• Veröffentlichungsdatum : 26.09.2017
  • – Letztes Update : 27.09.2017

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Ein Fahrzeug für alle Fälle

Norbert Huber

Seit einigen Jahren gibt es beim Österreichischen Bundesheer den Bedarf an gepanzerten Fahrzeugen, die speziell an die Bedürfnisse der Gebirgstruppe angepasst sein sollen. Mehrfach wurde die Beschaffung von besonders geländegängigen Fahrzeugen für das alpine Gelände erwogen. Ein Produkt aus der Hägglunds-Familie scheint dazu besonders geeignet.

Die meist gebaute Version des Hägglunds, der Bv206, ist in vielen Nationen im Einsatz, unter anderem bei Gebirgstruppen der deutschen, italienischen und spanischen Armee. In Österreich konnte man sich 1994 nur zur Beschaffung eines Erprobungsmusters durchringen, das seitdem beim Gebirgskampfzentrum der 6. Jägerbrigade verwendet wird. Mitte 2016 hat das Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport (BMLVS) einen Vertrag zur Lieferung von 32 neuen und modernen Hägglunds BvS10 Mk IIB abgeschlossen.

Entwicklung des Hägglunds Bv206

Der Hägglunds Bv206 wurde ab 1971 als Nachfolger des „Bandvagn 202“ entwickelt. Das Basisfahrzeug der schwedischen Infanterie sollte vor allem im unwegsamen Gelände zum Einsatz kommen. Der schwedischen Topographie angepasst, kann das Fahrzeug stehende oder langsam fließende Gewässer überwinden und eignet sich insbesondere für den Einsatz im schwedischen Winter. Seine Beweglichkeit, der geringe Bodendruck durch die breiten Ketten und die Konstruktion mit zwei Fahrzeugteilen - einem Vorderwagen für Fahrer und Kommandant sowie einem flexibel verbundenen Hinterwagen für die Mannschaft - legten den Grundstein für den Verkaufserfolg.

Das Fahrzeug ist ein weit verbreiteter „Zeitgenosse“. Es verkaufte sich weltweit in beachtlichen Stückzahlen und in mehr als 35 Staaten. Allein die Erstproduktion belief sich auf 3 500 Fahrzeuge. Nach vielen Jahren im Einsatz wurden wesentliche Neuerungen vorgenommen: Ab 1982 entstanden Versionen mit Dieselmotor anstelle des Benzinantriebs. In der Folge wurde eine (leicht) gepanzerte Version, der Bv206S, entwickelt. Diese Überarbeitung wurde notwendig, um dem Faktor „Schutz“ Rechnung zu tragen. Da das Fahrzeug die ursprünglichen Abmessungen sowie die Schwimmfähigkeit weitgehend beibehielt, waren Weiterentwicklungen auf diesem Fahrgestell schwierig.

Hägglunds BvS10 und ST Kinetics "Bronco"

Zum Erzielen besserer Platzverhältnisse wurde der BvS10 aufgrund des Bedarfes der britischen „Royal Marines“ entwickelt. Dieses Fahrzeug fand auch Anklang bei der Marineinfanterie der Niederlande und in Frankreich. Der wesentliche Vorteil dieser besser geschützten und voll schwimmfähigen Fahrzeuge ist das vergrößerte Platzangebot der beiden Kabinen und die durch einen stärkeren Motor verbesserte Fahrleistung. Der Erfolg der Bv206/BvS10-Serie führte zu einer ähnlichen Entwicklung derartiger Fahrzeuge in Singapur durch die Firma ST Kinetics unter dem Namen „Bronco“. 

Britische Streitkräfte

Die zunehmende Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan zwang die britischen Streitkräfte 2006 bei jeder Bewegung ihre geschützten Fahrzeuge zu verwenden. So „landeten“ speziell konfigurierte BvS10 der britischen Royal Marines in Afghanistan, um die dortigen Truppenteile geschützt zu transportieren. Wenngleich keine gesicherten Daten vorliegen, muss angenommen werden, dass der ursprünglich nur leicht gepanzerte BvS10 mit seinem eingeschränkten Minenschutz nicht die erste Wahl bei dieser Bedrohungslage war.

