• Veröffentlichungsdatum : 09.10.2018
  • – Letztes Update : 17.10.2018

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ECMAN - die Umsetzung

Jürgen Pirolt

Zu ECMAN wurde bereits die Bedeutung der fähigkeitsbezogenen Kooperation im Fachbereich der Handentschärfung aus Brüsseler und nationaler Sicht beschrieben. Nun wird die Umsetzung von ECMAN auf operativer Ebene beleuchtet.

Wie alles begann ...

An der Heereslogistikschule und ihren Vorgängerorganisationen werden seit 1979 Munitionstechniker und Kampfmittelbeseitiger ausgebildet. Mit der Entsendung von EOD-Teams in das Kosovo musste erstmals die Fähigkeit der Beseitigung von improvisierten Spreng- und Brandvorrichtungen (Improvised Explosive Device - IED) in einem Auslandseinsatz angewandt werden. Dieser Einsatz stellte auch die Schulorganisation vor eine große Herausforderung: einerseits wegen der technischen Ausbildung am neuen Gerät, das einen Lastkraftwagen füllt, wie ferngelenkte Roboter, Röntgengerät, Bombenschutzanzug, schieß- und sprengtechnische Entschärfungsgeräte und andererseits wegen der taktischen und verfahrenstechnischen Ausbildung. Der Gegner ist jetzt nicht mehr eine Mine, ein Blindgänger oder verlassene Munition, sondern das IED.

IED bestehen im Wesentlichen aus Wirkladung, Gehäuse, Zünder, Auslösevorrichtung und Stromquelle. Teilweise getarnt als Gegenstand des täglichen Gebrauches am Tatort abgelegt, beispielsweise in einem Postpaket (Brief- bzw. Paketbombe), einer Einkaufstasche, einem Rucksack oder Koffer. Sie können entweder durch den Attentäter mittels Zeitauslösung oder durch das Opfer selbst ausgelöst werden. Und erstmalig war nun auch der Kampfmittelbeseitiger ein mögliches Ziel des Attentäters. Der Einsatz des Entschärfungsroboters hat oberste Priorität und sollte solange wie möglich beibehalten werden, eine persönliche Annäherung erfolgt nur, wenn es unbedingt notwendig ist und nur so kurz wie möglich. Die Entschärfung des IED erfolgt schieß- oder sprengtechnisch. In fast allen Szenarien ist mit diesen Maßnahmen das Auslangen zu finden und eine erfolgreiche Entschärfung möglich. Was aber, wenn das Unwahrscheinliche eintritt und ABC-Kampfstoffe als Hauptladung Verwendung finden oder das IED an einem Menschen angebracht ist? Dann können diese Verfahren nicht mehr angewendet werden, da sie keine hundertprozentige Erfolgswahrscheinlichkeit darstellen. Der Kampfmittelbeseitiger muss sich in die sogenannte „Kill-Zone“ begeben und das IED händisch entschärfen. Auch wenn beide Szenarien von vielen Seiten eher als unwahrscheinlich bezeichnet wurden, hat die Schule eine besondere Ausbildungsverantwortung. Sollte einer dieser Fälle eintreten, müssen die Kampfmittelbeseitiger für die richtige Herangehensweise ausgebildet sein, um nicht in Eigenimprovisation ihr Leben zu riskieren. Das Bundesheer ist gemäß Kriegsmaterialgesetz und Waffengesetz für die Behandlung und Beseitigung von ABC-Kampfmitteln verantwortlich.

Es wurden Entschärferausbildungen, unter anderem beim irischen Militär oder beim deutschen Bundeskriminalamt absolviert, Auslandsübungen beschickt, es wurde an internationalen Konferenzen und Workshops teilgenommen und mit Elektronikern an möglichen Lösungsansätzen gearbeitet. Allen gemeinsam war, dass der Bereich der Handentschärfung entweder gar nicht oder nur spärlich angesprochen wurde. Gleichzeitig wurden Curricula entwickelt, Durchführungsbestimmungen für die Ausbildung überarbeitet und an den nationalen Planungsdokumenten mitgearbeitet.

Der große Durchbruch gelang im Jänner 2010 in dem eigens dazu einberufenen MNT Ad hoc WG-Meeting in der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) in Brüssel. Während dieses Meetings fragte der damalige Projektoffizier, ob Bedienstete des Bundesheeres die Fähigkeiten hätten, IED händisch zu entschärfen. Nach ein paar zusätzlichen Kontrollfragen bezüglich der Fähigkeit, in sensorisch und elektronisch überwachtem Umfeld arbeiten zu können, erfolgte dann das ernüchternde Eingestehen einer kollektiven Fähigkeitslücke.

