Die Sicherheitsstrategie der Europäischen Union
Der EU wird, populistisch formuliert, Untätigkeit, Trägheit oder Unwille zu Reformen nachgesagt. Es entsteht der Eindruck, dass versucht wird, mit Kritik an der EU innenpolitisches Versagen der Mitgliedsstaaten zu kaschieren und die EU als Sündenbock hinzustellen. Tatsächlich sind es aber einzelne EU-Mitgliedsstaaten, die letztlich über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.
Die Welt hat sich im 21. Jahrhundert in vielerlei Hinsicht in eine Richtung entwickelt, die sowohl eine enge Kooperation der Mitgliedstaaten der Europäischen Union als auch außerhalb notwendig macht. Krisen, Konflikte und Kriege sind zahlreicher geworden und geografisch näher an die EU herangerückt. Die einzelnen EU-Mitgliedstaaten können alleine keine nachhaltige Lösung zu der Problematik des internationalen Terrorismus außerhalb wie auch innerhalb der EU geben. Der Migration und damit verbunden Integrationsproblemen, der Piraterie entlang der Seehandelswege, dem Klimawandel, der fehlenden Energiesicherheit, der Pluralisierung globaler Machtzentren und der sich ständig ändernden sicherheits- und geopolitischen Lage kann nur gemeinsam entgegengetreten werden.
Die Sicherheit der EU-Mitgliedstaaten, also auch Österreichs, ist eng miteinander verbunden. Österreich wird sich daher, wie bereits in der Österreichischen Sicherheitsstrategie von 2013 verankert, an der Sicherheitspolitik der EU in allen ihren Dimensionen beteiligen. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen und sich potenzierenden sicherheits- und geopolitischen Verwerfungen besteht für die EU-Mitgliedstaaten und damit auch für Österreich Handlungsbedarf. Die bisher zaghaften Bemühungen zur Stärkung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) mit dem Ziel der künftigen und langfristigen Gewährleistung der Sicherheit der EU-Mitgliedstaaten und seiner Bürger sind ernsthaft und beherzt voranzutreiben.
EU-Globale-Strategie
Im Jahr 2015 wurde die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der EU-Kommission (HV/VP), Federica Mogherini, mit der Ausarbeitung einer neuen EU-Sicherheitsstrategie für die Sicherheits-, Außen- und Verteidigungspolitik beauftragt, die Antworten finden soll auf die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts, die kein Mitgliedstaat der EU für sich alleine zu lösen vermag.
Wenige Tage nach der Volksabstimmung über den Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU am 23. Juni 2016, hat die HV/VP dem Europäischen Rat (ER), das Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten, am 28. Juni 2016 ihr Konzept einer neuen EU-Sicherheitsstrategie für die weitere Ausrichtung der Sicherheits- und Außenpolitik der EU vorgestellt. Diese neue EU-Sicherheitsstrategie ist wesentlich weiter gefasst als jene von 2003. Mit den weiterentwickelten Grundlinien aus dem Jahr 2008 wurde diese als EU-Globale-Strategie (EUGS) durch den ER angenommen und stellt somit den normativen Rahmen für die Stärkung der GASP und der GSVP dar.
Prioritär werden mit der EUGS drei strategische Ziele verfolgt:
- Reaktion auf externe Konflikte und Krisen;
- Aufbau der Kapazitäten der Partner;
- Schutz der Union und ihrer Bürger.
Umsetzungsplan der EU-Globalen-Strategie
Eine Strategie, für den Bereich Sicherheit und Verteidigung, verlangt die Realisierung konkreter Maßnahmen mit konkreten Ergebnissen. Nach Annahme der EUGS durch den ER wurde die HV/VP, Federica Mogherini, mit der Ausarbeitung eines Umsetzungsplanes der EUGS für den Bereich Sicherheit und Verteidigung (Implementation Plan on Security and Defence) unter ständiger Einbindung und Zuarbeit der EU-Mitgliedstaaten beauftragt. Dieser Umsetzungsplan, wurde am 15. Dezember 2016 seitens des ER angenommen. Er ist Teil eines umfassenderen Maßnahmenpaketes zur Stärkung der GASP und GSVP. Weitere Teile dieses Maßnahmenpaketes sind:
Der Europäische Aktionsplan im Verteidigungsbereich (European Defence Action Plan) ist eine Initiative der Europäischen Kommission in enger Kooperation mit der Europäischen Verteidigungsagentur und der Europäischen Investitionsbank. Mittelfristig fördert das EU-Forschungsprogramm für den Verteidigungssektor Arbeitsplätze, Wachstum und Innovation in der gesamten EU und stärkt die strategische Autonomie der EU.