Als Konsequenz wurden 2008 durch Großbritannien in einem beschleunigten Beschaffungsverfahren 115 gepanzerte „Bronco“ von Singapur gekauft. Diese wurden speziell für Afghanistan ausgerüstet und kamen dort ab 2010 unter dem Namen „Warthog“ zum Einsatz. Diese größeren und besser geschützten Fahrzeuge wurden bis zum Abzug der brigadestarken britischen Kräfte verwendet. Im Anschluss an die Rückverlegung der Fahrzeuge nach Großbritannien entschieden sich die britischen Streitkräfte zum Verkauf der verbliebenen „Warthog“ und gegen eine Übernahme in die reguläre Streitkräftestruktur.

Die bereits vorhandenen BvS10 wurden modernisiert und ergänzt. Sie landeten bei den Royal Marines, vermutlich wegen ihrer geringeren Abmessungen, ihrer Schwimmfähigkeit und der Möglichkeit, sie mit großen Hubschraubern als Außenlast transportieren zu können. Diese Fähigkeiten sind für Truppen, die von Schiffen aus operieren, weltweit von besonderer Bedeutung.

Schwedische Streitkräfte

Die Ereignisse in Afghanistan und die Erkenntnis, dass eine latent vorhandene, asymmetrische Bedrohung vor allem eine Verbesserung des Schutzfaktors verlangt, führten zu weiteren Produktverbesserungen. Die schwedischen Streitkräfte untersuchten alle Möglichkeiten und gaben schließlich dem „Heimatprodukt“ BvS10 MKIIB den Vorzug. Ab 2012 beschafften sie 150 neue Fahrzeuge in zwei Tranchen. Bei einem multilateralen Treffen zur Streitkräfteentwicklung wurde der österreichische Vertreter von der schwedischen Ausschreibung informiert. Nach einer Kooperationsbeurteilung trat das BMLVS an die schwedischen Behörden mit einer Kooperationsanfrage heran.

Die Entscheidung der schwedischen Behörden zur Kooperation erfolgte durch einen formalen Regierungsbeschluss. Darin wurde Österreich eine zeitlich befristete Möglichkeit einer Beschaffungskooperation angeboten. Nach Verlängerung des Angebotes wurde Anfang 2016 ein letzter Versuch unternommen, dieses anzunehmen. Der Wettlauf gegen den Ablauf der Teilnahmefrist konnte durch den Vertragsabschluss Mitte 2016 gewonnen werden: Österreich bestellte 32 Stück neue BvS10 MKIIB, die weitgehend baugleich mit den schwedischen Fahrzeugen sind, in Teilbereichen aber verbessert sind.

Absicht der Beschaffung

Bei der Ausrüstungsplanung führten die traditionell geringen Mittel, die in Österreich dem Landesverteidigungsbudget zugeordnet werden, zur Zielsetzung, wenige Fahrzeugflotten zu betreiben und eine Multifunktionalität innerhalb einer Flotte zu erreichen. Die Planungen sehen vor, dass der Hägglunds BvS10 das gepanzerte Basisfahrzeug der hochgebirgsbeweglichen Truppen werden soll. Durch verschiedene Zusatzausrüstungen sowie die Option auf unterschiedliche Hinterwägen sind über den Transport einer Jägergruppe hinaus auch andere Funktionalitäten gewährleistet.

Damit stehen erstmals gepanzerte Fahrzeuge im Westen Österreichs zur Verfügung. Verbunden mit der Idee des „Basisfahrzeuges“ war auch die Aufteilung auf die verschiedenen Standorte der gebirgsbeweglichen Truppenteile. Wenngleich dies eine logistische Herausforderung bei einer kleinen Flotte darstellt, kann dadurch ein permanenter Erfahrungsgewinn in den Einheiten erzielt werden.