Die EDA, mit ihrer Aufgabe zur Verbesserung der Verteidigungsfähigkeiten, reagierte prompt und organisierte noch im selben Jahr einen MNT-Kurs, eine erste dreiwöchige multinationale Ausbildung. Daran nahmen zwölf Entschärfer aus neun Nationen teil. Da diesbezüglich in Österreich alle Hausaufgaben gemacht worden waren, konnte die Umsetzung in Form des ersten nationalen Lehrganges bereits im ersten Quartal 2011 durchgeführt werden.

2011 organisierte die EDA nochmals einen MNT-Kurs mit dem Hauptaugenmerk auf ABC-Kampfstoffen. Damit endeten die Möglichkeiten der EDA zur weiteren Entwicklung dieser Fähigkeiten mit ihren eigenen Ressourcen. Als Ergebnis der folgenden Diskussionen über die weitere Fortführung wurde die Organisation und die Durchführung einer MNT-Übung geboren. Österreich schien bereits zu diesem Zeitpunkt die größten Fortschritte bezüglich der nationalen Integration (umfassender wäre Implementierung) erzielt zu haben und so erfolgte, nach vorangegangener Anstrengung in den zuständigen Abteilungen Generalstab, Transformation und Einsatzvorbereitung, und mittels Unterstützung von Luxemburg, die Organisation und Durchführung der weltweit ersten und bis dato einzigen multinationalen Handentschärfer-Übung „EUROPEAN GUARDIAN“. Mittlerweile gab es nationale Überlegungen, bei internationalem Bedarf, multinationale MNT-Kurse und -Übungen in Österreich abzuhalten. So wurde im Herbst 2012 ein Questionnaire über die EDA und EUROPOL an alle Militär-und Polizeiorganisationen ausgeschickt. Aufgrund der positiven und umfangreichen Rückmeldungen wurden die Bearbeitungen des EDA MNT Courses & Exercises Programms gestartet, das von fünf Nationen (Österreich, Deutschland, Irland, Italien, Schweden) unterzeichnet worden war. In der Zwischenzeit hatte man im Herbst 2013 einen ersten multinationalen MNT-Lehrgang in der Dauer von fünf Wochen eingefügt. Damit war der Startschuss für die multinationale MNT-Ausbildung in Österreich gefallen.

EDA MNT Courses & Exercises Programme (MNT C&E)

Ein paar Wochen nach Unterzeichnung des internationalen Vertrages startete bereits der erste MNT-Lehrgang. Von Beginn an, wie schon 2013, waren auch Kampfmittelbeseitiger von internationalen Spezialeinsatzkräften als Lehrgangsteilnehmer eingemeldet - auch die internationale SOF Community hatte erkannt, dass die Fähigkeit der Handentschärfung in ihren eigenen Reihen unabdingbar ist.

Da zu Beginn des Projektes die notwendige Ausrüstung nur im ÖBH vorhanden war, nicht aber in der notwendigen Anzahl für alle Teilnehmer, unterstützte die EDA auch hier kurzfristig und beschaffte zwölf Operator-Sätze und später noch ein Röntgensystem, um die Ausbildung und die Übungen mit dem notwendigen Gerät in der entsprechenden Qualität durchführen zu können. Zuerst waren pro Jahr nur ein fünfwöchiger Grundlehrgang und eine zweiwöchige Übung vorgesehen. Da die teilnehmenden Nationen aber noch nicht in der Lage waren, ihr eigenes Training zum Fähigkeitenerhalt durchzuführen, wurde ab 2015 ein einwöchiger Refresher Course in das Programm aufgenommen.

Ausbildungsinfrastruktur

Bis Ende 2013 wurden die nationalen und die internationalen Vorhaben im ehemaligen Kommando des III. Korps in der Martinek-Kaserne in Baden abgehalten. Nach Schließung der Martinek-Kaserne musste für die Handentschärferausbildung eine neue Heimat gesucht werden. Sie wurde in einer ehemaligen Reithalle der früheren VPW Kavallerie-Kaserne gefunden. Dort entstand im ersten Quartal mit Unterstützung des Kommandos Logistik und der Melker Pioniere eine speziell auf die Bedürfnisse der MNT-Ausbildung zugeschnittene und aktuell weltweit einzigartige Ausbildungsinfrastruktur, die dann um die notwendige Infrastruktur für ECMAN erweitert wurde.

