Die Psycho-Logik einer Pandemie
Es ist, als ob jemand die Pausentaste gedrückt hätte. Zuerst hat sich alles verlangsamt, der Motor der Gesellschaft mit der Leistungsgier nach immer schneller, weiter, größer ist ins Stottern gekommen, bis der Motor letztendlich abgestellt werden musste.
Anstelle der Beschleunigung tritt plötzlich die Entschleunigung. Und diese Notwendigkeit macht keinen Halt, weder in geografischer, noch in ökonomischer Hinsicht und auch nicht in gesellschaftlicher oder kultureller Ausrichtung. Es trifft jeden, es kann jeden treffen, es ist die sozialste Form der Krise - die Pandemie.
Gemeinschaften in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht sind überfordert und verlieren ihre Bedeutung. Es entsteht, was sich schon seit Jahrhunderten in solchen globalen Krisen gezeigt hat, der Rückzug auf nationalstaatliches Eigeninteresse. Das Gemeinsame der Globalisierung reduziert sich auf den gleichen „Feind“, die Dynamisierung weicht dem wirtschaftlichen Stillstand. In einigen europäischen Ländern wird dem Kampf gegen das Virus mit einer Kriegsrhetorik begegnet, indem von „Krieg“ und „Feind“ gesprochen wird. Als ob versucht wird, vom unsichtbaren Feind für die Menschen ein Bild zu zeichnen, eine Vorstellung. Krieg heißt aber auch Zerstörung, Ausgeliefert sein, Verlust und große Angst. Es wird dabei die Asymmetrie der derzeitigen „Feinde“ hervorgehoben, das Ungleichgewicht und ein eventueller Kontrollverlust. Die Aufmerksamkeit liegt auf einer kollektiven Defizitorientierung. Wenngleich viele Experten jetzt meinen, dass diese Dimension der Katastrophe, die durch das Corona-Virus ausgeht, vorhersehbar war, umso nachdenklicher macht das erlebte Unvorbereitet sein mit dem unbeschreiblichen Leid in manchen Ländern.
SARS, Mers oder Ebola waren in den vergangenen zwei Jahrzehnten wie Vorboten der jetzigen Tragödie, sie haben sich angekündigt und dennoch wurden sie nicht wahrgenommen. Es werden jetzt die zahlreichen Studien der jüngeren Vergangenheit aus China, Korea, Singapur, Kanada, Australien, Hongkong etc. ausführlich analysiert. Man versucht die darin gefundenen psychosozialen Erkenntnisse auf unsere Gesellschaft anzuwenden, um sich während der Krise gut vorbereiten zu können. Wissenslücken über das Virus erzeugen Ungewissheit und die Suche nach Antworten und Führung. Es wird versucht, eine Ausgewogenheit zwischen Zwang und Vertrauen herzustellen, zumal aus der Krisenkommunikation bekannt ist, dass ein Zuviel und ein Zulange an Zwängen die Stimmung ins Gegenteil verkehren kann und die Maßnahmen abgelehnt werden.
Das Commitment der Bevölkerung kann vorrangig nur durch Vertrauen hergestellt werden ein Vertrauen in die Führung, in die klare Kommunikation, in die Perspektiven. Das Verhalten der Menschen orientiert sich an der sozialen Norm, d. h. am sichtbaren und erlebten Verhalten der unmittelbaren Umgebung und insbesondere auch an den Konsequenzen. Wenn sich also Personen im nahen sozialen Umfeld nicht an Maßnahmen halten und daraus keine Konsequenzen resultieren, dann kann eine Verantwortungserosion entstehen, die rasch um sich greift. Das Bezugssystem ist der Nachbar, sind die Personen nebenan, nicht mehr die Politiker mit der Vorgabe von Restriktionen.
Nach einer anfänglich leichten Führbarkeit der Menschen in der Phase des Schocks und der Orientierung, folgt die Stabilisierungsphase, in der das Gefühl der persönlichen und kollektiven Wirksamkeit steigt und damit die scheinbare Sicherheit. Hier braucht es in weiterer Folge eine Perspektive, um eine zeitliche Zielsetzung und Einrahmung anzubieten. Liegen diese Angebote nicht vor, dann kommt es zur persönlichen Maßgabe. Für das Weiterhanteln der politischen Verantwortungsträger und der Aufrechterhaltung der Verhaltenskonformität der Bevölkerung werden dann vielfach Bilder und Metaphern verwendet, die emotionalisieren und eine anhaltende Reaktion auslösen sollen. Der Umstand, dass viele Österreicher keinen persönlichen Bezug zu Infizierten haben und damit das Virus unsichtbar bleibt, macht es notwendig, Emotionen zu schaffen. Italienische Spitäler, umfunktionierte Kühlhallen und Kühlcontainer als Leichenhallen, provisorische Lazarette etc. werden dann strapaziert. Aber auch diese Wirkung ist zeitlich begrenzt – genauso wie die Frage der Nachhaltigkeit der derzeitigen Lebensumstände.
Wird die Zeit der Entbehrungen und Einschränkungen ausreichen, um unsere persönlichen Lebensmuster zu verändern? Werden persönliche Errungenschaften aus dieser Krise einen Fortbestand haben? Oder aber werden wieder bekannte politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Pfade beschritten als emotionales und gedankliches Bekenntnis zur Sicherheit – es wird die Zukunft weisen.
Oberst dhmfD Mag. Christian Langer ist Leiter des Psychologischen Dienstes und Militärpsychologe.