Zeitplan

Die Herstellung des österreichischen Prototyps ist für Ende 2017 vorgesehen. Die Lieferung der Serienfahrzeuge wird Ende 2018 erfolgen. Dieser Zeitplan ergibt sich unter anderem durch die von Österreich geforderte Änderung, als auch durch die Bestellung der spezifischen Komponenten des Fahrzeuges. Die Zeiträume zur Lieferung militärischer Geräte entsprechen den Zeiträumen zur Lieferung von komplexen Maschinen. Sie sind daher wenig veränderbar. Diese Vorlaufzeit wird nun genutzt, um beispielsweise Vorbereitungen für die Ausbildung und Infrastruktur zu treffen.

Die österreichische Version

Alle Beschaffungen oder Weiterentwicklungen von geschützten oder gepanzerten Fahrzeugen beim Bundesheer beruhen auf den gleichen Überlegungen. Das Ziel ist es, trotz unterschiedlicher Fahrzeugtypen, den Soldaten immer gleichen Schutz zu bieten. Daher ist ein passiver Schutzfaktor gegen ballistische Bedrohungen, Minen und Sprengfallen (Improvised Explosive Devices - IED) unvermeidlich. Dieser passive Schutz soll durch eine verbesserte Lagekenntnis ergänzt werden.

Schutz

Die Schutzkonzeption des BvS10 Mk IIB wurde gegenüber den Vorgängermodellen in allen Bereichen (ballistischer Schutz, Minenschutz und Schutz vor IED) erhöht. Das BMLVS legte besonderes Schwergewicht auf den Schutz gegen Minen und IEDs. Man kann davon ausgehen, dass die Erfahrungen anderer Nationen mit dem Fahrzeug in Afghanistan diese Entwicklung ermöglicht und beschleunigt haben. Das BMLVS verfolgt einen einheitlichen technischen Mindeststandard bei allen geschützten Fahrzeugen. Dies bedingt auch Verstausysteme sowie spezielle Sitze, die die Belastungen, die beim Auslösen von Sprengkörpern entstehen, verringern sollen.

Der Soldat und seine Ausrüstung müssen beim Auslösen einer Explosion vor einem „Ausbeulen“ des Bodens oder der Seitenwand geschützt sein. Da die Auswirkungen einer Explosion, zum Beispiel durch eine Mine, innerhalb von Sekundenbruchteilen wirksam werden, bleibt keine Zeit für eine Reaktion der betroffenen Soldaten. Daher sind zusätzliche konstruktive Maßnahmen vorgesehen, die den Schutz der Soldaten besser gewährleisten. Ergänzend ist in der österreichischen Version eine AC-Schutzanlage gegen atomare oder chemische Stoffe eingebaut. Eine derartige Anlage wurde auch von anderen Nutzerstaaten gefordert, in dieser Modellreihe bisher aber nicht umgesetzt.

Waffenstation

Eine zentrale Rolle sowohl bei der Erhöhung des Schutzes als auch bei der Verbesserung der Aufklärungs- und Durchsetzungsfähigkeit kommt der elektrisch fernbedienbaren Waffenstation zu. Diese ist als zentrale Waffenstation des Bundesheeres konzipiert. Mit dieser Waffenanlage sind oder werden ebenfalls der „Husar“, der „Dingo“ sowie der „Pandur“ ausgerüstet. Neben der Vermeidung der Exponierung des Bedieners werden leistungsfähige Sicht- und Zielmittel eingebaut.

Somit ist es möglich, Aufklärungs- und Beobachtungsergebnisse in hoher Qualität, unabhängig von der Funktion des Fahrzeuges, einbringen zu können. Die Waffenstation lässt mit geringen Adaptierungen durch das Bedienpersonal die Verwendung verschiedener Waffen zu (MG 7,62 mm, üsMG 12,7 mm und 40-mm-Granatwerfer). Eine Wurfanlage zur zielgerichteten Verwendung von Nebelwurfkörpern ist ebenfalls vorhanden. Der mit der Waffenstation verbundene taktische Rechner ist zugleich Anlaufpunkt für ein Waffeneinsatz- oder Battle- Management-System. Die Waffenanlage wirkt auch im Verbund mit dem Führungssystem des Kommandanten. Dieser kann die Sichtmittel der Waffenanlage nutzen und bei Bedarf den Bordschützen übersteuern. Sein Kommandantendisplay ist der Schnittpunkt des Führungsinformationssystems (Waffeneinsatz- oder Battle- Management-System).