Nationale Weiterentwicklung der Fähigkeit

Man erkannte frühzeitig, dass die Fähigkeit der Handentschärfung permanentes Training benötigt, und es noch Zusatzqualifikationen zu erwerben gab. Diese wurden in zusätzlichen Ausbildungen im Ausland oder im Inland erworben. 2014 wurde der erste CBRN MNT-Lehrgang in Zusammenarbeit mit dem Kommando ABC-Abwehr und ABC-Abwehrschule durchgeführt. Diese Fähigkeit muss, ebenso wie die Zusammenarbeit mit der ABC-Abwehrtruppe, auch in realer Umgebung geübt werden. Dies erfolgt beim „Live Agent Training“ in Europa und bei der Übung „Precise Response“ in Kanada. Daraus resultiert unter anderem die Erweiterung des Ausbildungsprogrammes in ECMAN um den dreiwöchigen CBRN MNT-Lehrgang. 

Verlängerung oder Neustart

Projekte im multinationalen Umfeld sind nicht von heute auf morgen zu realisieren. Die Erfahrungen der Vorbereitung auf dieses Projekt zeigten, dass mit den Mitgliedsnationen frühzeitig der Way-ahead diskutiert werden musste. Dies erfolgte bei einem der jährlichen Management Committee Meetings bereits 2015 mit dem Resultat, dass von allen Nationen weiterhin der Bedarf an Kursen und Übungen aufgezeigt wurde. Als logische Schlussfolgerung wurde die Aufstellung eines europäischen Handentschärferzentrums festgelegt. Einerseits sollte die Einbindung der Mitgliedsnationen in die Ausbildungen und Übungen intensiviert werden, andererseits eine gemeinsame, strukturierte Grundlagenarbeit und die Weiterentwicklung der Fähigkeiten erfolgen. Die Idee des „European Centre for Manual Neutralisation Capabilities“ war geboren. Natürlich waren mehrere Arbeitssitzungen zur Erstellung des Programme-Arrangements, der Struktur, der nationalen Bedürfnisse, der Arbeitsplatzbeschreibungen, des jährlichen Arbeitsprogrammes und vieles mehr zu erarbeiten. Im Gegensatz zum Vorgängerprojekt, wo jede Nation gleiche Ressourcen einbrachte und gleich viele Kurs- und Übungsplätze erhielt, änderte sich dies nun dramatisch. Mittlerweile waren es sieben Nationen (die fünf aktuellen Nationen plus Tschechien und Finnland), die unterschiedliche Bedürfnisse in Form der notwendigen Anzahl von jährlichen Kursplätzen angemeldet hatten. Es wurde eine nachvollziehbare Formel gefunden, die ein ausgewogenes und faires Verhältnis in Bezug auf Beitrag und Nutzen darstellt. 2017 unterzeichneten alle sieben Nationen das Programme-Arrangement, und ECMAN trat mit Beginn 2018 in Kraft. Am 20. Februar 2018 wurde im Festsaal der Roßauer-Kaserne in Wien ECMAN feierlich eröffnet.

ECMAN - das Zentrum

ECMAN ist ein multinational finanziertes Zentrum, das den beteiligten Nationen Ausbildung sowie Forschung und Entwicklung im Bereich der Handentschärfung anbietet. Basierend auf den Erfahrungen, die durch das Vorgängerprojekt MNT C&E gewonnen wurden und den Fähigkeiten der teilnehmenden Mitgliedstaaten, werden entsprechende Fähigkeiten aufgebaut. Zweck dieses Zentrums ist es, die Fähigkeit MNT weiterzuentwickeln, Beratung von Nationen und Organisationen im Fachbereich und in der Interoperabilität mit den teilnehmenden Nationen einen Informationsaustausch bzw. Erfahrungsaustausch zu gewährleisten. 

Struktur und Aufgaben

Die wesentlichen Aufgaben von ECMAN sind:

  • Abhaltung von Kursen und Übungen;
  • Beratung für Nationen und Organisationen bei der Implementierung der Handentschärfer-Fähigkeit;
  • Weiterentwicklung der Fähigkeit MNT;
  • Maßgeschneiderte Vorbereitungen von Missionen;
  • Technische und taktische Trendanalyse;
  • Entwicklung und Weiterentwicklung;
  • Erprobung und Evaluierung neuer Taktiken, Techniken, Verfahren, Geräte und (Schutz-)Ausrüstung;
  • Festlegung zusätzlicher Anforderungen gemäß dem LI- und LL-Prozess;
  • Aufbau einer IT-gestützten Wissens- und Informationsplattform;
  • Aufbau und Betreiben eines Reach Back Supports sowie
  • ein vierstufiges Ausbildungsmodell zur Weiterentwicklung des MNT-Fachpersonals.

