Die Ampel steht auf Rot
Die Soldatinnen und Soldaten des Österreichischen Bundesheeres standen in den vergangenen Jahren de facto unter Dauerbelastung. Egal, ob es sich um den Sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsatz an der Staatsgrenze oder um eine Assistenz- bzw. Unterstützungsleistung während der Corona-Krise handelte. Das Bundesheer war zur Stelle!
Dieses Engagement hat aber einen hohen Preis, und damit ist nicht „das Geld“ gemeint. Vielmehr hat die Verwendung außerhalb der Kernaufgabe, die militärische Landesverteidigung und die damit verbundene Einsatzvorbereitung (Ausbildung) zwei Defizite zur Folge. Erstens, einen eklatanten Kompetenzverlust im militärischen Handwerk, da neben den Einsätzen kaum Zeit für die militärische Ausbildung und deren Anwendung in Form von Übungen zur Verfügung steht. Zweitens, eine teilweise massive Frustration beim Kaderpersonal, da sie ihre Hauptaufgabe nicht ausüben können bzw. nicht in dieser verwendet werden.
Viele Soldatinnen und Soldaten haben aktuell den Eindruck als „billige Arbeitskräfte“ eingesetzt zu werden und eine Arbeit zu machen, die auch andere österreichische Staatsbürger leisten könnten. Es ist tatsächlich nur schwer vermittelbar, dass die Tätigkeiten bei den Unterstützungsleistungen die eigentliche Aufgabe eines Soldaten sein sollen.
Das gilt vor allem seit dem 24. Februar 2022 (Beginn Ukraine-Krieg) und der daraus resultierenden völlig veränderten Sicherheitslage in Europa. In diesem Zusammenhang erhält das Engagement in den Nebenaufgaben sogar eine strategische Dimension. Schließlich führt die fehlende Ausbildungszeit zu einem militärischen Kompetenz- und Qualitätsverlust, die letztendlich die Sicherheit Österreichs gefährden können.
Die Frustration des Kaders ist nicht nur in Gesprächen spürbar, sie zeigt sich auch in Zahlen. Die Absprungrate steigt, die Rekrutierungszahlen sinken. Der Soldatenberuf ist in der derzeitigen Form unattraktiv geworden und viele, die sich für diesen entschieden haben, verlassen das Bundesheer nach ihrer Ausbildung.
Warum ist das so? Ein Grund ist wohl, dass die aktuelle Realität des Soldatenberufes nicht dem Bild entspricht, das sie als Interessenten hatten bzw. ihnen durch die Personalwerbemaßnahmen (Filme, Flyer, Gespräche etc.) vermittelt wurde. Wer sich für den Soldatenberuf entscheidet, möchte Soldat sein, das Militär erleben, die militärische Heimat spüren und Teil eines Teams – der sogenannten Kampfgemeinschaft – sein.
Werben ist die eine Sache, aber um einsatzbezogen auszubilden, einen attraktiven Dienst zu bieten und eine moderne Einsatzarmee zu sein, bedarf es mehr. Nämlich der „schon immer“ geforderten Schaffung von Rahmenbedingungen. Dazu gehört neben einer zeitgemäßen Infrastruktur, Ausrüstung und Bekleidung, eine einsatzfähige Struktur auch die Möglichkeit das militärische Handwerk zu festigen. Wichtig ist nicht, wie viele Soldatinnen und Soldaten rekrutiert werden, sondern wie viele ausgebildet werden und im System bleiben.
Was gilt es zu tun, um der aktuellen Situation entgegenzutreten? Aus meiner Sicht müssen wir zurück zum soldatischen Handwerk – zu den Wurzeln. Die Aufträge müssen wieder militärischer Natur sein. Vor allem müssen wir mehr üben, um unser Handwerk zu trainieren, militärische Erfahrungen zu sammeln und „die Kampfgemeinschaft erleben“ zu können. Zudem gilt es die hohe zeitliche Belastung durch die vielen (Neben-)Aufgaben zu verringern, um Zeit für die Kernaufgabe zu gewinnen und dem Prinzip von Be- und Entlastung zu entsprechen. Es ist klar, dass der Soldatenberuf Entbehrungen beinhaltet, dennoch haben auch Soldaten ein Privatleben, eine Familie, weshalb Planungssicherheit wichtig ist. Hier sind alle Kommandanten, Vorgesetzten und die politischen Entscheidungsträger gefordert. Ohne eine spürbare Reduktion untypischer Aufträge wird es nicht gehen.
Den Kaderanwärtern gilt es mit Wertschätzung und einer zeitgerechten Unternehmenskultur zu begegnen. Eine Adaption der Ausbildung hinsichtlich inhaltlicher und zeitlicher Aspekte ist unumgänglich, auch wenn das bedeutet Lehrgänge zu verlängern. Unser Motto muss lauten: „Fördern, um zu fordern“. Für die Ausbildung des zukünftigen Kaders müssen die besten und erfahrensten Soldaten eingesetzt werden. Das ist die wertvollste Investition in die Zukunft und die Qualität. So können wir etwas bieten, worin wir konkurrenzlos sind und das unserem „Alleinstellungsmerkmal“ entspricht: Als Soldatin bzw. Soldat dem Staat und seinen Bürgern zu dienen.
Zugegeben, diese Zeilen mögen viele nicht gerne lesen oder wahrhaben wollen. Als Kommandounteroffizier ist es jedoch meine Aufgabe auch unangenehme Dinge anzusprechen. Das gilt besonders für die aktuelle Personalsituation, bei der es „5 Minuten nach 12“ ist. Nun bedarf es den Anstrengungen aller, dieser Situation entgegenzutreten und uns wieder unserer Kernkompetenz, dem Soldatenhandwerk, zu widmen. Die Aussage des scheidenden Generalstabchefs, General Robert Brieger, kann uns die Richtung weisen: „Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen“.
Vizeleutnant Josef Stessl; Kommandounteroffizier Streitkräfte (m.d.W.b.)