Die Waffenanlage wird klappbar sein, sodass ein rasches Be- und Entladen von Luftfahrzeugen möglich ist. Bedingt durch die Montage der Waffenanlage im vorderen Bereich des Frontwagens ergeben sich seitlich und rückwärts eingeschränkte Feuerbereiche. Dies ist der Konstruktion in einen Vorder- und Hinterwagen geschuldet, die, verbunden durch die Knicklenkung, in unterschiedlicher Position zueinander stehen können. Anstelle einer fixen Richtbegrenzung ist beabsichtigt, Sensoren einzubauen, die die Feuerbereiche der Waffenanlage automatisch berechnen und begrenzen.

Kommunikation und zusätzliche Sensoren

Das Fahrzeug wird mit den in Österreich verwendeten Truppenfunkgeräten kompatibel sein. Wie bereits erwähnt, hat die Waffenanlage einen taktischen Rechner, der die Einbindung eines Waffeneinsatzsystems oder eines Battle Field Management-Systems zulässt. Bis zur Entscheidung über die Vorgangsweise in diesem Bereich kann der Kommandant jedoch bereits einzelne Tools des taktischen Rechners nutzen. Der Rechner stellt die Schnittstelle zu möglichen weiteren Sensoren dar.

Erstmals wird in einem österreichischen Fahrzeug ein Rundum-Kamerasystem eingerüstet, damit der Kommandant, der Richtschütze und die Besatzung durch Monitore im Inneren des Fahrzeuges laufend über ihre Umgebung informiert werden. Dieses System kann im Sinne der Modularität auf andere Fahrzeugtypen erweitert werden. Zur Sicherstellung einer adäquaten Führungsfähigkeit auf Ebene Einheit und darüber, wird ein spezieller Einbausatz für eine Führungsversion entwickelt. Die Fahrzeuge werden auch in der Lage sein, größere Antennenmasten mitzuführen.

Ausrüstung

Im Fahrzeug ist ein Verstaukonzept vorgesehen, das sich an den österreichischen Bedürfnissen orientiert. Im Unterschied zur schwedischen Variante kann der Hinterwagen bis zu acht Soldaten aufnehmen. Die vorhandene Ausrüstung der Soldaten ist in jedem Fall gesichert zu verwahren, um den Minen- und IED-Schutz gewährleisten zu können. Ein schnell wirkendes Feuerlöschsystem ergänzt die Innenräume. Zur Sicherstellung der Sanitäts-Kapazität wird ein „Umrüstsatz San“ bestellt, damit auch Patienten aus der Gefahrenzone gebracht werden können.

Die Ausrüstung der Fahrzeuge wird durch anbaubare, manövrierfähige Schneepflüge sowie eine Winde vor allem zur Selbstbergung ergänzt. Zur Erhöhung der Transportleistung, unter anderem bei Verlegungen, werden Anhänger mit einer Nutzlast von 1 500 kg beschafft. Weitere Optionen, wie zusätzliche Fahrzeuge oder besondere Hinterwägen für den Transport oder ein Notarztfahrzeug, sind abrufbar.

Ausbildung und Verwendung

Die Eingliederung dieses neuen Fahrzeuges in die Gebirgstruppe ist eine Herausforderung für den jeweiligen Verband. Die frühe Einbindung der Truppe soll eine rasche Identifikation ermöglichen und Rückmeldungen fördern. Die Verwendung des BvS10 Mk IIB ist kein „Allheilmittel“ zur Lösung aller Gefechtssituationen, wird die Handlungsoptionen der Gebirgstruppe aber deutlich erhöhen. Neben der taktischen Verwendung müssen die logistischen Herausforderungen bewältigt werden, die mit einem modernen und komplexen Fahrzeug verbunden sind. Die Gebirgstruppe ist darauf vorbereitet. 

Brigadier MMag. Norbert Huber ist Leiter der Direktion Rüstung und Beschaffung

 

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