Die Struktur enthält ein Kommando und zwei Fachbereiche. Den Grundlagen-Bereich mit dem stellvertretenden Kommandanten und den Ausbildungs- und Trainings-Bereich.

Da der personelle Umfang des Zentrums gering ist, war allen Nationen klar, dass jede einzelne Position von Experten besetzt werden muss. Dies ist die Stärke von ECMAN, da jeder Einzelne im Bereich Ausbildung und im Bereich der Weiterentwicklung eingesetzt wird. Das ECMAN-Personal kann somit unmittelbar in den Aufbau der jeweiligen nationalen Handentschärfer-Fähigkeiten eingebunden werden.

Szenarien - Wann ist Handentschärfung notwendig?

Das internationale Bedrohungsbild hat sich substanziell geändert. Heute gewinnen vor allem nicht-konventionelle bzw. asymmetrische Bedrohungen wie der internationale Terrorismus im In- wie im Ausland an Bedeutung. Dies zeigt sich hauptsächlich durch einen verstärkten Einsatz von unkonventionellen Spreng-Brandvorrichtungen und deren unkalkulierbaren Einsatz gegen militärische Einrichtungen, zivile Infrastruktur sowie Zivilisten. Laut dem Positionspapier des Generalstabes 2017 hat der Terrorismus Europa ins Visier genommen. Auch Österreich ist nicht vor Angriffen von Terrororganisationen sicher, im Gegenteil. Mit einer Eskalation der Angriffsszenarien ist zu rechnen, Angriffe mit ABC-Kampfstoffen sind nicht auszuschließen. Dabei kann es zu Situationen kommen, bei denen die Umsetzung des Sprengstoffes oder die Freisetzung von Kampfstoffen sowie giftigen Chemikalien unbedingt vermieden werden müssen. Der Einsatz von ferngesteuerten Robotern und energetischen Waffen wäre nicht adäquat und somit ein Einsatz der Handentschärfer-Fähigkeit notwendig. Mögliche Szenarien dafür umfassen:

  • Geisellagen unter sprengtechnischer Absicherung der Geisel;
  • IEDs mit chemischer oder strahlender Wirkladung;
  • Schutz kritischer Infrastruktur;
  • Notwendigkeit der umfassenden forensischen Untersuchung zur strafrechtlichen Verfolgung;
  • Unterstützung von Spezialeinsatzkräften.

 

Fähigkeit Handentschärfung

Die Handentschärfung von IED ist, wenn auch die höchstqualifizierteste und gefährlichste, eine Teilfähigkeit der Kampfmittelbeseitigung. Die Ausbildung umfasst acht verschiedene Lehrgänge, die durch die Lehrabteilung Munitionstechnik an der Heereslogistikschule durchgeführt werden. Sie behandeln die Beseitigung von Blindgängern, Munition und Minen, die Entschärfung von Improvised Explosive Devices mittels Einsatzes von ferngelenkten Robotern, Röntgengeräten, Wasserschießgeräten und mit dem Tragen des Bombenschutzanzuges und letztendlich die Ausbildung zum Handentschärfer.  Die Dauer dieser Ausbildung beträgt 44 Wochen, die im Schnitt in einem Zeitraum von mindestens drei Jahren absolviert werden.

Resumée

Die Herausforderungen bei einer Handentschärfung sind vielfältig. Jede Elek-tronikkomponente kann als Auslöser fungieren. Dazu gehören lichtempfindliche, Erschütterungs-, Schall- oder Bewegungssensoren, Funksysteme und Zeitschaltuhren. Der „österreichische Briefbomber“, Franz Fuchs, hat mit seinen eigens dafür entwickelten Schaltkreisen eine vorher noch nicht aufgetretene Komplexität geschaffen.

Aufgrund der aufgezeigten Komplexität muss ein Handentschärfer über ein sehr hohes Wissen in der Elektrik und Elektronik verfügen. Nur damit kann er solche Schaltkreise rasch analysieren und neutralisieren.

Eine weitere Herausforderung ist die Überwindung von Absicherungsmaßnahmen gegen ein Eindringen in den Behälter, in dem sich Schaltkreis, Zünder und Sprengstoff befinden. Abhängig vom Material des Behälters müssen unterschiedliche Werkzeuge verwendet und spezielle Techniken angewendet werden. Schlussendlich müssen diese Verfahren und Techniken in der so genannten „Kill-Zone“ teilweise stundenlang, auch in Dunkelheit und mit angelegter ABC-Schutzausrüstung, beherrscht werden.

Oberstleutnant Jürgen Pirolt ist Direktor des European Centre for Manual Neutralisation Capabilities (ECMAN).

 

 

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