Die Chroniken von Corona
Willkommen in der "neuen Normalität"
Was Ende 2019 mit ersten Berichten zu einem neuartigen Virus begann, entwickelte sich rasch zu einer globalen Dynamik, einer Pandemie bisher unbekannten Ausmaßes, die uns alle von heute auf morgen in einen Ausnahmezustand versetzt hat. Niemand war auf eine solche Ausnahmesituation vorbereitet.
Mit dem „Lockdown“ Mitte März 2020 wurden wir in eine Art „Parallelwelt“ katapultiert, in der es Einschränkungen, Unsicherheit, Existenzbedrohungen, ungewohnte neue Verordnungen und Schutzmaßnahmen gibt. Nichts schien, wie es einmal war. Gewohntes und Routinen fielen auf einen Schlag weg. Diese drastischen Veränderungen unserer normalen privaten und beruflichen Gewohnheiten erforderten massive Anpassungsleistungen, um uns an diese „Parallelwelt“ gewöhnen zu können. Wie konnte das in so kurzer Zeit gelingen?
„Shifting-Baselines“
Die Antwort auf diese Frage liefert das psychologische Konzept der „Shifting-Baselines“, sich verschiebender Basislinien und Normalitäten. Gemeint ist damit, dass sich die Referenzpunkte, anhand derer wir unsere Umwelt beurteilen, allmählich verschieben. Was Anfang dieses Jahres noch unvorstellbar war, ist heute in unserem aktuellen Erfahrungshorizont schon verständlicher geworden.
Dieses Konzept erklärt auch, warum die Empfehlungen und Schutzmaßnahmen mehrheitlich akzeptiert wurden. Veränderte Wahrnehmungsreferenzpunkte nehmen aber ebenfalls Einfluss auf unsere subjektive Risikowahrnehmung. Denn diese ist nicht statisch, sondern verändert sich durch Erfahrungen, die wir machen und Informationen, die wir aufnehmen.
Sinkende Risikowahrnehmung
Österreich konnte den „Lockdown“ dank sinkender Fallzahlen nach rund sechs Wochen wieder lockern. Nach dieser Vollbremsung fuhr das System Anfang Mai wieder langsam im Schwebezustand hoch. Weiterhin gilt es, das Verhalten zu kontrollieren und Disziplin zu halten. Aber die enormen Anpassungsleistungen der vergangenen Monate zeigen erste Ermüdungserscheinungen, wenn das Risiko zur Routine wird. Wie aktuelle Studien zeigen, schätzen die Menschen in Österreich das Risiko für die Gesundheit durch das Corona-Virus mittlerweile deutlich geringer ein und schützen sich daher auch immer weniger. Dies zeigt sich v. a. darin, dass die geforderte Abstandsregel nicht mehr im nötigen Maße eingehalten wird.
Mit zunehmender Dauer der Maßnahmen und Routinen kann das Phänomen der „Verantwortungserosion“ auftreten, bei dem es zu einer Reduktion der Disziplin und einer Zunahme des Risikoverhaltens kommen kann. Dies wiederum könnte die Verschärfung der Schutzmaßnahmen bedingen. Denn derzeit weiß niemand, ob und wann eine „zweite Welle“ kommen wird.
Soziale Norm – „Herdentrieb“
Unser Handeln wird von sozialen Normen und möglichen Konsequenzen unseres Verhaltens beeinflusst. In unsicheren Entscheidungssituationen wird bei Menschen häufig unbewusst ein „Herdentrieb“ geweckt, indem man sich so verhält, wie die anderen. Entwicklungsgeschichtlich betrachtet war es für unsere Vorfahren überlebenswichtig, in der Gruppe zu bleiben und so zu handeln, wie die anderen. Geht also der Nachbar mit gutem Beispiel voran, ist der soziale Druck auf den Einzelnen hoch und die Bereitschaft, sich auch sozial erwünscht zu verhalten, z. B. die Abstandregel einzuhalten, steigt. Hierbei wird eine implizite soziale Norm geweckt, die dazu veranlasst, es den anderen gleich zu tun. Auch weitere Maßnahmen, wie das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes, können über die Aktivierung sozialer Normen zu Kooperation führen. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran!
„Neue Normalität“
Es ist eine außergewöhnliche Zeit, die inzwischen schon fast „normal“ ist. Da wir noch immer inmitten der Corona- Krise sind, wenn auch zurzeit abgeschwächt, gibt es noch keine Ergebnisse über die psychischen Langzeitauswirkungen dieser Pandemie. Die Forschung hat aber gezeigt, dass insgesamt betrachtet die Fähigkeit der Bevölkerung, Krisen gut zu überstehen, für sich (neue) Wege zu finden, mit der Krise umzugehen und darin sogar eine Chance zu erkennen, gut ausgeprägt ist.
Abschließend ein Zitat von C.S. Lewis aus „Die Chroniken von Narnia“: „Wenn etwas schief geht im Leben, dann wird es eine Zeit lang meistens schlimmer und schlimmer. Aber wenn die Dinge erst einmal anfangen, gut zu laufen, dann werden sie oft immer besser und besser“. In diesem Sinne, bleiben Sie gesund in der „neuen Normalität“!
Kommissär Mag. Birgit Schlatzer, Referat Prävention und Arbeitspsychologie