Dazu war es gekommen, weil die chinesische Staatsführung mit den Maßnahmen der Provinzregierung offensichtlich unzufrieden war. Nachdem sich in der vierten Kalenderwoche bereits knapp 400 Personen in Behandlung befunden hatten und weitere 2 500 Verdachtsfälle vorlagen, die Provinzregierung aber trotzdem ein traditionelles Festessen mit 160 000 Menschen nicht untersagt hatte, zog man die Notbremse – in einer Art und Weise, wie es vermutlich nur in einem zentralistisch geführten Staat möglich ist. In Anbetracht des am 25. Jänner 2020 bevorstehenden chinesischen Neujahrsfestes schien eine direkte Intervention des Staates die einzig gangbare Möglichkeit.
Die Maßnahmen der chinesischen Staatsführung zur Umsetzung eines „Lockdown“ hatten weitreichende Folgen. Sie blieben nicht nur auf Hubei und Wuhan beschränkt, sondern betrafen schließlich mehrere Millionenstädte und sorgten dafür, dass in kurzer Zeit über sechzig Millionen Menschen unter Quarantäne standen. Auf dem Höhepunkt der Krise unterlagen in China sogar 1,4 Milliarden Menschen strengen Ausgangsbeschränkungen. Diese wurden über vier Wochen aufrechterhalten. Möglich war dies durch die lineare Struktur des chinesischen Entscheidungsprozesses.
Vorbereitung einer gesamtstaatlichen Reaktion
Die Intervention der chinesischen Sicherheitskräfte erfolgte effizient und rasch, so dass von einer sorgfältigen Vorbereitung auszugehen ist. Innerhalb kurzer Zeit wurden, gepaart mit dem „Lockdown“, zusätzliche flächendeckende Kontrollmechanismen eingeführt. Als die Bewohner der vom Virus am stärksten betroffenen Gebiete das nächste Mal ihre Supermärkte besuchten, empfing sie dort bereits die Verpflichtung zum Fiebermessen. Diese wurde in weiterer Folge auf Flughäfen, Straßen, Banken sowie Ein- und Ausfahrtsstraßen der Städte erweitert. Etwaige Ausweichstraßen wurden entweder streng überwacht oder mittels künstlicher Barrieren (z. B. Sandaufschüttungen) unpassierbar gemacht. Zudem wurde jeder Bewohner aufgefordert, auf seinem Mobiltelefon verpflichtend eine App herunterzuladen. Diese übermittelt dem Bediener nicht nur Informationen über mögliche infizierte Kontakte in seinem Umfeld, sondern kategorisierte den Betroffenen auch selbst. Mund- und Nasenschutz waren sofort verfügbar und mussten verpflichtend getragen werden. Das Verlassen des eigenen Wohnbereiches war nur mehr alle zwei Tage gestattet. Die eingesetzten Sicherheitskräfte bestanden im Wesentlichen aus Polizeikräften, die in weiterer Folge von so genannten Nachbarschaftskomitees unterstützt wurden. Die Polizei machte die Absperrungen, während die Angehörigen der Nachbarschaftskomitees die Bevölkerung in die Pflicht nahmen.
Die chinesische Volksbefreiungsarme blieb im Hintergrund. Sie übernahm die Aufgabe, die notwendigen medizinischen Maßnahmen zu organisieren. Dazu zählte unter anderem der Bau von zwei behelfsmäßigen Krankenhäusern mit einer Kapazität von je 1 000 Erkrankten. Die Errichtung dieser beiden Bauten wurde in jeweils vierzehn Tagen abgeschlossen. Zudem übernahm sie die Planung und Durchführung der logistischen Aufgabenstellungen. Dazu zählte auch die Versorgung der Supermärkte mit einheitlich abgepackten Essenspaketen. In der chinesischen Medienberichterstattung wurde betont, dass der Einsatz des Militärs ausschließlich zur Unterstützung der Bewältigung der Krise diene. Laufend wurden Bilder über das Herstellen der Marschbereitschaft, die Verlegung in die Einsatzräume und der dortige Aufbau von medizinischen Kapazitäten gezeigt. Der Bevölkerung wurde vermittelt: „Eure Soldaten lassen euch in der Krise nicht im Stich!“
Erste Wirkung der eingesetzten Kräfte und Maßnahmen
Gemäß den von der chinesischen Regierung veröffentlichten Zahlen der Neuerkrankungen und Todesfälle zeigten die getroffenen harten Maßnahmen unverzüglich Wirkung. Diese war aber erst nach einer Verzögerung von etwa zwei Wochen tatsächlich erkennbar. Da zunächst immer neue Fälle entdeckt wurden, stiegen die Zahlen vorerst weiter an. Das Zurückgehen der Neuinfektionen wurde daher erst verzögert bemerkt. Am 4. Februar meldeten die Behörden noch über 3 500 offizielle Fälle, tatsächlich war die Zahl aber bereits ab dem 25. Jänner rückläufig. Am 30. Jänner hatte die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization – WHO) zudem die entstehende Pandemie als „public health emergency concern“ eingestuft.
