Digitalisierung der Kochlogistik
Die Digitalisierung vereinfacht den Einkauf, den Ersatz bei Ausfall von Lieferungen und die Kennzeichnung der Herkunft von Lebensmitteln in der Küche. Zusätzlich spart sie Geld – und das bei größerer Flexibilität und gleichbleibender Qualität der Waren. Insbesondere kann die Digitalisierung helfen, fehlende Personalressourcen zu kompensieren.
Die Digitalisierung hat auch in militärischen Organisationen einen hohen Stellenwert. Allerdings gibt es unterschiedliche Zugänge, um diese umzusetzen. Der erste Weg ist, auf Eigenentwicklungen zu setzen und Applikationen oder ganze IT-Services selbst zu programmieren. Das kostet Zeit und Ressourcen. Der zweite Weg ist, auf marktübliche IT-Produkte (Commercial off the Shelf – COTS) und auf Standards zurückzugreifen und diese in eine bestehende IT-Infrastruktur zu implementieren. Diese zweite Vorgangsweise wählte das Bundesheer bei der Digitalisierung in der Verpflegsverwaltung.
Warenwirtschaftssystem alt
Seit über 30 Jahren setzt das Bundesheer das Warenwirtschaftssystem Aconsoft ein. Dabei handelt es sich um ein mittlerweile veraltetes, dateibasiertes System, das keine Möglichkeit hat, die Küchenstandorte direkt zu vernetzen. Somit hat Aconsoft das Ende seiner Nutzungsdauer erreicht, zumal der Support aufgrund von Pensionierungen und Kündigungen fraglich ist. Die Abteilung Bauwesen-Applikationen in der Direktion 6 konnte aber den Betrieb in der Verpflegungsverwaltung durch umfangreiche Anpassungen des Systems trotz allem aufrechterhalten. Der Zeitpunkt für eine Erneuerung des Verpflegungs-Warenwirtschaftssystems war nach fast 35 Jahren gekommen.
Konzept
Das Digitalisierungskonzept der Verpflegung umfasst neben der Entscheidung für den Einsatz von marktüblichen IT-Produkten (COTS) auch die Anwendung von Standards sowie die Nutzung moderner Technologien – wie dem Internet of Things (IoT) und der Künstlichen Intelligenz (KI). Auch die zentralen Herausforderungen der Gemeinschaftsgastronomie – der Green Deal der Europäischen Union, die Nachhaltigkeitsvorgaben und die Personalengpässe in den Küchen – müssen im Digitalisierungskonzept mitberücksichtigt werden. Die gesetzlichen Anforderungen (z. B.:Allergeninformation, Nährwertauszeichnung, Herkunftsinformation etc.) sowie die politischen und ressortinternen Vorgaben (Beschaffung von mehr regionalen, saisonalen und biologischen Lebensmitteln etc.) erfordern eine „Informatisierung“ und bessere Steuerung der Prozesse in der Gemeinschaftsgastronomie. Der Informationsfluss vom Acker bis zum Teller kann nämlich nur aufrechterhalten werden, wenn Standards definiert und adäquate IT-Hilfsmittel genützt werden.
Lebensmitteleinkauf
Zutaten sind produktneutral beschriebene Lebensmittel, denen identifizierte Einkaufsartikel automatisiert zugeordnet werden können. Die Zutaten für die Mahlzeiten in den Verpflegungseinrichtungen werden normiert und standardisiert eingekauft. Das ist notwendig, um die Beschaffung zu optimieren und den Informationsaustausch über die Lebensmittelkette zu ermöglichen. Durch die Leistungsbeschreibung Lebensmittel (LB-LM) können, aus volkswirtschaftlicher Sicht, laut einer Studie der Technischen Universität Wien jährlich rund 223 Mio. € eingespart werden.
Der Lebensmitteleinkauf erfolgt auf Basis der LB-LM. Das ist eine Datenbank auf Grundlage der nationalen österreichischen Norm (ÖNORM A 2063-1), die für alle Zutaten die Attribute
in strukturierter Form definiert. Sie ist die Grundlage für Ausschreibungen, um Ersatzlieferungen rasch sicherzustellen und um Künstliche Intelligenz in die Gemeinschaftsverpflegung zu integrieren. Weiters wurden die verfügbaren Informationen aus dem Bundeslebensmittelschlüssel (BLS) übernommen.