Die Zusammenarbeit der EU und der NATO (US) sind zu vertiefen. Am 28. Juni 2016 erklärte der ER, dass die Umsetzung der Gemeinsamen Erklärung zwischen EU und NATO ein wesentlicher Beitrag für die Optimierung der Fähigkeiten der EU als aktiver Sicherheitsgarant sei. Mit dem Umsetzungsplan der EUGS wurde der Startschuss für die konkrete Realisierung der strategischen Ziele gegeben.
Am 18. Mai 2017 wurden durch den Europäischen Rat die ersten konkreten Ergebnisse in folgenden Bereichen angenommen:
- Verbesserung der GASP-Krisenbewältigungsstrukturen;
- Verstärkung der militärischen Krisenreaktion;
- Vertiefung der europäischen Verteidigungszusammenarbeit;
- koordinierte jährliche Überprüfung der Verteidigung.
Verbesserung der GASP-Krisenbewältigungsstrukturen
Im Anschluss an seine Entscheidung am 15. Dezember 2016 sah der ER die Einrichtung eines militärisch permanenten operativen Planungs- und Führungsstabes (MPCC - Military Planning and Conduct Capability) vorerst nur für EU-Trainingsmissionen als kurzfristiges Ziel umsetzbar. Bisher lag die Planung und Führung bei den Kommandanten der Missionen im Einsatzgebiet. Das führte zu einer Vermischung der militärstrategischen, operativen und taktischen Befehlsebenen. Dadurch kam es mitunter zu Problemen bei der Planung und Durchführung von einzelnen Missionen.
Mit der Errichtung eines permanenten operativen Planungs- und Führungsstabes als Gegenstück zum bereits bestehenden zivilen Planungs- und Führungsstab (CPCC - Civilian Planning and Conduct Capability) und Etablierung einer gemeinsamen Unterstützungskoordinierungszelle, die mit Personal aus dem MPCC und CPCC gebildet wird, sollen einerseits die Voraussetzungen für bessere zivil-militärische Synergien geschaffen und andererseits die militärischen und zivilen Kommandanten in den Einsatzräumen entlastet werden. Diese Zelle wird kontinuierlich das zivile und militärische Fachwissen in zur Unterstützung von Missionen relevanten Bereichen zusammenführen, um eine wirksame zivil-militärische Zusammenarbeit bei der operativen Planung und Durchführung von GSVP-Missionen zu gewährleisten.
Der Generaldirektor des EU-Militärstabes (EUMS) wird vorläufig Direktor des MPCC und in dieser Eigenschaft bei EU-Trainingsmissionen die Aufgaben des Befehlshabers der Mission im Einklang mit dem Mandat wahrnehmen. Hinsichtlich der personellen Ressourcen wird davon ausgegangen, dass der MPCC anfänglich aus etwa 32 Personen (CPCC verfügt derzeit über ca. 80 Personen; Anm.) bestehen wird. Die Einrichtung des MPCC und die gemeinsame Unterstützungskoordinierungszelle sollen ein Jahr nach Erlangung der Einsatzbereitschaft, jedoch spätestens Ende 2018, einer Evaluierung unterzogen werden.
Zukunft EU-Operational-Headquarters
Von der großen Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten, insbesondere von Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien, wird dieser MPCC als Nukleus eines künftigen permanenten EU-Hauptquartiers zur Planung und Führung sämtlicher militärischer Missionen und Operationen der EU-Mitgliedstaaten gesehen. Dieses künftige EU-Operational-Headquarters (EU-OHQ) soll ganz im Gegensatz zum derzeit noch im Aufbau begriffenen MPCC nicht innerhalb des EU-Militärstabes (EUMS) angesiedelt sein. Es ist zu erwarten, dass frühestens 2018, spätestens jedoch nach erfolgtem BREXIT, mit dem Aufbau eines permanenten EU-Hauptquartiers begonnen wird.