Es scheint, dass vor allem das radikale Einschränken des täglichen Lebens die unkontrollierte Ausbreitung des Virus verlangsamte bzw. eindämmte. Die Bevölkerung ertrug die Maßnahmen, scheinbar geprägt durch die Erlebnisse mit ähnlichen Pandemiesituationen, mit stoischer Ruhe und Disziplin. Trotzdem regte sich auch in China Widerstand. Vor allem wenn Familien unmittelbar betroffen waren, Verdachtsfälle gewaltsam isoliert oder die Kontrollmaßnahmen und Eingriffe in das tägliche Leben als zu harsch betrachtet wurden. Diese Kritik wurde auch publiziert, jedoch immer innerhalb der vom Staat tolerierten Grenzen. Es scheint das erklärte Ziel der chinesischen Staatsführung in dieser Phase gewesen zu sein, jedes Aufkeimen von Unsicherheit zu unterbinden. Das Volk sollte sehen, dass der Staat ruhig, strukturiert agiert und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln den Kampf gegen das Virus aufnimmt.
Projektion und Verstärkung der Reaktionskräfte
Die Anzahl von lokalen chinesischen Sicherheitskräften war für eine derart massive Intervention zu gering, womit der Verstärkung und Nachführung von Kräften besondere Bedeutung zukam. Die chinesische Volksbefreiungsarmee übernahm die notwendige Kräfteprojektion. Innerhalb eines kurzen Zeitraumes wurden geschätzte 10 000 Soldaten (davon ca. 4 000 Angehörige des Sanitätsdienstes) in die Quarantänegebiete entsandt. Bei dem entsandten medizinischen Personal verwendete man vorrangig jene Einheiten, die bereits in der Vergangenheit Erfahrungen mit SARS und Ebola gesammelt hatten. Zusätzlich wurden 38 000 zivile Ärzte und notwendiges Pflegepersonal nach Hubei entsandt. Jede chinesische Provinz hatte medizinisches Personal in die betroffenen Regionen abzustellen. Zur Motivation wurden die Löhne des entsandten Personals verdoppelt. Verlegt wurde vor allem im Eisenbahn- oder Lufttransport. Beide Transportarten hatten den großen Vorteil, nicht den möglichen Einschränkungen bei der Nutzung des Straßennetzes zu unterliegen. Flüge und Züge wurden direkt in die Einsatzgebiete geleitet. Bis zu elf Großraumtransportflugzeuge vom Typ Xian Y-20, Shaanxi Y-9 und Iljuschin IL-76 standen permanent im Einsatz, um die am dringendsten benötigen Güter (Schutzmasken und -anzüge, Desinfektionsmittel, Sanitätspersonal) in die Einsatzgebiete zu verbringen.
Für das Seuchenzentrum in Wuhan standen zwei Großraumtransporthubschrauber vom Typ Changhe Z-8 zur Verfügung. Sperrige Krankenhausausstattung und Lazarettausrüstung wurde per Bahn verlegt und die getroffenen Maßnahmen rasch umgesetzt. Diese wurden von einer Informationskampagne in den Medien begleitet. Die Menschen vor den Fernsehern oder in den sozialen Internetportalen konnten so die Maßnahmen der Regierung laufend beobachten. Einzelne eintreffende Einheiten wurden vorgestellt und individualisierte Beiträge, wobei Kommandanten, Piloten, Ärzte oder Pflegepersonal interviewt wurden, gezeigt.
Schutz der eingesetzten Kräfte und der betroffenen Bevölkerung
Eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit der von der Regierung getroffenen Maßnahmen wurde in China nicht öffentlich geführt. Der simple Mund-Nasenschutz war von Beginn an der tägliche Begleiter der Bevölkerung. Produziert im eigenen Land, angeliefert durch das Logistiksystem der Armee und verteilt durch die Nachbarschaftskomitees wurden mögliche Engpässe rasch überbrückt. Spezielles Gerät (z. B. Beatmungsmaschinen), das von der eigenen Industrie zunächst nicht in ausreichender Menge zur Verfügung gestellt werden konnte, wurde im großen Stil im Ausland angekauft. Dieses war zu diesem Zeitpunkt noch uneingeschränkt auf dem Markt verfügbar und konnte somit – häufig begleitet von einem verwunderten Lächeln amerikanischer und europäischer Firmenvertreter, die diese „Panikkäufe“ für absurd hielten – einfach besorgt werden.