Mit der LB-LM-Datenbank werden die Voraussetzungen zur Digitalisierung der Prozesse geschaffen. Den Anbietern kann ein Ausfüllprogramm zur Erstellung von Angeboten kostenfrei bereitgestellt werden.
Standardisierte Rezepte
Die Rezepte für die Verpflegung der Soldaten wurden nach der ÖNORM A 2063-2 strukturiert und standardisiert erfasst. Dies ermöglicht den interoperablen Austausch der Rezepte im XML-Format. Dadurch wird der Prozess zur Übergabe der Rezepte aus der Warenwirtschaft an die Kochgeräte und die Rückmeldung, dass die Speisen rezeptkonform zubereitet wurden, samt den zugehörigen Parametern automatisiert umgesetzt. Da Rezepte im Bundesheer zentral entwickelt und im Regelfall auch mikrobiologisch untersucht werden, ist es wichtig, dass ihre Finalisierung einheitlich erfolgt. Wenn das sichergestellt ist, kann das jeweilige Lebensmittel für einen längeren Zeitraum genützt werden, was positive wirtschaftliche Auswirkungen hat.
Herkunft
Grundsätzlich wird die Herkunft über die Primärzutat eines Produktes definiert. Bei Eiern und Eiprodukten ist das Kriterium, wo das Ei gelegt wurde. Die Herkunft von Milch und Milchprodukten definiert sich darüber, wo das Tier gemolken wurde. Bei Fleisch wird für die Herkunftskennzeichnung der kleinste gemeinsame Nenner aus den Kriterien „geboren“, „aufgewachsen“, „geschlachtet“ und „zerlegt“ herangezogen, wobei das Kriterium „zerlegt“ nur für Rindfleisch berücksichtigt wird.
NUTS Regionen
NUTS (französisch „Nomenclature des unités territoriales statistiques“, deutsch „Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik“) bezeichnet eine hierarchische Systematik zur eindeutigen Identifizierung und Klassifizierung der räumlichen Bezugseinheiten der amtlichen Statistik in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. NUTS lehnt sich eng an die Verwaltungsgliederung der einzelnen Länder an. In der Regel entspricht eine NUTS-Ebene einer Verwaltungsebene oder einer räumlichen Aggregation von Verwaltungseinheiten. NUTS-Regionen sind die Grundlage für die quantitative Beurteilung von Regionen durch die EU. Die Fördermittel werden den konkreten NUTS-Regionen (vor allem NUTS-3-Regionen) zugewiesen.
Die Gliederung erfolgt in einer Hierarchie mit sechs Ebenen:
- NUTS-WORLD (weltweit);
- NUTS-NONEU (definierte Nicht-EU-Länder);
- NUTS-0: 27 EU-Länder;
- NUTS-1: insgesamt 104 Regionen;
- NUTS-2: insgesamt 281 Verwaltungseinheiten;
- NUTS-3: insgesamt 1 348 Bezirke.
Die Verwendung dieser Systematik ermöglicht die Zuordnung der Standorte von Herstellern, Lieferanten und Kunden zu jeweils einem NUTS-Bezirk.
Zielsetzung
Täglich werden in Österreichs öffentlichen und privaten Großküchen 2,2 Mio. Speisen ausgegeben. Seit dem
1. September 2023 muss die Herkunft für die drei Lebensmittelgruppen auf dem Speiseplan gut sichtbar dargestellt werden. Dadurch sollen mehr Transparenz und Wahlmöglichkeiten für die Kunden geschaffen, aber auch die Leistungen heimischer Bauern offengelegt werden.
Gerade die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig Versorgungsicherheit ist. Aber auch aus Nachhaltigkeitsüberlegungen sollten die Lebensmittel für unsere Speisen nicht tausende Kilometer weit transportiert, sondern frisch und regional beschafft werden. Die Gemeinschaftsverpflegung kämpft wie viele andere Branchen mit dem Personalmangel. Daher können die angeführten Ziele nur durch digitalisierte Prozesse effizient und effektiv realisiert werden.