Verstärkung der militärischen Krisenreaktion
Bereits im Juni 2004 wurde durch den ER die Aufstellung der EU-Battlegroups (EUBG) als wesentliches Element zur Optimierung der Reaktionsfähigkeit der EU-Mitgliedstaaten beschlossen. Die Umsetzung erfolgte bereits ab 2005 mit jeweils einer einsatzbereiten EUBG und seit 2007 mit jeweils zwei einsatzbereiten EUBG pro Halbjahr. Allerdings wurden die militärisch bestens vorbereiteten und trainierten EUBG, trotz vorhandener Anlassfälle, bislang noch kein einziges Mal eingesetzt. Obwohl die Gründe vielfältig sind, haben sich zwei wesentliche Einsatzhemmnisse herauskristallisiert.
Zum einen mangelnder politischer Wille aufgrund des langwierigen und von Einstimmigkeit geprägten politischen Entscheidungsfindungsprozesses, und zum anderen die Frage der Finanzierung der EUBG (derzeit „Costs lie where they fall“ - also Kostenübernahme durch die truppenstellenden EU-Mitgliedstaaten). Bei der Umsetzung der EUGS soll die militärische Einsatzfähigkeit, insbesondere die Reaktionsfähigkeit der EUBG verbessert werden. Mit Nachdruck wiesen die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten beim ER am 18. Mai 2017 darauf hin, dass systematischere Vorkehrungen und Zusagen ins Auge gefasst werden müssten, um Vorhersehbarkeit, Kohärenz, Effizienz und eine ausgewogenere Lastenverteilung zu fördern, um die politische Beschlussfassung über einen Einsatz zu erleichtern. Konkret sollen
- die Vorbereitungsphase durch verstärkte Übungstätigkeiten intensiviert und Volltruppenübungen durchgeführt werden,
- die Zusammensetzung der EUBG verbessert werden, um diese für einen spezifischen Einsatz auch modulartig einsetzen zu können,
- eine ausgewogenere Finanzierung durch Ausweitung der Kostenübernahme für die Bereiche Verlegung, Rückverlegung und Teile des Einsatzes der EUBG, umfassen und durch ATHENA erfolgen. ATHENA ist ein Mechanismus zur Verwaltung der Finanzierung der gemeinsamen Kosten von GSVP-Missionen und -Operationen.
Obwohl die EUBG bisher noch nicht eingesetzt worden sind, haben sie aufgrund ihrer multinationalen Zusammensetzung doch wesentlich zur Stärkung der Interoperabilität und Kooperation, insbesondere zur Transformation der Streitkräfte der EU-Mitgliedstaaten beigetragen. Österreich hat sich bisher für jeweils ein halbes Jahr an den EUBG 2011, 2012, 2016 und 2017 beteiligt und wird auch an den EUBG im gesamten Jahr 2018 sowie 2020 für ein weiteres halbes Jahr teilnehmen.
Vertiefung der europäischen Verteidigungszusammenarbeit
Der Vertrag über die Europäische Union erlaubt den EU-Mitgliedstaaten, die sich in der GSVP solidarisch im Interesse aller EU-Mitgliedstaaten engagieren wollen, ihre Kooperation im militärischen Bereich zu vertiefen. Diese notwendig gewordene Vertiefung der europäischen Verteidigungsarbeit soll durch Einrichtung der Ständig Strukturierten Zusammenarbeit (SSZ) umgesetzt werden, um vorrangig die GSVP zu stärken, die im Juni 2016 vereinbarten Zielvorgaben der EU auf die strategischen Prioritäten zu leisten. Ein weiteres Ziel ist, das Missverhältnis zwischen der Praxis gemeinsamer Missionen und Operationen und nationaler Lösungen bei der Entwicklung von Fähigkeiten zu beseitigen. Dieses Missverhältnis verursacht nicht nur enorme Kosten, sondern hat auch operationelle und strategische Defizite bei den Mitteln der GSVP zur Folge. Somit könnte die SSZ ein geeignetes Instrument für einen höheren Grad an sicherheits- und verteidigungspolitischer Integration und damit für eine verbindlichere, effektivere und effizientere GSVP darstellen.
Die Steuerung der Ständig Strukturierten Zusammenarbeit soll auf zwei Ebenen erfolgen. Einerseits auf der Ebene des ER - Regierungsebene - zur Sicherstellung von Transparenz und Gesamtkoordinierung und andererseits auf der Ebene der Projekte - Projektebene -, in denen nur diejenigen EU-Mitgliedstaaten vertreten sind, die zu einem oder mehreren bestimmten Projekten beitragen.