Das Auftreten der chinesischen Sicherheitskräfte war (zumindest ist dies den verfügbaren Bildaufzeichnungen zu entnehmen) ausnahmslos dem Bedrohungsbild angepasst. Abstände wurden eingehalten, Masken getragen und laufend Desinfektionen durchgeführt. Auch hier wurde vom zentralen chinesischen Krisenmanagement darauf geachtet, keinerlei Unsicherheit entstehen zu lassen. Dass derartige Situationen trotzdem eintraten, zeigten nicht zuletzt die Hilferufe des betroffenen Sanitätspersonals in sozialen (auch im Westen einsehbaren) Netzwerken. Gerade in dieser Gruppe traten am Beginn wegen Nachlässigkeit und in weiterer Folge aufgrund von Überlastung und Mangel an Ausrüstung viele neue Infektionsfälle auf. Der chinesische Staat konnte mithilfe seiner engmaschigen Überwachung auch hier immer kontrollierend und die Situation beherrschend eingreifen. Videos und Berichte, die trotzdem in den Westen gelangten, wurden dort jedoch kaum ernst genommen. Zu abstrakt erschien den westlichen Staaten im Februar des Jahres die Gefahr einer globalen Pandemie.
Laufende Unterstützung und Durchhaltefähigkeit der Kräfte
Im März 2020 begannen die chinesischen Staatsmedien zuerst vorsichtig und schließlich immer eindringlicher zu verkünden, dass man den Höhepunkt der Krise überschritten hätte. Trotz eines merklichen Aufatmens in der Bevölkerung wurden die Maßnahmen aber nicht gelockert. Um die laufende Versorgungssicherheit gewährleisten zu können, wurden erneut alle chinesischen Provinzen in die Pflicht genommen. Sie hatten für die betroffene Region Hubei Versorgungsgüter bereitzustellen. Somit entstanden dort keine sichtbaren Engpässe. Der Fokus verschob sich nun auf die immer größere Zahl an Menschen, die aus dem Ausland zurückkehrten, auf die lückenlose Kontrolle der Grenzübergänge und auf die Kontrolle des innerchinesischen Verkehrs. Diese massive Rückreisebewegung war für die chinesische Staatsführung eine unangenehme Überraschung. Zuerst floss alles über Beijing und Shanghai in die Heimat zurück.
Als immer mehr Rückkehrer über die Landesgrenze Russland/China ins Land strömten wurde begonnen, die Grenze engmaschig zu überwachen. Das inkludierte auch die Räume zwischen den offiziellen Grenzübergängen, da auch dort die Zahl der Grenzübertritte anstieg. Immer wieder wurden infizierte Personen aufgegriffen, die sich der Kontrolle durch die Behörde entziehen wollten. Die Durchseuchung der Rückkehrer aus den USA und aus Europa wurde zunehmend zur Bedrohung. So kam es kurzfristig tatsächlich zu einem neuerlichen Anstieg der Infektionen.
Durch den Einsatz eines QR-Codes war der Gesundheitszustand jedes Einheimischen für die staatlichen Exekutivorgane jederzeit einsehbar. Der Zustand „Grün“ bedeutete, dass man sich im Rahmen der Vorgaben bewegen durfte, „Gelb“ die Notwendigkeit, sich Anweisungen der Behörden (z. B. Meldepflicht, Fiebermessung, Untersuchung) unterordnen zu müssen und „Rot“ die Isolation. Letzteres bedeutete, dass Menschen von einem Moment auf den anderen beispielsweise aus der Schlange vor dem Supermarkt heraus isoliert und in Quarantänelager verbracht wurden.
Die am Beginn praktizierte Heimisolation hatte sich aufgrund des üblichen engen Kontaktes innerhalb chinesischer Familienstrukturen als nicht zielführend erwiesen. Diese unmittelbare Verbringung in die Quarantänelager wurde zum Teil unter Gewaltanwendung durchgeführt. Dieses Vorgehen blieb in der chinesischen Bevölkerung nicht unbeobachtet, trotzdem zeigten sich keinerlei Anzeichen von Panik oder Unruhe. Die isolierten Verwandten durften tatsächlich innerhalb kurzer Zeit wieder Kontakt zu ihren Angehörigen aufnehmen. Laufend wurden die Einheiten der Sicherheits- und Sanitätskräfte abgelöst und durch neue ersetzt – immer begleitet von einer Informationskampagne, die die „Helden“ begrüßte oder verabschiedete. Die Familien von verstorbenen Sicherheitskräften wurden mit Sonderprämien bedacht. Mit zentral gesteuerten Maßnahmen wurde die chinesische Wirtschaft in dieser Zeit, wo immer das möglich war, staatlich unterstützt – beispielswiese durch den gezielten Transport von benötigten Arbeitskräften oder durch entsprechende Hilfs- und Steuerpakete. So konnte eine gesamtstaatliche Durchhaltefähigkeit während des gesamten Zeitraumes sichergestellt werden.