Umsetzung
Was auf den ersten Blick einfach erscheint, kann zu einem komplexen Prozess werden. Speisen bestehen meist aus mehreren Lebensmitteln. Bei Fleisch will der Kunde beispielsweise wissen, wo das Tier geboren, aufgewachsen, geschlachtet und zerlegt wurde. Die vier angeführten Parameter werden benötigt, und zwar nicht als Freitext, sondern als strukturierte IT-mäßig weiter verarbeitbare Datei.
Bei Milch betrifft die Kennzeichnung den Ort, in dem das Tier gemolken wurde. Beim Ei ist jener Ort anzuführen, in dem es gelegt wurde. Neben der Gemeinschaftsgastronomie betrifft dies alle Gastronomiebetriebe, die freiwillig mit Angaben zur Herkunft der verwendeten Produkte werben. Die Angaben müssen zutreffend sein und dürfen nicht irreführend gestaltet werden. Damit wird der Vollzug deutlich gestärkt und jeder kann sicher sein, dass tatsächlich „Österreich drin ist, wo Österreich draufsteht“.
Gastro „EDIFACT“ Nachrichten
Das EDIFACT (Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport)/EANCOM (European Article Number + Communication) ist ein branchenübergreifender Standard und das in Österreich am meisten verbreitete Format bei der Nutzung von EDI (Electronic Data Interchange). Österreich gehört mit weit über 150 Millionen Nachrichtentransfers zu den führenden Staaten im Austausch elektronischer Daten. In der Verpflegungsbranche kommen die Gastro EDIFACT-Nachrichten PRICAT (Katalog), ORDERS (Bestellung), DESADV (Lieferschein) und INVOICE (Rechnung) zum Einsatz. Mit diesen Nachrichten können alle für die Lebensmittelbeschaffung relevanten Daten elektronisch und automatisiert zwischen den IT-Services der Hersteller, Lieferanten und Kunden ausgetauscht werden.
Mit diesen standardisierten Methoden werden künftig die Daten über die Herkunft von
- Rind-, Schweine-, Schaf- und Ziegenfleisch, sowie von Geflügel und Wild,
- Milch und Milchprodukten wie Butter, Topfen, Sauerrahm, Joghurt, Schlagobers und Käse sowie
- Ei und Eiprodukten wie Flüssigvollei, -eigelb, -eiweiß und Trockenvollei
automatisiert übertragen.
Die Kennzeichnungen sind seit 1. September 2023 für diese drei Lebensmittelgruppen verpflichtend. Das ermöglicht es den Konsumenten, eine bewusste Entscheidung zu treffen und sich beispielsweise für ein Erzeugnis aus österreichischen Produkten zu entscheiden. Dies führt zu mehr Transparenz auf dem Teller. Da in der Lebensmittelkette neben den Bauern auch der Lebensmittelhandel, die Gemeinschaftsgastronomie und die Kunden eingebunden sind, müssen die Informationen verlustfrei transportiert werden können. Wenn Herkunftsbezeichnungen wie „EU“, „Nicht-EU“ oder „nicht bekannt“ möglich sind, liegt es an den Verantwortlichen der Gemeinschaftsverpflegung sicherzustellen, dass die vom Kunden erwarteten konkreten Informationen ausgezeichnet und kommuniziert
werden.
Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Beschaffung der Lebensmittel. Alle öffentlichen Gemeinschaftsverpfleger unterliegen dem EU-Vergaberecht und dürfen regionale Produkte nicht bevorzugen. Der Konsument kann sich aber trotzdem durch die verpflichtende Kennzeichnung bewusst für oder gegen ein bestimmtes Produkt
entscheiden.