Bislang schreckten die EU-Mitgliedstaaten davor zurück, die SSZ zu nutzen und den Weg einer beständig enger werdenden Integration in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu beschreiten. Interessengeleitet wurden zwar bi- oder multilaterale Kooperationsbeziehungen etabliert, meist aber ohne konkreten Bezug zur EU. Es entstand ein Fleckerlteppich an Kooperationsformaten. Weder wurden nennenswerte EU-Fähigkeiten geschaffen, noch die Ressourcen der EU-Mitgliedstaaten effizienter genutzt. Österreich könnte beispielsweise die Mountain Training Initiative, als eines jener Leuchtturmprojekte des ÖBH, in dem Österreich europaweit die Führungsrolle übernommen hat, zu einem Projekt der SSZ als „EU Mountain Warfare Training Centre“ (EU-Gebirgskampfzentrum) am Standort Saalfelden weiterentwickeln.
Koordinierte jährliche Überprüfung der Verteidigung
Laut den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten benötige die EU mehr Fähigkeiten im Bereich Sicherheit und Verteidigung, um als globaler Sicherheitsakteur glaubwürdig zu sein. Um dieser Forderung gerecht zu werden, wird eine koordinierte jährliche Überprüfung im Verteidigungsbereich (Coordinated Annual Review on Defence - CARD) angestrebt. Damit will man die Sichtbarkeit der europäischen Entwicklung der Fähigkeiten im Bereich der Verteidigung erhöhen, die Verteidigungskooperation zwischen den Mitgliedstaaten vertiefen und eine effizientere Verwendung der Verteidigungsbudgets erzielen. Aufgrund der Tatsache, dass 22 EU-Mitgliedstaaten auch NATO-Mitglieder sind, soll die CARD in enger Abstimmung mit dem NATO-Verteidigungsplanungsprozess (NATO-Defence Planning Process - NDPP) erfolgen. Eine besondere Rolle kommt hierbei auch der Europäischen Verteidigungsagentur als Bindeglied zwischen EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission zu. Die koordinierte jährliche Überprüfung im Verteidigungsbereich (CARD) soll vor allem dazu beitragen, die nationalen Entwicklungspläne für Fähigkeiten im Verteidigungsbereich zu verstehen, Defizite aufzuzeigen und Herausforderungen zu identifizieren. Dadurch kann dargestellt werden, was die einzelnen EU-Mitgliedstaaten zur Europäischen Verteidigungsfähigkeit tatsächlich beitragen.
Der gesamte Prozess soll auf freiwilligem Informationsaustausch und nicht bindenden Empfehlungen beruhen. Alle zwei Jahre soll den EU-Verteidigungsministern ein Bericht vorgelegt werden, um die weiteren politischen Richtlinien abzuleiten. Im Herbst 2017 sollen die grundlegenden Modalitäten finalisiert und ein Testlauf eingeleitet werden. Österreich wird nach derzeitigem Erkenntnisstand unter der Prämisse der Freiwilligkeit an der CARD teilnehmen.
Resümee
Der EU wird dem Trend des Populismus folgend oft Untätigkeit, Trägheit oder Unwille zu Reformen nachgesagt. Oftmals wird auch versucht, mit Kritik an der EU innenpolitisches Versagen der Mitgliedstaaten zu kaschieren und die EU als Sündenbock hinzustellen. Tatsächlich sind es aber einzelne EU-Mitgliedstaaten, die letztlich über Erfolg oder Misserfolg einzelner Initiativen, Projekte, Maßnahmen und Reformen auf EU-Ebene entscheiden.
In Anbetracht der sicherheits- und geopolitischen Entwicklungen, die zu einer erhöhten Bedrohungslage führen, haben die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten einstimmig eine Vertiefung der Verteidigungskooperation beschlossen. Die ersten positiven Ergebnisse in Richtung einer verstärkten Verteidigungskooperation, die allen EU-Mitgliedstaaten eine solidarische Beitragsleistung abverlangen wird, sind bereits erkennbar.
Oberst dG MMag. Klaus Anderle, MA; Oberst dhmfD Mag. Camillo Nemec; Oberst Michael Sterniczky; Mitglieder der Miltitärvertretung Brüssel.