Was wir daraus lernen können
Viele der beschriebenen Maßnahmen Chinas wurden in Europa und Amerika am Beginn der Krise mit mehr oder weniger Interesse verfolgt. Die asiatischen Staaten reagierten hingegen schnell und abhängig von ihren Möglichkeiten. Südkorea und Singapur trafen rasch Maßnahmen, Japan, Australien sowie die Sonderwirtschaftszone Hongkong zogen nach. Selbst bevölkerungsreiche Staaten wie Indien oder Indonesien setzten im Vergleich zu Europa und Amerika rasch Konsequenzen. Die Reisebewegungen der modernen globalisierten Welt sorgten dafür, dass das Virus trotzdem weltweit schnell in Umlauf geriet.
Als in Amerika und Europa das Virus schließlich mit voller Wucht zuschlug, waren die Reaktionen oft eher panisch als kontrolliert. Nun, da der Ausbruch oder eine mögliche erste Welle unter Kontrolle scheint, überwiegt in der westlichen Debatte nicht die Erleichterung, sondern der Vorwurf. Dieser pendelt zwischen „völlig überzogene Reaktion auf eine „normale Grippewelle“ bis hin zu „China ist der Auslöser und hat uns nicht rechtzeitig gewarnt“ oder „die Urnenverkäufe in China lassen ein Vielfaches an Toten vermuten“. Dazu kommen eine Vielzahl von Verschwörungstheorien (bis hin zu einem geplanten Biowaffeneinsatz) und eine völlige Inkohärenz in der Expertenmeinung (z. B. bei der Herdenimmunisierung oder den getroffenen Schutzmaßnahmen).
Die Liste ließe sich beliebig in jede Richtung fortsetzen. Tatsächlich eint jedoch alle das Unwissen über die wirklichen Folgen der Auswirkungen des Virus – unabhängig ob in medizinischer oder wirtschaftlicher Hinsicht. Dies resultiert in einer Situation der Unsicherheit, die tunlichst vermieden werden sollte. Umfragen, gerade auch in Österreich, belegen, dass die Bürger die Maßnahmen der eigenen Regierung mittragen. Man hofft, dass bald wieder alles so sein wird, wie vor der Krise. Ob dies zutrifft, wird sich zeigen.
Fazit und Ausblick
Die Antworten auf viele Fragen liegen tatsächlich in der Zukunft, und manches wird wohl immer unbeantwortet bleiben. Die Forschungen der nächsten Monate werden mehr Klarheit über Herkunft und Auswirkungen des Virus bringen. In China arbeitet zurzeit ein Forschungsteam unter der Leitung von Frau Generalmajor Chen Wei an der Untersuchung des Virus. Sie berichtete bereits von ersten erkannten Mutationen. Welche Auswirkungen diese haben werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt völlig unklar. Gerade jetzt sollte man daher geduldig, offen und ohne Vorurteile die Reaktionen und Forschungen der unterschiedlichen Staaten unter die Lupe nehmen.
Oberstleutnant dG Dr. Markus Reisner, PhD ist Projektoffizier an der Entwicklungsabteilung der Theresianischen Militärakademie.
Der vorliegende Beitrag wurde, basierend auf den Bericht eines in China lebenden Österreichers, verfasst, der von Beginn an die Maßnahmen der chinesischen Regierung am eigenen Leib verspürte. Im Sinne eines notwendigen Willens zur laufenden Verbesserung des eigenen gesamtstaatlichen Krisenmanagements sollte sich daher gerade jetzt jeder die Zeit nehmen und versuchen, die bestmöglichen Ableitungen für die eigenen Strukturen zu treffen. Dies heißt nicht, dass man die Maßnahmen des chinesischen Staates zur Bekämpfung der Krise unreflektiert übernehmen sollte. Es heißt auch nicht, dass man die demokratischen Grundprinzipien unseres Wertesystems zur Seite wischen sollte. Es bedeutet jedoch, dass man immer voneinander lernen kann. Und das sollte in der aktuellen Krise der Richtungspunkt sein, um auf eine mögliche zweite Welle oder die nächste Pandemie vorbereitet zu sein. |