Bewertung
Bei einer Bestbieterbewertung der Angebote kann die Lebensmittelsicherheit verbessert und dadurch der Food Chain vom Feld bis zum Teller dokumentiert und die Regionalität der angebotenen Lebensmittel auch bei einem EU-weiten Ausschreibungsverfahren berücksichtigt werden. Das ist durch die Punktevergabe nach regionaler Herkunftsregion möglich. Hierbei erhält der Lieferant, der vereinfacht gesagt, am Nächsten ist (NUTS-3-Bezirk), die meisten Punkte. Je nach Status werden maximal 100 Punkte vergeben. So erhält etwa ein Lebensmittel aus dem gleichen NUTS-3-Bezirk 100 Punkte, jenes aus dem direkt angrenzenden NUTS-3-Bezirk (Nachbar) nur mehr 80 Punkte. Die Punkte reduzieren sich mit der Entfernung. Zur Erläuterung der Nachbarschaft: Der NUTS-3-Bezirk Salzburg und Umgebung hat die direkten NUTS-3-Nachbarn
- Pinzgau und Pongau,
- Innviertel und Traunviertel,
- Traunstein sowie
- Berchtesgadener Land.
Alle angrenzenden NUTS-3-Regionen werden ident behandelt, egal, ob es sich um eine deutsche oder österreichische NUTS-3-Region handelt. Die Ermittlung des NUTS-3-Bezirkes eines Herstellers bzw. Lieferanten kann einfach automatisiert werden. Die Bekanntgabe der Postleitzahl ist auch für jeden kleinen regionalen Anbieter leicht möglich.
Warenwirtschaftssystem neu
Die Abläufe in der Verpflegungsverwaltung des Bundesheeres wurden zuerst in den Bereichen Budgetprozesse, System-Management, Stammdaten-Management, Bedarfs-Management, Speisen-Management, Beschaffungs-Management, Kosten-Management, Lager-Management, Produktions-Management, Qualitätssicherung, Auswertungen & Kennzahlen, Personal-Management und Integration/Schnittstellen analysiert.
Für jedes dieser Kapitel wurden Forderungen formuliert, die – nach Muss- und Soll-Anforderungen gegliedert – in einen Katalog erfasst wurden. Dieser war die Basis für ein zweistufiges, EU-weites Ausschreibungsverfahren für ein neues Warenwirtschaftssystem. Als Bestbieter ist das Unternehmen Fenz Software GmbH mit seinem Produkt „necta“ hervorgegangen. Es ist ein marktübliches IT-Warenwirtschaftsprodukt für Care, Catering, Systemgastronomie, Kliniken und Produktionsbetriebe.
Pilotprojekt
Der Erstbetrieb des neuen Warenwirtschaftssystems in der Regionalküche Salzburg und in den beiden Finalisierungsküchen in der Schwarzenberg-Kaserne konnte innerhalb von drei Monaten nach Zuschlag aufgenommen werden. Das war möglich, weil Zutaten und Rezepte bereits in Standards definiert waren. Dadurch konnten die Stammdaten automatisiert von der alten in die neue Software migriert werden.
In den weiteren Schritten werden z. B. das Kassensystem, die Kochgeräte, die Spülgeräte und weitere Komponenten in das Warenwirtschaftssystem „necta“ eingebunden.
Mit dem Pilotprojekt ist es gelungen, die Leistungsbeschreibung Lebensmittel (LB-LM) für Eier und Eiprodukte, Teigwaren, Gemüse und Gemüseerzeugnisse, Milch, Milcherzeugnisse und Käse, Rind-, Kalb-, Schweine-, Hammel- und Lammfleisch, Wild, Geflügel, Federwild, Innereien sowie Fleisch- und Wurstwaren zu überarbeiten und neben einer produktneutralen Beschreibung auch die Lebensmittelsicherheit zu erhöhen. Über die EU-Mindestforderungen, den Vorgänger und den Nachfolger im Prozess der Lebensmittel zu kennen, wird darüber hinaus gefordert, dass der gesamte Produktions- und Beschaffungsvorgang vom Feld bis auf den Teller nachvollziehbar dokumentiert wird. Dieses Modell soll im Bereich der Regionalküche Salzburg prototypisch getestet und evaluiert werden.
Hofrat i.R. Prof. Dr. Ing. Rupert Fritzenwallner MAS, MSc, MBA; ehem. Abteilungsleiter der Bauwesen Applikationen im IKT&Cybersicherheitszentrum
Dieser Artikel erschien im TRUPPENDIENST 2/2024 (397).